Medizinrecht

Krankenversicherung: Bestehenbleiben eines Anspruchs auf Krankengeld

Aktenzeichen  L 4 KR 537/18

Datum:
14.5.2019
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2019, 29187
Gerichtsart:
LSG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Sozialgerichtsbarkeit
Normen:
SGB V § 44 Abs. 1 S.1, § 46 S. 1 Nr. 2, § 46 S. 2, § 192 Abs. 1 Nr. 2

 

Leitsatz

1. Gemäß § 46 S. 2 SGB V  in der ab 23.07.2015 geltenden Fassung bleibt ein Anspruch auf Krankengeld bestehen, wenn nach dem Ende der ärztlich festgestellten Arbeitsunfähigkeit deren Fortdauer wegen derselben Krankheit erst am nächsten Arbeitstag, der ein Werktag ist, festgestellt wird. (Rn. 29)
2. Bei der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung muss es sich hierbei um eine Folgebescheinigung handeln, mit der eine Fortdauer der Arbeitsunfähigkeit wegen derselben Krankheit festgestellt wird. Eine Erstbescheinigung, mit der Arbeitsunfähigkeit wegen einer anderen Krankheit bescheinigt wird, reicht hingegen nicht aus. (Rn. 30)

Verfahrensgang

S 6 KR 401/17 2018-10-12 Urt SGLANDSHUT SG Landshut

Tenor

I. Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts Landshut vom 12. Oktober 2018 aufgehoben und die Klage abgewiesen.
II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.

Gründe

Die Berufung ist zulässig, insbesondere form- und fristgerecht erhoben (§ 151 Sozialgerichtsgesetz – SGG). Die Berufung ist auch begründet. Die Bescheide vom 30.05.2017 und vom 04.08.2017 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 06.12.2017 sind rechtmäßig. Dem Kläger steht ein Anspruch auf Krankengeld für den Zeitraum vom 06.06.2017 bis 13.08.2017 nicht zu. Sein Anspruch auf Krankengeld endete am 05.06.2017.
Nach § 44 Abs. 1 S.1 SGB V haben Versicherte u.a. dann Anspruch auf Krankengeld, wenn sie mit einem Anspruch auf Krankengeld versichert und wenn sie arbeitsunfähig sind. Ob und in welchem Umfang Versicherte Krankengeld beanspruchen können, bestimmt sich nach dem Versicherungsverhältnis, das im Zeitpunkt des jeweils in Betracht kommenden Entstehungstatbestands für Krankengeld vorliegt.
Nach § 46 S.1 SGB V entsteht der Anspruch auf Krankengeld 1. bei Krankenhausbehandlung oder Behandlung in einer Vorsorge- oder Rehabilitationseinrichtung von ihrem Beginn an, 2. im Übrigen von dem Tag der ärztlichen Feststellung der Arbeitsunfähigkeit an. Der Anspruch auf Krankengeld bleibt nach Satz 2 jeweils bis zu dem Tag bestehen, an dem die weitere Arbeitsunfähigkeit wegen derselben Krankheit ärztlich festgestellt wird, wenn diese ärztliche Feststellung spätestens am nächsten Werktag nach dem zuletzt bescheinigten Ende der Arbeitsunfähigkeit erfolgt; Samstage gelten insofern nicht als Werktage.
Der Kläger war bis zum 05.09.2016 aufgrund des Bezugs von Arbeitslosengeld I bei der Beklagten gesetzlich versichert. Da ein neues Versicherungsverhältnis mit Anspruch auf Krankengeld nicht entstanden ist, konnte der weitere Krankengeldanspruch nur aus dem Fortbestehen der Mitgliedschaft wegen eines Anspruches auf Krankengeld begründet werden, § 192 Abs. 1 Nr.2 SGB V. Nach § 192 Abs. 1 Nr.2 SGB V bleibt der Versicherungsschutz erhalten, solange ein Anspruch auf Krankengeld besteht. Der Anspruch auf Krankengeld setzt neben dem Bestehen von Arbeitsunfähigkeit eine ärztliche Feststellung voraus. Nach der ständigen Rechtsprechung des BSG erfolgt die Bewilligung von Krankengeld entsprechend den ärztlichen Feststellungen regelmäßig abschnittsweise. Veranlasst der Versicherte keine weitere Feststellung der Arbeitsunfähigkeit, endet der Anspruch auf Krankengeld mit Ablauf der zuletzt bescheinigten Arbeitsunfähigkeitszeit, ohne dass es eines Entziehungsbescheides nach § 48 SGB X bedarf (vgl. BSG, Urteil vom 16.12.2014, B 1 KR 37/14 R). Entsteht eine Lücke in den Feststellungen von Arbeitsunfähigkeit, führt dies zu einer Beendigung des Krankengeldanspruches und damit bei einer Mitgliedschaft, die nach § 192 Abs. 1 Nr.2 SGB V nur noch über einen Anspruch auf Krankengeld aufrechterhalten wird, auch zu einer Beendigung der Mitgliedschaft selbst. Eine spätere Feststellung von Arbeitsunfähigkeit kann den Krankengeldanspruch dann nicht mehr wieder aufleben lassen.
Die Mitgliedschaft des Klägers bestand nicht über den 05.06.2017 hinaus fort. Vielmehr stellte der behandelnde Orthopäde Dr. H. eine letzte Folgearbeitsbescheinigung aufgrund der Diagnosen „sonstige näher bezeichnete Gelenkschädigungen – freier Gelenkkörper rechts“ und „Nachbehandlung nach chirurgischem Eingriff, nicht näher bezeichnet“ am 12.05.2017 aus und bescheinigte Arbeitsunfähigkeit bis zum 05.06.2017. Der MDK führte nach telefonischer Rücksprache mit Dr. H. aus, dieser habe Arbeitsunfähigkeit bis 05.06.2017 abschließend bescheinigt, ab dem 06.06.2017 könne der Kläger sich für leichte Tätigkeiten auf dem Arbeitsmarkt zur Verfügung stellen. Damit endete mit Ablauf des 05.06.2017 der Anspruch des Klägers auf Krankengeld und damit auch die Mitgliedschaft des Klägers bei der Beklagten. Auf den Nachweis des Zeitpunktes des Zugangs des Bescheides vom 30.05.2017 kommt es insofern nicht an.
Die Erstbescheinigung des Internisten Dr. N., der am 06.06.2017 Arbeitsunfähigkeit wegen Spannungskopfschmerzen bescheinigte, sowie die weitere Erstbescheinigung des MVZ S. vom 09.06.2017, mit der Arbeitsunfähigkeit wegen der Diagnosen „Adhäsive Entzündung der Schultergelenkkapsel“, „Arthrose, nicht näher bezeichnet“, „Gelenkerguss“, „Bursitis im Schulterbereich“ und „Läsionen der Rotatorenmanschette“ bis 23.06.2017 bescheinigt wurde, können keinen neuen Krankengeldanspruch begründen.
Nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts zur Vorgängerfassung von § 46 SGB V, nach der der Anspruch auf Krankengeld von dem Tag an entstand, der auf den Tag der ärztlichen Feststellung der Arbeitsunfähigkeit folgt, mussten Versicherte am letzten Tag des Versicherungsverhältnisses mit Anspruch auf Krankengeld alle Voraussetzungen erfüllen, um spätestens mit Beendigung des Ablaufs dieses Tages einen Krankengeldanspruch entstehen zu lassen (vgl. BSG, Urteil vom 10.05.2012, B 1 KR 19/11 R).
Mit der Änderung des § 46 S.2 SGB V durch das Gesetz zur Stärkung der Versorgung in der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV-Versorgungsstärkungsgesetz – GKV-VSG) vom 16.07.2015 mit Wirkung zum 23.07.2015 wurde geregelt, dass der Anspruch auf Krankengeld bestehen bleibt, wenn nach dem Ende der ärztlich festgestellten Arbeitsunfähigkeit deren Fortdauer wegen derselben Krankheit erst am nächsten Arbeitstag, der ein Werktag ist, ärztlich festgestellt wird. Nach der Gesetzesbegründung werden damit die Probleme gelöst, die sich in der Praxis bei der verspäteten Ausstellung von Arbeitsunfähigkeits-Folgebescheinigungen zeigten. Versicherte sollten den Anspruch auf Krankengeld behalten, soweit die Arbeitsunfähigkeits-Folgebescheinigung am nächsten Arbeitstag, der ein Werktag ist, ausgestellt werde; damit werde der nahtlose Leistungsbezug sichergestellt und für die Versicherten bleibe darüber hinaus ihre Mitgliedschaft als Versicherungspflichtige aufgrund des Krankengeldbezugs nach § 192 Absatz 1 Nr.2 SGB V erhalten (vgl. BT-Drs.18/4095, S.80 f).
Ein solcher Fall ist aber vorliegend gerade nicht gegeben. Zwar wurde die am 06.06.2017 ausgestellte Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung am nächsten Tag, der ein Werktag war, ausgestellt. Es handelt sich aber gerade nicht um eine Folgebescheinigung, mit der eine Fortdauer der Arbeitsunfähigkeit wegen derselben Krankheit festgestellt worden ist. Vielmehr handelt es sich um eine Erstbescheinigung, mit der Arbeitsunfähigkeit aufgrund einer anderen Krankheit – nämlich Spannungskopfschmerz – bescheinigt wird. Die bis zum 05.06.2017 festgestellte Arbeitsunfähigkeit wegen „sonstiger näher bezeichneter Gelenkschädigungen – freier Gelenkkörper rechts“ und „Nachbehandlung nach chirurgischem Eingriff, nicht näher bezeichnet“ war beendet. Der behandelnde Orthopäde hatte keine weiteren Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen wegen dieser Diagnose ausgestellt und gegenüber dem MDK mitgeteilt, die Arbeitsunfähigkeit sei beendet. Eine Arbeitsunfähigkeit wegen anderer Erkrankungen hatte er nicht bescheinigt. Die neue Krankheit „Spannungskopfschmerz“ ist nicht zu der zuletzt als Arbeitsunfähigkeitsursache festgestellten Diagnose hinzugetreten, so dass der vom SG zitierte Anwendungsfall aus der Gesetzesbegründung (BT-Drs. 18/5123) nicht einschlägig ist.
Entgegen der Ausführungen des SG handelt es sich auch bei der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung vom 09.06.2017, mit der Arbeitsunfähigkeit wegen der Diagnosen „Adhäsive Entzündung der Schultergelenkkapsel“, „Arthrose, nicht näher bezeichnet“, „Gelenkerguss“, „Bursitis im Schulterbereich“ und „Läsionen der Rotatorenmanschette“ bis 23.06.2017 bescheinigt wurde, nicht um eine Folgebescheinigung zu der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung vom 12.05.2017. Diese Bescheinigung wurde schon nicht am nächsten Tag, der ein Werktag war, ausgestellt. Im Übrigen handelt es sich – wie auch auf der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung vermerkt – um eine Erstbescheinigung mit einer neuen Diagnose. Weder hatte der den Kläger bis zum 05.06.2017 behandelnde Orthopäde eine Arbeitsunfähigkeit wegen entsprechender Beschwerden der Schulter ausgestellt, noch lässt sich aus der anamnestischen Angabe in dem Arztbrief des MVZ vom 09.06.2017, nach der sich der Kläger wegen seit längerer Zeit bestehender Beschwerden in der Schulter und seit einigen Wochen deutlicher Beschwerdezunahme und Bewegungseinschränkung vorgestellt hat, schließen, dass eine Arbeitsunfähigkeit wegen der Schulterbeschwerden schon vor dem 09.06.2017 bestanden hätte. Auch die Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung vom 06.06.2017 erfolgte nicht aufgrund von Schulterbeschwerden.
Ein Anspruch auf Krankengeld über den 05.06.2017 hinaus konnte sich auch nicht aus der Anwendung des sozialrechtlichen Herstellungsanspruchs in Bezug auf den Zeitpunkt des Hinweises an den Kläger, sich bei der Agentur für Arbeit zu melden, ergeben. Schon von der Rechtsfolge ergäbe sich jedenfalls kein Anspruch auf die Gewährung von Krankengeld durch die Beklagte.
Der Anspruch des Klägers auf Krankengeld endete daher am 05.06.2017. Damit endete auch der Versicherungsschutz des Klägers, die neue Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung vom 06.06.2017 konnte keinen Krankengeldanspruch mehr begründen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Gründe für die Zulassung der Revision gemäß § 160 Abs. 2 Nr. 1 und 2 SGG liegen nicht vor.

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