Medizinrecht

Krankenhausvergütung für die stationäre Behandlung ist von der Krankenkasse zu tragen

Aktenzeichen  L 5 KR 403/14

Datum:
16.1.2018
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2018, 5789
Gerichtsart:
LSG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Sozialgerichtsbarkeit
Normen:
KHG § 17 c Abs. 4 b S. 3
SGB V § 39 Abs. 1 S. 2, § 301 Abs. 1

 

Leitsatz

Die Krankenkassen sind nicht berechtigt, controllingorientierte schematische Krankenhausabrechnungsprüfungen durchzuführen. (Rn. 35 – 37)

Verfahrensgang

S 14 KR 448/13 2014-08-25 GeB SGREGENSBURG SG Regensburg

Tenor

I. Auf die Berufung der Klägerin wird der Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Regensburg vom 25.8.2014 aufgehoben und die Beklagte verurteilt, der Klägerin 1.731,04 EUR nebst Zinsen in Höhe von 4 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 11.12.2013 zu zahlen.
II. Die Beklagte trägt die Kosten des Rechtsstreits in beiden Rechtszügen.
III. Der Streitwert wird auf 1.731,04 € festgesetzt.
IV. Die Revision wird nicht zugelassen.

Gründe

Die form- und fristgerecht eingelegte Berufung der Klägerin gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Regensburg vom 25.8.2014 ist zulässig (§§ 143, 151 SGG). Über die Berufung entscheidet der Senat nach ausdrücklicher Zustimmung der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung.
Die Berufung ist auch begründet. Denn nach den hier vorliegenden Besonderheiten musste die Behandlung des G.K. stationär durchgeführt werden. Dazu hatte die Beklagte die erforderlichen Angaben erhalten. Die Klägerin hat daher Anspruch auf Vergütung iHv 3.105,46 €. Die Verrechnung iHv 1.731,04 € ist zu Unrecht erfolgt.
1. Wie zwischen den Beteiligten nicht mehr strittig, war ein Schiedsverfahren gem. § 17 c Abs. 4 b Satz 3 KHG – in der hier noch anzuwendenden Fassung – nicht vor Klageerhebung durchzuführen. Denn die tatbestandliche Voraussetzung einer Prüfung durch den von der Beklagten beauftragten MDK – bzw. im Falle der Beklagten durch deren Sozialmedizinischen Dienst (SMD) gem. § 283 SGB V – im Sinne des § 275 Abs. 1 c SGB V ist vorliegend nicht feststellbar. Im Übrigen ist die Regelung mittlerweile aufgehoben, eine entsprechende Einrichtung ist in Bayern nicht ins Leben gerufen worden. Leistungsklagen auf Krankenhausvergütung bis zu 2.000 € nach Auffälligkeitsprüfung setzen grundsätzlich erst ab 1.9.2014, bei Vertrauensschutz erst ab 1.9.2015 einen Schlichtungsfehlschlag voraus (BSG, 23.6.2015 – B 1 KR 26/14 R in Aufgabe von BSG 8.10.2014 – B 3 KR 7/14 R).
2. Rechtsgrundlage des strittigen restlichen Vergütungsanspruchs ist § 109 Abs. 4 S. 3 SGB V iVm den weiteren gesetzlichen und untergesetzlichen Normen zur Vergütungshöhe (st. Rspr., vgl. BSG, 19. 2.2017 – B 1 KR 18/17 R, Rn. 12). Das setzt voraus, dass die Behandlung iSd § 39 Abs. 1 S. 2 SGB V erforderlich und wirtschaftlich war. Dies ist vorliegend für die stationäre Behandlung des G.K. vom 18. bis 22.8.2009 der Fall. Dazu ist in Auswertung und Würdigung der medizinischen Dokumentation und des Vorbringens der Beteiligten das Folgende festzustellen:
a) G.K. war zum Zeitpunkt der Behandlung bereits im vorgerückten Alter von 66 Jahren gestanden.
b) Er litt seit Jahren an mehreren Erkrankungen, nämlich an
* Diabestes Mellitus (nicht entgleist),
* Bluthochdruck (ohne hypertensive Krise),
* einer atherosklerotischen Herzkrankheit,
* den Folgen eines länger zurückliegenden Myokardinfarkts,
* einer Blasenhalsobstruktion, sowie
* einer posttraumatischen sowie nach medizinischen Maßnahmen bestehenden narbigen Verengung der Harnröhre.
Die atherosklerotische Herzkrankheit in Gestalt einer Drei-Gefäßerkrankung hatte eine stationäre Behandlung in der A.-Klinik K. rund einen Monat vor der hier strittigen Behandlung erforderlich gemacht.
c) Zu diesen nicht unerheblichen Erkrankungen war eine bösartige Neubildung der Prostata des G.K. hinzugetreten.
d) Um diese bösartige Neubildung zu behandeln bedurfte es eines operativen Eingriffes. Dieser musste in Berücksichtigung der nicht unerheblichen narbigen Harnröhrenverengungen durchgeführt werden. Dazu bedurfte es eines Schnittes durch die vernarbte Harnröhre (interne Urethotomie), um sodann transurethral das von der bösartigen Neubildung befallene Prostatagewebe einer Exzision und Destruktion zuzuführen. Dazu bildeten die bestehenden Komorbiditäten ein eigens zu bewertendes Operationsrisiko.
e) Der Eingriff sowie die postoperative Beobachtung und Heilung hatte die dargestellten Komorbiditäten zu beachten, namentlich den Diabetes, die Atheriosklerose sowie den Bluthochdruck, und die dadurch erforderliche bzw. eventuell durch den Eingriff einschließlich der Maßnahmen der Anästhesie hervorgerufene medikamentöse Behandlung sicherzustellen.
Diese Tatsachen stellen den Unterschied des Behandlungsfalles des G.K. zum Regelfall der Behandlung bösartiger Neubildungen der Prostata dar, welcher als minimalinvasiver, durch die Harnröhre mit Hilfe eines Resektoskopes durchgeführter Eingriff in der Routine ambulant durchgeführt werden kann.
Zur Verweildauer ist in Anbetracht der dargestellten Besonderheiten des Falles des G.K. festzustellen, dass Anhaltspunkte für einen unangemessen langen stationären Aufenthalt nicht bestehen.
3. Die von der Klägerin angewandten DRG-Grundsätze und Kodierungen sind zutreffend erfolgt.
Weiter ist festzustellen, dass die Klägerin der Beklagten mit der Rechnungsstellung am 1.9.2009 alle nach § 301 Abs. 1 SGB V erforderlichen Angaben übersandt hatte, welche auch die Erforderlichkeit und Wirtschaftlichkeit der stationären Behandlung belegen. Wie die Rechnung, die KH-Abrechnungsdaten sowie der erstellte Grouper-Fallbogen beweisen hatte die Beklagte tatsächlich zur Information und zur Verfügung die oben angeführten Angaben zum Alter des G.K., zu dessen Vorerkrankungen und Komorbiditäten einschließlich der zeitnahen stationären Behandlung der Herzerkrankung, zu den Prozeduren und Verschlüsselungen erhalten.
Die Beklagte hatte damit das Erforderliche in ihren Händen, um zu erkennen, was den Behandlungsfall des G.K. vom Regelfall der minimalinvasiven Neubildungsentfernung an der Prostata unterscheidet sowie was die stationäre Behandlung über mehrere Tage erforderlich gemacht hatte. Die Notwendigkeit der Krankenhausbehandlung sowie die weiteren Abrechnungsvoraussetzungen haben sich damit selbst medizinisch nicht besonders ausgebildeten Mitarbeitern einer Krankenkasse erschlossen. Das wird auch dadurch belegt, dass die Beklagte in der Folge den geforderten Betrag von 3.105,46 € zunächst anstandslos beglichen und den Fall erst vier Jahre später aufgegriffen hat.
Die Beklagte war damit nicht berechtigt, weitere Angaben anzufordern. Insbesondere die spätere Anforderung des Entlassungsberichts, des OP-Berichts mit histologischem Befund, eines medizinischen Kurzbericht, eines Kurvenplans/Fieberkurve sowie der Arztverlaufsdokumentation war weder veranlasst noch war in Bezug auf Erforderlichkeit und Wirtschaftlichkeit der Behandlung daraus ein wesentlich neuer Erkenntnisgewinn zu ziehen.
4. Die fehlende Erforderlichkeit der erst nach vier Jahren Ende 2013 angeforderten Informationen und Unterlagen ergibt sich darüber hinaus auch aus dem schematischen Vorgehen der Beklagten.
Ebenso wie in den Fällen, welche den Verfahren Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen mit Urteil vom 28.6.2017 – L 4 KR 40/16, SG Mainz (S 3 KR 645/13), SG Osnabrück (S 13 KR 1905/13) und des Senates (L 5 KR 559/15) zu Grunde liegen, hatte die Beklagte am 14.10.2013 durch ihr Krankenhaus-Leistungszentrum Abrechnungseinwendungen geltend gemacht. Gegenüber der Klägerin hat sie dabei 28 Abrechnungs- und Behandlungsfälle aus der Vergangenheit aufgegriffen. Die Beklagte hat sich dabei eines Mustertextes bedient. In der Folgezeit hat sie die Sache mit der zuvörderst stehenden Aufführung eines Einsparpotentials von 1.800 € behandelt. Dies belegt ein schematisches Vorgehen der Beklagten, welches unbeachtet gelassen hat, was an Informationen und Angaben im konkreten Behandlungsfalle des G.K. vorhanden ist. Die Beklagte hatte damit das nicht ausreichend beachtet, was zur Begründung der Behandlung des 66-jährigen G.K. und dessen Prostatakrebs an vier stationären Tagen erforderlich war. Sie hat vielmehr durch einen schematischen Controllingprozess ein Einsparpotential erblickt und ohne Prüfung dessen, was im Falle des G.K. relevant ist, schematisch weiterverfolgt.
Zusammenfassend war die Beklagte verpflichtet, der Klägerin als Vergütung 3.105,46 € zu zahlen. Die Beklagte hat diese Zahlungspflicht verletzt, als sie eine Verrechnung/Aufrechnung iHv 1.731,04 € vorgenommen hat.
5. Ohne dass es entscheidungserheblich wäre, ist das Folgende festzuhalten:
Nach den von der Rechtsprechung entwickelten Grundsätzen der Krankenhaus-Abrechnungsprüfung (vgl. BSG, B 3 KR 28/12 – R 21.3.2013) ist diese in einem dreistufigen Verfahren durchzuführen. Hierauf hat sich auch die Beklagte selbst mit ihrem Schreiben vom 8.11.2013 berufen. Dieses ist geprägt von einem besonderen Prüfregime, welches die gegenseitigen Belange einschließlich des Datenschutzes berücksichtigt. Dies gilt auch für die sachlich-rechnerische Prüfung (vgl. BSG 28.3.2017 – B 1 KR 3/16 R). Neben diesen anlassbezogenen Prüfwegen ist die eigens in § 17c KHG normierte anlasslose Prüfung von Krankenhausleistungen und -abrechnungen möglich.
Keinen dieser Prüfwege hat die Beklagte im Behandlungsfalle des G.K beschritten. Wie sich aus den o.g. sozialgerichtlichen Streitigkeiten in mehreren Bundesländern zum identischen Vorgehen ergibt, hat die Beklagte vielmehr bundesweit eine Nachschau durchgeführt und mit Massenschreiben vom 14.10.2013 Abrechnungsrügen versandt. Mit gleich lautenden Texten hat die Beklagte schematisch unter Fristsetzung mit Kürzungsandrohung weitere Angaben eingefordert. Auch das Anfordern mit Telefax vom 4.12.2013 des Entlassungsberichts, des OP-Berichts, des medizinischen Kurzberichts, eines Kurvenplans/Fieberkurve und der Artzverlaufsdokumentation enthält kein spezifisches Aufklärungsbegehren.
Die Beklagte hat damit eine Prüfung durchgeführt, die weder von den gesetzlichen Regelungen noch von den in der Rechtsprechung entwickelten Möglichkeiten umfasst ist. Sie hat vielmehr den Weg einer bundesweiten controllingorientierten, schematischen Systemprüfung beschritten. Dieses Vorgehen aber berechtigt nicht zur schematischen Anforderung von nicht entscheidungsrelevanten Unterlagen und in der Folge auch nicht zur Verweigerung der geschuldeten Vergütung für eine Behandlung, die ein Krankenhaus den Versicherten der Beklagten erbracht hat.
Auf die Berufung der Klägerin war daher die erstinstanzliche Entscheidung aufzuheben und die Beklagte antragsgemäß zur Zahlung zu verurteilen.
Der Zinsanspruch wegen Verzugs beruht auf der gültigen Pflegesatzvereinbarung 2009 und beginnt mit dem Tag der Verrechnung/Aufrechnung iHv 1.731,04 €.
Der Streitwert entspricht der strittigen Forderung sowie der erstinstanzlichen Festsetzung, § 197a SGG iVm §§ 52, 47 GKG.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 197a SGG iVm § 154 Abs. 1 VwGO.
Gründe, die Revision zuzulassen bestehen nicht, § 160 SGG. Insbesondere hat die Sache keine grundsätzliche Bedeutung, weil die Entscheidung auf der Anwendung der von der Rechtsprechung entwickelten Grundsätze beruht und kein die Entscheidung tragender Rechtssatz aufgestellt wird, § 160 Abs. 2 Nr. 1 SGG (vgl. auch BSG, Beschluss vom 25.4.2006 – B 1 KR 97/05 B).

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