Medizinrecht

Kostenerstattung für eine Brustoperation

Aktenzeichen  L 4 KR 398/15

Datum:
26.7.2017
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2017, 122941
Gerichtsart:
LSG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Sozialgerichtsbarkeit
Normen:
SGB V § 13 Abs. 3 S. 1, § 27 Abs. 1
SGG § 151, § 153 Abs. 2

 

Leitsatz

Nicht jede Anomalität genügt, um von einer Entstellung mit Krankheitswert ausgehen zu können. Vielmehr muss es sich um eine erhebliche Auffälligkeit handeln. (Rn. 22) (redaktioneller Leitsatz)

Verfahrensgang

S 17 KR 1346/13 2015-07-15 Urt SGMUENCHEN SG München

Tenor

I. Die Berufung gegen das Urteil des Sozialgerichts München vom 15. Juli 2015 wird zurückgewiesen.
II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.

Gründe

Die Berufung ist zulässig, insbesondere form- und fristgerecht erhoben (§ 151 Sozialgerichtsgesetz – SGG). Die Berufung ist jedoch unbegründet. Der Klägerin steht ein Anspruch auf die Erstattung der Kosten für die zwischenzeitlich am 11.01.2016 durchgeführte Korrektur der Mammae nicht zu.
Als Anspruchsgrundlage für die Erstattung der Kosten kommt allein § 13 Abs. 3 S.1 SGB V in Betracht. Konnte danach die Krankenkasse eine unaufschiebbare Leistung nicht rechtzeitig erbringen oder hat sie eine Leistung zu Unrecht abgelehnt und sind dadurch dem Versicherten für die selbstbeschaffte Leistung Kosten entstanden, sind diese von der Krankenkasse in der entstandenen Höhe zu erstatten, soweit die Leistung notwendig war.
Mit dem SG geht der Senat davon aus, dass vorliegend die Voraussetzungen des § 13 Abs. 3 S.1 SGB V nicht erfüllt sind. Der Senat schließt sich den Ausführungen des SG insoweit an, § 153 Abs. 2 SGG. Der Leistungsanspruch scheitert daran, dass der Klägerin ein Anspruch auf die von ihr begehrten Leistungen nicht zusteht. Der Kostenerstattungsanspruch reicht nicht weiter als ein entsprechender Sachleistungsanspruch; er setzt daher voraus, dass die selbst beschaffte Behandlung zu den Leistungen gehört, welche die Krankenkassen allgemein in Natur als Sach- oder Dienstleistung zu erbringen haben (vgl. BSG, Urteil vom 07.05.2013, B 1 KR 8/12 R). Ein Leistungsanspruch ergibt sich nicht aus § 27 Abs. 1 SGB V. Nach § 27 Abs. 1 S.1 SGB V haben Versicherte Anspruch auf Krankenbehandlung, wenn sie notwendig ist, um eine Krankheit zu erkennen, zu heilen, ihre Verschlimmerung zu verhüten oder Krankheitsbeschwerden zu lindern. Zu Recht ist das SG unter Berücksichtigung des gerichtlichen Gutachtens von Dr. A. zu dem Ergebnis gekommen, dass die Klägerin weder in einer Körperfunktion beeinträchtigt ist noch an einer Abweichung vom Regelfall leidet, die entstellend wirkt, so dass eine Erkrankung im Sinne des SGB V nicht vorliegt.
Maßgeblich für die Beurteilung ist der Befund, der dem Antrag der Klägerin auf Übernahme der Kosten für eine zweite Operation zugrunde liegt. Für das vorliegende Verfahren kommt es daher auf die der im Januar 2011 durchgeführten Operation zugrunde liegende Indikation sowie den Verlauf und Erfolg der ersten Operation nicht an. Soweit die Klägerin in der mündlichen Verhandlung am 26.07.2017 vorgetragen hat, der erste Eingriff sei bei der damals fünfzehn Jahre alten Klägerin durchgeführt worden, bei der die Brust noch nicht abschließend entwickelt gewesen sei, spielt das für die vorliegende Prüfung keine Rolle.
Im Übrigen ergibt sich für den erneuten Vortrag der Klägerin im Berufungsverfahren, dass es sich bei der nunmehr im Januar 2016 durchgeführten Korrektur-OP um die Fortführung einer begonnen Behandlung handle, deren Erfolg noch nicht ganz eingetreten sei, man sei auch wegen des Alters der Klägerin bei der Erstoperation von Anfang davon ausgegangen, dass mindestens noch eine weitere Operation notwendig sein würde, aus den dem Senat vorliegenden Unterlagen und Gutachten keinerlei Anhalt. Weder hat die Beklagte im Rahmen der Kostenübernahmeerklärung vom 07.09.2010 sich bereit erklärt, die Kosten für mehrere Eingriffe im Rahmen eines Behandlungszyklus zu übernehmen. Sie hat der Mutter der Klägerin vielmehr mitgeteilt, dass die Kosten für einen operativen Eingriff auf der Grundlage einer Einzelfallentscheidung ohne Anerkennung einer Rechtspflicht übernommen würden. Auch das Klinikum L-Stadt, wo die Klägerin sich im Januar 2011 zur ersten Korrekturoperation bei ausgeprägter tubulärer Fehlbildung vorgestellt hatte, geht in seinem Schreiben vom 02.08.2013 offensichtlich nicht davon aus, dass von Anfang an festgestanden habe, dass ein weiterer Eingriff notwendig sei. Vielmehr wird in dem Schreiben darauf hingewiesen, dass die Klägerin aufgrund des postoperativen Befundes eine nochmalige Korrektur der Brust wünsche, was medizinisch zu vertreten sei.
Die Klägerin hat sich zu der von ihr gewünschten Korrekturoperation auch nicht im Sinne eines Behandlungsplans in dem Klinikum vorgestellt, das die Operation 2011 durchgeführt hatte, sondern sich an eine Fachärztin für Plastische und Ästhetische Chirurgie gewendet. Auch aus deren Arztbriefen und Stellungnahmen ergibt sich gerade nicht, dass die von ihr vorgeschlagene und letztlich auch ausgeführte zweite Korrekturoperation notwendiger zweiter Teil der im Jahr 2011 durchgeführten Operation und damit Teil eines Behandlungszyklus sei.
Bezüglich der Beurteilung der Frage, ob eine Krankheit im Sinne des SGB V vorliegt, folgt der Senat wie auch das SG den überzeugenden Ausführungen des gerichtlichen Gutachters Dr. A., der sein Gutachten vom 13.08.2014 nach ambulanter Untersuchung der Klägerin erstattet hat. Er hat zusammenfassend ausgeführt, dass die bei der Klägerin bestehende leichte Mamillenhernierung rechts, leichte Ptosis links und leichte Asymmetrie der Brüste keine Krankheit im Sinne des SGB V darstelle und ein regelwidriger Körperzustand nicht bestehe, auch wenn der Wunsch nach Vervollkommnung aus kosmetischen Gründen und nach bereits erfolgter Korrektur der Brust nachvollzogen werden könne. Es fänden sich keine besonderes ungleichen Brüste oder schweren Formveränderungen der Brüste. Es handle sich um eine Normvariante ohne große Diskrepanz zwischen Brustgröße und -form. Die Größe der Brust selbst oder die Ptosis stellten keine Erkrankung dar. Auch die Brustdrüse selbst sei symptomfrei. Eine medizinische Indikation für eine weitere Brust-Operation sei vorliegend also nicht gegeben. Das SG hat zu Recht unter Bezugnahme auf die Rechtsprechung des BSG (Urteil vom 28.02.2008, B 1 KR 19/07 R) ausgeführt, dass nicht jede Anomalität genügt, um von einer Entstellung ausgehen zu können. Vielmehr muss es sich um eine erhebliche Auffälligkeit handeln, die auch zur Überzeugung des Senats nicht vorliegt.
Auch die im Berufungsverfahren durchgeführte erneute Begutachtung durch den MDK führt zu keinem anderen Ergebnis. Der MDK hat in seinem Gutachten vielmehr ausgeführt, es sei im vorliegenden Fall bei Brustimplantataufbau beidseits mit Asymmetrieausgleich und Brustwarzenkorrektur am 11.01.2016 von einer kosmetischen Indikation auszugehen. Ein krankheitswertig-entstellender Befund wie vom BSG definiert als ein in dem Maße auffälliger körperlicher Befund, dass bereits in alltäglichen Situationen bei flüchtigem Vorbeigehen Betroffenheit und vermehrte Neugier bei unbeteiligten Dritten ausgelöst werde, könne hier nicht unterstellt werden. Die im Berufungsverfahren vorgelegten präoperativen Aufnahmen vom 19.11.2015 zeigen nach den Ausführungen des MDK beidseits reizlos verheilte periareoläre Narben und links eine diskrete Ptosis, die Mamille links stehe ca. 1 cm tiefer als rechts. Es liege weder eine Entstellung im Sinne der BSG-Rechtsprechung noch ein Missverhältnis zur Statur vor. Soweit die Klägerin auch im Berufungsverfahren vorträgt, sie habe auch nach dem ersten Eingriff im Jahr 2011 einen großen Leidensdruck und erhebliche psychische Probleme gehabt, führt auch dies nicht zu einer anderen Beurteilung.
Die psychische Belastung der Klägerin rechtfertigt keinen operativen Eingriff auf Kosten der GKV. Psychische Leiden können einen Anspruch auf eine Brustkorrektur-Operation grundsätzlich nicht begründen. Die Krankenkassen sind weder nach dem SGB V noch von Verfassungs wegen gehalten, alles zu leisten, was an Mitteln zur Erhaltung oder Wiederherstellung der Gesundheit verfügbar ist. Operationen am – krankenversicherungsrechtlich gesehen – gesunden Körper, die psychische Leiden beeinflussen sollen, sind nicht als „Behandlung“ im Sinne von § 27 Abs. 1 SGB V zu werten, sondern vielmehr der Eigenverantwortung der Versicherten zugewiesen (vgl. BSG, Urteil vom 28.02.2008, B 1 KR 19/07 R).
Bei der Klägerin liegen, wie sich bereits aus dem im Verwaltungsverfahren vorgelegten Arztbrief des Klinikums L-Stadt vom 02.08.2013 und der Stellungnahme des MDK vom 29.08.2013 ergibt, massive psychische Probleme vor. Sowohl das Klinikum L-Stadt als auch der MDK vertraten die Auffassung, dass diese psychischen Probleme fachärztlich bzw. psychotherapeutisch zu behandeln sind. Aus einer im Verwaltungsverfahren vorgelegten Bescheinigung der Psychologischen Psychotherapeutin S. A. vom 07.10.2013 ergibt sich, dass bei der Klägerin der Verdacht einer mittelgradigen depressiven Episode bestehe und die Klägerin in psychotherapeutischer Behandlung sei. Es sei wichtig, dass die Klägerin die Therapie fortführe, um ihren Leidensdruck zu vermindern. Auch der gerichtliche Gutachter Dr. A. hat in seinem Gutachten vom 13.08.2014 nach ambulanter Untersuchung der Klägerin ausgeführt, die vorhandene Selbstwertproblematik bedürfe vorrangig einer psychiatrischen bzw. psychotherapeutischen Begutachtung und Behandlung. Ein Aufenthalt in einer psychsomatischen Klinik sei geplant. Im erstinstanzlichen Verfahren wurde ein Entlassungsbericht der Klinik für psychosomatische Medizin und Psychotherapie, Klinik W., vorgelegt, in der die Klägerin vom 21.08.2014 bis 21.10.2014 wegen depressiver Störung behandelt wurde.
Die von der Klägerin vorgetragenen psychischen Beschwerden sind also mehrfach bestätigt und der vom Klinikum L-Stadt, dem MDK und insbesondere dem gerichtlichen Gutachter Dr. A. und der behandelnden Psychologischen Psychotherapeutin S. A. empfohlenen psychotherapeutischen Therapie sowie einer stationären Behandlung in der Klinik für psychosomatische Medizin und Psychotherapie, Klinik W., zugeführt worden. Die Durchführung einer Korrektur-OP der Mammae zur Behandlung der psychischen Beschwerden haben weder die Gutachter noch die behandelnde Psychologische Psychotherapeutin noch die Klinik für psychosomatische Medizin und Psychotherapie, Klinik W., und zuletzt auch nicht die behandelnde Fachärztin für Plastische Chirurgie, die die Korrektur-OP durchgeführt hat, empfohlen. Ob die operative Korrektur der Mammae – wie von der Klägerin vorgetragen, die mitgeteilt hat, dass seit der zweiten Operation keine Psychotherapie mehr erforderlich sei – sich positiv auf die psychische Erkrankung der Klägerin ausgewirkt hat, kann daher dahinstehen, denn mit der zweiten Operation wurde nicht gezielt gegen die eigentliche Krankheit selbst vorgegangen und es sollte nach der Darstellung der behandelnden Ärzte auch gerade nicht nur mittelbar die Besserung eines an sich einem anderen Bereich zugehörigen gesundheitlichen Defizits erreicht werden. Das psychische Leiden der Klägerin konnte daher den streitigen Anspruch auf eine Operation zur Brustkorrektur nicht begründen. Es spielt daher auch keine Rolle, welche Kosten die psychotherapeutische Behandlung der Klägerin verursacht hat, diese ist nicht Gegenstand des vorliegenden Verfahrens.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Gründe für die Zulassung der Revision gemäß § 160 Abs. 2 Nr.1 und 2 SGG liegen nicht vor.

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