Medizinrecht

Keine Prozesskostenhilfe mangels Erfolgsaussichten der Klage

Aktenzeichen  L 11 AS 86/16 B PKH

Datum:
9.3.2016
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
LSG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Sozialgerichtsbarkeit
Normen:
SGB III SGB III § 81 Abs. 2 Nr. 1
SGG SGG § 73a Abs. 1 S. 1, § 172, § 173
ZPO ZPO § 114

 

Leitsatz

Bei dauernden und lang anhaltenden Arbeitsunfähigkeitszeiten kann im Rahmen einer Prognoseentscheidung davon ausgegangen werden, dass die Eingliederungschancen durch die Weiterbildung nicht erhöht würden und so auch keine begründete Aussicht besteht, dass nach Abschluss der Maßnahme ein Dauerarbeitsplatz verschafft werden könnte.  (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

Die Beschwerde gegen den Beschluss des Sozialgerichts Würzburg vom 08.01.2016 wird zurückgewiesen.

Gründe

I. Streitig ist die Übernahme von Kosten für eine berufliche Weiterbildung als Leistung zur Eingliederung in Arbeit. Der 1970 geborene Kläger war nach Abschluss seiner Ausbildung zum Speditionskaufmann am 31.01.1992 zumindest seit 03.05.2005 im Wesentlichen arbeitsunfähig, unterbrochen jeweils durch kurze Zeiten der Arbeitslosigkeit. So war er auch vom 08.01.2015 bis 25.03.2015, vom 09.04.2015 bis 10.05.2015 und vom 19.05.2015 bis 30.12.2015 arbeitsunfähig, vom 26.03.2015 bis 08.04.2015 und vom 11.05.2015 bis 18.05.2015 arbeitslos. Der Kläger bezieht laufend Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes (Arbeitslosengeld II -Alg II-) nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II). Am 04.03.2015 beantragte der Kläger die Kostenübernahme für eine Weiterbildung zum Administrator Linux 1/2 vom 17.03.2015 bis 22.07.2015 (Kursgebühr 6.937,92 EUR; Zielgruppe: Personen mit einem abgeschlossenen Hochschulstudium oder einer Ausbildung im Bereich Technik oder IT und bereits praktischer Berufserfahrung, Personen, die erste Erfahrungen im Umgang mit Netzwerkadministration haben; Teilnahmevoraussetzung: Abgeschlossenes Hochschulstudium oder eine Ausbildung im Bereich Technik oder IT und praktische Berufserfahrung, erste Erfahrungen im Umgang mit Netzwerkadministration). Der Beklagte lehnte mit Bescheid vom 09.03.2015 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 10.06.2015 die Übernahme der Weiterbildungskosten ab. Für eine berufliche Integration sei zunächst eine gesundheitliche Stabilisierung des Klägers erforderlich, wie sich aus den ständigen Zeiten der Arbeitsunfähigkeit ergebe. Die vorgeschlagene Qualifizierung sei zur Erreichung dieses Ziels ungeeignet. Eine berufliche Weiterbildung sei nicht notwendig, die Übernahme von Weiterbildungskosten bei ständigen Arbeitsunfähigkeiten stelle aus Wirtschaftlichkeitsgründen ein Risiko dar. Das zustehende Ermessen sei ausgeübt worden. Dagegen hat der Kläger Klage zum Sozialgericht Würzburg (SG) erhoben und die Bewilligung von Prozesskostenhilfe (PKH) begehrt. Vom Bildungsträger sei die Möglichkeit zur Teilnahme zugesagt worden. Er habe zuletzt 1998 in seinem Beruf gearbeitet und sei daher unstreitig nicht mehr auf dem aktuellen Stand. In der Arbeitswelt würden EDV- und Informatikkenntnisse benötigt. Es sei zwingend erforderlich, Kenntnisse und Fähigkeiten im aktuellen EDV- und Informatikwesen zu erwerben. Die Entscheidung des Beklagten sei ermessensfehlerhaft. Mit Beschluss vom 08.01.2016 hat das SG den Antrag auf Bewilligung von PKH mangels hinreichender Erfolgsaussicht abgelehnt und auf die Ausführungen im Bescheid vom 09.03.2015 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 10.06.2015 Bezug genommen. Ergänzend hat es ausgeführt, der Beklagte habe das ihm zustehende Ermessen zutreffend ausgeübt. Eine Ermessensreduzierung auf Null sei nicht gegeben. Die Weiterbildung sei auch nicht notwendig. Dies ergebe die nach summarischer Prüfung als zutreffend anzusehende Prognoseentscheidung des Beklagten. Dagegen hat der Kläger Beschwerde zum Bayer. Landessozialgericht (LSG) erhoben und sein bisheriges Vorbringen wiederholt. Das Ermessen sei auf Null reduziert. Die Weiterbildung sei notwendig. Das SG habe die Regelung des § 81 Abs. 2 Nr. 1 Drittes Buch Sozialgesetzbuch (SGB III) übersehen. Seit 1998 habe er mehr als vier Jahre diverse Tätigkeiten in an- und ungelernten Berufen ausgeübt. Nachweise hierüber habe er aber nicht. An der Weiterbildung habe er tatsächlich nicht teilgenommen, beabsichtige jedoch eines der zukünftigen Angebote zu nützen. Gesundheitlich sei diese Weiterbildung möglich, denn er müsse nur sitzen. Zur Ergänzung des Tatbestandes wird auf die beigezogenen Akten des Beklagten sowie die Gerichtsakten erster und zweiter Instanz Bezug genommen.
II. Die zulässige Beschwerde (§§ 172, 173 Sozialgerichtsgesetz -SGG-) ist nicht begründet. Nach § 73a Abs. 1 Satz 1 SGG i. V. m. § 114 Zivilprozessordnung (ZPO) erhält ein Beteiligter, der nach seinen persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen die Kosten der Prozessführung nicht, nur zum Teil oder nur in Raten aufbringen kann, auf Antrag PKH, wenn die beabsichtigte Rechtsverfolgung hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet und nicht mutwillig erscheint. Aus verfassungsrechtlichen Gründen dürfen dabei die Anforderungen an die Erfolgsaussicht nicht überspannt werden. Es reicht für die Prüfung der Erfolgsaussicht aus, dass der Erfolg eine gewisse Wahrscheinlichkeit für sich hat (vgl. BSG, Urteil vom 17.02.1998 – B 13 RJ 83/97 R (Rn.26) – SozR 3-1500 § 62 Nr.19). Diese gewisse Wahrscheinlichkeit ist in aller Regel dann anzunehmen, wenn das Gericht den Rechtsstandpunkt des Beteiligten aufgrund der Sachverhaltsschilderung und der vorgelegten Unterlagen für zutreffend oder zumindest für vertretbar hält und in tatsächlicher Hinsicht die Möglichkeit des Obsiegens des PKH- Beantragenden ebenso wahrscheinlich ist wie sein Unterliegen (vgl. Leitherer in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 11. Aufl. § 73a Rn.7). Schwierige, bislang ungeklärte Rechts- und Tatfragen sind nicht im PKH- Verfahren zu entscheiden, sondern müssen auch von Unbemittelten einer prozessualen Klärung zugeführt werden können (vgl. BVerfG, Beschluss vom 14.07.1993 – 1 BvR 1523/92 – NJW 1994, 241f). PKH muss jedoch nicht schon dann gewährt werden, wenn die entscheidungserhebliche Rechtsfrage zwar noch nicht höchstrichterlich geklärt ist, ihre Beantwortung aber im Hinblick auf die einschlägige gesetzliche Regelung oder die durch die bereits vorliegende Rechtsprechung gewährten Auslegungshilfen nicht in dem genannten Sinne als „schwierig“ erscheint (vgl. BVerfG, Beschluss vom 13.03.1990 – 2 BvR 94/88 (Rn. 29) – BVerfGE 81, 347ff). Ist dies dagegen nicht der Fall und steht eine höchstrichterliche Klärung noch aus, so ist es mit dem Gebot der Rechtsschutzgleichheit nicht zu vereinbaren, der unbemittelten Partei wegen der fehlenden Erfolgsaussichten ihres Begehrens PKH vorzuenthalten (vgl. BVerfG, Beschluss vom 19.02.2008 – 1 BvR 1807/07 – NJW 2008, 1060ff). Vorliegend sind keine hinreichenden Erfolgsaussichten zu erkennen. Die begehrte Übernahme der Kosten für die vom Kläger genannte Maßnahme scheitert bereits daran, dass der Kläger an dieser nicht teilgenommen hat, er war während der Maßnahme nach den vorliegenden Unterlagen des Beklagten größtenteils arbeitsunfähig gemeldet. Einen Anspruch auf eine allgemeine Bewilligung der Kostenübernahme durch den Beklagten – gleichgültig, wann und wo dieser stattfindet und welche Kosten entstehen – hat der Kläger nicht, denn sowohl die berufliche und gesundheitliche Situation des Klägers wie auch die Arbeitsmarktlage ist hinsichtlich der jeweiligen Maßnahme gesondert zu prüfen. Unabhängig davon aber kann gemäß § 16 Abs. 1 Nr. 4 SGB II i. V. m.. § 81 Abs. 1 SGB III in der ab 01.04.2012 geltenden Fassung der Beklagte den Kläger zwar durch die Übernahme von Weiterbildungskosten bei der beruflichen Weiterbildung fördern, wenn (1.) die Weiterbildung notwendig ist, um ihn bei Arbeitslosigkeit beruflich einzugliedern, eine ihm drohende Arbeitslosigkeit abzuwenden oder weil bei ihm wegen fehlender Berufsabschlusses die Notwendigkeit der Weiterbildung anerkannt ist, (2.) die Agentur für Arbeit ihn vor Beginn der Teilnahme beraten hat und (3.) die Maßnahme und der Träger der Maßnahme für die Förderung zugelassen sind. Nach § 81 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 SGB III wird die Notwendigkeit der Weiterbildung bei Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern wegen fehlenden Berufsabschlusses anerkannt, wenn sie (1) über einen Berufsabschluss verfügen, jedoch aufgrund einer mehr als vier Jahre ausgeübten Beschäftigung in an- oder ungelernter Tätigkeit eine dem Berufsabschluss entsprechender Beschäftigung voraussichtlich nicht mehr ausüben können. Zeiten der Arbeitslosigkeit stehen Zeiten einer Beschäftigung gleich (§ 81 Abs. 2 Satz 2 SGB III). Das Vorliegen der Voraussetzungen des § 81 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGB III ist aber vom Kläger nicht nachgewiesen. Zunächst ist eine Beratung durch den Beklagten (§ 81 Abs. 1 Nr. 2 SGB III) nicht erkennbar. Fraglich ist auch, ob die Maßnahme und der Träger der Maßnahme für die Förderung zugelassen sind (§ 81 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 SGB III). Zuletzt fehlt es zusätzlich an der Notwendigkeit der vom Kläger begehrten Weiterbildungsmaßnahme, wobei das Vorliegen der Voraussetzungen des § 81 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 und Satz 2 SGB III vom Kläger bislang lediglich behauptet, aber nicht nachgewiesen sind. Vielmehr sprechen die vom Beklagten vorgelegten Unterlagen dafür, dass der Kläger seit seiner letzten Tätigkeit in seinem erlernten Beruf als Speditionskaufmann nicht mehr als vier Jahre mit anderen an- und ungelernten Tätigkeiten beschäftigt war, selbst wenn dabei die Zeiten der Arbeitslosigkeit berücksichtigt werden. Andererseits ist die Notwendigkeit der konkreten Weiterbildungsmaßnahme vorliegend anzuzweifeln, wenn der Kläger gerade wegen fehlender aktueller EDV- und Informatikkenntnisse einer Weiterbildung zum Administrator Linux, gerichtet unter anderem an IT-Fachleute, besuchen möchte. Zuletzt aber ist aufgrund der dauernden und lang anhaltenden Arbeitsunfähigkeitszeiten des Klägers im Rahmen einer Prognoseentscheidung, die der Beklagte getroffen hat, nicht davon auszugehen, dass die Eingliederungschancen des Klägers durch die Weiterbildung zum Administrator erhöht würden und eine begründete Aussicht bestünde, dass ihm nach Abschluss der Maßnahme ein Dauerarbeitsplatz verschafft werden könne (vgl. Hassel in Brand, SGB III, 7. Aufl., § 81 Rn. 10a ff. m. w. N.) Somit scheitert ein Anspruch auf Förderung durch die Übernahme der Weiterbildungskosten auch an der Notwendigkeit der Weiterbildung. Zusätzlich hat der Beklagte auch das ihm zustehende Ermessen in rechtlich nicht zu beanstandener Weise ausgeübt. Eine Ermessensreduzierung auf Null ist nicht zu erkennen. Der Beklagte hat die ihm bekannten Gesichtspunkte (gesundheitliche Situation und beruflicher Werdegang des Klägers) sowie das finanzielle Risiko miteinander abgewogen. Das Ergebnis dieser Abwägung ist unter Berücksichtigung der eingeschränkten gerichtlichen Überprüfung derartiger Abwägungsentscheidungen aus Sicht des Senates nicht zu beanstanden, insbesondere da dem Kläger anscheinend ein Besuch der Büroräume des Beklagten aus gesundheitlichen Gründen aus seiner eigenen Sicht jeweils nicht möglich gewesen war und nach Angabe des Beklagten noch ist, wohingegen ihm aber die Anreise und das Aufsuchen der Räumlichkeiten der Weiterbildungsmaßnahme nach seiner Auskunft selbst als zumutbar erscheinen. Weitere zu berücksichtigende Gesichtspunkte sind vom Kläger nicht vorgetragen bzw. nachgewiesen worden.
Nach alledem war die Beschwerde zurückzuweisen.
Dieser Beschluss ergeht kostenfrei und ist unanfechtbar (§ 177 SGG).

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