Medizinrecht

Keine “zweite Berufungsbegründung” im Verfahren nach § 522 Abs.2 ZPO

Aktenzeichen  19 U 5255/19

Datum:
24.4.2020
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2020, 27829
Gerichtsart:
OLG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Ordentliche Gerichtsbarkeit
Normen:
ZPO § 531, § 522 Abs. 2 S. 2

 

Leitsatz

Die dem Berufungsführer eingeräumte Frist zur Stellungnahme gem. § 522 Abs. 2 S. 2 ZPO ermöglicht nicht etwa eine Art „zweite Berufungsbegründung”. Soweit in der Stellungnahme neue Angriffs- und Verteidigungsmittel enthalten sind, sind diese ggf. nicht nur gem. § 531 ZPO im Berufungsverfahren nicht mehr zuzulassen, sondern auch gem. §§ 530, 296 Abs. 1 ZPO zwingend zurückzuweisen (Rn. 22). (redaktioneller Leitsatz)

Verfahrensgang

22 O 17519/18 2019-08-01 Endurteil LGMUENCHENI LG München I

Tenor

1. Der Antrag des Klägers vom 22.04.2020, die Frist zur Stellungnahme gemäß Verfügung vom 18.03.2020 um zwei Wochen, das heißt bis zum 06.05.2020 zu verlängern, wird zurückgewiesen
2. Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Landgerichts München I vom 01.08.2019, Aktenzeichen 22 O 17519/18, wird zurückgewiesen.
3. Der Kläger hat die Kosten des Berufungsverfahrens zu tragen.
4. Das in Ziffer 2 genannte Urteil des Landgerichts München I ist ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar. Der Kläger kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110% des zu vollstreckenden Betrages leistet.
5. Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird auf 37.733,89 € festgesetzt.

Gründe

I.
Der Kläger nimmt die Beklagte wegen des Widerrufs eines Verbraucherdarlehensvertrages vom 23.11.2015, abgeschlossen zur Finanzierung des Erwerbs eines Pkw der Marke BMW, Typ 525 D, über einen Nettodarlehensbetrag in Höhe von 30.733,89 bei Leistung eine Anzahlung in Höhe von € 7.000,00 in Anspruch, den er unter dem 24.07.2018 widerrufen hat. Die Beklagte erhob in der Klageerwiderung Hilfswiderklage gerichtet auf Feststellung, dass der Kläger verpflichtet ist, Wertersatz zu leisten. Hinsichtlich der Darstellung des Sach- und Streitstandes wird auf den Tatbestand im angefochtenen Urteil des Landgerichts München I vom 01.08.2019, Aktenzeichen 22 O 17519/18, Bezug genommen (§ 522 Abs. 2 S. 4 ZPO). Das Landgericht München I hat die Klage abgewiesen, da die Widerrufsfrist zum Zeitpunkt des Widerrufes bereits abgelaufen war. Dagegen richtet sich die Berufung des Klägers.
Der Kläger beantragt im Berufungsverfahren,
das Urteil des Landgerichts München I vom 01.08.2019 – 22 O 17519/18 – abzuändern und
1. Die Beklagte zu verurteilen, an den Kläger 39.176,19 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz auf diesen Betrag seit Rechtshängigkeit zu zahlen Zug-um-Zug gegen (hilfsweise: nach) Herausgabe des finanzierten Fahrzeugs BMW 525d mit der FIN: …74 nebst Fahrzeugschlüssel;
2. festzustellen, dass sich die Beklagte mit der Rücknahme des unter Ziffer 1. genannten Fahrzeugs nebst Fahrzeugschlüssel in Annahmeverzug befindet;
3. die Hilfs-Widerklage abzuweisen.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Mit Verfügung des Vorsitzenden vom 18.03.2020, auf die Bezug genommen wird, wurde der Kläger darauf hingewiesen, dass und warum der Senat beabsichtigt, seine Berufung gemäß § 522 Abs. 2 ZPO als unbegründet zurückzuweisen.
Mit Schriftsatz vom 25.03.2020 (Bl. 257 / 259 d. A.) nahm der Kläger zunächst auf einen vorausgegangenen, anderweitigen Hinweis des Senates vom 28.02.2020 (Blatt 223 d. A.) Stellung. Mit Schriftsatz vom 22.04.2020, eingegangen per Fax vorab am 22.04.2020 (Bl. 122 / 123 d. A.), beantragte der Kläger über seine Prozessbevollmächtigten, die im Hinweis des Senats vom 18.03.2020 gesetzte Frist zur Stellungnahme um zwei Wochen, d. h. bis zum 06.05.2020, zu verlängern, da der alleinige Sachbearbeiter die Stellungnahme aufgrund der aktuell starken Arbeitsüberlastung in anderen fristgebundenen Verfahren insbesondere im Zusammenhang mit der Corona-Pandemie bislang nicht mit der erforderlichen Sorgfalt habe erstellen können.
Im Übrigen und ergänzend wird auf die Schriftsätze der Parteien im Berufungsverfahren Bezug genommen.
II.
Der am letzten Tag der Frist eingegangene Antrag der Prozessbevollmächtigten des Klägers vom 22.04.2020, die gesetzte Frist zur Stellungnahme bis zum 06.05.2020 zu verlängern, ist zurückzuweisen, da erhebliche Gründe für eine Fristverlängerung nicht hinreichend dargetan, insbesondere glaubhaft gemacht werden (§ 224 ZPO).
Dem Klägervertreter wurde im Hinweisbeschluss vom 18.03.2020 eine Frist zur Stellungnahme binnen drei Wochen gesetzt. Diese Frist ist nicht nur ausreichend, sondern länger bemessen als die an sich gebotene Stellungnahmefrist von zwei Wochen.
Dass diese Frist dennoch nicht zur Fertigung einer Stellungnahme ausreicht, hat der Klägervertreter unter Darlegung erheblicher Gründe für eine Fristverlängerung glaubhaft zu machen (§ 224 ZPO).
Zu beurteilen sind die erheblichen Gründe vor dem Hintergrund des gesetzlichen Regelungszwecks sowohl des Verfahrens zur Fristverlängerung (§ 224 f. ZPO) wie des Verfahrens zur Zurückweisung einer Berufung durch Beschluss (§ 522 Abs. 2 ZPO). Die Ausübung des pflichtgemäßen Ermessens nach § 224 ZPO hat sich nicht einzig an den Interessen der antragstellenden Partei, sondern ebenso an denen der Gegenpartei und den übergeordneten Belangen der Prozessförderung und der Prozesswirtschaftlichkeit zu orientieren (vgl. auch Hartmann, in: Baumbach/Lauterbach/Albers/Hartmann, 61. Aufl., § 224 ZPO Rn. 2). Dieser Regelungszweck trifft sich mit den vom Gesetzgeber verfolgten Zielen eines Zurückweisungsbeschlusses nach § 522 Abs. 2 ZPO. Er dient zum einen der Verfahrensbeschleunigung und soll der Einlegung von Rechtsmitteln allein in der Absicht, das Verfahren und den Eintritt der Rechtskraft zu verzögern, wirksam begegnen (vgl. BT-Drs. 14/4722, S. 62, 64).
Unter Berücksichtigung dieser Grundsätze rechtfertigt die vom Klägervertreter gleichwohl nur formelhaft und pauschal angeführte aktuell starke Arbeitsüberlastung in anderen fristgebundenen Verfahren „insbesondere im Zusammenhang mit der Corona-Pandemie“ die beantragte Fristverlängerung nicht. Weshalb ihm die aktuell starke Arbeitsüberlastung und/oder die Corona-Pandemie eine ordnungsgemäße Bearbeitung und eine rechtzeitige Stellungnahme innerhalb der ohnehin großzügig bemessenen Frist von drei Wochen – zumal jedenfalls maßgeblich zu aus diesem und diversen Parallelverfahren bereits hinreichend bekannten Rechtsfragen – nicht möglich gewesen sein soll, hat der Klägervertreter nicht substantiiert dargelegt, geschweige denn glaubhaft gemacht. Die aktuelle Lage aufgrund der Corona-Pandemie allein rechtfertigt noch nicht, dass Fristen ohne jede weitere Begründung nach Belieben zu verlängern sind. Sie führt – was der Senat laufend erlebt – im Übrigen eher dazu, dass der Anwaltschaft etwa mangels Gerichts- oder Mandantenterminen für die Erstellung von Schriftsätzen jedenfalls nicht weniger Zeit als sonst zur Verfügung steht. Es steht außer Frage und bedarf keiner Vertiefung, dass die Corona-Pandemie allgemein eine enorme Belastung für die Arbeitsabläufe in weiten Teilen des Wirtschaftslebens darstellt. Dies enthebt einen Rechtsanwalt allerdings nicht davon zu erläutern, weshalb ihm die Erstellung einer Stellungnahme zu einem Hinweis nach § 522 Abs. 2 ZPO mit Mitteln der modernen EDV nicht möglich sein soll. Eine solche Erläuterung fehlt vollständig.
Die „Vertrauensrechtsprechung” des BGH zur Verlängerung der Frist für die Berufungsbegründung (§ 520 Abs. 2 S. 3 ZPO) findet auf die Fristverlängerung nach §§ 522 Abs. 2 S. 2, 224 Abs. 2, 225 ZPO keine Anwendung. Sinn und Zweck von § 522 Abs. 2 S. 2 ZPO ist die Verfahrensbeschleunigung. Anders als bei der Berufungsbegründung erübrigt sich bei der Stellungnahme auf einen Hinweisbeschluss im Sinne von § 522 Abs. 2 ZPO eine erneute Einarbeitung in die Akten. Mit dem Mandanten konnte in der Regel schon allgemein Rücksprache gehalten werden. Aus diesem Grund sind die „erheblichen Gründe“ für eine Fristverlängerung im Rahmen von § 522 Abs. 2 S. 2 ZPO restriktiver als im Fall der Fristverlängerung nach § 520 Abs. 2 S. 3 ZPO zu handhaben.
Hinzu tritt, dass der Antrag erst am letzten Tag der Frist gestellt wurde (vgl. hierzu OLG Rostock, Beschluss vom 23.5.2003 6 U 43/02, OLG-NL 2004, 228/229 f). Denn wenn, wie vom Klägervertreter angeführt, eine aktuell starke Arbeitsüberlastung in anderen fristgebundenen Verfahren, dazu geführt hat, die Stellungnahme nicht mehr rechtzeitig einreichen zu können, handelt es sich ersichtlich nicht um erst bei Fristablauf überraschend eingetretene Umstände. Der Klägervertreter hätte das Gesuch insbesondere angesichts der erkennbar strengeren Handhabung von Verlängerungsgesuchen durch den Senat früher stellen und die Einhaltung der formalen Anforderungen sicherstellen können. Gerade deshalb, weil der Senat zum Zweck der Prozessförderung auf seine Absicht hingewiesen hat, Fristverlängerungen restriktiv zu handhaben, hätte der Klägervertreter eingehend und rechtzeitig vor Fristablauf zu den erheblichen Gründen vortragen müssen.
Die Anwendung der angeführten höchstrichterlichen Vertrauensrechtsprechung zur Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist auf den hiesigen Fall nur unterstellt, hätte der Senat überdies keinen Vertrauenstatbestand für den Klägervertreter auf eine Fristverlängerung aus erheblichen Gründen geschaffen.
Der Kläger wurde bereits in den Allgemeinen Verfahrenshinweisen des Senats darauf aufmerksam gemacht, dass Fristverlängerungen vom Senat nicht „automatisch“ sondern nur in konkret begründeten Einzelfällen gewährt werden und dass der Verweis auf einen generellen, „erhöhten Arbeitsanfall“ wegen „weiterer Fristsachen“ hierfür nicht genügt. Auch in der Hinweisverfügung vom 18.03.2020 wurde unter Anführung der einschlägigen Rechtsprechung nochmals darauf aufmerksam gemacht, dass eine Verlängerung der Stellungnahmefrist nur bei Glaubhaftmachung triftiger Gründe in Betracht kommt.
Dem Kläger war die strengere Handhabung von Fristverlängerungsanträgen durch den Senat also bekannt. Dennoch hat er lediglich formelhaft Gründe vorgetragen und diese im Übrigen weder spezifiziert noch glaubhaft gemacht. Dass ein derartiger Antrag dem Postulat triftiger Gründe, die eine Fristverlängerung im konkret begründeten Einzelfall erfordern, nicht genügt, liegt auf der Hand.
Der Klägervertreter konnte angesichts dessen auch nicht darauf vertrauen, dass der Senat seinem am letzten Tag der Frist nur formelhaft begründeten Fristverlängerungsgesuch stattgeben würde (vgl. z.B. BVerwG, Beschluss vom 25. 7. 2008 – 3 B 69/08).
III.
Die Berufung gegen das Urteil des Landgerichts München I vom 01.08.2019, Aktenzeichen 22 O 17519/18, ist gemäß § 522 Abs. 2 ZPO zurückzuweisen, weil nach einstimmiger Auffassung des Senats das Rechtsmittel offensichtlich keine Aussicht auf Erfolg hat, der Rechtssache auch keine grundsätzliche Bedeutung zukommt, weder die Fortbildung des Rechts noch die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Berufungsgerichts erfordert und die Durchführung einer mündlichen Verhandlung über die Berufung nicht geboten ist.
Der Senat hält das angefochtene Urteil des Landgerichts München I für offensichtlich zutreffend und nimmt auf dieses Bezug.
Bezug genommen wird ferner auf den Hinweis des Senats vom 18.03.2020, wonach der Senat die Berufung im Sinne von § 522 Abs. 2 ZPO für unbegründet hält.
Soweit der Kläger mit Schriftsatz vom 25.03.2020 auf den vorausgegangenen Hinweis des Senates vom 28.02.2020 eingegangen ist, verweist der Senat auf seine Ausführungen im Hinweis vom 18.03.2020 unter Ziffer 9 (Bl. 252/254d. A.). Dem setzt der Kläger nichts Durchgreifendes entgegen. Soweit der Kläger nunmehr – wenn auch in sich widersprüchlich – vorträgt, die Beklagte habe im gesamten Jahr 2015 grundsätzlich einen um mindestens 2 Prozentpunkte höheren Sollzins verlangt, wenn ein Darlehensnehmer die Ratenschutzversicherung nicht wollte, bzw. sie habe einen um mindestens 1,5 Prozentpunkte höheren Sollzins verlangt, wenn ein Darlehensnehmer die Ratenschutzversicherung nicht wollte, und hierfür Zeugen benennt, handelt es sich um ein neues Angriffsmittel, das gemäß § 531 Abs. 2 ZPO nicht zuzulassen ist. Neue Angriffs- und Verteidigungsmittel sind im Berufungsverfahren dann zulässig, wenn sie einen Gesichtspunkt betreffen, der vom Gericht des ersten Rechtszuges erkennbar übersehen oder für unerheblich gehalten worden ist (Nr. 1), oder wenn sie im ersten Rechtszug wegen eines Verfahrensmangels (Nr. 2) oder ohne eine Nachlässigkeit der Partei (Nr. 3) nicht geltend gemacht worden sind oder, unabhängig von den Zulassungsvoraussetzungen des § 531 BGB, wenn sie unstreitig sind (Großer Senat für Zivilsachen, Beschluss vom 23.06.2008, Gz. GSZ 1/08, NJW 2008, 3434). Zu diesen Zulassungsvoraussetzungen fehlt jeglicher Vortrag.
Zudem ist zu gewärtigen, dass die dem Kläger eingeräumte Frist zur Stellungnahme gem. § 522 Abs. 2 S. 2 ZPO nicht etwa eine Art „zweite Berufungsbegründung“ ermöglicht. Soweit in der Stellungnahme neue Angriffs- und Verteidigungsmittel enthalten sind, sind diese ggf. nicht nur gem. § 531 ZPO im Berufungsverfahren nicht mehr zuzulassen, sondern auch gem. §§ 530, 296 Abs. 1 ZPO zwingend zurückzuweisen (vgl. z.B. Thomas/Putzo, ZPO, 39. Aufl. 2018, § 530 Rnr. 4; Rimmelspacher in: Münchener Kommentar zur ZPO, 5. Auflage 2016, § 522 Rnr. 29). Darauf hatte der Senat als nobile officium auch bereits in seinen Allgemeinen Verfahrenshinweisen ausdrücklich aufmerksam gemacht.
Da im Übrigen eine fristgemäße, sich mit den Argumenten des Senats inhaltlich auseinandersetzende Stellungnahme nicht eingegangen ist, bedarf es keiner weiteren Ausführungen.
IV.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO.
V.
Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit des angefochtenen Urteils erfolgte gemäß §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO.
VI.
Der Streitwert für das Berufungsverfahren wurde in Anwendung der §§ 40, 47, 48 GKG i.V.m. § ZPO bestimmt, wobei der Senat den Nettodarlehensbetrag zuzüglich der vom Kläger geleisteten Anzahlung zugrunde gelegt hat.

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