Aktenzeichen AN 1 K 16.02170
Leitsatz
1 Eine gravierende Sehschwäche beider Augen iSd § 22 Abs. 1 Nr. 2c BayBhV liegt nicht vor, wenn nur auf einem Auge ein Visus von ≤ 0,3 vorliegt (vgl. Ziffer 1 der VV zu § 22 BayBhV). (redaktioneller Leitsatz)
2 Für die Anwendbarkeit der Entscheidung des Bayerischen VGH zur Nichtigkeit des § 22 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 BayBhV (vgl. BayVGH BeckRS 2015, 48631) muss eine vergleichbare gravierende Sehschwäche vorliegen, welche die wesentlichen Verrichtungen des täglichen Lebens unmöglich macht. (redaktioneller Leitsatz)
3 Der grundsätzliche Ausschluss der Beihilfefähigkeit von Sehhilfen ist – abgesehen von der fehlenden Regelung für eine gravierende Sehschwäche – mit höherrangigem Recht, insbesondere der Fürsorgepflicht des Dienstherrn, vereinbar. (redaktioneller Leitsatz)
4 Dem Gesetz- und Verordnungsgeber ist es rechtlich möglich, die Beihilfeleistungen für Hilfsmittel wie eine Brille ähnlich den Leistungen der gesetzlichen Krankenversicherung zu beschränken. (redaktioneller Leitsatz)
Tenor
1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Die Klägerin trägt die Kosten des Verfahrens. Insoweit ist das Urteil vorläufig vollstreckbar.
3. Die Klägerin kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe der festgesetzten Kosten abwenden, wenn nicht der Beklagte zuvor Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
4. Die Berufung wird zugelassen.
Gründe
Die zulässige Klage ist nicht begründet.
Der Bescheid des Landesamts für …- Dienststelle L. – Bezügestelle Beihilfe – vom 30. März 2016 und der Widerspruchsbescheid derselben Behörde vom 12. Oktober 2016 sind rechtmäßig und verletzen die Klägerin nicht in ihren Rechten (§ 113 Abs. 1 und 5 VwGO).
Die Klägerin hat keinen Rechtsanspruch auf die beantragte Beihilfeleistung für die Beschaffung einer Fernbrille in der von ihr beantragten Höhe von 72,50 EUR, da die Voraussetzungen für eine Beihilfefähigkeit nicht vorliegen und der hierdurch bewirkte Beihilfeausschluss rechtmäßig ist.
Ein Beihilfeanspruch der Klägerin ergibt sich nicht aus Art. 96 BayBG i.V.m. §§ 1 Abs. 2 Satz 1, 7 Abs. 1 Satz 1, 22 Abs. 1 BayBhV.
Nach Art. 96 Abs. 2 Satz 1 BayBG erhalten Beamte Beihilfeleistungen zu den nachgewiesenen medizinisch notwendigen und angemessenen Aufwendungen in Krankheits-, Geburts- und Pflegefällen und zur Gesundheitsvorsorge. Nach § 7 Abs. 1 der gemäß Art. 96 Abs. 5 BayBG hierzu erlassenen Bayerischen Beihilfeverordnung sind Aufwendungen „nach den folgenden Vorschriften“ beihilfefähig, wenn sie dem Grunde nach medizinisch notwendig sowie der Höhe nach angemessen sind und ihre Beihilfefähigkeit nicht ausdrücklich ausgeschlossen ist. § 22 Abs. 1 BayBhV regelt als eine diesen Grundsatz konkretisierende Norm die Beihilfefähigkeit von Aufwendungen für Sehhilfen. Danach sind diese bei der volljährigen Klägerin nur im Fall des Vorliegens einer der in § 22 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 lit. a) bis d) BayBhV genannten Indikationen beihilfefähig. Der im Beihilfebescheid zitierte § 22 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 e) BayBhV ist (noch) nicht existent. Es besteht derzeit die Absicht, eine entsprechende Regelung zu treffen.
Die in § 22 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 BayBhV genannten Indikationen sind im Falle der Klägerin nicht erfüllt, insbesondere liegt keine gravierende Sehschwäche beider Augen vor (§ 22 Abs. 1 Nr. 2 c) BayBhV), da nur auf dem rechten Auge ein Visus von ≤ 0,3 vorliegt (vgl. Ziffer 1 der VV zu § 22 BayBhV).
Der Bayerische Verwaltungsgerichtshof vertritt in seinem Urteil vom 14. Juli 2015 – 14 B 13.654 jedoch die Auffassung, der grundsätzliche Ausschluss der Beihilfefähigkeit für Sehhilfen für Volljährige nach § 22 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 BayBhV bzw. deren Beschränkung auf einige wenige Fälle von Blindheit oder der Blindheit nahekommender Sehschwächen in § 22 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 BayBhV verstoße jedenfalls bei Vorliegen einer gravierenden Sehschwäche gegen das in § 45 Abs. 1 BeamtStG für die Beamten der Länder einfachgesetzlich geregelte und in Art. 33 Abs. 5 GG verfassungsrechtlich verankerte Fürsorgeprinzip, wonach der Dienstherr im Rahmen des Dienst- und Treueverhältnisses für das Wohl der Beamtinnen und Beamten zu sorgen habe (BayVGH, U.v. 14.7.2015 – 14 B 13.654, juris Rn. 22).
Bei der Klägerin liegt jedoch keine der Entscheidung des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs vergleichbare gravierende Sehschwäche vor. Diese hatte nämlich eine Stärke erreicht (Myopia per magna – hohe Kurzsichtigkeit, ca. -13 dpt.), die dem dortigen Kläger ohne eine Sehhilfe die wesentlichen Verrichtungen des täglichen Lebens unmöglich gemacht hätte. Hingegen liegt bei der Klägerin des gegenständlichen Verfahrens, deren Weitsichtigkeit laut ärztlicher Brillenverordnung vom 7. März 2016 +7,00 dpt (rechts) und +4,75 dpt (links) beträgt, nach den im Internet recherchierbaren Kategorien (vgl. www.brillen-sehhilfen.de) zwar eine das ständige Tragen einer Brille (oder Sehhilfe) erfordernde Weitsichtigkeit vor, die jedoch auf einem Auge noch nicht die Schwelle für eine starke Weitsichtigkeit (ab 5,00 dpt) erreicht und deshalb nach allgemeiner Lebenserfahrung auch ohne Sehhilfe nicht einer faktischen Blindheit gleichkäme.
Insbesondere kann sich die Klägerin auch nicht auf die von ihr zur Klagebegründung übernommenen Ausführungen des BayVGH im oben genannten Urteil vom 14. Juli 2015 berufen, da die dortigen Feststellungen des BayVGH zu einem anders gelagerten und nach objektiven Kriterien nicht mit dem Fall der Klägerin vergleichbaren Sachverhalt, nämlich dem Fall eines Beamten mit einer sehr hohen Kurzsichtigkeit (Myopia per magna) getroffen wurden.
Nachdem vorliegend kein Fall einer solchen gravierenden Sehschwäche gegeben ist, stellt sich auch nicht mehr die Frage, ob sich die Umsetzung der Entscheidung des BayVGH durch das Landesamt für Finanzen als zu eng erweist, wenn eine gravierenden Sehschwäche erst ab einer Größenordnung von mindestens +/-10 dpt angenommen wird.
Die Kammer hat – über die Notwendigkeit einer Beihilfeleistung für Fälle einer gravierenden Sehschwäche hinaus – keine Zweifel an der Wirksamkeit der Vorschriften der BayBhV und ihrer jeweiligen Ausführungsbestimmungen. Insbesondere ist der grundsätzliche Ausschluss der Beihilfefähigkeit von Sehhilfen neben den oben genannten Ausnahmen mit höherrangigem Recht vereinbar.
Die Ablehnung der weitergehenden Beihilfeleistung über diese Fälle hinaus verletzt nämlich nicht die Fürsorgepflicht (§ 45 BeamtStG). Die Beihilferegelungen sind selbst eine Konkretisierung der Fürsorgepflicht, so dass Ansprüche aus dieser Pflicht des Dienstherrn nur abgeleitet werden können, wenn sonst die Fürsorgepflicht in ihrem Wesenskern verletzt wäre (BVerwG, U.v. 10.6.1999 – 2 C 29/98, juris Rn. 22 m.w.N.). Ihrem Wesen nach ist die Beihilfe eine Hilfeleistung, die zu der zumutbaren Eigenvorsorge des Beamten in angemessenem Umfang hinzutritt, um ihm seine wirtschaftliche Lage in einer der Fürsorgepflicht entsprechenden Weise durch Zuschüsse aus öffentlichen Mitteln zu erleichtern. Dabei ergänzt die Beihilfe nach der ihr zugrundeliegenden Konzeption lediglich die Alimentation des Beamten (BVerwG, U.v. 20.3.2008 – 2 C 49.07, juris Rn. 20; vgl. auch VG Bremen, U.v. 10.11.2015 – 2 K 695/14, Rn. 23, juris). Der amtsangemessene Lebensunterhalt des Beamten soll auch im Krankheits- und Pflegefall gesichert werden. Dem Dienstherrn ist es daher grundsätzlich nicht verwehrt, im Rahmen der nach medizinischer Einschätzung behandlungsbedürftigen Leiden Unterschiede zu machen und die Erstattung von Behandlungskosten aus triftigen Gründen zu beschränken oder auszuschließen. Denn die verfassungsrechtliche Fürsorgepflicht fordert keine lückenlose Erstattung aller Kosten in Krankheits-, Geburts-, Pflege- und Todesfällen, die durch die Leistungen einer beihilfekonformen Krankenversicherung nicht gedeckt sind. Der Dienstherr muss zwar eine medizinisch zweckmäßige und ausreichende Versorgung im Krankheitsfall gewährleisten; das bedeutet jedoch nicht, dass er die Aufwendungen eines medizinisch notwendigen Arzneimittels in jedem Fall erstatten muss. Er kann grundsätzlich bestimmte Medikamente und Hilfsmittel ganz oder teilweise von der Beihilfe ausschließen, solange er dadurch den Maßstab des medizinisch Gebotenen nicht unterschreitet (BayVGH, a.a.O., juris Rn. 24).
Insbesondere ist es dem Gesetz- und Verordnungsgeber nach Auffassung der Kammer rechtlich möglich, die Beihilfeleistungen für Hilfsmittel wie einer Brille ähnlich den Leistungen der gesetzlichen Krankenversicherung nach § 33 Abs. 2 SGB V i.V.m. § 12 Abs. 1 S. 2 der Richtlinie des Gemeinsamen Bundesausschusses über die Verordnung von Hilfsmitteln in der vertragsärztlichen Versorgung (Hilfsmittel-Richtlinie/HilfsM-RL) in der Neufassung vom 21. Dezember 2011 zu beschränken.
Dabei ergibt sich auch kein Verstoß gegen Art. 3 Abs. 1 GG dadurch, dass nur für bestimmte Diagnosen ein Beihilfeausschluss bzw. eine Beihilfegewährung vorgesehen wird (noch offengelassen: BayVGH, a.a.O., Rdnr. 32, juris). Hinsichtlich der Schwere der Sehbeeinträchtigungen wurde nämlich nach Auffassung des Verordnungsgebers keine bloß quantitativ bedeutsame Unterscheidung getroffen. Vielmehr ergibt sich aus den in § 22 Abs. 1 Nr. 2 BayBhV genannten Ausnahmefällen – wie auch aus der vom BayVGH zusätzlich angenommenen Ausnahme der gravierenden Sehschwäche – ein qualitativer Unterschied in der Beeinträchtigung, weshalb ein genügender sachlicher Grund für eine Ungleichbehandlung vorliegt. Aus diesem Grund ist mit Art. 96 Abs. 5 Satz 2 Nr. 2 lit. b BayBG auch eine genügende Verordnungsermächtigung für den vorgenommenen Ausschluss der Beihilfegewährung gegeben, weil nach qualitativ unterschiedlichen Indikationen unterschieden wurde.
Auch liegt keine Verletzung des Wesenskerns der Fürsorgepflicht wegen einer unzumutbaren Belastung des Beamten durch die Aufwendungen für die Brille als medizinisches Hilfsmittel vor (vgl. zur Unzumutbarkeit BVerwG, U.v. 10.10.2013 – 5 C 32/12, juris Rn. 25 m.w.N.; VG Ansbach, U.v. 16.6.2010 – AN 15 K 10.00165; VG Bayreuth, U.v. 23.2.2015 – B 5 K 14.1, juris Rn. 28). Eine derartige unzumutbare Belastung für die Klägerin durch die von ihr begehrten Aufwendungen in Höhe von 72,50 EUR bei einem Anschaffungspreis der Brille in Höhe von 246,- EUR ist ersichtlich nicht gegeben, da es sich lediglich um einmalige Kosten innerhalb eines längeren Zeitraums handelt, die – auf diesen bezogen – jedenfalls als von der Klägerin leistbar angesehen müssen.
Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 161 Abs. 1, 154 Abs. 1 VwGO, der Ausspruch über die vorläufige Vollstreckbarkeit auf § 167 Abs. 2 VwGO i.V.m. §§ 708 Nr. 11 ZPO.
Da der Bayerische Verwaltungsgerichtshof bisher noch nicht über die Frage entschieden hat, ob bei der Feststellung einer gravierenden Sehschwäche, die zur Beihilfeberechtigung führt zwischen Kurz- und Weitsichtigkeit zu differenzieren ist, und ob ggf. wegen der Einschränkungen im Nahbereich bei einer Weitsichtigkeit geringere Anforderungen an den Grad der Sehschwäche anzulegen sind, wird die Berufung wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache zugelassen (§ 124 a Abs. 1 VwGO i.V.m. § 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO).