Aktenzeichen S 13 R 1364/16
Leitsatz
1 Im Rentenrecht besteht kein Anspruch auf Kostenerstattung hinsichtlich einer vor der Antragstellung selbstbeschafften Weiterbildungsmaßnahme, da durch diese Vorgehensweise dem Leistungsträger jegliche Einflussmöglichkeit auf die Auswahl der erforderlichen Maßnahmeart genommen wird. (Rn. 30) (redaktioneller Leitsatz)
Tenor
I. Die Klage gegen den Bescheid vom 13. Oktober 2016 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 7. Dezember 2016 wird abgewiesen.
II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
Gründe
Das Sozialgericht Augsburg ist das für die Entscheidung sachlich und örtlich zuständige Gericht (§§ 51 Abs. 1 Nr. 1, 57 Abs. 1 Satz 1 Sozialgerichtsgesetzt – SGG -). Die Klage wurde gemäß §§ 87, 90, 92 SGG form- und fristgerecht erhoben. Sie ist nicht begründet, da die angefochtenen Bescheide der Beklagten rechtmäßig sind und die Klägerin nicht in ihren Rechten nach § 54 Abs. 2 SGG verletzen. Die Klägerin hat nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme keinen Anspruch gegen die Beklagte auf Erstattung der Kosten für die selbstbeschaffte Weiterbildungsmaßnahme. Der Klageantrag hinsichtlich der Gewährung sämtlicher in Betracht kommender Teilhabeleistungen ist dagegen bereits unzulässig. Streitgegenständlich ist lediglich die mit Bescheid vom 13.10.2016 und Widerspruchsbescheid vom 07.12.2016 von der Beklagten abgelehnte Kostenerstattung für die Weiterbildungsmaßnahme zur Betreuungskraft. Darüber hinaus liegt noch keine Entscheidung der Beklagten über die Gewährung von Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben vor. Diese sind im Verwaltungsverfahren vorgesehen und stehen nach Abschluss des Klageverfahrens zur Prüfung an. Welche Art von Teilhabeleistungen für die Klägerin konkret in Betracht kommen, ist im Verwaltungsverfahren zu entscheiden. Da es sich hierbei um Ermessensleistungen handelt, kann eine gerichtliche Verpflichtung gegenüber der Beklagten nicht ausgesprochen werden.
Nach Überzeugung des Gerichts sind die Voraussetzungen für die Erstattung der von der Klägerin gezahlten Kosten für die selbstbeschaffte Weiterbildungsmaßnahme zur Betreuungskraft nicht erfüllt.
Nach § 9 Abs. 2 Sechstes Buch Sozialgesetzbuch (SGB VI) kann der Rentenversicherungsträger Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben sowie ergänzende Leistungen erbringen, wenn die persönlichen und versicherungsrechtlichen Voraussetzungen hierfür erfüllt sind. Die Klägerin erfüllt die versicherungsrechtlichen Voraussetzungen des § 11 Abs. 1 Nr. 1 SGB VI. Die Wartezeit von 15 Jahren ist laut vorliegendem Versicherungsverlauf erfüllt. Leistungen zur Teilhabe sind auch nicht ausnahmsweise nach §§ 12, 13 Abs. 2 SGB VI von vorneherein ausgeschlossen. Auch liegen die persönlichen Voraussetzungen des § 10 SGB VI im Falle der Klägerin vor.
Gemäß § 10 Abs. 1 SGB VI haben Versicherte für Leistungen zur Teilhabe die persönlichen Voraussetzungen erfüllt,
1.deren Erwerbsfähigkeit wegen Krankheit oder körperlicher, geistiger oder seelischer Behinderung erheblich gefährdet oder gemindert ist und
2.bei denen voraussichtlich
a) bei erheblicher Gefährdung der Erwerbsfähigkeit eine Minderung der Erwerbsfähigkeit durch Leistungen zur medizinischen Rehabilitation oder zur Teilhabe am Arbeitsleben abgewendet werden kann,
b) bei geminderter Erwerbsfähigkeit diese durch Leistungen zur medizinischen Rehabilitation oder zur Teilhabe am Arbeitsleben wesentlich gebessert oder wiederhergestellt oder hierdurch deren wesentliche Verschlechterung abgewendet werden kann,
c) bei teilweiser Erwerbsminderung ohne Aussicht auf eine wesentliche Besserung der Erwerbsfähigkeit der Arbeitsplatz durch Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben erhalten werden kann.
Bei der Prüfung des Vorliegens der Voraussetzungen unterliegt die Entscheidung über das „Ob“ der Leistung der uneingeschränkten gerichtlichen Kontrolle, während das „Wie“ der Leistung im pflichtgemäßen Ermessen der Beklagten steht.
Nach Überzeugung der Kammer ist die Erwerbsfähigkeit der Klägerin im Sinne der in § 10 Abs. 1 Nr. 1 SGB VI genannten Gründe gemindert. Eine Gefährdung der Erwerbsfähigkeit liegt vor, wenn wegen der gesundheitlichen Beeinträchtigungen und Funktionseinschränkungen damit zu rechnen ist, dass ohne Leistungen zur Teilhabe eine Minderung der Erwerbsfähigkeit eintritt. Es muss die Gefahr einer Ausgliederung aus Arbeit, Beruf und Gesellschaft bestehen. Die Gefährdung ist erheblich, wenn mit der Minderung der Leistungsfähigkeit in absehbarer Zeit zu rechnen ist. Eine Minderung der Erwerbsfähigkeit ist gegeben, wenn die Leistungsfähigkeit im Erwerbsleben nicht unwesentlich eingeschränkt und der Versicherte nicht mehr in der Lage ist, seinen Beruf normal auszuüben. Dabei darf sich die Minderung nicht nur unter den Besonderheiten des Arbeitsplatzes auswirken; erforderlich sind gesundheitliche Beeinträchtigungen, die nicht lediglich bei der Verrichtung von Tätigkeiten auftreten, die von vorneherein atypisch für den ausgeübten Beruf sind.
In Anwendung dieser Grundsätze ergibt sich für die Klägerin aufgrund der im Verwaltungs- und Klageverfahren eingeholten orthopädischen Gutachten unstreitig eine Minderung der Erwerbsfähigkeit. Eine Teilhabeleistung zulasten der Beklagten ist daher angezeigt, was von der Beklagten auch nicht bestritten wird.
Der Orthopäde Dr. W. wie auch die Orthopädin Frau Dr. D. haben in ihren Gutachten vom 06.09.2016 bzw. 20.10.2017 nach jeweils eingehender ambulanter Untersuchung der Klägerin festgestellt, dass Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben angezeigt seien. Die gerichtliche Sachverständige stellt in ihrem Gutachten nach eingehender körperlicher und apparativer Untersuchung der Klägerin am 20.07.2017 sowie unter Berücksichtigung der in den Akten befindlichen ärztlichen Unterlagen beim körperlichen Befund einen guten Allgemein- und Kräftezustand fest. Das Gangbild wird mit und ohne Schuhe als sicher, zügig und hinkfrei, der Einbeinstand beim An- und Ausziehen ebenso als sicher beschrieben. Aufgrund von Schmerzen am rechten Knie ist ein Zehen- und Hackengang sowie -stand sowie Hüpfen auf einem Bein rechts nicht möglich, links dagegen sind alle Gangarten ausführbar. Der Schultertiefstand wird rechts mit 2 cm, der Beckentiefstand rechts mit 1 cm angegeben. Bei der Wirbelsäule ergibt sich eine lotgerechte Stellung. Die Beweglichkeit der Halswirbelsäule ist uneingeschränkt, Brust- und Lendenwirbelsäule in Seitneigung und Drehung frei. Bei den Schulterblättern ergibt sich ebenso eine freie Beweglichkeit in allen Ebenen ohne Auffälligkeiten. Die Ellenbogengelenke ergeben keine Auffälligkeiten, bei den Handgelenken ist ein Druckschmerz mit endgradiger Einschränkung rechts festzustellen. Beim neurologischen Befund der oberen Extremitäten wird eine Gefühlsminderung des gesamten rechten Armes ohne Hand beschrieben. Die Untersuchung von Becken und unteren Extremitäten ergibt eine freie Beweglichkeit beider Hüftgelenke. Ein Druckschmerz beider Kniegelenke wird rechts mehr als links angegeben. Ebenso ist die Beweglichkeit des rechten Kniegelenks endgradig eingeschränkt. Anzeichen für eine Instabilität der Sprunggelenke finden sich nicht. Der neurologische Befund der unteren Extremitäten ergibt ebenso keine Auffälligkeiten. Psychopathologisch ist die Klägerin in alle Richtungen orientiert. Die Befunde werden durch aktuelle bzw. zurückliegende Röntgenaufnahmen der Brustwirbelsäule, Lendenwirbelsäule, Schultern, Becken, des rechten Ellenbogengelenks sowie der rechten Hand, des rechten Knies und des rechten Sprunggelenks sowie durch MRT der rechten Schulter sowie des rechten Kniegelenks ergänzt. Radiologisch werden dabei lediglich mäßige degenerative Veränderungen und im Wesentlichen altersentsprechende, regelrechte Befunde aufgezeigt. Zusammenfassend stellt die Sachverständige den Schwerpunkt der Erkrankung der Klägerin im Bereich des rechten Kniegelenks fest. Eine schmerzbedingte Schonung ist jedoch aufgrund einer nicht vorhandenen Muskelminderung des rechten Beines nicht ersichtlich. Aufgrund der Einschränkungen resultieren qualitative Einschränkungen. Die Klägerin hat daher Arbeiten mit Hocken und Knien, auf hohen Leitern und Gerüsten sowie mit häufigem Gehen, Stehen und Treppensteigen sowie mit hohen Anforderungen an die Gang- und Standsicherheit zu vermeiden. Auch im Bereich des rechten Armes ergibt sich keine wesentliche Einschränkung der Beweglichkeit oder Verschmächtigung der Muskulatur, die für eine Schonung sprechen würde. Zu vermeiden sind von der Klägerin lediglich Arbeiten mit häufiger Vorhaltung der Arme und hoher Anforderung an die Gebrauchsfähigkeit der rechten Hand. Da die zuletzt ausgeübte Tätigkeit als Hauswirtschafterin fast ausschließlich im Gehen und Stehen ausgeführt wird und zudem auch Arbeiten im Knien und auch Hocken sowie mit Bewegen, Tragen oder Heben von Lasten über 10 kg einschließt, ist die Erwerbsfähigkeit für diesen Beruf durch die festgestellten Gesundheitsstörungen bereits gemindert. Die Tätigkeit als Betreuungskraft ist für die Klägerin allerdings ebenso nicht leidensgerecht. Laut Tätigkeitsbeschreibung in BERUFENET handelt es sich hierbei um eine Arbeit im Gehen und Stehen sowie mit vermehrter Handarbeit. Körperliche Anforderungen bestehen ebenso hinsichtlich der Belastbarkeit und Funktionstüchtigkeit der Wirbelsäule, Beine, Arme und Hände sowie der Körperkraft. Aufgrund der Persönlichkeitsstruktur der Klägerin ist zudem ausreichendes Einfühlungsvermögen und bestehende Kommunikationsfähigkeit nicht sichergestellt. Da Betreuungsleistungen ein exaktes Dokumentieren voraussetzen, sind orthographische Fähigkeiten erforderlich, die bei der Klägerin möglicherweise nicht in ausreichendem Umfang vorliegen. Zusammenfassend führt dies zur Feststellung, dass zwar die Voraussetzungen für die Erbringung von Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben zu Gunsten der Klägerin festzustellen sind. Allerdings kommen als geeignete Maßnahmen beispielsweise Hilfen für betriebliche Einarbeitung, Kostenübernahme für Probebeschäftigungen und Gewährung von Eingliederungszuschüssen an einen potentiellen Arbeitgeber, nicht aber eine Weiterbildung zur Betreuungskraft in Betracht.
Da nach den schlüssigen und nachvollziehbaren Ausführungen der Sachverständigen die Tätigkeit als Betreuungskraft nicht dem positiven Leistungsvermögen der Klägerin entspricht, stimmt das Gericht mit der Auffassung der Beklagten überein, dass eine entsprechende Weiterbildungsmaßnahme bzw. die Kostenerstattung für die von der Klägerin selbst beschaffte Maßnahme von der Beklagten nicht in Anspruch genommen werden kann.
Darüber hinaus hat die Klägerin die Weiterbildungsmaßnahme zur Betreuungskraft bereits selbst beschafft, bevor der entsprechende Antrag bei der Beklagten gestellt wurde. Mit Bescheiden vom 12.02.2015 und 16.03.2015 sowie 14.07.2016 hat die Beklagte der Klägerin Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben dem Grunde nach bzw. lediglich in Form eines Eingliederungszuschusses an den Arbeitgeber zur Erlangung eines Arbeitsplatzes bewilligt. Ein Bescheid über die Bewilligung der Teilnahme an einer Weiterbildungsmaßnahme zur Betreuungskraft lag zu keiner Zeit vor. Durch die Anmeldung zur Teilnahme an der Weiterbildungsmaßnahme ohne vorherige Antragstellung hat die Klägerin der Beklagten nicht die von Gesetzes wegen eingeräumte Möglichkeit gegeben, Einfluss auf die Auswahl der geeigneten Teilhabeleistung zu nehmen. Diese Möglichkeit ist jedoch grundsätzlich Voraussetzung für eine Kostentragung durch die Beklagte. Dieser ist Gelegenheit zu geben, das ihr von Gesetzes wegen zustehende Ermessen bei der Auswahl der erforderlichen Maßnahmeart auszuüben. Dabei hat sie nach dem Grundsatz von Wirtschaftlichkeit und Sparsamkeit auch ein maßgebliches Mitentscheidungsrecht hinsichtlich der geeigneten Leistung.
Die Mitentscheidungsmöglichkeit ist der Beklagten jedoch aufgrund der erst nach Anmeldung und Beginn der Maßnahme erfolgten Antragstellung verwehrt gewesen. Die Klägerin hat sich selbst im Juni 2016 zu der Weiterbildungsmaßnahme angemeldet, nachdem ihr in einem Beratungsgespräch am 27.10.2015 vom Reha-Fachberater der Beklagten bereits mitgeteilt wurde, dass die Tätigkeit als Betreuungskraft für sie gesundheitlich nicht geeignet sei. Daraufhin wurden erst mit Schreiben des damals bevollmächtigten VdK vom 27.06.2016 die Unterlagen zur Weiterbildungsmaßnahme übersandt und die Gewährung von Übergangsgeld beantragt. Die Anmeldebestätigung des Bildungswerks gegenüber der Klägerin datiert dagegen bereits vom 14.06.2016. Nach Ansicht des Gerichts wendet die Beklagte somit zu Recht ein, keine Möglichkeit einer Einflussnahme auf das Auswahl- und Entscheidungsverfahren eingeräumt bekommen zu haben. Dies ist jedoch grundsätzlich Voraussetzung für eine Kostentragung. Die Klage auf Kostenerstattung kann daher auch aus diesem Gesichtspunkt keinen Erfolg haben.
Die Bescheide der Beklagten erweisen sich somit als rechtmäßig, so dass die Klage als unbegründet abzuweisen ist.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Das Gericht weist darauf hin, dass der Klägerin dem Grunde nach Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben durch die Beklagte zu gewähren sind. Welche konkreten Maßnahmen letztlich in Betracht kommen, wird Gegenstand des nach Abschluss des Klageverfahrens vorzuführenden Verwaltungsverfahrens sein. Die Klägerin wird diesbezüglich weitere Informationen von der Rehabilitationsabteilung der Beklagten erhalten.