Aktenzeichen S 17 KR 754/15
Leitsatz
Unterrichtet die Krankenkasse den Versicherten erst nach Auftreten einer Lücke in der Bescheinigung der Arbeitsunfähigkeit darüber, dass er bei einer solchen Lücke den Anspruch auf Krankengeld verliert, hat der Versicherte gleichwohl einen Anspruch auf Krankengeld aufgrund des sozialrechtlichen Herstellungsanspruchs. (Rn. 35 – 40) (redaktioneller Leitsatz)
Tenor
I. Die Beklagte wird verurteilt, dem Kläger unter Aufhebung der Bescheide vom 18.03.2015 und vom 20.04.2015 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 23.06.2015 über den 14.02.2015 hinaus Krankengeld zu gewähren, solange die gesetzlichen Voraussetzungen für die Gewährung von Krankengeld vorliegen, längstens bis 23.03.2015.
II. Die Beklagte hat die notwendigen außergerichtlichen Kosten des Klägers zu erstatten.
Gründe
Die Klage ist zulässig und begründet. Die Bescheide vom 18.03.2015 und vom 20.04.2015 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 23.06.2015 sind rechtswidrig und verletzen den Kläger in seinen Rechten. Der Kläger hat einen Anspruch auf Gewährung von Krankengeld über den 14.02.2015 hinaus.
Nach § 44 Abs. 1 Satz 1 des Fünften Buches Sozialgesetzbuch (SGB V) haben Versicherte Anspruch auf Krankengeld, wenn sie Krankheit sie arbeitsunfähig macht oder sie auf Kosten der Krankenkasse stationär in einem Krankenhaus, einer Vorsorge -oder Rehabilitationseinrichtung behandelt werden. Voraussetzung ist, dass eine Mitgliedschaft mit Krankengeldanspruch zum Zeitpunkt der Anspruchsentstehung besteht (BSG vom 14.12.2006, B 1 KR 6/06 R). Ob Versicherte Krankengeld beanspruchen können, bestimmt sich also nach dem Versicherungsverhältnis, das im Zeitpunkt des jeweils in Betracht kommenden Entstehungstatbestands für Krankengeld vorliegt (BSG vom 26.06.2007, B 1 KR 37/06 R). Dabei ist für den geltend gemachten Krankengeldanspruch an den jeweils in Betracht kommenden Entstehungstatbestand anzuknüpfen, das ist hier in der Krankenversicherung der Arbeitslosen § 47 b Abs. 1 S. 2 SGB V (BSG vom 26.06.2007, B 1 KR 2/07 R). Nach dieser Vorschrift ist bei Versicherten nach § 5 Abs. 1 Nr. 2 das Krankengeld vom ersten Tag der Arbeitsunfähigkeit zu zahlen. Auf den Zeitpunkt der ärztlichen Feststellung kommt es also nicht an. Durch diese Regelung soll ein lückenloser Anschluss des Krankengelds an den Leistungsbezug nach dem SGB III für kranke Arbeitslose gesichert werden (Bohlken in juris-PK-SGB V, 3. Auflage 2016, § 47 b SGB V).
Nach der Rechtsprechung des BSG kann die Mitgliedschaft mit Krankengeldanspruch nach § 192 Abs. 1 Nr. 2 SGB V nur auf Grundlage einer Kette von lückenlos festgestellten AU-Bescheinigungen aufrecht erhalten werden (BSG vom 05.05.2009, B 1 KR 20/08, BSG vom 04.03.2014, B 1 KR 17/13 R und bestätigt durch Urteilsserie des BSG vom 16.12.2014, vgl. B 1 KR 25/14 R oder B 1 KR 37/14 R). Mit jeder Krankengeld-Bewilligung wird zunächst auch über das vorläufige Ende des Krankengeldbezugs entschieden. Wenn der Versicherte keine weiteren AU-Bescheinigungen beibringt, endet der Anspruch auf Krankengeld mit Ablauf des zuletzt bescheinigten AU-Zeitraums, eines Aufhebungsbescheids nach § 48 des Zehnten Buches Sozialgesetzbuch (SGB X) bedarf es nicht.
Vorliegend endete die Mitgliedschaft des Klägers mit Krankengeldanspruch gemäß § 190 Abs. 12 SGB V am 01.02.2015 mit Ablauf des letzten Tages, für den Arbeitslosengeld bezogen wird. Die Mitgliedschaft des Klägers mit Krankengeldanspruch wurde durch den Krankengeldbezug nach § 192 Abs. 1 Nr. 2 SGB V zunächst bis 14.02.2015 aufrecht erhalten.
Anspruch auf Krankengeld nach § 47 b Abs. 1 Satz 2 SGB V schon vom ersten Tag der AU -hier ab 16.02.2015 – setzt eine Versicherung in der KVdA voraus, die beim Kläger jedoch am 14.02.2015 geendet hatte.
Der 14.02.2015 fiel auf einen Samstag.
Normale, alltägliche Erschwernisse, eine ärztliche Feststellung zu erlangen (zum Beispiel Wochenende) rechtfertigen aber keine Ausnahme (BSG vom 04.03.2014, B 1 KR 17/13 R „Sonntagsfälle“). Die Obliegenheit Versicherter, zur Aufrechterhaltung ihres Krankengeldanspruchs ihre Arbeitsunfähigkeit vor Ablauf jedes Krankengeldbewilligungsabschnitts erneut ärztlich feststellen zu lassen, entfällt weder deshalb, weil der letzte Tag der bescheinigten AU auf einen Sonntag fällt, noch weil der behandelnde Arzt den Versicherten unzutreffend oder gar nicht rechtlich beraten hat BSG, a.a.O.) Der Versicherte muss alles in seiner Macht stehende und ihm zumutbare getan haben, um seine Ansprüche zu wahren, mithin rechtzeitig eine ärztliche Feststellung der AU rechtzeitig herbeizuführen. Das bedeutet vorliegend, dass der Kläger bereits am Freitag, den 13.02.2015 seinen Arzt hätte aufsuchen oder den hausärztlichen Notfalldienst hätte in Anspruch nehmen müssen (BSG vom 04.03.2014, a.a.O., Rn. 20).
Auch ein nachwirkender Anspruch nach dem Ende der Mitgliedschaft nach § 19 Abs. 2 SGB V kommt nicht in Betracht, da dieser nur dann die Auffangversicherung nach § 5 Abs. 1 Nr. 13 a SGB V verdrängt, wenn nach prognostischer Betrachtung am letzten Tag der Mitgliedschaft (14.02.2015) davon auszugehen war, dass der Kläger spätestens nach Ablauf eines Monats eine anderweitige Absicherung im Krankheitsfall erlangen werde (BSG vom 10.05.2012, B 1 KR 19/11 R). Dafür fehlen vorliegend Anhaltspunkte.
Ein Ausnahmefall kann u.a. vorliegen, wenn die ärztliche Feststellung der AU ausschließlich aus Gründen unterbleibt, die dem Verantwortungsbereich der Krankenkasse zuzurechnen sind. Das ist in der Regel der Fall, wenn eine verspätete Meldung auf Organisationsmängel der Krankenkasse zurückzuführen ist und der Versicherte hiervon keine Kenntnis hatte (BSG vom 28.10.1981, 3 RK 59/80). Ein Organisationmangel der Krankenkasse anzunehmen ist, weil diese dem Kläger die Antrags- und Informationsunterlagen verspätet übersandt hat, obwohl der Kläger – wie er glaubhaft versicherte – diese mehrfach telefonisch angefordert hatte, kann dahingestellt bleiben.
Die Kammer ist im vorliegenden Fall zu dem Ergebnis gelangt, dass der Kläger seinen Anspruch auf Krankengeld über den 14.02.2015 hinaus auf einen sozialrechtlichen Herstellungsanspruch stützen kann. Der sozialrechtliche Herstellungsanspruch setzt nach den allgemeinen richterrechtlichen Grundsätzen bei einer dem zuständigen Sozialleistungsträger zuzurechnenden Pflichtverletzung ein, durch welche dem Berechtigen ein sozialrechtlicher Nachteil oder Schaden entstanden ist. Grundsätzlich ist es nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG vom 16.12.2014, B 1 KR 25/14 R, Rn. 16 in juris) zwar nicht Sache der Krankenkasse, den Versicherten rechtzeitig vor Ablauf des schon festgestellten AU-Zeitraums auf die besondere gesetzliche Regelung und deren im Regelfall gravierende Folgen hinzuweisen. Die Krankenkassen sind grundsätzlich nicht gehalten, Hinweise auf den gesetzlich geregelten Zeitpunkt einer ggf. erneut erforderlichen AU-Feststellung zu geben oder solche Hinweise in Formularen zur Bescheinigung der AU vorzusehen. Insbesondere besteht auch keine Pflicht zur Aufklärung der Versicherten über ihre Obliegenheiten (BSG a.a.O. und BSG vom 10.05.2012, B 1 KR 19/11 R).
Allerdings darf die Krankenkasse den Versicherten nicht durch eine unzutreffende Beratung hiervon abhalten und damit vereiteln, dass der Versicherte rechtzeitig seine AU feststellen lässt (BSG vom 16.12.2014, B 1 KR 37/14 R).
Vorliegend hat die Beklagte den Kläger zwar nicht unzutreffend beraten, sie hat es aber versäumt, ihn rechtzeitig über seine Obliegenheiten zu informieren. Das Schreiben der Beklagten vom 23.02.2015 enthält einen ausdrücklichen Hinweis auf das Erfordernis der weiteren AU-Feststellung spätestens am Tag des Ablaufs des vorangegangenen Zeitraums und darüber hinaus wurde ein ausführliches Informationsblatt über den Nachweis der durchgehenden AU beigefügt.
Der Kläger hat in der mündlichen Verhandlung glaubhaft versichert, dass er rechtzeitig zum Arzt gegangen wäre und die weitere AU rechtzeitig hätte feststellen lassen, wenn ihm diese Unterlagen vor Ablauf der AU am 14.02.2015 zugegangen wären. Darüber hinaus hat er überzeugend dargelegt, dass er trotz mehrfacher Anrufe bereits ab der am Montag, den 19.01.2015 beginnenden Woche die Unterlagen und Informationen über die Erlangung von Krankengeld erst mit Schreiben vom 23.02.2016 erhalten habe. Dies ist für die Kammer auch aufgrund der Verwaltungsakte der Beklagten nachvollziehbar, da sich vorab lediglich ein Schreiben vom 23.01.2015 in der Akte befindet, mit dem der Kläger aufgefordert wurde, bei der Beklagten anzurufen. Offenbar waren diesem Schreiben auch keine Unterlagen beigefügt.
Zur Überzeugung der Kammer liegt die Pflichtverletzung der Beklagten hier nicht in der fehlenden Aufklärung, sondern in der verspäteten Aufklärung, die einer unzutreffenden Beratung gleichzusetzen ist. Durch die verspätete Aufklärung hat die Beklagte den Kläger davon abgehalten bzw. hat es vereitelt, dass der Kläger seine AU rechtzeitig feststellen ließ.
Der Kläger muss also aufgrund der Pflichtverletzung der Beklagten im Rahmen des sozialrechtlichen Herstellungsanspruchs so gestellt werden, als wäre seine Arbeitsunfähigkeit rechtzeitig am 14.02.2015 bescheinigt worden.
Dem Gericht liegen die AU-Bescheinigungen des Klägers nur bis 16.03.2015 vor, so dass über diesen Zeitraum hinaus die Gewährung von Krankengeld von der Vorlage der lückenlosen AU-Folgebescheinigung abhängt. Die Gewährung war entsprechend dem Antrag des Klägers bis längstens 23.03.2015 zu begrenzen.
Der Klage war daher mit der Kostenfolge des § 193 SGG stattzugeben.