Medizinrecht

Keine Kostenübernahme für Hörgeräte ohne Einhaltung des Beschaffungsweges

Aktenzeichen  S 21 KR 363/17

Datum:
18.1.2019
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2019, 3494
Gerichtsart:
SG
Gerichtsort:
Nürnberg
Rechtsweg:
Sozialgerichtsbarkeit
Normen:
SGG § 54 Abs. 2 S. 1
SGB V § 13 Abs. 3 S. 1

 

Leitsatz

Eine Kostenerstattung gem. § 13 Abs. 3 S. 1 Alt. 2 SGB V kommt nicht in Betracht, wenn sich der Versicherte die Leistung besorgt hat, ohne zuvor die Krankenkasse einzuschalten und ihre Entscheidung abzuwarten. (Rn. 21 – 22) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

Gründe

Die Klage ist zulässig, sie hat jedoch in der Sache keinen Erfolg. Die Klägerin ist durch den angefochtenen Bescheid nicht im Sinne von § 54 Abs. 2 Satz 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) beschwert, denn dieser ist nicht rechtswidrig. Die Klägerin hat keinen Anspruch auf Übernahme der über den Festbetrag hinausgehenden Kosten der Hörgeräteversorgung.
Gegenstand der Klage ist eine kombinierte Anfechtungs- und Leistungsklage (§ 54 Abs. 1 Satz 1, 1. Alt., Abs. 4 SGG) gerichtet auf die Kostenübernahme für den Eigenanteil an der Hörgeräteversorgung.
Die Kammer konnte ohne mündliche Verhandlung entscheiden. Gemäß § 124 Abs. 2, 153 Abs. 1 SGG kann ein Urteil ohne mündliche Verhandlung ergehen, wenn die Beteiligten ausdrücklich zu einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung angehört wurden und hierzu von ihnen auch ausdrücklich ein Einverständnis mit dieser Entscheidung erklärt wurde. Diese Voraussetzung ist gegeben. Beide Beteiligten haben ihr Einverständnis zu einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung erklärt.
Als Anspruchsgrundlage für die Erstattung bereits entstandener Kosten – wie vorliegend – kommt daher allein § 13 Abs. 3 Fünftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB V) in Betracht. Hiernach gilt: Konnte die Krankenkasse eine unaufschiebbare Leistung nicht rechtzeitig erbringen (1. Alternative) oder hat sie eine Leistung zu Unrecht abgelehnt (2. Alternative) und sind dadurch Versicherten für die selbstbeschaffte Leistung Kosten entstanden, sind diese von der Krankenkasse in der entstandenen Höhe zu erstatten, soweit die Leistung notwendig war (zu den Voraussetzungen des § 13 Abs. 3 SGB V im Einzelnen: BSG, 16.12.2008, B 1 KR 2/08 R – juris).
1. Eine Kostenerstattung gem. § 13 Abs. 3 Satz 1 2. Alt. SGB V kommt bereits deshalb nicht in Betracht, da die Klägerin den notwendigen Beschaffungsweg nicht eingehalten hat.
Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundessozialgerichts scheidet ein auf § 13 Abs. 3 Satz 1 2. Alt. SGB V gestützter Erstattungsanspruch aus, wenn sich der Versicherte die Leistung besorgt hat, ohne zuvor die Krankenkasse einzuschalten und ihre Entscheidung abzuwarten (ständige Rechtsprechung des BSG, vgl. BSG, 02.07.2015, B 3 KR 3/15 BH, BSG, 21.02.2008, B 1 KR 123/07 B; BSG, 14.12.2006, B 1 KR 8/06 R). § 13 Abs. 3 SGB V soll einen Erstattungsanspruch für den Ausnahmefall gewähren, dass eine von der Krankenkasse geschuldete notwendige Behandlung infolge eines Mangels im Leistungssystem der Krankenversicherung als Dienst- oder Sachleistung nicht oder nicht in der gebotenen Zeit zur Verfügung gestellt werden kann. Nach Wortlaut und Zweck der Vorschrift muss zwischen dem die Haftung der Krankenkasse begründenden Umstand (rechtswidrige Ablehnung) und dem Nachteil des Versicherten (Kostenlast) ein Ursachenzusammenhang bestehen (vgl. dazu BSG, 30.06.2009, B 1 KR 5/09 R, juris). Der Versicherte muss vor Inanspruchnahme der Leistung Kontakt mit seiner Krankenkasse aufgenommen haben. Er muss sich vor jeder Therapieentscheidung in zumutbarem Umfang um die Gewährung der Behandlung als Sachleistung bemühen. Nur bei einer Vorabprüfung können die Krankenkassen ihren – Gesundheitsgefährdungen und wirtschaftliche Risiken vorbeugenden – Beratungsauftrag erfüllen, die Versicherten vor dem Risiko der Beschaffung nicht zum Leistungskatalog gehörender Leistungen zu schützen, um gegebenenfalls aufzuzeigen, welche Leistungen anstelle der begehrten in Betracht kommen.
Im Bereich der Hörgeräteversorgung ist ein Hilfsmittel nicht schon mit dessen Auswahl selbst verschafft. Die Auswahl ist dem Hilfsmittelbewilligungsverfahren notwendig vorgeschaltet und scheidet deshalb – mit Ausnahme von Fällen der Vorfestlegung – als Anknüpfungspunkt für den Zeitpunkt der Hilfsmittelbeschaffung aus. Anspruchshindernd ist erst ein unbedingtes Verpflichtungsgeschäft im Verhältnis zwischen Versichertem und Leistungserbringer. Unschädlich sind danach Auswahlentscheidungen, die den Versicherten nicht endgültig binden und die regelmäßig Voraussetzung für den Leistungsantrag sind, wie bei der Hörgeräteversorgung die Prüfung der Eignung und Anpassungsfähigkeit der in Betracht kommenden Geräte. Dazu gehört auch eine probeweise Hörgeräteüberlassung. Anders ist es erst dann, wenn der Versicherte bereits vor der Entscheidung des Trägers eine endgültige rechtliche Verpflichtung eingeht und der Leistungserbringer demgemäß auch im Falle der Ablehnung des Leistungsbegehrens durch den Träger die Abnahme und Bezahlung des Hilfsmittels verlangen kann (BSG, Urteil vom 24. Januar 2013 – B 3 KR 5/12 R -, BSGE 113, 40-60, SozR 4-3250 § 14 Nr. 19, Rn. 44).
Dies zugrunde gelegt ist – anders als die Klägerin meint – spätestens am 06.12.2016 das sie bindende endgültige Verpflichtungsgeschäft zustande gekommen. Die Klägerin war über den gesamten Zeitraum der Versorgung mit den streitgegenständlichen Hörgeräten versorgt. Zunächst wurden ihr diese von der Hörgeräteakustikmeisterin zur Verfügung gestellt. Am 06.12.2016 jedoch bestellte die Hörgeräteakustikmeisterin Frau D. im Einvernehmen und auf Wunsch der Klägerin die streitgegenständlichen Hörgeräte für die Klägerin und übergab die Geräte am 17.01.2017. Es handelte sich auch nicht um eine Probeversorgung oder Ähnliches. Die Klägerin und Frau D. waren übereingekommen, dass die streitgegenständlichen Hörgeräte die richtigen für die Klägerin seien und sie genau diese Hörgeräte haben wolle. Spätestens am 06.12.2016 hatte die Klägerin sich unabhängig von einer zu diesem Zeitpunkt noch nicht vorliegenden Entscheidung der Beklagten für das gegenständliche Hörgerätesystem unter Inkaufnahme eines Eigenanteils endgültig und bindend entschieden. Die Beteiligten vereinbarten, dass die Forderung zunächst gestundet bliebe bis die Klägerin die Frage der Kostenübernahme mit ihrer Krankenkasse geklärt hatte. Die Zeugin sagte bei ihrer Vernehmung glaubhaft aus, dass für sie im Dezember 2016 feststand, dass die Klägerin die Hörgeräte kaufen will. Damit ist nach Ansicht der Kammer ein endgültiges Verpflichtungsgeschäft abgeschlossen worden. Am 06.12.2016 erfolgte daher nicht nur die Auswahl der Geräte, sondern die Klägerin und Frau D. waren sich darüber einig, dass Frau D. die Geräte die S. bestellen solle und die Klägerin diese kaufen wolle. Frau D. hat daraufhin am 06.12.2016 die Hörgeräte bei S. bestellt, eine Versorgungsanzeige gestellt und den Festbetrag von der Beklagten erhalten.
Darauf, ob der Hörgeräteakustiker im Kulanzwege das Geschäft rückabgewickelt hätte oder der Kaufpreis in Höhe des Eigenanteils seitens des Hörgeräteakustikers zunächst gestundet worden war, kommt es nicht an. Hiermit wird der bereits geschlossene Kaufvertrag allein in finanzieller Hinsicht entsprechend der Abreden der Vertragsparteien erfüllt. Dafür, dass die bindenden Erklärungen erst zu einem späteren Zeitpunkt abgegeben wurden, wie die Klägerin geltend macht, obgleich ihr die Hörgeräte schon früher endgültig ausgehändigt worden waren, bestehen dagegen keine Anhaltspunkte, insbesondere nicht für einen Kauf auf Probe iS des § 454 Abs. 1 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB). Denn die Probephase war am 06.12.2016, ausweislich der Hörgeräteanpassung vom 6.12.2016 abgeschlossen (Landessozialgericht Berlin-Brandenburg, Urteil vom 11. November 2015 – L 16 R 408/14 -, Rn. 23, juris).
Die Klägerin kann sich auch nicht darauf berufen, dass sie keine Kaufabsicht gehabt habe. Tatsache ist, dass zwischen den der Klägerin und Frau D. ein Vertrag zustande gekommen ist aufgrund dessen Frau D. die Hörgeräte bei S. bestellt hat und den Festbetrag von der Krankenkasse erhalten hat. Frau D. und die Klägerin haben auch über die Finanzierung des Eigenanteils gesprochen. Bei einem solchen Vertrag handelt es sich um einen Kaufvertrag. Es bleibt für das Gericht auch unklar wie die Klägerin den Vertrag mit Frau D. rechtlich einordnet, wenn es sich nicht um einen Kaufvertrag handelt. Es ist für das Gericht auch nicht nachvollziehbar in welchem Handeln der Beteiligten bzw. in welcher (späteren) Vereinbarung die Klägerin den Kaufvertragsschluss sehen will. Nach dem 17.01.2017 – dem Datum der Übergabe – sind keine weiteren Handlungen mehr objektivierbar, die als Vertragsschluss angesehen werden könnten.
2. Die Klägerin hat auch keinen Anspruch aus § 13 Abs. 3 Satz 1 1. Alternative SGB V. Es handelt sich nach Auffassung des Gerichts nicht um eine unaufschiebbare Leistung.
Nach Auffassung des Gerichts lag bereits keine unaufschiebbare Leistung im Sinne des § 13 Abs. 3 Satz 1 1. Alternative SGB V nicht vor. Danach sind dem Versicherten die Kosten einer selbstbeschafften Leistung in der entstandenen Höhe zu erstatten, wenn die Leistung unaufschiebbar war und die Krankenkasse sie nicht rechtzeitig erbringen konnte. Die von der Klägerin begehrte Leistung war nicht unaufschiebbar im Sinne von § 13 Abs. 3 Satz 1 Alt. 1 SGB V. Eine unaufschiebbare Maßnahme liegt vor, wenn die beantragte Leistung im Zeitpunkt ihrer tatsächlichen Erbringung so dringlich ist, dass aus medizinischer Sicht keine Möglichkeit eines nennenswerten Aufschubes mehr besteht, um vor der Beschaffung die Entscheidung der Krankenkasse abzuwarten (BSG, 08.09.2015, B 1 KR 14/14 R – juris). Ein Zuwarten darf dem Versicherten aus medizinischen Gründen nicht mehr zumutbar sein, weil der angestrebte Behandlungserfolg zu einem späteren Zeitpunkt nicht mehr eintreten kann oder z.B. wegen der Intensität der Schmerzen ein auch nur vorübergehendes weiteres Zuwarten nicht mehr zuzumuten ist (BSG, 08.09.2015, B 1 KR 14/14 R).
Für diese Voraussetzungen bestehen hier keine Anhaltspunkte. Insbesondere war die Klägerin über den gesamten Probezeitraum durch die Hörgeräteakustikmeisterin Frau D. mit einem Hörgerät versorgt.
Die Klägerin hat daher den Beschaffungsweg nicht eingehalten, so dass ein Kostenerstattungsanspruch nach § 13 Abs. 3 SGB V ausscheiden muss. Die Klage war abzuweisen.
Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung des § 193 SGG.

Jetzt teilen:

Ähnliche Artikel