Aktenzeichen L 20 KR 639/17
Leitsatz
1. Auf die Unfähigkeit der Krankenkasse, eine unaufschiebbare Leistung rechtzeitig zu erbringen, kann ein Kostenerstattungsanspruch nur gestützt werden, wenn es dem Versicherten nicht möglich oder nicht zuzumuten war, sich vor der Leistungsbeschaffung mit der Kasse in Verbindung zu setzen. (Rn. 40) (redaktioneller Leitsatz)
2. Am Ursachenzusammenhang zwischen Leistungsablehnung und Selbstbeschaffung fehlt es, wenn die Krankenkasse vor Inanspruchnahme der Behandlung mit dem Leistungsbegehren gar nicht befasst wurde, obwohl dies möglich gewesen wäre, oder wenn der Versicherte sich unabhängig davon, wie die Entscheidung der Krankenkasse ausfällt, von vornherein auf eine bestimmte Art der Krankenbehandlung durch einen bestimmten Leistungserbringer festgelegt hat und fest entschlossen ist, sich die Leistung selbst dann zu beschaffen, wenn die Krankenkasse den Antrag ablehnen sollte. (Rn. 41) (redaktioneller Leitsatz)
3. Der unter den Voraussetzungen des § 13 Abs. 3 S. 1 Alt. 1 und 2 SGB V in Betracht kommende Kostenerstattungsanspruch reicht nicht weiter als ein entsprechender Sachleistungsanspruch und setzt daher voraus, dass die selbstbeschaffte Behandlung zu den Leistungen gehört, welche die Krankenkassen allgemein in Natur als Sach- oder Dienstleistung zu erbringen haben (Rn. 43) (redaktioneller Leitsatz)
4. Der Anspruch eines Versicherten auf Krankenhausbehandlung unterliegt nach dem Gesetzeswortlaut und dem Regelungssystem wie jeder Anspruch auf Krankenbehandlung grundsätzlich den sich aus dem Qualitäts- und dem Wirtschaftlichkeitsgebot ergebenden Einschränkungen. Er umfasst in diesem Rahmen nur solche Leistungen, die zweckmäßig und wirtschaftlich sind und deren Qualität und Wirksamkeit dem allgemein anerkannten Stand der medizinischen Erkenntnisse entsprechen: (Rn. 45) (redaktioneller Leitsatz)
5. Der Nutzen, die medizinische Notwendigkeit und Wirtschaftlichkeit der beratenen Hyperthermieverfahren – ist auch im Vergleich zu bereits zu Lasten der Krankenkassen erbrachten Methoden – nach aktuellem Stand der wissenschaftlichen Erkenntnisse nicht valide belegt. (Rn. 49) (redaktioneller Leitsatz)
6. Auch unter grundrechtsorientierter Auslegung ist die Beklagte daher nicht verpflichtet, die Kosten für die durchgeführten extremen Ganzkörperhyperthermiebehandlungen zu erstatten, weil die Ganzkörperhyperthermie nach wie vor als rein experimenteller Therapieansatz zu betrachten ist. (Rn. 59) (redaktioneller Leitsatz)
Verfahrensgang
S 6 KR 25/16 2017-09-05 SGWUERZBURG SG Würzburg
Tenor
I. Die Berufung gegen das Urteil des Sozialgerichts Würzburg vom 05.09.2017 wird zurückgewiesen.
II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.
Gründe
Die form- und fristgerecht eingelegte Berufung (§§ 143, 144, 151 Sozialgerichtsgesetz – SGG) ist zulässig, aber unbegründet. Zu Recht hat das Sozialgericht Würzburg die Klage abgewiesen. Denn der Kläger hat gegen die Beklagte keinen Anspruch auf Erstattung der für extreme Ganzkörperhyperthermiebehandlungen verauslagten Kosten i.H.v. 13.110,33 €.
Die Voraussetzungen für einen Kostenerstattungsanspruch nach § 13 Abs. 3 Satz 1 SGB V sind nicht erfüllt. Nach dieser Vorschrift haben Versicherte Anspruch auf Erstattung von Kosten für eine notwendige, selbstbeschaffte Leistung, wenn die Krankenkasse eine unaufschiebbare Leistung nicht rechtzeitig erbringen konnte (Alt. 1) oder sie eine Leistung zu Unrecht abgelehnt hat (Alt. 2) und dem Versicherten dadurch für die selbstbeschaffte Leistung Kosten entstanden sind.
Eine Kostenerstattung aufgrund einer unaufschiebbaren Leistung (§ 13 Abs. 3 Satz 1 Alt. 1 SGB V) kommt nicht in Betracht. Denn auf die Unfähigkeit der Krankenkasse, eine unaufschiebbare Leistung rechtzeitig zu erbringen, kann ein Kostenerstattungsanspruch nur gestützt werden, wenn es dem Versicherten nicht möglich oder nicht zuzumuten war, sich vor der Leistungsbeschaffung mit der Kasse in Verbindung zu setzen (Bundessozialgericht – BSG -, Urteil vom 20.05.2003, B 1 KR 9/03 R). Der Kläger hatte jedoch Hyperthermiebehandlungen über Monate in der C. in Anspruch genommen, bevor er im August 2015 einen entsprechenden Antrag auf Kostenerstattung bei der Beklagten stellte (ausführlich zur Antragstellung siehe unten), ohne dass Aspekte ersichtlich wären, die eine frühere Antragstellung unmöglich oder unzumutbar gemacht hätten.
Der Anspruch nach § 13 Abs. 3 Satz 1 Alt. 2 SGB V besteht nur, wenn die Krankenkasse die Erfüllung eines Naturalleistungsanspruchs rechtswidrig abgelehnt und der Versicherte sich die Leistung selbst beschafft hat, wenn weiterhin ein Ursachenzusammenhang zwischen Leistungsablehnung und Selbstbeschaffung besteht, die selbst beschaffte Leistung notwendig ist und die Selbstbeschaffung eine rechtlich wirksame Kostenbelastung des Versicherten ausgelöst hat. Am Ursachenzusammenhang fehlt es, wenn die Krankenkasse vor Inanspruchnahme der Behandlung mit dem Leistungsbegehren gar nicht befasst wurde, obwohl dies möglich gewesen wäre. Daran fehlt es aber auch, wenn der Versicherte sich unabhängig davon, wie die Entscheidung der Krankenkasse ausfällt, von vornherein auf eine bestimmte Art der Krankenbehandlung durch einen bestimmten Leistungserbringer festgelegt hat und fest entschlossen ist, sich die Leistung selbst dann zu beschaffen, wenn die Krankenkasse den Antrag ablehnen sollte (BSG, Urteil vom 08.09.2015, B 1 KR 14/14 R).
Der Kläger hat von Januar 2015 bis zur Ablehnungsentscheidung am 01.09.2015 über Monate hinweg stationäre Ganzkörperhyperthermiebehandlungen in der C. in Anspruch genommen, ohne sich um eine Kostenübernahme der Beklagten dafür zu bemühen. Die Korrespondenz zwischen den Parteien in diesem Zeitraum bezog sich auf die zwischen ihnen damals streitige Frage der Fahrkostenerstattung für die Behandlungen in C-Stadt. Vor jeder Hyperthermiebehandlung unterschrieb der Kläger, dass er Kenntnis genommen hatte von der Patienteninformation bei wahlärztlichen Leistungen mit dem ausdrücklichen Hinweis, dass die Kosten für die Behandlung nicht durch die gesetzlichen Krankenkassen übernommen würden. Zur Überzeugung des Senats hatte sich deshalb der Kläger für die Hyperthermiebehandlungen unabhängig von einer Kostenzusage durch die Beklagte entschieden, sodass die letztendliche Ablehnung mit Bescheid vom 01.09.2015 nicht kausal für die angefallenen Kosten i.S.v. § 13 Abs. 3 Satz 1 Alt. 2 SGB V war – dies gilt jedenfalls für die ersten drei Behandlungszyklen bis Juni 2015, bei denen die Kausalität zwischen Leistungsablehnung und Selbstbeschaffung schon aufgrund der zeitlichen Ablaufs (Selbstbeschaffung vor Ablehnung) zu verneinen ist.
Unabhängig davon besteht ein Kostenerstattungsanspruch nach § 13 Abs. 3 Satz 1 SGB V auch deshalb nicht, weil die Voraussetzungen eines Sachleistungsanspruchs bzgl. der streitgegenständlichen extremen Ganzkörperhyperthermiebehandlungen nicht gegeben waren. Denn der unter den Voraussetzungen des § 13 Abs. 3 Satz 1 Alt. 1 und 2 SGB V in Betracht kommende Kostenerstattungsanspruch reicht nicht weiter als ein entsprechender Sachleistungsanspruch (§ 2 Abs. 2 SGB V) und setzt daher voraus, dass die selbstbeschaffte Behandlung zu den Leistungen gehört, welche die Krankenkassen allgemein in Natur als Sach- oder Dienstleistung zu erbringen haben (BSG, Urteil vom 08.09.2015, B 1 KR 14/14 R). Diese Voraussetzungen waren hinsichtlich der durchgeführten Ganzkörperhyperthermiebehandlungen nicht erfüllt.
Nach § 27 Abs. 1 Satz 1 SGB V haben Versicherte Anspruch auf Krankenbehandlung, wenn sie notwendig ist, um eine Krankheit zu erkennen, zu heilen, ihre Verschlimmerung zu verhüten oder Krankheitsbeschwerden zu lindern. Die Krankenbehandlung umfasst unter anderem die Krankenhausbehandlung (§ 27 Abs. 1 Satz 2 Nr. 5 SGB V) durch zugelassene Krankenhäuser (§§ 39 Abs. 1 Satz 2, 108 SGB V). Nur wenn die rechtswidrige Leistungsablehnung der Krankenkasse eine privatärztliche Selbstverschaffung des Versicherten erzwingt, ziehen die Bestimmungen für privatärztliche Leistungen und nicht diejenigen für das Naturalleistungssystem die Grenzen für die Verschaffung einer entsprechenden Leistung (zum Ganzen BSG 11.09.2012, B 1 KR 3/12 R). Krankenhausbehandlung ist i.S.v. § 39 SGB V grundsätzlich nur dann erforderlich, wenn die Behandlung dem allgemein anerkannten Stand der medizinischen Erkenntnisse entspricht und notwendig ist (ständ. Rspr., z.B. BSG, Urteil vom 17.12.2013, B 1 KR 70/12 R).
Im Bereich der ambulanten Versorgung gilt bzgl. neuer Behandlungsmethoden gemäß § 135 Abs. 1 Satz 1 SGB V i.V.m. § 92 Abs. 1 Satz 2 Nr. 5 SGB V ein Verbot mit Erlaubnisvorbehalt, wohingegen bei der stationären Versorgung gemäß § 137c SGB V eine grundsätzliche Erlaubnis mit Verbotsvorbehalt maßgeblich ist. Dessen ungeachtet unterliegt der Anspruch eines Versicherten auf Krankenhausbehandlung nach dem Gesetzeswortlaut und dem Regelungssystem wie jeder Anspruch auf Krankenbehandlung grundsätzlich den sich aus dem Qualitäts- und dem Wirtschaftlichkeitsgebot ergebenden Einschränkungen (vgl. § 2 Abs. 1 Satz 3 SGB V und § 12 Abs. 1 SGB V). Er umfasst in diesem Rahmen nur solche Leistungen, die zweckmäßig und wirtschaftlich sind und deren Qualität und Wirksamkeit dem allgemein anerkannten Stand der medizinischen Erkenntnisse entsprechen (BSG, Urteil vom 02.09.2014, B 1 KR 11/13). Ausnahmen vom Qualitätsgebot bestehen (nur) im Rahmen grundrechtsorientierter Leistungsauslegung und bei Seltenheitsfällen (vgl. BSG, Urteil vom 17.12.2013, B 1 KR 70/12 R).
Nach Wortlaut und Regelungssystem senkt auch die Norm des § 137c Abs. 3 SGB V nicht die Qualitätsanforderungen für den Anspruch auf stationäre Versorgung auf Methoden mit dem bloßen Potential einer Behandlungsalternative. Zweck der Ausrichtung der Leistungsansprüche der Versicherten am Qualitätsgebot ist es, im Interesse des Patientenschutzes und des effektiven Einsatzes der Mittel der Beitragszahler zu gewährleisten, dass eine nicht ausreichend erprobte Methode nicht zu Lasten der Krankenkassen erbracht werden darf (BSG, Urteil vom 24.04.2018, B 1 KR 10/17 R).
Zur Überzeugung des Senats lagen die Voraussetzungen für einen Sachleistungsanspruch auf die streitgegenständlichen extremen Ganzkörperhyperthermiebehandlungen auch deshalb nicht vor, weil diese Maßnahmen nicht den Anforderungen des Qualitätsgebots entsprachen.
Maßgebend ist insoweit der allgemein anerkannte Stand der medizinischen Erkenntnisse zur Zeit der Behandlung. Das Qualitätsgebot fordert dabei, dass die große Mehrheit der einschlägigen Fachleute die Behandlungsmethode befürwortet und, von einzelnen, nicht ins Gewicht fallende Gegenstimmen abgesehen, über die Zweckmäßigkeit der Therapie Konsens besteht. Dies setzt im Regelfall voraus, dass über Qualität und Wirksamkeit der neuen Methode – die in ihrer Gesamtheit und nicht nur in Bezug auf Teilaspekte zu würdigen ist – zuverlässige, wissenschaftlich nachprüfbare Aussagen gemacht werden können. Der Erfolg muss sich aus wissenschaftlich einwandfrei durchgeführten Studien über die Zahl der behandelten Fälle und die Wirksamkeit der Methode ablesen lassen. Die Therapie muss in einer für die sichere Beurteilung ausreichenden Zahl von Behandlungsfällen erfolgreich gewesen sein (ständ. Rspr., z.B. BSG, Urteil vom 24.04.2018, B 1 KR 13/16 R). Dabei begegnet es keinen durchgreifenden Bedenken, Beurteilungen des GBA aus dem Bereich der vertragsärztlichen Versorgung im Rahmen des § 135 Abs. 1 SGB V auch für die Bewertung von Untersuchungs- und Behandlungsmethoden im Bereich der stationären Behandlung heranzuziehen, wenn diese Beurteilungen gebietsübergreifende Aussagen beinhalten. Sie sind mithin zu berücksichtigen, wenn sie sachliche Geltung nicht nur für die Behandlung in ambulanter, sondern auch in stationärer Form beanspruchen, etwa weil das aufbereitete wissenschaftliche Material generelle Bewertungen enthält (BSG, Urteil vom 28.07.2008, B 1 KR 5/08 R).
Solche Beurteilungen des GBA liegen hier vor in Form des Beschlusses des Gemeinsamen Bundesausschusses über eine Änderung der Anlage B „Nichtanerkannte Untersuchungs- und Behandlungsmethoden“ der Richtlinie zur Bewertung medizinischer Untersuchungs- und Behandlungsmethoden (BUB-Richtlinie) vom 18.01.2005 bzw. der entsprechenden Beschlussbegründung. Damals wurde in der Anlage B der BUB-Richtlinie „Nichtanerkannte Untersuchungsund Behandlungsmethoden“ folgende Nummer angefügt: „42. Hyperthermie (u.a. Ganzkörperhyperthermie, Regionale Tiefenhyperthermie, Oberflächenhyperthermie, Hyperthermie in Kombination mit Radiatio und/oder Chemotherapie)“. Der GBA hatte die lokale und Ganzkörperhyperthermie einer wissenschaftlichen Methodenbewertung unterzogen und sie von der vertragsärztlichen Leistung ausgeschlossen. Aus der Beschlussbegründung ergibt sich, dass der Nutzen, die medizinische Notwendigkeit und Wirtschaftlichkeit der beratenen Hyperthermieverfahren – auch im Vergleich zu bereits zu Lasten der Krankenkassen erbrachten Methoden – nach aktuellem Stand der wissenschaftlichen Erkenntnisse nicht valide belegt seien. Die Vielzahl der technischen Varianten der Hyperthermie sei, wie bei anderen medizinischen Entwicklungen, Ausdruck dafür, dass sich die Technologie noch im Stadium der Forschung und Entwicklung befinde. Hierfür spreche auch, dass bisher in den einschlägigen Fachdisziplinen noch kein medizinisch-wissenschaftlicher Konsens hinsichtlich der Bewertung der Therapieergebnisse und der notwendigen Standardisierung (z.B. Temperatur, Einwirkdauer, Thermometrie, begleitende Therapieprotokolle) habe erreicht werden können. Der GBA gelangte zu der Auffassung, dass die Hyperthermiebehandlung als experimentelle Therapie auf die Durchführung kontrollierter Studien begrenzt bleiben müsse.
In der Richtlinie des Gemeinsamen Bundesausschusses zu Untersuchungs- und Behandlungsmethoden der vertragsärztlichen Versorgung (Richtlinie Methoden vertragsärztliche Versorgung), der Nachfolge-Richtlinie der BUB-Richtlinie, ist die Hyperthermiebehandlung der Prostata explizit genannt als Ziffer 14 der Anlage II „Methoden, die nicht als vertragsärztliche Leistungen zu Lasten der Krankenkassen erbracht werden dürfen“.
Bzgl. des Stands der wissenschaftlichen Forschung zur Hyperthermie wird auf das Grundsatzgutachten des MDK vom 28.11.2013 verwiesen. Tatsächlich wurden die Erwartungen bzgl. der Therapieeffekte von Ganzkörperhyperthermie, wie sie anfangs der 2000er Jahre bestanden hatten, nicht erfüllt, die klinischen Ergebnisse der Ganzkörperhyperthermie konnten nicht überzeugen, sie ist weiter als rein experimentelles Verfahren anzusehen (vgl. z.B. http://www.klinikum.uni-muenchen.de/Medizinische-Klinik-und-Poliklinik-III/de/klinik/hyperthermie-start/1_was-ist-hyperthermie/hyperthermiemethoden/ ganzkoerperhyperthermie/index.html, abgerufen am 01.11.2018: „Grundsätzlich wird diese Methode bei Patienten mit Leber- bzw. Lungenmetastasen als ein experimenteller, palliativer Therapieansatz betrieben. Die WBH [Anm.: Whole-Body-Hyperthermia, Ganzkörperhyperthermie] wird aufgrund hoher Komplikationsraten selten durchgeführt.“)
Dementsprechend heißt es in der Interdisziplinären S3-Leitlinie zur Früherkennung, Diagnose und Therapie der verschiedenen Stadien des Prostatakarzinoms (Version 5.0 – April 2018):
Unter dem Begriff der Hyperthermie versteht man die Erhitzung eines Organs oder Körperteils auf über 42° C. Diese Erwärmung führt zu einer Wirkungsverstärkung einer zuvor oder anschließend verabreichten Strahlentherapie. In der Anwendung beim Prostatakarzinom kommt dieser Behandlungsform, die bislang lediglich bei lokal fortgeschrittenem Tumorstadium zum Einsatz gekommen ist, ausschließlich experimenteller Charakter zu. In den vorliegenden wenigen Phase-II-Studien, die nur Einzelfallbeschreibungen, meist in Kombination mit einer externen Bestrahlung darstellen, werden zumeist nur die Nebenwirkungen beschrieben [534-536]. Bislang gibt es keine relevanten Aussagen zum klinischen Behandlungsergebnis. Um die Effektivität, die Sicherheit des Verfahrens sowie das klinische Ergebnis dieser minimal-invasiven Behandlungsmethode sicher beurteilen zu können, müssen zunächst kontrollierte, ggf. randomisierte Studien durchgeführt werden.
Die beim Kläger angewandte extreme Ganzkörperhyperthermie erfüllt damit nicht die Anforderungen des Qualitätsgebots des § 2 Abs. 1 Satz 3 SGB V.
Der Kläger kann seinen Anspruch auch nicht auf die Verfassung unmittelbar oder den in Umsetzung der Rechtsprechung des BVerfG (Beschluss vom 06.12.2005, 1 BvR 347/98) zur Leistungspflicht der gesetzlichen Krankenversicherung für neue Behandlungsmethoden in Fällen einer lebensbedrohlichen oder regelmäßig tödlichen Erkrankung eingeführten § 2 Abs. 1a SGB V stützen. Eine solche verfassungskonforme Auslegung der Leistungspflichten der Gesetzlichen Krankenversicherung setzt nach § 2 Abs. 1a SGB V voraus, dass drei Voraussetzungen kumulativ erfüllt sind:
– Es liegt eine lebensbedrohliche oder regelmäßig tödlich verlaufende oder zumindest wertungsmäßig damit vergleichbare Erkrankung vor,
– bezüglich dieser Krankheit steht eine allgemein anerkannte, medizinischem Standard entsprechende Behandlung nicht zur Verfügung und
– es besteht eine „auf Indizien gestützte“, nicht ganz fernliegende Aussicht auf Heilung oder wenigstens auf eine spürbare positive Entwicklung auf den Krankheitsverlauf.
Unstreitig ist der Kläger an einem lebensbedrohlichen Prostatakarzinom erkrankt.
Die Frage, ob eine alternative Behandlungsmethode von der gesetzlichen Krankenversicherung zu finanzieren ist, darf nicht losgelöst davon betrachtet werden, was die anerkannte, medizinischem Standard entsprechende Behandlung zu leisten vermag und was die alternative Behandlung zu leisten vorgibt. Zur Klärung der Frage, ob eine Behandlung mit Mitteln der Schulmedizin in Betracht kommt und inwieweit Behandlungsalternativen zur Verfügung stehen, ist zunächst das konkrete Behandlungsziel zu klären. Bietet die Schulmedizin nur palliative Behandlungsmöglichkeiten an, weil sie jede Möglichkeit einer kurativen Behandlung als aussichtslos betrachtet, kommt ein Anspruch auf eine alternative Behandlungsmethode allerdings nur dann in Betracht, wenn eine auf Indizien gestützte Aussicht auf einen über die palliative Standardtherapie hinausreichenden Erfolg besteht (BVerfG, Beschluss vom 26.02.2013, 1 BvR 2045/12).
Allgemein anerkannte, dem medizinischen Standard entsprechende Leistungen stehen nicht zur Verfügung, wenn solche, bezogen auf das jeweilige konkrete Behandlungsziel i.S.v. § 27 Abs. 1 Satz 1 SGB V, im medizinischen Leistungsspektrum (allgemein) nicht vorhanden sind oder diese für den konkreten Behandlungsfall wegen erheblicher gesundheitlicher Risiken, vor allem schwerwiegender Nebenwirkungen, nicht nutzbar sind; relevant für die Beurteilung ist der Zeitpunkt der Behandlung (Hauck/Noftz, SGB V Stand 07/18, § 2 Rn. 76f). Wie sich aus der Äußerung des MDK vom 11.11.2015 und ebenso von Dr. G. vom 18.05.2018 ergibt, standen dem Kläger in seinem Erkrankungsstadium, das nur noch einer palliativen Therapie zugänglich war bzw. ist, noch verschiedene leitliniengerechte Standardtherapieoptionen zur Verfügung.
Zudem besteht keine auf „auf Indizien gestützte“, nicht ganz fernliegende Aussicht auf Heilung oder wenigstens auf eine spürbare positive Einwirkung auf den Krankheitsverlauf. Dass es dem Kläger während der Zeit der Hyperthermiebehandlung und darüber hinaus erfreulich gut ging, reicht hierfür nicht aus. Vielmehr ist die Ganzkörperhyperthermie nach wie vor als rein experimenteller Therapieansatz zu betrachten (siehe bereits oben zum Qualitätsgebot). Eine experimentelle Krankenbehandlung, die nicht durch hinreichende Indizien gestützt wird, ist jedoch auch in notstandähnlichen Situationen nicht im Rahmen der gesetzlichen Krankenversicherung zu erbringen (BVerfG, Beschluss vom 26.02.2013, 1 BvR 2045/12; BSG, Urteil vom 07.05.2013, B 1 KR 26/12 R). Auch unter grundrechtsorientierter Auslegung ist die Beklagte daher nicht verpflichtet, die Kosten für die durchgeführten extremen Ganzkörperhyperthermiebehandlungen zu erstatten.
Schließlich ergibt sich ein Kostenerstattungsanspruch auch nicht aus § 13 Abs. 3a Satz 7 SGB V. Gemäß § 13 Abs. 3a SGB V hat die Krankenkasse über einen Antrag auf Leistungen zügig, spätestens bis zum Ablauf von drei Wochen nach Antragseingang oder in Fällen, in denen eine gutachtliche Stellungnahme, insbesondere des MDK, eingeholt wird, innerhalb von fünf Wochen nach Antragseingang zu entscheiden (Satz 1). Wenn die Krankenkasse eine gutachtliche Stellungnahme für erforderlich hält, hat sie diese unverzüglich einzuholen und die Leistungsberechtigten hierüber zu unterrichten (Satz 2). Der MDK nimmt innerhalb von drei Wochen gutachtlich Stellung (Satz 3). Kann die Krankenkasse Fristen nach Satz 1 nicht einhalten, teilt sie dies den Leistungsberechtigten unter Darlegung der Gründe rechtzeitig schriftlich mit (Satz 5). Erfolgt keine Mitteilung eines hinreichenden Grundes, gilt die Leistung nach Ablauf der Frist als genehmigt (Satz 6). Voraussetzung für den Eintritt der Genehmigungsfiktion ist, dass ein Leistungsberechtigter einen hinreichend bestimmten Antrag auf eine Leistung gestellt hat, die er für erforderlich halten durfte und die nicht offensichtlich außerhalb des Leistungskatalogs der gesetzlichen Krankenversicherung liegt (BSG, Urteil vom 08.03.2016, B 1 KR 25/15 R).
Der Kläger beantragte mit am 24.08.2015 bei der Beklagten eingegangenem Schreiben vom 20.08.2015 die streitgegenständliche Ganzkörperhyperthermiebehandlungen bzw. deren Kostenerstattung. Nach Äußerung des MDK am 27.08.2015 lehnte die Beklagte mit Bescheid vom 01.09.2015 den Antrag ab.
Die Drei-Wochen-Frist des § 13 Abs. 3a Satz 1 SGB V wurde eingehalten, sodass ein Kostenerstattungsanspruch aufgrund fingierter Genehmigung nach § 13 Abs. 3a Satz 7 SGB V nicht in Betracht kommt. Der Senat vermag den Ausführungen der Klägerseite hinsichtlich des Antragszeitpunktes nicht zu folgen. Zwar telefonierte Frau D. mit einer Mitarbeiterin der Beklagten am 10.11.2014. Laut Vortrag der Klägerseite ging es bei dem Telefonat sowohl um die Übernahme der Behandlungs- als auch der Fahrkosten. Bezüglich der Behandlungskosten sei Frau D. mitgeteilt worden – so die Klägerseite -, dass diese Behandlung nicht im Leistungskatalog der Krankenkassen sei und aus diesem Grund nicht von den gesetzlichen Krankenkassen erstattet werde. Sofern die Klägerseite darauf abstellen möchte, dass Frau D. bei dem Telefonat am 10.11.2014 einen mündlichen Antrag auf Übernahme der Hyperthermiebehandlungskosten gestellt hat, ist nach dem klägerischen Vortrag jedoch festzustellen, dass dieser Antrag mit mündlichem Verwaltungsakt (vgl. § 33 Abs. 2 Satz 1 SGB X) der Beklagten abgelehnt wurde. Weitere Kontakte bzw. Korrespondenzen zwischen den Parteien bezüglich der Hyperthermiebehandlung an sich sind nicht dokumentiert bzw. ersichtlich.
Aus dem Anschreiben von Frau D. vom 21.08.2015 an die Beklagte, wonach sie zwei Anträge auf Kostenübernahme geschrieben habe, einen mit altem Datum vom 06.06.2015, den anderen mit neuem Datum (vom 20.08.2015), ergibt sich nicht, dass der Kläger den auf 06.06.2015 datierten Antrag tatsächlich auch an die Beklagte im Juni 2015 geschickt oder im Juni 2015 einen entsprechenden mündlichen Antrag gestellt hat. Die Tatsache, dass Frau D. nachfragte, ob sie den alten Antrag vom Juni oder einen neuen vom August 2015 schicken solle, legt vielmehr nahe, dass der auf 06.06.2015 datierte Antrag gerade nicht an die Beklagte gesendet worden war. Für eine etwaige mündliche Antragstellung im Juni 2015 fehlt es an jeglichem Nachweis und bereits an einem substantiierten Vortrag diesbezüglich. Der vom Kläger zu führende Nachweis einer tatsächlichen Antragstellung im Juni 2015 ist damit nicht erbracht.
Sofern die Klägerseite darauf hinweist, der Kläger habe mit Schreiben vom 27.11.2014 und 19.05.2015 erneut um die Überprüfung „seiner Anträge“ gebeten, ist dem entgegenzuhalten, dass es in den beiden Schreiben ausschließlich um Fahrkostenerstattungen (Antragsverfahren bzw. Widerspruchsverfahren) ging.
Ein Kostenerstattungsanspruch wegen der Hyperthermiebehandlungen ergibt sich auch nicht aufgrund eines sozialrechtlichen Herstellungsanspruchs wegen Verstoßes gegen eine Beratungspflicht durch die Beklagte, weil sie das Schreiben vom 27.11.2014 nicht als Antrag auf Erstattung der Behandlungskosten, sondern nur der Fahrkosten gewertet hat. Es bestand keine Veranlassung für die Beklagte, den Kläger darauf hinzuweisen, zusätzlich zum Antrag auf Fahrkostenerstattung auch einen solchen auf Übernahme der Kosten der Hyperthermiebehandlung zu stellen. Denn aus der – zutreffenden – Sicht der Beklagten bestand ein solcher Anspruch nicht (s.o.), sodass sie dem Kläger auch nicht eine entsprechende Antragstellung hätte nahelegen müssen.
Schließlich kann ein Kostenerstattungsanspruch auch nicht daraus abgeleitet werden, dass einzelne Behandler eine Chemotherapie beim Kläger nicht mehr als sinnvoll erachteten, obwohl dies womöglich nach den entsprechenden Leitlinien noch denkbar gewesen wäre.
Der Beweisantrag auf Zeugeneinvernahme von Frau B. und Frau D. ist abzulehnen. Denn auch bei Wahrunterstellung des klägerischen Vortrags, wonach Frau D. am 10.11.2014 einen telefonischen Antrag auf Kostenübernahme der Ganzkörperhyperthermie gestellt und Frau B. dieses sogleich am Telefon abgelehnt habe, hat dies auf Ergebnis des Rechtsstreits keinen Einfluss. Der mündliche Antrag von Frau D. wurde mit mündlichem Verwaltungsakt (vgl. § 33 Abs. 2 Satz 1 SGB X) durch Frau B. für die Beklagte abgelehnt. Auf das Telefonat am 10.11.2014 kann daher auch eine Genehmigungsfiktion nach § 13 Abs. 3a SGB V nicht gestützt werden. Der diesbezügliche Vortrag ist damit nicht entscheidungserheblich (vgl. Meyer-Ladewig, SGG, 12. Aufl. 2017, § 103 Rn. 8).
Nach alledem musste die Berufung ebenso wie die Klage ohne Erfolg bleiben.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Gründe für die Zulassung der Revision liegen nicht vor (§ 160 Abs. 2 SGG).