Aktenzeichen S 17 KR 1667/16
GG Art. 3 Abs. 1
Leitsatz
Eine Ermäßigung oder ein Erlass nach § 256 a SGB V kommt nur für den sogenannten Nacherhebungszeitraum in Betracht, das ist der Zeitraum vom Eintritt der gesetzlichen Versicherungspflicht bis zur Anzeige des Versicherten. Kommt der Versicherte nach seiner Anzeige mit Beiträgen in Verzug, ist die Regelung nicht anwendbar (Felix in Schlegel/Voelzke, Juris-Praxis-Kommentar-SGB V, 3. Auflage 2016, § 256 a Rn. 14). (Rn. 40) (redaktioneller Leitsatz)
Tenor
I. Die Klage gegen den Bescheid vom 25.01.2016 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 15.09.2016 und gegen den Bescheid vom 21.06.2016 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 15.09.2016 wird abgewiesen.
II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
Gründe
Die Klage gegen beide Widerspruchsbescheide vom 15.09.2016 ist im Sinne einer objektiven Klagehäufung zulässig.
Mehrere Klagebegehren können vom Kläger in einer Klage zusammengefasst werden, wenn sie sich gegen denselben Beklagten richten, im Zusammenhang stehen und dasselbe Gericht zuständig ist, § 56 Sozialgerichtsgesetz (SGG). Diese Voraussetzungen liegen hier zweifellos vor.
Die Klage ist aber nicht begründet. Die Bescheide vom 25.01.2016 und vom 26.06.2016, jeweils in Gestalt der Widerspruchsbescheide vom 15.09.2016 sind rechtmäßig und verletzen den Kläger nicht in seinen Rechten.
Der Kläger ist seit 01.04.2007 pflichtversichertes Mitglied bei der Beklagten gemäß § 5 Abs. 1 Nr. 13 SGB V. Hierbei handelt es sich um eine vom Gesetzgeber mit Wirkung vom 01.04.2007 geschaffene Auffangpflichtversicherung für Personen, die andernfalls keinen Krankenversicherungsschutz hätten, also insbesondere nicht unter die Pflichtversicherten nach § 5 Abs. 1 Nr. 1 – 12 fallen.
Die Versicherungspflicht des Klägers nach § 5 Abs. 1 Nr. 13 SGB V ist aber nicht Streitgegenstand, sondern wurde bereits bestandskräftig mit Bescheid vom 23.05.2007 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 13.02.2008 festgestellt. Die Krankenversicherung der Rentner nach § 5 Abs. 1 Nr. 11 SGB V wurde mit bestandskräftigem Bescheid vom 10.06.2008 abgelehnt.
Für die nach § 5 Abs. 1 Nummer 13 SGB V Versicherungspflichtigen ist gemäß § 227 SGB V die Regelung der Beitragsberechnung für freiwillige Versicherte des § 240 entsprechend anzuwenden.
Versicherungspflichtige nach § 5 Abs. 1 Nummer 13 SGB V, deren beitragspflichtige Einnahmen sich nach §§ 227, 240 SGB V richten, tragen ihre Beiträge gemäß § 250 Abs. 3 SGB V allein mit Ausnahme der aus Renten der gesetzlichen Rentenversicherung zu tragenden Beiträge. Die Beiträge zur Kranken und Pflegeversicherung aus der Rente werden vom Rentenversicherungsträger direkt vom Rentenbezug einbehalten und abgeführt. Daneben sind noch zusätzliche Beiträge zur Kranken und Pflegeversicherung vom Versicherten selbst an die Krankenkasse zu zahlen.
Gemäß § 227 richtet sich nach dem ausdrücklichen Wortlaut dieser Vorschrift die Beitragshöhe dieser Versichertengruppe nach § 240 SGB V. Die auffangversicherungspflichtigen Personen werden somit beitragsrechtlich den freiwilligen Mitgliedern gleichgestellt. Aus dem Verweis auf § 240 ergibt sich weiter, dass die Beitragshöhe unabhängig von den tatsächlichen Einnahmen nach Mindesteinnahmen zu bestimmen ist (§ 240 Abs. 4 Satz 1 SGB V). Diese gesetzlichen Mindesteinnahmen hat die Beklagte entsprechend den genannten Regelungen daher der Beitragsbemessung für die Beiträge des Klägers zur gesetzlichen Kranken- und Pflegeversicherung zugrunde zu legen.
Für die Beitragsberechnung gilt als beitragspflichtige Einnahmen für den Kalendertag mindestens der 90. Teil der monatlichen Bezugsgröße, die sogenannte Mindestbemessungsgrundlage für das Jahr 2016 beträgt 968,33 €. Da der Rentenzahlbetrag diesen Grenzwert nicht überschreitet, sind aus der Differenz zwischen der Mindestbemessungsgrundlage und der Rentenzahlung die festgesetzten zusätzlichen Beiträge zur Kranken und Pflegeversicherung zu entrichten.
Diese Regelung ist nach § 57 Abs. 4 Satz 1 SGB XI in der Pflegeversicherung entsprechend anzuwenden.
Der Kläger kann sich hinsichtlich der Beitragshöhe nicht auf die §§ 237, 238 und 238a SGB V berufen. Diese Vorschriften erfassen nur den Personenkreis der versicherungspflichtigen Rentner, deren Versicherungsverhältnis ausschließlich auf dem Rentenbezug beruht. Dies sind die nach § 5 Abs. 1 Nr. 11, 11a und 12 SGB V versicherungspflichtige Rentenbezieher. Eine andere Auslegung lässt der eindeutige Wortlaut dieser Vorschrift nicht zu. Wie bereits oben ausgeführt, gehört der Kläger aber nicht zu dieser Versicherungsgruppe.
Nach Überzeugung der Kammer kann hierin auch kein Verstoß gegen Art. 3 Abs. 1 GG gesehen werden.
So unterscheidet sich die Klägerin nämlich in ihrem Mitgliedschaftsgrund in der gesetzlichen Kranken- und Pflegeversicherung von denen, die nach § 5 Abs. 1 Nr. 11, 11a und 12 SGB V pflichtversichert sind. Bei diesen beruht die Versicherungspflicht nämlich ausschließlich auf dem Bezug der Rente. Der Kläger ist jedoch nicht wegen des Bezugs seiner Rente Mitglied in die Pflichtgemeinschaft, sondern, weil er aufgrund des Auffangpflichtversicherungstatbestands des § 5 Abs. 1 Nr. 13 SGB V in die gesetzliche Kranken- und Pflegeversicherung aufgenommen worden ist. Der Bezug seiner Rente dagegen bzw. seine Eigenschaft als Rentner begründen die Pflichtversicherung gerade nicht. Er gehört damit aber auch nicht zum eigentlichen Kreis der Gemeinschaft der Pflichtversicherten. Wegen dieser Unterscheidung ist es nach Ansicht des Gerichts gerechtfertigt, die nach § 5 Abs. 1 Nr. 13 SGB V Pflichtversicherten beitragsrechtlich den freiwillig Versicherten zuzuordnen.
Weder durch die Verdoppelung des Mindestbeitrags (gegenüber der bis 31.12.1988 geltenden Regelung) noch durch die unterschiedliche Behandlung freiwilliger Mitglieder und mancher Pflichtmitglieder bei der Beitragsbemessung werden Grundrechte verletzt (BSG vom 07.11.1991, 12 RK 37/90, BSG vom 10.03.1994, 12 RK 4/92 oder BSG vom 23.06.1994, 12 RK 82/92, Verfassungsbeschwerde gegen das BSG-Urteil vom 10.03.1994 nicht zur Entscheidung angenommen, BVerfG, Beschluss vom 17.12.1997, 1 BvR 989/94). In diesem Sinne hat das Bundessozialgericht unlängst (BSG vom 30.11.2016, B 12 KR 6/15 R) über die Verfassungsmäßigkeit des Mindestbeitrags entschieden.
Die Beklagte hat in den angefochtenen Bescheiden die gesetzlichen Vorgaben zur Beitragsbemessung für den streitgegenständlichen Zeitraum zutreffend angewandt und die Beiträge ebenso korrekt ermittelt wie die Säumniszuschläge und Mahngebühren. Wegen der Einzelheiten der Beitragsberechnungen folgt das Gericht der ausführlichen Begründung in den Widerspruchsbescheiden und sieht hier von einer weiteren Darstellung der Entscheidungsgründe ab, § 136 Abs. 3 SGG.
Entgegen der Rechtsauffassung des Klägers sind seine tatsächlichen Einkünfte für die Beitragsbemessung also nicht maßgeblich. Ein vom Kläger beantragter Notlagentarif ist im Gesetz nicht vorgesehen.
Es ist bereits höchstrichterlich entschieden, dass die Beitragsbemessung nach Mindesteinnahmen für freiwillige Mitglieder, die unterhalb dieser Grenze liegende oder überhaupt keine Einkünfte haben, verfassungsgemäß ist. Dies gilt auch für die Pflichtmitglieder nach § 5 Abs. 1 Nr. 13 SGB V (LSG Nordrhein-Westfalen vom 19.12.2016, L 5 KR 290/16).
Eine Ermäßigung oder ein Erlass nach § 256 a SGB V kommt nur für den sogenannten Nacherhebungszeitraum in Betracht, das ist der Zeitraum vom Eintritt der gesetzlichen Versicherungspflicht bis zur Anzeige des Versicherten. Kommt der Versicherte nach seiner Anzeige mit Beiträgen in Verzug, ist die Regelung nicht anwendbar (Felix in Schlegel/Voelzke, Juris-Praxis-Kommentar-SGB V, 3. Auflage 2016, § 256 a Rn. 14).
Im Übrigen wird ein Erlass nach § 76 SGB IV nur bei Offenlegung der Vermögens- und Einkommensverhältnisse möglich sein.
Wovon der Kläger seinen Lebensunterhalt bestreitet und warum er keine ergänzenden Leistungen nach dem SGB XII mehr bezieht, ist dem Gericht auch nach der mündlichen Verhandlung vom 12.07.2018 nicht klar.
Die Klage war daher vollumfänglich abzuweisen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.