Medizinrecht

Krankenversicherung: Kostenerstattung für stationär durchgeführte Liposuktionsbehandlungen

Aktenzeichen  L 20 KR 525/17

Datum:
27.11.2018
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2018, 53688
Gerichtsart:
LSG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Sozialgerichtsbarkeit
Normen:
SGB V § 13 Abs. 3, Abs. 3a, § 2 Abs. 1 S. 3, § 137c Abs. 3

 

Leitsatz

1. Ein Schreiben mit dem Inhalt, dass zur weiteren Bearbeitung eine gutachterliche Stellungnahme des Medizinischen Dienstes der Krankenversicherung erforderlich sei, erfüllt die Anforderungen an die Mitteilung über Einholung eines medizinischen Gutachtens auch dann, wenn es weiter den Zusatz enthält: „Vorsorglich weisen wir darauf hin, dass Kosten für eine selbstbeschaffte Leistung nicht erstattet werden können“. (Rn. 35) (redaktioneller Leitsatz)
2. Die stationäre Liposuktion bei Lipödem gehörte 2018 nicht zum Leistungsumfang der gesetzlichen Krankenversicherung, denn diese Behandlungsmethode entsprach nicht den Anforderungen des Qualitätsgebots des § 2 Abs. 1 Satz 3 SGB V. Eine Behandlungsmethode gehört auch im Krankenhaus grundsätzlich erst zum Leistungsumfang der gesetzlichen Krankenversicherung, wenn die Erprobung abgeschlossen ist und über Qualität und Wirkungsweise der neuen Methode zuverlässige, wissenschaftlich nachprüfbare Aussagen existieren. (Rn. 40) (redaktioneller Leitsatz)
3. Das Lipödem ist weder eine lebensbedrohliche oder regelmäßig tödliche noch eine hiermit wertungsmäßig vergleichbare Erkrankung. Auch die Voraussetzungen eines sog. Seltenheitsfalles sind im Falle der Liposuktion bei Lipödem nicht erfüllt. (Rn. 45) (redaktioneller Leitsatz)

Verfahrensgang

S 6 KR 541/16 2017-06-20 Urt SGWUERZBURG SG Würzburg

Tenor

I. Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Würzburg vom 20.06.2017 wird zurückgewiesen.
II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.

Gründe

Der Senat kann ohne mündliche Verhandlung durch Urteil entscheiden, weil die Beteiligten ihr Einverständnis erklärt haben (§§ 124, 153 Sozialgerichtsgesetz – SGG).
Die form- und fristgerecht eingelegte Berufung (§§ 143, 144, 151 SGG) ist zulässig, jedoch unbegründet.
Der Bescheid der Beklagten vom 19.05.2016 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 07.10.2016, mit dem die Kostenübernahme für die beantragten Liposuktionen abgelehnt wurde, erweist sich als rechtmäßig und verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten. Dies gilt auch im Hinblick auf den – wegen der inzwischen durchgeführten Liposuktionen – geltend gemachten Anspruch auf Kostenerstattung in Höhe von 9.384,68 €. Das SG hat die Klage zu Recht abgewiesen.
Es besteht weder ein Anspruch auf Kostenerstattung auf der Grundlage des § 13 Abs. 3 noch § 13 Abs. 3a SGB V.
§ 13 Abs. 3a Satz 1 bis 7 SGB V lautet: Die Krankenkasse hat über einen Antrag auf Leistungen zügig, spätestens bis zum Ablauf von drei Wochen nach Antragseingang oder in Fällen, in denen eine gutachtliche Stellungnahme, insbesondere des Medizinischen Dienstes der Krankenversicherung (Medizinischer Dienst), eingeholt wird, innerhalb von fünf Wochen nach Antragseingang zu entscheiden. Wenn die Krankenkasse eine gutachtliche Stellungnahme für erforderlich hält, hat sie diese unverzüglich einzuholen und die Leistungsberechtigten hierüber zu unterrichten. Der Medizinische Dienst nimmt innerhalb von drei Wochen gutachtlich Stellung. Wird ein im Bundesmantelvertrag für Zahnärzte vorgesehenes Gutachterverfahren durchgeführt, hat die Krankenkasse ab Antragseingang innerhalb von sechs Wochen zu entscheiden; der Gutachter nimmt innerhalb von vier Wochen Stellung. Kann die Krankenkasse Fristen nach Satz 1 oder Satz 4 nicht einhalten, teilt sie dies dem Leistungsberechtigten unter Darlegung der Gründe rechtzeitig schriftlich mit. Erfolgt keine Mitteilung eines hinreichenden Grundes, gilt die Leistung nach Ablauf der Frist als genehmigt. Beschaffen sich Leistungsberechtigte nach Ablauf der Frist eine erforderliche Leistung selbst, ist die Krankenkasse zur Erstattung der hierdurch entstandenen Kosten verpflichtet.
Im vorliegenden Fall hat die Beklagte rechtzeitig entschieden, so dass schon deshalb keine Genehmigungsfiktion eingetreten ist. Der Antrag ist am 29.04.2016 bei ihr eingegangen. Mit Schreiben vom gleichen Tag hat sie die Klägerin darüber unterrichtet, dass eine gutachtliche Stellungnahme des MDK eingeholt wird. Deshalb gilt die Fünfwochenfrist. Den ablehnenden Bescheid vom 19.05.2016 hat die Klägerin nach eigenen Angaben am 21.05.2016 erhalten, so dass unproblematisch die Fünfwochenfrist eingehalten wurde.
Entgegen der Ansicht des Bevollmächtigten der Klägerin war keine taggenaue Benennung des Fristendes erforderlich. Der vom BSG am 11.07.2017, B 1 KR 26/16 R, entschiedene Fall war ein anderer als hier: In dem dortigen Fall hatte die Krankenkasse die Klägerin nicht innerhalb der Dreiwochenfrist über die Einholung einer Stellungnahme des MDK informiert.
Auch der Zusatz der Beklagten im Schreiben vom 29.04.2016: „Vorsorglich weisen wir darauf hin, dass Kosten für eine selbstbeschaffte Leistung nicht erstattet werden können“ ändert nichts daran, dass das Schreiben der Beklagten vom 29.04.2016 die Dreiwochenfrist auf fünf Wochen verlängert hat, da es die Anforderungen des Satz 1, die rechtzeitige Unterrichtung, erfüllt. Im Übrigen hatte dieser Zusatz auch keine Auswirkung auf das Verhalten der Klägerin, sie hat sich die Leistung ja selbst beschafft.
Ebenso besteht kein Kostenerstattungsanspruch auf der Grundlage des § 13 Abs. 3 Satz 1 SGB V. Dieser lautet: Konnte die Krankenkasse eine unaufschiebbare Leistung nicht rechtzeitig erbringen oder hat sie eine Leistung zu Unrecht abgelehnt und sind dadurch Versicherten für die selbstbeschaffte Leistung Kosten entstanden, sind diese von der Krankenkasse in der entstandenen Höhe zu erstatten, soweit die Leistung notwendig war.
Die hier in Frage kommende Alternative, dass eine Leistung zu Unrecht abgelehnt worden ist, ist nicht einschlägig. Dem Kostenerstattungsanspruch muss ein entsprechender Sachleistungsanspruch gegenüberstehen. Die Klägerin hatte aber keinen Anspruch auf Versorgung mit zwei stationären Liposuktionen gemäß § 27 Abs. 1 Satz 2 Nr. 5 i.V.m. § 39 Abs. 1 Satz 1 SGB V Das BSG hat mit zwei Urteilen vom 24.04.2018 (B 1 KR 13/16 R und B 1 KR 10/17 R) entschieden, dass die stationäre Liposuktion bei Lipödem derzeit nicht zum Leistungsumfang der gesetzlichen Krankenversicherung gehört. Denn diese Behandlungsmethode entspricht nicht den Anforderungen des Qualitätsgebots des § 2 Abs. 1 Satz 3 SGB V, das grundsätzlich für alle Leistungssektoren einheitlich gilt und für die stationäre Versorgung auch durch § 137c Abs. 3 SGB V nicht auf Methoden mit dem bloßen Potential einer Behandlungsalternative abgesenkt wird. Eine Behandlungsmethode gehört auch im Krankenhaus grundsätzlich erst zum Leistungsumfang der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV), wenn die Erprobung abgeschlossen ist und über Qualität und Wirkungsweise der neuen Methode zuverlässige, wissenschaftlich nachprüfbare Aussagen gemacht werden können.
Das BSG hat hierzu im Urteil vom 24.04.2018, B 1 KR 13/16 R, folgende Ausführungen gemacht, denen sich der Senat anschließt (wie auch erkennender Senat vom 27.11.2018, L 20 KR 248/18):
„a) Der Anspruch Versicherter auf stationäre Krankenhausbehandlung aus § 27 Abs. 1 S. 2 Nr. 5, § 39 Abs. 1 S. 1 SGB V unterliegt nach Wortlaut, Regelungssystem und Regelungszweck den sich aus dem Qualitätsgebot ergebenden Einschränkungen. Eine Absenkung der Qualitätsanforderungen für die stationäre Versorgung auf Methoden mit dem bloßen Potential einer Behandlungsalternative ergibt sich nicht aus § 137c Abs. 3 SGB V (idF durch Art. 1 Nr. 64 Buchst b GKV-VSG). Allein Hinweise in den Gesetzesmaterialien genügen nicht, um das Ergebnis aller anderen Auslegungsmethoden zu überspielen.

bb) Krankenhausbehandlung ist im Sinne von § 39 SGB V konform mit dem Regelungssystem grundsätzlich nur dann erforderlich, wenn die Behandlung dem allgemein anerkannten Stand der medizinischen Erkenntnisse entspricht und notwendig ist (stRspr, vgl zB BSGE 115, 95 = SozR 4-2500 § 2 Nr. 4, RdNr. 14). Der Anspruch eines Versicherten auf Krankenhausbehandlung unterliegt nach dem Gesetzeswortlaut und dem Regelungssystem wie jeder Anspruch auf Krankenbehandlung grundsätzlich den sich aus dem Qualitäts- und dem Wirtschaftlichkeitsgebot ergebenden Einschränkungen (vgl § 2 Abs. 1 S. 3 SGB V und § 12 Abs. 1 SGB V). Er umfasst in diesem Rahmen nur solche Leistungen, die zweckmäßig und wirtschaftlich sind und deren Qualität und Wirksamkeit dem allgemein anerkannten Stand der medizinischen Erkenntnisse entsprechen (BSGE 117, 10 = SozR 4-2500 § 13 Nr. 32, RdNr. 11; BSGE 113, 241 = SozR 4-2500 § 13 Nr. 29, RdNr. 13 mwN; Hauck, NZS 2007, 461, 466 ff). Ausnahmen vom Qualitätsgebot bestehen im Rahmen grundrechtsorientierter Leistungsauslegung – sei es verfassungsunmittelbar oder nach § 2 Abs. 1a SGB V – und bei Seltenheitsfällen (stRspr, vgl zB BSGE 115, 95 = SozR 4-2500 § 2 Nr. 4, RdNr. 27 mwN) mit Auswirkungen sowohl für den Leistungsanspruch der Versicherten als auch für die Rechte und Pflichten der Leistungserbringer als auch der KKn.
Das SGB V sichert auch im Recht der Leistungserbringung in seinem Vierten Kapitel „Beziehungen der Krankenkassen zu den Leistungserbringern“ die Beachtung des Qualitätsgebots. So haben die KKn und die Leistungserbringer eine bedarfsgerechte und gleichmäßige, dem allgemein anerkannten Stand der medizinischen Erkenntnisse entsprechende Versorgung der Versicherten zu gewährleisten. Die Versorgung der Versicherten muss ausreichend und zweckmäßig sein, darf das Maß des Notwendigen nicht überschreiten und muss in der fachlich gebotenen Qualität sowie wirtschaftlich erbracht werden (vgl § 70 Abs. 1 S. 1 und 2 SGB V). Die Pflicht des zugelassenen Krankenhauses im Rahmen seines Versorgungsauftrags zur Krankenhausbehandlung (§ 39 SGB V) der Versicherten richtet sich hieran aus (vgl § 109 Abs. 4 S. 2 SGB V).

Nach Wortlaut und Regelungssystem ändert auch die Norm des § 137c Abs. 3 S. 1 und 2 SGB V an den Anforderungen des Anspruchs Versicherter auf Krankenhausbehandlung nichts. Danach dürfen Untersuchungs- und Behandlungsmethoden, zu denen der GBA bisher keine Entscheidung nach Abs. 1 getroffen hat, im Rahmen einer Krankenhausbehandlung angewandt werden, wenn sie das Potential einer erforderlichen Behandlungsalternative bieten und ihre Anwendung nach den Regeln der ärztlichen Kunst erfolgt, sie also insbesondere medizinisch indiziert und notwendig ist. Dies gilt sowohl für Methoden, für die noch kein Antrag nach Abs. 1 S. 1 gestellt wurde, als auch für Methoden, deren Bewertung nach Abs. 1 noch nicht abgeschlossen ist (vgl § 137 Abs. 3 S. 1 und 2 SGB V). Die Regelung trifft bereits nach ihrem Wortlaut („dürfen … angewendet werden“) – anders als zB jene des § 2 Abs. 1a SGB V (Versicherte „können … beanspruchen“) – keine Aussage zu Leistungsansprüchen der Versicherten; sie setzt diese vielmehr voraus. Sie können sich etwa aus Ansprüchen Versicherter auf Krankenhausbehandlung bei grundrechtsorientierter Leistungsauslegung ergeben (vgl zB § 2 Abs. 1a iVm § 27 Abs. 1 S. 1, § 27 Abs. 1 S. 2 Nr. 5 und § 39 Abs. 1 SGB V).
cc) Zweck der Ausrichtung der Leistungsansprüche der Versicherten am Qualitätsgebot ist es, im Interesse des Patientenschutzes und des effektiven Einsatzes der Mittel der Beitragszahler zu gewährleisten, dass eine nicht ausreichend erprobte Methode nicht zulasten der KKn abgerechnet werden darf (vgl BSG Urteil vom 27.3.2007 – B 1 KR 17/06 R – Juris RdNr. 21 = USK 2007-25 – Polyglobin, zustimmend BVerfG Beschluss vom 30.6.2008 – 1 BvR 1665/07 – SozR 4-2500 § 31 Nr. 17 RdNr. 10 und Gesetzesbegründung im Entwurf der Bundesregierung eines GKV-VStG, BR-Drucks 456/11 S. 74, zum Off-Label-Use von Arzneimitteln; BSG SozR 4-2500 § 18 Nr. 8 RdNr. 21 zur Reichweite der grundrechtsorientierten Auslegung; BSGE 115, 95 = SozR 4-2500 § 2 Nr. 4, RdNr. 22; zum effizienten Einsatz der der GKV zur Verfügung stehenden finanziellen Mittel, indem nur wirksame Leistungen auf Kosten der GKV erbracht werden sollen, vgl Gesetzentwurf der Fraktionen der CDU/CSU und FDP eines Gesetzes zur Strukturreform im Gesundheitswesen , BT-Drucks 11/2237 S. 157 zu Artikel 1 ). Eine Behandlungsmethode gehört dementsprechend grundsätzlich erst dann zum Leistungsumfang der GKV, wenn die Erprobung abgeschlossen ist und über Qualität und Wirkungsweise der neuen Methode zuverlässige, wissenschaftlich nachprüfbare Aussagen gemacht werden können. Das setzt einen Erfolg der Behandlungsmethode in einer für die sichere Beurteilung ausreichenden Zahl von Behandlungsfällen voraus. Dabei muss sich der Erfolg aus wissenschaftlich einwandfrei geführten Statistiken über die Zahl der behandelten Fälle und die Wirksamkeit der neuen Methode ablesen lassen (stRspr, vgl BSGE 76, 194 = SozR 3-2500 § 27 Nr. 5 = Juris RdNr. 22 ff; BSGE 115, 95 = SozR 4-2500 § 2 Nr. 4, RdNr. 21; BSG Urteil vom 19.12.2017 – B 1 KR 17/17 R – für BSGE und SozR 4 vorgesehen, Juris RdNr. 14). Diese Anforderung darf aber nicht als starrer Rahmen missverstanden werden, der unabhängig von den praktischen Möglichkeiten tatsächlich erzielbarer Evidenz gilt (vgl BSGE 115, 95 = SozR 4-2500 § 2 Nr. 4, RdNr. 21).

Um das Ziel der Rechtsanwendungsgleichheit im Leistungsrecht der GKV zu erreichen, regelt das Gesetz nicht nur gleiche Rechtsansprüche der Versicherten auf Krankenbehandlung. Es garantiert den Versicherten auch deren Realisierung, nach Wortlaut, Regelungssystem und Regelungszweck einheitlich und eindeutig ausgerichtet am Qualitätsgebot (§ 2 Abs. 1 S. 3 SGB V), erweitert um die Fälle grundrechtsorientierter Auslegung (vgl zB BSG Urteil vom 20.3.2018 – B 1 KR 4/17 R – Juris RdNr. 20 f, für SozR vorgesehen) […]. Das SGB V kennt nach Wortlaut, Regelungssystem und Regelungszweck keine gleichen Garantien für Krankenbehandlung Versicherter mit Methoden, die lediglich das Potential einer Behandlungsalternative haben. Die Gerichte sind bei dieser klaren Gesetzeslage an einer Rechtsfortbildung contra legem gehindert (vgl zu den Grenzen Hauck in Masuch/Spellbrink/Becker/Leibfried , Grundlagen und Herausforderungen des Sozialstaats – Denkschrift 60 Jahre Bundessozialgericht, Band 2: Bundessozialgericht und die Sozialstaatsforschung – Richterliche Wissensgewinnung und Wissenschaft, 2015, 299, 300 ff).

Das Gesetz sieht Abweichungen von den aufgezeigten Garantien der Krankenbehandlung Versicherter nach dem Qualitätsgebot nur außerhalb der Regelversorgung der GKV bei einer Zusatzversorgung aus besonderen sachlichen Gründen vor. So eröffnet die Regelung der Erprobungsrichtlinien (vgl § 137e SGB V) des GBA den Versicherten – bei überschießender Nachfrage im Rahmen pflichtgemäßen Ermessens der KKn (vgl näher unten, unter II. 2) – die Möglichkeit, trotz zur Verfügung stehender qualitätsgerechter Leistungen an der Anwendung nicht dem allgemeinen Erkenntnisstand entsprechender Methoden zulasten der GKV teilzunehmen, um innovative Untersuchungs- und Behandlungsmethoden mit Potential zeitlich begrenzt zwecks Erkenntnisgewinns zum Nutzen der Gesamtheit der Versicherten und Beitragszahler unter strukturierten Bedingungen zu erproben (vgl Gesetzentwurf der BReg eines GKV-VStG, BT-Drucks 17/6906 S. 87 Zu Nummer 56 ; Hauck, GesR 2014, 257, 261). Die Gewährleistungspflicht und der dementsprechende Sicherstellungsauftrag der KKn und Leistungserbringer erstreckt sich nicht – von Fällen grundrechtsorientierter Leistungsauslegung und Seltenheitsfällen abgesehen – auf davon abweichende Erprobungssituationen. Die Folge ist, dass sich auf der Landkarte ein „Erprobungsflecken-Teppich“ mit Regionen entwickelt, in denen Krankenhäuser an der Erprobung teilnehmen, und anderen Regionen, bei denen das nicht der Fall ist (vgl Hauck, GesR 2014, 257, 261). Die Ungleichbehandlung Versicherter, die sich aus der eingeschränkten Verfügbarkeit der Leistung ergeben kann, ist wegen des mit der Erprobung verknüpften wichtigen öffentlichen Zwecks und des nur vorübergehenden Ausnahmefalls aufgrund notwendiger Befristung der Erprobung verfassungsrechtlich gerechtfertigt.

dd) Soweit die Gesetzesmaterialien zu einem von Vorstehendem abweichenden Ergebnis führen, vermag der erkennende Senat dem nicht zu folgen. Gesetzesmaterialien sind mit Vorsicht, nur unterstützend und insgesamt nur insofern heranzuziehen, als sie auf einen objektiven Gesetzesinhalt schließen lassen und im Gesetzeswortlaut einen Niederschlag gefunden haben (stRspr, vgl zB BVerfGE 62, 1, 45 mwN). Daran fehlt es. Nach den Gesetzesmaterialien sollten „Methoden mit dem Potential einer erforderlichen Behandlungsalternative“ im Rahmen der Krankenhausbehandlung zulasten der KKn erbracht werden können, insbesondere damit sie zur Versorgung typischerweise schwerer erkrankter Versicherter mit besonderem Bedarf nach innovativen Behandlungsalternativen zur Verfügung stünden (vgl Entwurf der BReg eines GKV-VSG, BR-Drucks 641/14 S. 147 f Zu Nr. 64 Buchst b). Dies gewährleiste die Teilhabe der Versicherten am medizinischen Fortschritt auch außerhalb von Studien (Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Gesundheit – 14. Ausschuss – zum Entwurf eines GKV-VSG, BT-Drucks 18/5123 S. 135 Zu Nr. 64 Buchst b).
Besteht – wie hier – eine Diskrepanz, muss dem Gesetzeswortlaut, dem Regelungssystem und dem Regelungsziel der Vorrang zukommen (stRspr, vgl zB BVerfGE 62, 1, 45; BVerfGE 119, 96, 179; BSG SozR 4-2500 § 62 Nr. 8 RdNr. 20 f; Hauck/Wiegand, KrV 2016, 1, 4). Die Erweiterung der Regelversorgung der stationären Krankenhausbehandlung auf Methoden mit Potential ohne die im bisherigen System vorgesehenen Garantien, die ausdrücklich lediglich für Leistungen entsprechend dem Qualitätsgebot gelten, würden zudem den allgemeinen Gleichheitssatz (Art. 3 Abs. 1 GG), das Gebot der Rechtsanwendungsgleichheit für Versicherte verletzen (vgl dazu oben, unter II. 1. a. cc).“
Hieran gemessen hatte die Klägerin keinen Anspruch auf Versorgung mit einer stationär durchgeführten Liposuktion als Sachleistung. Denn die begehrte Maßnahme entspricht nicht den Anforderungen des Qualitätsgebots. Diese werden gewahrt, wenn die große Mehrheit der einschlägigen Fachleute (Ärzte, Wissenschaftler) die Behandlungsmethode befürwortet und, von einzelnen, nicht ins Gewicht fallenden Gegenstimmen abgesehen, über die Zweckmäßigkeit der Therapie Konsens besteht. Dies setzt im Regelfall voraus, dass über Qualität und Wirksamkeit der Methode – die in ihrer Gesamtheit und nicht nur in Bezug auf Teilaspekte zu würdigen ist – zuverlässige, wissenschaftlich nachprüfbare Aussagen gemacht werden können. Der Erfolg muss sich aus wissenschaftlich einwandfrei durchgeführten Studien über die Zahl der behandelten Fälle und die Wirksamkeit der Methode ablesen lassen. Die Therapie muss in einer für die sichere Beurteilung ausreichenden Zahl von Behandlungsfällen erfolgreich gewesen sein (vgl. BSG vom 07.05.2013, B 1 KR 26/12 R).
Eine stationäre Liposuktion erfüllt diese Voraussetzungen nicht. Das Gutachten „Liposuktion bei Lip- und Lymphödemen“ der Sozialmedizinischen Expertengruppe 7 des MDK vom 06.10.2011 in der Fassung der Gutachtensaktualisierung vom 15.01.2015 (abrufbar unter www.mds-ev.de/richtlinien-publikationen/gutachten-nutzenbewertungen.html; dort: Gutachten/Nutzenbewertung Liposuktion bei Lip- und Lymphödemen) kommt nach Auswertung der wenigen vorliegenden Studien zu folgendem Ergebnis: „Die zwei identifizierten kontrollierten Studien, welche die Liposuktion bei sekundärem Lymphödem der Arme nach Brustkrebstherapie bzw. zur Schmerztherapie bei Lipomatosis dolorosa untersuchten, haben auch unter Berücksichtigung der aktuell vorliegenden Publikation erhebliche methodische sowie zum Teil inhaltliche Limitationen und berichten unzureichend über Langzeitergebnisse und Nebenwirkungen der Therapie. Somit ergibt sich weiterhin, dass bei den in diesem Gutachten untersuchten Hauptindikationen, unabhängig vom Versorgungssektor, keine Leistungspflicht der gesetzlichen Krankenversicherung besteht, da die in den §§ 2 und 12 SGB V definierten Anforderungen an Qualität und Wirtschaftlichkeit nicht erfüllt sind.“
Dieser Einschätzung entspricht die Beurteilung des GBA in den „Tragenden Gründen zum Beschluss des GBA über eine Änderung der Richtlinie Methoden Krankenhausbehandlung: Liposuktion bei Lipödem vom 20.07.2017“ (vgl. auch BSG vom 24.04.2018, B 1 KR 13/16 R und B 1 KR 10/17 R). Mangels hinreichend zuverlässiger, wissenschaftlich nachprüfbarer Aussagen bzw. Studien über Qualität und Wirksamkeit der Methode Liposuktion hat der GBA das Bewertungsverfahren ausgesetzt und beschlossen, eine Erprobungsstudie zur Liposuktion bei Lipödem auf der Grundlage einer Richtlinie nach § 137e SGB V durchzuführen.
Ein Anspruch auf eine stationäre Liposuktion kommt auch aufgrund grundrechtsorientierter Leistungsauslegung (§ 2 Abs. 1a SGB V) nicht in Betracht. Das Lipödem ist weder eine lebensbedrohliche oder regelmäßig tödliche noch eine hiermit wertungsmäßig vergleichbare Erkrankung. Auch die Voraussetzungen eines sog. Seltenheitsfalles sind im Falle der Liposuktion bei Lipödem nicht erfüllt (vgl. BSG, Urteil vom 24.04.2018, B 1 KR 13/16 R).
Ebenso besteht kein Anspruch auf Kostenerstattung wegen Systemversagens.
Zwar weist der Bevollmächtigte richtig darauf hin, dass es zu einem Systemversagen kommen kann, wenn das Verfahren vor dem GBA vom GBA selbst überhaupt nicht, nicht zeitgerecht oder nicht ordnungsgemäß betrieben wird und dies auf eine willkürliche oder sachfremde Untätigkeit oder Verfahrensverzögerung zurückzuführen ist (BSG vom 07.05.2013, B 1 KR 44/12 R). Davon ist hier jedoch nicht auszugehen. Vielmehr hat das BSG in seiner Entscheidung vom 24.04.2018, B 1 KR 13/16 R dargelegt, und bestätigt, dass der GBA bei der Aussetzung des Bewertungsverfahrens und bei Erlass der Erprobungsrichtlinie Liposuktion formal und materiell korrekt vorgegangen ist. Eine verzögerte Bearbeitung hat das BSG nicht feststellen können.
Entgegen dem Vorbringen des Bevollmächtigten ist auch zu berücksichtigen, dass der finale Bericht erst am 23.11.2015 vorgelegen hat (vgl. die tragenden Gründe des Beschlusses des GBA vom 20.07.2017). Die Erprobungszeit von fünf Jahren richtet sich nach der vom GBA angenommen Dauer der Erprobung, eine vorgesehene Dauer von 2 Jahren ist dem 2. Kapitel, 5. Abschnitt der Verfahrensordnung des GBA nicht zu entnehmen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Gründe, die Revision gemäß § 160 SGG zuzulassen, liegen nicht vor.

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