Medizinrecht

Kein Unfallausgleich nach Dienstunfall

Aktenzeichen  3 ZB 15.940

Datum:
11.11.2016
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2016, 54903
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
BayBeamtVG Art. 45, Art. 52 Abs. 1, Abs. 2
VwGO § 124 Abs. 2 Nr. 1, Nr. 5, § 124a Abs. 4 S. 4

 

Leitsatz

1 Unfallausgleich (Art. 52 Abs. 1 BayBeamtVG) kann nicht gewährt werden, wenn die Erwerbsfähigkeit nicht um mindestens 25 v. H. beschränkt ist, weil nach einem im Verwaltungsverfahren eingeholten fachärztlichen Gutachten die beim dem Beamten festzustellenden Funktionseinschränkungen der Sprunggelenke nur zu einer geringeren Beeinträchtigung führen und erst bei vollständiger Versteifung des oberen und unteren Sprunggelenks eine Minderung der Erwerbsfähigkeit von 30 v. H. anzusetzen ist. (redaktioneller Leitsatz)
2 Liegt bereits ein Gutachten zu einer entscheidungserheblichen Tatsache vor, steht es nach § 98 VwGO, § 412 Abs. 1 ZPO im Ermessen des Gerichts, ob es ein zusätzliches Sachverständigengutachten einholt. Das Gericht kann sich dabei auch auf Gutachten stützen, die von einer Behörde eingeholt wurden. Ein Verfahrensmangel liegt nur dann vor, wenn sich die Einholung eines weiteren Gutachtens wegen fehlender Eignung des vorliegenden Gutachtens hätte aufdrängen müssen. Ist dies nicht der Fall, ist es Sache des Klägers durch Stellung eines förmlichen Beweisantrages auf die aus seiner Sicht notwendige Aufklärung hinzuwirken (VGH München BeckRS 2016, 42596; Parallelentscheidung BeckRS 2016, 54945). (redaktioneller Leitsatz)

Verfahrensgang

Au 2 K 14.1295 2015-03-19 Urt VGAUGSBURG VG Augsburg

Tenor

I.
Der Antrag auf Zulassung der Berufung wird abgelehnt.
II.
Der Kläger trägt die Kosten des Zulassungsverfahrens.
III.
Der Streitwert für das Zulassungsverfahren wird auf 3.096,- Euro festgesetzt.

Gründe

Der sinngemäß auf die Zulassungsgründe des § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO (ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des Urteils) und § 124 Abs. 2 Nr. 5 VwGO (Verfahrensmangel, auf dem die Entscheidung beruhen kann) gestützte Antrag auf Zulassung der Berufung bleibt ohne Erfolg. Der Senat hat bereits Zweifel, ob die Zulassungsgründe in einer den Anforderungen des § 124a Abs. 4 Satz 4 VwGO genügenden Art und Weise dargelegt sind. Diese liegen jedenfalls nicht vor.
1. Es bestehen keine ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit des Urteils (§ 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO).
Ernstliche Zweifel an der Richtigkeit i. S. d. § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO sind anzunehmen, wenn in der Antragsbegründung ein einzelner tragender Rechtssatz oder eine erhebliche Tatsachenfeststellung mit schlüssigen Gegenargumenten in Frage gestellt werden (vgl. etwa BVerfG, B. v. 10.9.2009 – 1 BvR 814/09 – NJW 2009, 3642) und die Zweifel an der Richtigkeit einzelner Begründungselemente auf das Ergebnis durchschlagen (BVerwG, B. v. 10.3.2004 – 7 AV 4.03 – DVBl 2004, 838/839). Schlüssige Gegenargumente in diesem Sinne liegen dann vor, wenn der Rechtsmittelführer substantiiert rechtliche oder tatsächliche Umstände aufzeigt, aus denen sich die gesicherte Möglichkeit ergibt, dass die erstinstanzliche Entscheidung im Ergebnis unrichtig ist (vgl. BVerfG, B. v. 20.12.2010 – 1 BvR 2011/10 – NVwZ 2011, 546/548). Welche Anforderungen an Umfang und Dichte der Darlegung zu stellen sind, hängt wesentlich von der Intensität ab, mit der die Entscheidung begründet worden ist (Happ in Eyermann, VwGO, 14. Aufl. 2014, § 124a Rn. 64 m. w. N.).
1.1 Der Kläger war am 20. März 1998 mit seinem Dienstfahrzeug von der Straße abgekommen und gegen einen Baum geprallt. Mit Bescheid vom 19. Mai 1998 erkannte der Beklagte dieses Ereignis als Dienstunfall im Sinne von Art. 45 ff. BayBeamtVG an und bestätigte als Dienstunfallfolge eine schwere Quetschung des rechten Sprunggelenks mit Weichteilschaden, eine Luxationsfraktur des rechten Sprunggelenks und eine ausgedehnte Risswunde am linken Knie. Mit Bescheid vom 11. Juni 1999 wurde als weitere Folge des Dienstunfalls vom 20. März 1998 eine doppelte Fraktur am Innenknöchel rechts und mit Bescheid vom 6. März 2014 eine schwere posttraumatische Arthrose des rechten oberen und unteren Sprunggelenks festgestellt (Ziff. 1). Die Anerkennung degenerativer Veränderungen im Bereich der Hals-und Lendenwirbelsäule, der Hüftgelenke und der Kniegelenke wurden als weitere Dienstunfallfolgen in Ziffer 2 des Bescheids vom 6. März 2014 abgelehnt und gleichzeitig festgestellt, dass die Voraussetzungen für die Gewährung eines Unfallausgleichs nicht vorliegen (Ziff. 3 des Bescheids vom 6. März 2014). Nach erfolglosem Widerspruchsverfahren erhob der Kläger auch Klage auf die Anerkennung weiterer Dienstunfallfolgen, welche das Verwaltungsgericht mit Urteil vom 19. März 2015 (Az. Au 2 K 14.1286) abwies. Den auf Zulassung der Berufung gerichteten Antrag des Klägers lehnte der Senat ebenfalls mit Beschluss vom 11. November 2016 (Az. 3 ZB 15.939) ab.
1.2 Das Verwaltungsgericht hat die Verpflichtungsklage des Klägers zu Recht abgewiesen. Dabei hat es zutreffend ausgeführt, dass die Voraussetzungen für die Gewährung von Unfallausgleich nach Art. 52 Abs. 1 BayBeamtVG nicht vorliegen. Einen solchen erhalte ein Verletzter nur dann, wenn er infolge des Dienstunfalls in der Erwerbstätigkeit länger als sechs Monate um mindestens 25 v. H. beschränkt sei, solange dieser Umstand andauere. Die Beweislast hierfür trage der Beamte. Im Rahmen des vom Beklagten im Verwaltungsverfahren eingeholten fachärztlichen Gutachtens vom 13. Dezember 2013 sei der Gutachter Dr. K.-H. M. nachvollziehbar und schlüssig zum Ergebnis gekommen, dass aufgrund des Dienstunfalls vom 20. März 1998 beim Kläger anfangs eine Minderung der Erwerbsfähigkeit von 20 v. H. bis zum Abschluss der Rehabilitationsmaßnahmen im April/Mai 1999, anschließend 0 v. H. und dann ab den Jahren 2006 bzw. 2007 wieder von 20 v. H. bestanden habe. Der Gutachter habe insofern die beim Kläger festzustellenden Funktions- und Bewegungseinschränkungen des rechten oberen und unteren Sprunggelenks zugrunde gelegt, welche er im rechten oberen Sprunggelenk mit 30/0/0° und im rechten unteren Sprunggelenk mit 50 Prozent gegenüber der nicht verletzten Gegenseite angegeben habe. Hinzu sei noch eine 50prozentige Einsteifung des rechten unteren Sprunggelenks gekommen. Erst bei vollständiger Versteifung des oberen und unteren Sprunggelenks könne eine Minderung der Erwerbsfähigkeit von 30 v. H. angesetzt werden. Dies ergebe sich auch aus der einschlägigen Fachliteratur. Das vorliegende Gutachten sei geeignet gewesen, dem Gericht die erforderliche Sachkunde zu vermitteln, so dass es keiner weiteren Sachaufklärung bedurft habe. Gegen das Ergebnis der Begutachtung habe der Kläger keine substantiellen Einwendungen vorgebracht, so dass eine Einholung weiterer sachverständiger Stellungnahmen nicht veranlasst gewesen sei. Vielmehr fände die Einschätzung des Fachgutachters auch in Ziffer 18.41 (Schäden der unteren Gliedmaßen) der Anlage § 2 der Versorgungs-Medizin Verordnung (VersMedV) vom 10. Dezember 2008 (BGBl. 2008, 2412) ihre Stütze. Nur bei Versteifung des oberen und unteren Sprunggelenks könne eine Minderung der Erwerbsfähigkeit von 30 v. H. angesetzt werden. Eine solche liege aber nicht vor und ergebe sich auch nicht aus den im Verwaltungsverfahren vorgelegten privatärztlichen Stellungnahmen u. a. von Dr. med. J. und W. vom 11. Januar 2007, vom 7. August 2007 und vom 21. Mai 2012, von Dr. med. K. vom 30. September 2008 oder von Dr. med. S. (R. Kliniken) vom 4. Oktober 2012. Der Gutachter Dr. med. K.-H. M. habe eine solche bei der von ihm vorgenommenen klinischen, radiologischen und sonografischen Untersuchung des Klägers im Rahmen der Gutachtenerstellung vom 13. Dezember 2013 ebenfalls nicht feststellen können. Auch unter Berücksichtigung des klägerischen Vorbringens bestünden deshalb keine Zweifel am Ergebnis des Gutachtens, auf das der Beklagte seine ablehnende Entscheidung im Bescheid vom 6. März 2014 (Ziff. 3) gestützt habe.
1.3 Weder das Vorbringen des Klägers, er leide nach wie vor an den Folgen des Dienstunfalls, noch die vorgelegte Stellungnahme des Dr. med. L. vom 26. April 2015 mit der Aussage, dass die Einschätzung der Minderung der Erwerbsfähigkeit des Klägers mit 20 v. H. „grenzwertig niedrig erscheine und eine Nachbegutachtung empfohlen wird“, ist geeignet, das fachärztliche Gutachten vom 13. Dezember 2013 in Frage zu stellen und damit ernstliche Zweifel am erstinstanzlichen Urteil zu begründen. Aus dem gleichen Grund hat das Verwaltungsgericht auch zu Recht auf die Einholung eines weiteren Gutachtens verzichtet.
2. Der Kläger kann sich deshalb im Rahmen seines Zulassungsantrags auch nicht auf § 124 Abs. 2 Nr. 5 VwGO stützen. Es ist nicht ersichtlich, dass das Verwaltungsgericht der ihm nach § 86 Abs. 1 VwGO obliegenden Aufklärungspflicht nicht ausreichend nachgekommen ist. Liegt – wie hier – bereits ein Gutachten zu einer entscheidungserheblichen Tatsache vor, steht es nach § 98 VwGO, § 412 Abs. 1 ZPO im Ermessen des Gerichts, ob es ein zusätzliches Sachverständigengutachten einholt. Das Gericht kann sich dabei ohne Verstoß gegen seine Aufklärungspflicht auf Gutachten oder gutachterliche Stellungnahmen stützen, die von einer Behörde im Verwaltungsverfahren eingeholt wurden (st. Rspr. vgl. BVerwG, B. v. 30.12.1997 – 11 B 3.97; B. v. 3.2.2010 – 7 B 35/09 – juris Rn. 12). Ein Verfahrensmangel liegt nur dann vor, wenn sich die Einholung eines weiteren Gutachtens wegen fehlender Eignung des vorliegenden Gutachtens hätte aufdrängen müssen. Dies wäre dann der Fall gewesen, wenn das fachärztliche Gutachten vom 13. Dezember 2013 grobe, offen erkennbare Mängel oder unlösbare Widersprüche aufweisen würde, von unzutreffenden tatsächlichen Voraussetzungen ausgegangen wäre, wenn Anlass zu Zweifeln an der Sachkunde oder der Unparteilichkeit des Gutachters bestanden hätten, ein anderer Sachverständiger über neue oder überlegenere Forschungsmittel oder größere Erfahrung verfügte oder wenn das Beweisergebnis durch substantiierten Vortrag eines der Beteiligten oder durch eigene Überlegungen des Gerichts ernsthaft erschüttert worden wäre (st. Rspr., vgl. BVerwG, B. v.26.6.1992 – 4 B 1-11/92 – juris Rn. 45 ff.; B. v. 3.2.2010 a. a. O. Rn. 12).
Derartige Einwendungen gegen das Gutachten vom 13. Dezember 2013 wurden vom Kläger jedoch nicht vorgetragen. Eine weitere Beweiserhebung musste sich dem Verwaltungsgericht deshalb nicht aufdrängen. Es hätte vorliegend vielmehr dem anwaltlich vertretenen Kläger oblegen, durch die Stellung eines förmlichen Beweisantrags auf eine aus seiner Sicht noch notwendige Aufklärung des Sachverhalts hinzuwirken (BayVGH, B. v. 15.2.2016 – 14 ZB 14.1016 – juris Rn. 28) bzw. im Berufungszulassungsverfahren substantiiert darzulegen, warum sich dem Verwaltungsgericht aus seiner für den Umfang der verfahrensrechtlichen Sachaufklärung maßgeblichen materiell-rechtlichen Sicht die Notwendigkeit einer weiteren Sachaufklärung in der aufgezeigten Richtung hätte aufdrängen müssen (st. Rspr., vgl. BVerwG, U. v. 22.10.2015 – 7 C 15.13 – juris Rn. 35; B. v. 28.7.2014 – 1 B 6.14 – juris Rn. 3; B. v. 5.3.2010 – 5 B 7.10 – juris Rn. 9).
Die Aufklärungsrüge stellt kein Mittel dar, um die Versäumnisse eines Beteiligten wie das Unterlassen der Stellung von förmlichen Beweisanträgen in der ersten Instanz im Berufungsverfahren zu kompensieren (BVerwG, B. v. 5.3.2010 a. a. O. Rn. 9; BayVGH, B. v. 9.10.2015 – 3 ZB 12.1708 – juris Rn. 27; B. v. 20.6.2016 a. a. O. Rn. 30). Ein konkreter Beweisantrag, der grundsätzlich spätestens in der mündlichen Verhandlung (BVerwG, B. v. 25.6.2012 – 7 BN 6.11 – juris Rn. 7) oder – sofern wie hier auf die Durchführung einer mündlichen Verhandlung verzichtet wurde – zumindest schriftlich zu stellen gewesen wäre, liegt jedoch nicht vor. Beweisangebote bzw. -anträge in den vorbereitenden Schriftsätzen – wie z. B. in der Klagebegründung vom 7. Oktober 2014 (ohne konkrete Fragestellung) – sind anerkanntermaßen lediglich als Ankündigungen bzw. Anregungen an das Gericht zu werten (BayVGH, B. v. 20.6.2016 a. a. O. Rn. 30). Gleiches gilt für eine Bezugnahme auf bisherige Beweisangebote im Rahmen des Verzichts auf die mündliche Verhandlung im Schriftsatz vom 27. Februar 2015. Hierin ist ebenfalls kein konkreter Beweisantrag zu sehen.
3. Der Zulassungsantrag war deshalb mit der Kostenfolge des § 154 Abs. 2 VwGO abzulehnen.
Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 47 Abs. 1 und 3, 52 Abs. 3 GKG i. V. m. Ziff. 10.4 des Streitwertkatalogs 2013 (129 Euro x 24 Monate; wie Vorinstanz).
Mit der Ablehnung des Antrags auf Zulassung der Berufung wird die Entscheidung des Verwaltungsgerichts rechtskräftig (§ 124a Abs. 5 Satz 4 VwGO).

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