Aktenzeichen 11 ZB 17.637
Leitsatz
Wegen der Regelung des § 44a VwGO sind weder Feststellungsklage noch Anfechtungsklage geeignet, isoliert gegen die Anordnung eines medizinisch-psychologischen Gutachtens vorzugehen. (redaktioneller Leitsatz)
Verfahrensgang
RN 8 K 16.148 2017-02-20 Urt VGREGENSBURG VG Regensburg
Tenor
I. Der Antrag auf Zulassung der Berufung wird abgelehnt.
II. Der Kläger trägt die Kosten des Berufungszulassungsverfahrens.
III. Unter Abänderung des Beschlusses des Verwaltungsgerichts vom 20. Februar 2017 wird der Streitwert für beide Rechtszüge auf jeweils 2.500,- Euro festgesetzt.
Gründe
I.
Der Kläger wendet sich gegen die Aufforderung zur Vorlage eines ärztlichen Gutachtens. Er ist Inhaber einer Fahrerlaubnis der Klassen A1, AM, B, BE, L und T.
Am 29. März 2014 erlitt der Kläger einen Verkehrsunfall. In der Unfallanzeige der Polizeiinspektion Mainburg vom 17. April 2014 ist ausgeführt, der Kläger sei von der Fahrbahn abgekommen und gegen ein Brückengeländer gestoßen. An der Unfallstelle habe er reanimiert werden müssen und sei mit dem Rettungshubschrauber in ein Klinikum verbracht worden. Dort sei eine Gehirnblutung festgestellt worden. Der Kläger habe bei seiner Vernehmung am 16. April 2014 angegeben, er sei aufgrund der Gehirnblutung bewusstlos geworden und deshalb verunfallt.
Mit Schreiben vom 1. Dezember 2014 hob das Landratsamt Kelheim (im Folgenden: Landratsamt) seine erste Anordnung zur Beibringung eines ärztlichen Gutachtens vom 29. April 2014 wegen einer Unrichtigkeit im Anordnungsschreiben auf und ordnete zugleich auf der Grundlage des § 11 Abs. 2 FeV i.V.m. Nr. 4.6 der Anlage 4 erneut ein ärztliches Gutachten an.
Der Kläger legte kein Gutachten vor. Im Rahmen der Anhörung machte er geltend, es gäbe keine Anhaltspunkte für eine periphere Gefäßerkrankung i.S.d. Nr. 4.6 der Anlage 4. Es handele sich um eine Ausforschungsmaßnahme. Er sei aber bereit, eine Bestätigung seines behandelnden Arztes über den derzeitigen Gesundheitszustand beizubringen. Es sei auch bereit, sich neurologisch untersuchen zu lassen. Im Übrigen hätte er seine Fahreignung nach Ablauf der verfahrensrechtlichen Einjahresfrist auch schon wiedererlangt, wenn sie denn verloren gegangen sei.
Mit Schreiben vom 18. August 2015 hob das Landratsamt die Anordnung vom 1. Dezember 2014 auf und ordnete die Beibringung eines ärztlichen Gutachtens auf der Grundlage des § 11 Abs. 2 FeV i.V.m. Nr. 4 der Anlage 4 an. Der Kläger legte kein Gutachten vor, sondern machte geltend, die Gutachtensanforderung sei nicht rechtmäßig. Es stehe keine Herz- und Gefäßkrankheit nach Nr. 4 der Anlage 4 im Raum. Zudem seien eine konkrete Fragestellung und eine hinreichende Zuordnung zu den einzelnen Fallgruppen notwendig. Eine Entziehung der Fahrerlaubnis erfolgte daraufhin nicht.
Mit Schriftsatz vom 28. Januar 2016 erhob der Kläger Feststellungsklage. Er beantragte, festzustellen, dass die Gutachtensanforderung vom 18. August 2015 rechtswidrig (gewesen) ist. Zugleich legte er eine Stellungnahme des Dr. P* … … vom 1. Februar 2016 vor, wonach aus kardiologischer Sicht keine Veranlassung bestehe, die Fahreignung des Klägers in Frage zu stellen sowie ein Attest des Dr. … … über eine Untersuchung am 8. April 2016. Danach liege auch aus neurologischer Sicht keine Einschränkung zum Führen von Kraftfahrzeugen vor. Eine Diagnose wurde von beiden Ärzten nicht gestellt.
Mit Urteil vom 20. Februar 2017 wies das Verwaltungsgericht Regensburg die Klage ab. Sie sei unzulässig, da es sich bei der Begutachtensanordnung um eine vorbereitende Maßnahme nach § 44a VwGO handele. Für eine Feststellungsklage sei kein Raum.
Mit seinem dagegen erhobenen Antrag auf Zulassung der Berufung, dem der Beklagte entgegentritt, macht der Kläger geltend, es bestünden ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des Urteils. Eine Feststellungsklage sei zulässig, da die Anordnung in das allgemeine Persönlichkeitsrecht des Betroffenen eingreife. Der Bürger habe nach der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 17. Dezember 2013 (1 BvR 3139/08, 1 BvR 3386/08) einen Anspruch darauf, dass ihm vor der Schaffung vollendeter Tatsachen Rechtsschutz gegen belastende Hoheitsakte eröffnet sei. Eine Aufklärungs- und Beweisanordnung sei nur dann von § 44a VwGO erfasst, wenn sie nicht in das allgemeine Persönlichkeitsrecht des Betroffenen (rechtswidrig) eingreife. Die Rechtssache weise auch besondere tatsächliche und rechtliche Schwierigkeiten auf. Das vorliegende Verfahren sei vergleichbar mit einem Planungs- und Genehmigungsverfahren für einen Braunkohle-Tagebau, das der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zugrunde gelegen habe. Die Rechtssache habe auch grundsätzliche Bedeutung. Das Urteil weiche auch von der genannten Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts ab und beruhe darauf.
Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten wird auf die Gerichtsakten beider Instanzen und die vorgelegten Behördenakten Bezug genommen.
II.
Der Antrag auf Zulassung der Berufung hat keinen Erfolg. Aus der Antragsbegründung ergeben sich die geltend gemachten Zulassungsgründe nicht (§ 124 Abs. 2 Nr. 1 bis 4 VwGO).
1. Ernstliche Zweifel an der Richtigkeit liegen vor, wenn der Rechtsmittelführer einen einzelnen tragenden Rechtssatz oder eine einzelne erhebliche Tatsachenfeststellung mit schlüssigen Gegenargumenten in Frage stellt (BVerfG, B.v. 9.6.2016 – 1 BvR 2453/12 – NVwZ 2016, 1243 Rn. 16). Das ist vorliegend nicht der Fall.
Es ist höchstrichterlich geklärt und entspricht ständiger Rechtsprechung, dass es sich bei der Anordnung eines ärztlichen oder medizinisch-psychologischen Gutachtens nach der Fahrerlaubnis-Verordnung um eine Verfahrenshandlung nach § 44a VwGO und nicht um einen Verwaltungsakt nach Art. 35 BayVwVfG handelt und diese Aufforderung daher nicht selbstständig angegriffen werden kann (BVerwG B.v. 28.6.1996 – 11 B 36.96 – juris; B.v. 17.5.1994 – 11 B 157.93 – ZfSch 1994, 432; BayVGH, B.v. 6.8.2007 – 11 ZB 06.1818 – juris Rn. 3 m.w.N.; OVG SH, B.v. 11.4.2014 – 2 MB 11/14 – juris; OVG LSA, B.v. 14.9.2007 – 1 O 190/07 – juris; OVG Hamburg, B.v. 22.5.2002 – 3 Bs 71/02 – juris; vgl. auch Dauer in Hentschel/König/Dauer, Straßenverkehrsrecht, 44. Aufl. 2017, § 11 Fev Rn. 25). Auch für eine Feststellungsklage besteht nach § 44a Satz 1 VwGO kein Raum. Mit dieser Vorschrift wird nicht nur eine Anfechtungsklage nach § 42 Abs. 1 VwGO ausgeschlossen, sondern normiert, dass Rechtsbehelfe gegen behördliche Verfahrenshandlungen nur gleichzeitig mit den gegen die Sachentscheidung zulässigen Rechtsbehelfen geltend gemacht werden können. Eine Sachentscheidung ist im vorliegenden Verfahren bisher nicht ergangen.
Soweit der Kläger vorträgt, angesichts der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 17. Dezember 2013 (Garzweiler II – 1 BvR 3139/08, 1 BvR 3386/08 – BVerfGE 134, 242) müsse etwas anderes gelten, kann dies nicht zur Zulassung der Berufung führen. Mit dieser Entscheidung führt das Bundesverfassungsgericht aus, dass der Garantie effektiven Rechtsschutzes gegen Verletzungen der Eigentumsgarantie nur genügt werde, wenn Rechtsschutz gegen einen Eigentumsentzug so rechtzeitig eröffnet wird, dass im Hinblick auf Vorfestlegungen oder den tatsächlichen Vollzug des die Enteignung erfordernden Vorhabens eine grundsätzlich ergebnisoffene Überprüfung aller Enteignungsvoraussetzungen realistisch erwartet werden kann (BVerfG a.a.O. Leitsatz 4). Dabei stellt es fest, dass die Ausgestaltung des Bundesberggesetzes im Hinblick auf die für einen Tagebau gebotene Gesamtabwägung und auf einen effektiven Rechtsschutz in Großverfahren dieser Art defizitär sei (BVerfG a.a.O. Rn 159). Zugleich wird ausgeführt, dass selbst in komplexen Verfahren nicht von vornherein verfassungsrechtliche Bedenken dagegen bestehen, Rechtsschutz erst gegen den ein Verfahren abschließenden Hoheitsakt zu eröffnen (BVerfG a.a.O. Rn 194). Ausschließlich bezogen auf bergrechtliche Gewinnungsbetriebe, die dem Braunkohlentagebau dienen, kommt das Bundesverfassungsgericht dann zu dem Schluss, dass die Ausgestaltung der Rechtsschutzmöglichkeiten nicht den verfassungsrechtlichen Anforderungen an effektiven Rechtsschutz genügen (BVerfG a.a.O. Rn. 219). Im vorliegenden Fall steht jedoch weder ein Eingriff in die Eigentumsgarantie bevor noch handelt es sich um eine mit dem Braunkohlentagebau vergleichbare Situation.
Auch die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 24. Juni 1993 (1 BvR 689/92 – BVerfGE 89, 69) führt zu keinem anderen Ergebnis. Dieser Entscheidung lag eine Entziehung der Fahrerlaubnis zu Grunde, die auf der rechtswidrigen Anordnung eines medizinisch-psychologischen Gutachtens beruhte. Dass sich der dortige Kläger schon gegen die Gutachtensanordnung hätte wenden müssen, um den Rechtsweg auszuschöpfen, hat das Bundesverfassungsgericht nicht angenommen. Die Situation ist mit der hier vorliegenden auch nicht vergleichbar, da dem Kläger die Fahrerlaubnis bisher nicht entzogen worden ist. Nach dieser Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts stellt die Anordnung, ein medizinisch-psychologisches Gutachten beizubringen, zwar einen Eingriff in das allgemeine Persönlichkeitsrecht nach Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG dar (BVerfG a.a.O. juris Rn. 56). Dieser Eingriff wird jedoch zulässigerweise durch die präventive Kontrolle von Kraftfahrern zum Schutz der Bürger vor dem hohen Risiko des motorisierten Straßenverkehrs für Leben, Gesundheit und Eigentum eingeschränkt (BVerfG a.a.O. juris Rn. 58). Gegen die gesetzlichen Grundlagen bestehen keine verfassungsrechtlichen Bedenken, sondern die Auslegung durch die Gerichte in dem konkreten Fall trug dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht nicht hinreichend Rechnung (BVerfG a.a.O. juris Rn. 59 ff.). Der Frage, ob das Persönlichkeitsrecht des Klägers durch die Anordnung vom 18. August 2015 verletzt wird, ist daher erst dann nachzugehen, wenn daraus tatsächlich eine Entziehung der Fahrerlaubnis resultiert.
2. Die Berufung ist auch nicht wegen besonderer tatsächlicher oder rechtlicher Schwierigkeiten der Rechtssache (§ 124 Abs. 2 Nr. 2 VwGO) zuzulassen. Dazu müsste das Verfahren das normale Maß erheblich übersteigende Schwierigkeiten aufweisen. Solche Schwierigkeiten werden mit der Antragsbegründung nicht aufgezeigt und liegen auch nicht vor. Die Frage, ob eine Gutachtensanordnung isoliert angegriffen werden kann, ist höchstrichterlich geklärt.
3. Der geltend gemachte Zulassungsgrund der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache (§ 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO) ist nicht den Anforderungen des § 124a Abs. 4 Satz 4 VwGO genügend dargelegt. Hierzu muss der Rechtsmittelführer eine konkrete Rechts- oder Tatsachenfrage formulieren, ausführen, weshalb diese Frage entscheidungserheblich ist, erläutern, weshalb die vorformulierte Frage klärungsbedürftig ist, und darlegen, warum der Frage eine über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung zukommt (st.Rspr., vgl. BayVGH, B.v. 3.2.2016 – 10 ZB 15.1413 – juris Rn. 8; B.v. 15.1.2016 – 7 ZB 15.929 – juris Rn. 5; Happ in Eyermann, VwGO, 14. Aufl. 2014, § 124a Rn. 72). Die Antragsbegründung führt hier nur aus, die Frage, ob unter dem Gesichtspunkt der Gewährleistung effektiven Rechtsschutzes eine selbstständige Überprüfung der Gutachtensaufforderung ermöglicht werden müsse, stelle sich in zahlreichen Fahrerlaubnisentziehungsverfahren. Weshalb über die bisher zu dieser Frage ergangenen Entscheidungen des Bundesverwaltungsgerichts, des erkennenden Senats und weiterer Oberverwaltungsgerichte (s. Nr. 1) weiterer Klärungsbedarf bestehen soll, wird nicht dargelegt.
4. Eine Abweichung von einer Entscheidung eines Divergenzgerichts ist ebenfalls nicht den Anforderungen des § 124a Abs. 4 Satz 4 VwGO genügend dargelegt. Eine Divergenz liegt vor, wenn das Verwaltungsgericht in einer für seine Entscheidung erheblichen Rechts- oder Tatsachenfrage eine Position eingenommen hat, die von derjenigen abweicht, die ein in § 124 Abs. 2 Nr. 4 VwGO genanntes Divergenzgericht einer seiner Entscheidungen tragend zugrunde gelegt hat. Die divergierenden Sätze müssen einander so gegenüber gestellt werden, dass die Abweichung erkennbar wird (vgl. BVerwG, B.v. 20.12.1996 – 6 B 35.95 – NVwZ-RR 1996, 712). Der fragliche Rechts- oder Tatsachensatz des Verwaltungsgerichts muss sich auf dieselbe Rechtsnorm beziehen wie die Entscheidung, von der die Abweichung behauptet wird; die bloße Vergleichbarkeit der Regelungsinhalte genügt nicht (Happ in Eyermann, VwGO, § 124 Rn. 42; BVerwG, B.v. 28.1.2004 – 6 PB 15.03 – NVwZ 2004, 889). Daran fehlt es hier. Den vom Kläger behaupteten Rechtssatz, dass effektiver Rechtsschutz auch rechtzeitigen Rechtsschutz verlangt und der Bürger einen Anspruch darauf hat, dass ihm vor der Schaffung vollendeter Tatsachen Rechtsschutz gegen belastende Hoheitsakte eröffnet, hat das Verwaltungsgericht nicht in Frage gestellt, sondern entsprechend Rn. 194 des Urteils des Bundesverfassungsgerichts vom 17. Dezember 2013 (1 BvR 3139/08, 1 BvR 3386/08 – BverGE134, 242) ausgeführt, dass es im vorliegenden Fall ausreichend sei, Rechtsschutz gegen eine ggf. nachfolgende Fahrerlaubnisentziehung zu gewähren.
5. Als unterlegener Rechtsmittelführer hat der Kläger die Kosten des Verfahrens zu tragen (§ 154 Abs. 2 VwGO).
6. Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 47 Abs. 1 Satz 1, Abs. 3, § 52 Abs. 1 und 2 des Gerichtskostengesetzes. Für eine (unzulässige) Klage gegen eine Begutachtungsanordnung sieht der Senat einen Streitwert in Höhe von 2.500,- Euro für angemessen an, da eine solche Anordnung nur der weiteren Aufklärung des Sachverhalts dient. Es folgt daraus nicht zwangsläufig eine Entziehung der Fahrerlaubnis. Die Befugnis zur Abänderung der Streitwertfestsetzung der ersten Instanz ergibt sich aus § 63 Abs. 3 Satz 1 GKG.
7. Dieser Beschluss, mit dem die Entscheidung des Verwaltungsgerichts rechtskräftig wird (§ 124a Abs. 5 Satz 4 VwGO), ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).