Aktenzeichen 1 U 110/18
VVG § 192 Abs. 1
KHEntgG § 2 Abs. 1, Abs. 2
Leitsatz
1. Der Krankheitsbegriff einer unter Geltung der MB/KK genommenen privaten Krankenversicherung erfasst auch Fallgestaltungen, in denen es noch nicht zu einer Störung körperlicher oder geistiger Funktionen gekommen ist, jedoch ein erhebliches und schwerwiegendes Erkrankungsrisiko besteht (hier bejaht für eine präventive Mastektomie der linken Brust nach Diagnostizierung einer Krebsvorstufe in der rechten Brust bei familiärer Vorbelastung). (Rn. 18und 23) (redaktioneller Leitsatz)
2. Die Leistungspflicht des privaten Krankenversicherers umfasst auch den Wiederaufbau der Brust durch Einbringung einer Stratttice-Gewebematrix, wenn der vereinbarte Zusatztarif der gesetzlich Krankenversicherten ohne weiteres alle Krankenhaus-Wahlleistungen deckt. (Rn. 31) (redaktioneller Leitsatz)
Verfahrensgang
2 O 266/15 Ver 2018-05-11 Endurteil LGBAMBERG LG Bamberg
Tenor
1. Die Berufung des Beklagten gegen das Endurteil des Landgerichts Bamberg vom 11.05.2018, Az. 2 O 266/15 Ver, wird zurückgewiesen.
2. Der Beklagte hat die Kosten des Berufungsverfahrens sowie die der Streithelferin im Berufungsverfahren entstandenen Kosten zu tragen.
3. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Der Beklagte kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des zu vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht die Klägerin vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110% des zu vollstreckenden Betrags leistet.
4. Die Revision gegen dieses Urteil wird zugelassen.
Gründe
I.
Die Parteien streiten um Leistungen aus einer Krankheitskostenzusatzversicherung.
1. Die im Jahr X geborene Klägerin ist gesetzlich krankenversichert und unterhält bei dem Beklagten eine Krankheitskostenzusatzversicherung mit Versicherungsschein vom X im Tarif X (Krankenhauskostentarif). Dem Vertrag liegen neben den Tarifbedingungen im Tarif X (Anlage K2) die Musterbedingungen der Allgemeinen für die Krankheitskosten- und Krankenhaustagegeldversicherung des Beklagten (MB/KK X) zugrunde (Anlage K3). Hinsichtlich der Einzelheiten wird auf die Versicherungsbedingungen (Anlage K2, K3) und den Tatbestand des Ersturteils Bezug genommen.
Die Klägerin ist in erheblichem Maß familiär mit einem Brustkrebsrisiko vorbelastet. Nachdem bei ihr im März 2014 eine Krebsvorstufe in der rechten Brust diagnostiziert wurde (lobuläre Neoplasie Grad 3), entschied sie sich für eine Mastektomie beider Brüste, die im Mai 2014 in der Klinik der Streithelferin erfolgte. Hierfür rechneten die behandelnden Ärzte 2.485,15 € ab, von denen der Beklagte lediglich 1.661,46 € unter Verweis auf die fehlende Indikation zur Mastektomie der linken Brust erstattete.
Ferner wurde nach Abschluss einer Wahlleistungsvereinbarung der Klägerin mit der Streithelferin vom 23.09.2014 ein Wiederaufbau der Brüste mittels einer Strattice-Gewebematrix vorgenommen. Als Standardverfahren wären die Implantate mittels eines titanisierten Netzes fixiert worden. Die Klägerin entschied sich für die Gewebematrix aufgrund einer Empfehlung der Streithelferin. Am 09.10.2014 erfolgte die Einbringung der Implantate. Der Beklagte verweigerte mit Schreiben vom 04.11.2014 die Kostenerstattung.
Die Klägerin hat erstinstanzlich behauptet, dass die in der rechten Brust festgestellte Vorstufe des Krebses unter Berücksichtigung ihrer familiären Vorbelastung auch die Mastektomie der linken Brust indiziere, so dass der Beklagte die Kosten zu übernehmen habe. Die bei der Rekonstruktion der Brüste verwendete Gewebematrix stelle keine allgemeine Krankenhausleistung dar und sei nicht von den Fallpauschalen nach § 9 KHEntgG erfasst. Es handele sich um eine wirksam vereinbarte Wahlleistung, die vom Leistungsversprechen des Beklagten umfasst werde.
Der Beklagte hat im Verfahren vor dem Landgericht eingewandt, dass für die Mastektomie der linken Brust als präventiver Maßnahme kein Versicherungsschutz bestehe, da diese keine wegen Krankheit notwendige Heilbehandlung darstelle. Die Kosten der Strattice-Gewebematrix seien nicht vom Leistungsversprechen des Beklagten erfasst. Sie seien vielmehr durch die Fallpauschalen bzw. Zusatzentgelte nach § 9 KHEntgG abgegolten. Die Gewebematrix sei zudem weder notwendig noch erforderlich gewesen und widerspreche dem Wirtschaftlichkeitsgebot nach § 5 Abs. 2 MB/KK, da es eine ebenso wirksame aber kostengünstigere Alternative gegeben hätte.
2. Das Landgericht hat Beweis erhoben durch schriftliche Gutachten der Sachverständigen D. (zur Indikation der Mastektonie links) sowie P. (zum Einsatz der Strattice-Gewebematrix), welche durch die Sachverständigen auch mündlich erläutert worden sind. Sodann hat es den Beklagten bis auf einen geringen Teil vorgerichtlicher Rechtsverfolgungskosten entsprechend den Klageanträgen zur Zahlung von 5.036,29 € nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz aus 4.212,60 € vom 08.11.2014 bis 16.07.2015 und aus 5.036,29 € seit 17.07.2015 verurteilt. Dieses umfasst sowohl die Kosten für die Mastektomie der rechten Brust sowie auch für den Wiederaufbau der Brüste mittels der Strattice-Gewebematrix. Zur Begründung hat es ausgeführt, dass eine medizinische Heilbehandlung durch Entfernung der linken Brust aufgrund der Krebsvorstufe in der rechten Brust sowie der familiären Vorbelastung der Klägerin indiziert gewesen sei. Insoweit hat sich das Landgericht den Ausführungen des gerichtlichen Sachverständigen D. angeschlossen, der die Mastektomie als medizinisch notwendig beschrieben hat. Die Verwendung der Strattice-Gewebematrix stelle eine nach dem Leistungsversprechen des Beklagten erstattungsfähige Wahlleistung in Form von Operationsnebenkosten dar. Die Leistung sei notwendig im Sinne von § 1 Abs. 2 MB/KK, da insoweit wirtschaftliche Gesichtspunkte keine Rolle spielten. Auch liege keine Übermaßbehandlung gemäß § 5 Abs. 2 MB/KK vor.
3. Gegen dieses Urteil wendet sich der Beklagte mit seiner Berufung, mit welcher er vor allem einwendet, dass die Mastektomie der linken Brust nicht vom Versicherungsumfang erfasst werde. Dieser umfasse nur die Heilbehandlung von Krankheiten und keine prophylaktischen Eingriffe. Die Gewebematrix sei als Wahlleistung nicht erstattungsfähig. Dieses ergebe sich zum einen daraus, dass diese weder eine medizinisch notwendige Heilbehandlung i.S.v. § 1 Abs. 2 Satz 1 MB/KK sei noch eine erstattungsfähige Wahlleistung darstelle. Diese seien nach dem vereinbarten Tarif X nur Wahlleistungen der Arztwahl sowie der Unterbringung. Zum anderen sei auch gegen das Übermaßverbot nach § 5 Abs. 2 MB/KK verstoßen worden.
Er beantragt,
das Urteil des Landgerichts Bamberg vom 11.05.2018, 2 O 266/15 Ver aufzuheben und die Klage insgesamt abzuweisen.
Die Klägerin und die Streithelferin beantragen,
die Berufung des Beklagten gegen das Endurteil des Landgerichts Bamberg vom 11.05.2018 zurückzuweisen.
Die Klägerin verteidigt das Ersturteil unter Aufrechterhaltung und Vertiefung ihres erstinstanzlichen Vortrags. Insbesondere führt sie aus, dass bei der Klägerin aufgrund des Zusammenspiels zwischen einer bereits in der rechten Brust aufgetretenen aggressiven Krebsvorstufe und der Familienanamnese mit mehreren Krebserkrankungen eine auch die Mastektomie der linken Brust indizierende Erkrankung vorgelegen habe und nicht lediglich eine rein phrophylaktische Maßnahme. Hinsichtlich der zum Wiederaufbau der Brüste verwendeten Gewebematrix handele es sich um eine von der Klägerin mit der Streithelferin wirksam vereinbarte Wahlleistung, die gemäß dem Leistungsversprechen des Beklagten erstattungsfähig sei.
II.
Die zulässige Berufung des Beklagten bleibt in der Sache ohne Erfolg und ist zurückzuweisen. Das angefochtene Urteil erweist sich nach Überprüfung durch den Senat anhand des Berufungsvorbringens im Ergebnis wie in der Begründung als zutreffend. Die Mastektomie der linken Brust der Klägerin stellte sich im konkreten Fall als gemäß § 1 Abs. 2 MB/KK des Beklagten erstattungsfähige medizinisch notwendige Heilbehandlung wegen einer Krankheit dar (1.). Die Einbringung der Strattice-Gewebematrix ist als Wahlleistung vom Leistungsversprechen des Beklagten erfasst (2.).
1. Der vor der Mastektomie bei der Klägerin bestehende körperliche Zustand stellte sich als Krankheit im Sinne von § 1 Abs. 2 MB/KK des Beklagten dar.
a. Allgemeine Versicherungsbedingungen sind nach ständiger Rechtsprechung so auszulegen, wie ein durchschnittlicher, um Verständnis bemühter Versicherungsnehmer sie bei verständiger Würdigung, aufmerksamer Durchsicht und unter Berücksichtigung des erkennbaren Sinnzusammenhangs versteht. Unter einer bedingungsgemäßen Krankheit wird ein solcher Versicherungsnehmer entsprechend dem allgemeinen Sprachgebrauch, wie er sich auf der Grundlage allgemein bekannt gewordener medizinischer Erkenntnisse herausgebildet hat, einen objektiv nach ärztlichem Urteil bestehenden anormalen, regelwidrigen Körper- oder Geisteszustand verstehen, wobei sich die Einstufung als „anormal“ aus einem Vergleich mit der normalen biologischen Beschaffenheit des Menschen, die Einstufung als „regelwidrig“ aus der ergänzenden medizinischen Bewertung eines anormalen Zustandes ergibt (vgl. BGH, Urteil v. 17.02.2016, Az. IV ZR 353/14 m.w.N.; MüKo-VVG-Kalis, 2. Aufl. 2017, VVG § 192 Rn. 21). Dabei ist eine Krankheit nach dem gewöhnlichen Sprachgebrauch auch dadurch gekennzeichnet, dass sie eine nicht ganz unerhebliche Störung körperlicher oder geistiger Funktionen mit sich bringt (BGH, Urteil v. 17.02.2016, Az. IV ZR 353/14; Prölss/Martin-Voit, VVG 30. Aufl. § 192 Rn. 20).
b. Nach Auffassung des Senats erfasst der Krankheitsbegriff unter engen Voraussetzungen auch Fallgestaltungen, in denen es noch nicht zu einer Störung körperlicher oder geistiger Funktionen gekommen ist, jedoch ein erhebliches und schwerwiegendes Erkrankungsrisiko besteht. Soweit das Bundesverwaltungsgericht (BVerwG, Urteil v. 28.09-2017, Az- 5 C 10/16) dies bei einer gleichgelagerten Fallgestaltung für den Bereich der Beihilfeleistungen mit überzeugender Begründung angenommen hat, stehen dem die Besonderheiten der privaten Krankenheitskostenversicherung nicht entgegen.
Eine nähere Bestimmung des Krankheitsbegriffs ist in den zwischen den Parteien vereinbarten Versicherungsbedingungen des Beklagten nicht enthalten. Damit bedarf es unter Berücksichtigung der durch die Rechtspraxis bisher vorgenommenen Bestimmung einer Auslegung der vertraglichen Vereinbarung.
(1) Der Wortlaut „Krankheit“ und der hiermit verknüpfte mögliche Wortsinn als Grenze jeder Auslegung stehen dem zuvor bezeichneten Verständnis nicht entgegen. Maßgebend ist die Interpretation nach dem Sprachgebrauch des täglichen Lebens auf der Grundlage allgemein bekannter Erkenntnisse der Medizin (MüKo-VVG-Kalis,a.a.O., VVG § 192 Rn. 21). Danach ist es nicht ausgeschlossen, auch Fälle eines erheblichen Erkrankungsrisikos unter den Krankheitsbegriff zu fassen. Insbesondere aufgrund der mit dem medizinischen Fortschritt verbundenen verbesserten Früherkennungs- und Prognosemöglichkeiten hat sich ein Wandel im Verständnis gesundheitlicher Beeinträchtigungen vollzogen. In Bezug auf den sozialversicherungsrechtlichen Krankheitsbegriff geht auch der Gesetzgeber hiervon aus und hat aus diesem Grund davon abgesehen, den Begriff „Krankheit“ im Gesetz zu definieren, weil sein Inhalt ständigen Änderungen unterliegt (vgl. Gesetzentwurf der Fraktionen der CDU/CSU und FDP zum Entwurf eines Gesetzes zur Strukturreform im Gesundheitswesen, BT Drs. 11/2237). Dieser gewandelte Krankheitsbegriff steht daher nicht der Annahme entgegen, nicht ausschließlich bereits nach außen tretende und konkret beeinträchtigende vom Regelbild abweichende Zustände als Krankheit zu erfassen.
(2) Entscheidendem Gewicht für die Auslegung kommt Sinn und Zweck des Krankheitsbegriffs im Rahmen des zwischen den Parteien zugunsten der Klägerin vereinbarten Versicherungsschutzes zu. Der primäre Zweck einer Krankheitskostenversicherung besteht darin, sich finanziell gegen den Anfall unvorhersehbarer Aufwendungen für eine medizinisch notwendige Heilbehandlung zu adäquaten Beiträgen abzusichern (MüKo-VVG-Kalis, a.a.O., VVG § 192 Rn. 4). Dieses bedeutet für den vorliegenden Fall der vereinbarten Absicherung gegen Krankenhauskosten, dass mit einer Krankheit ein körperlicher Zustand der Klägerin als Versicherungsnehmerin Grundlage des Eintritts der Einstandspflicht des Beklagten sein soll, der die Klägerin zur Inanspruchnahme einer stationären Behandlung zur Veränderung des Zustands zwingt. Eine notwendige stationäre Behandlung kann jedoch auch in Fällen eines anormalen körperlichen Zustands gegeben sein, der noch keine konkret in Erscheinung getretene Störung körperlicher oder geistiger Funktionen mit sich bringt (vgl. Prölss/Martin-Voit, a.a.O., VVG § 192 Rn. 25). Auch bei Abweichungen, die ohne Behandlung mit hoher Wahrscheinlichkeit zu Störungen führen werden und deshalb eine medizinische Heilbehandlung notwendig machen, ist daher aus Sicht eines verständigen Versicherungsnehmers anzunehmen, dass die Parteien der Krankheitskostenversicherung eine Leistungspflicht begründen wollen.
Dementsprechend ist auch in der Judikatur des Bundessozialgerichts, welche auch in der privaten Krankenversicherung zur Bestimmung des Krankheitsbegriffs ergänzend herangezogen werden kann (vgl. Prölss/Martin-Voit, a.a.O., VVG § 192 Rn. 20), anerkannt, dass unter dem Gesichtspunkt der Behandlungsbedürftigkeit auch schon ein Erkrankungsrisiko die Leistungspflicht auslöst (vgl. hierzu umfassend Hauck, NJW 2016, 2695). So hat das Bundessozialgericht für die Annahme einer Krankheit ein Erkrankungsrisiko auch ohne eine schon bestehende Grunderkrankung im Sinne einer aktuellen Funktionsbeeinträchtigung ausreichen lassen. Als maßgeblich wurde dabei der Vergleich des Risikos einer unterbliebenen oder zu spät eingeleiteten Behandlung mit dem Ausmaß und der Schwere der Gefährdung angesehen (vgl. BSG, Urteil v. 23.02.1973, Az. 3 RK 82/72; Urteil v. 13.02.1975, Az. 3 RK 68/73; Urteil v. 16.11.1999, Az. B 1 KR 9/97 R; Urteil v. 17.02.2010, Az. B 1 KR 10/09 R). Allen genannten Entscheidungen des Bundessozialgerichts liegt im Wesentlichen zugrunde, dass eine Krankheit vorliegen kann, wenn eine auf Tatsachen gestützte Prognose den künftigen Eintritt schwerwiegender Funktionsbeeinträchtigungen erwarten lässt, wobei eine sofortige Behandlung wirksam, eine erfolgversprechende Behandlung nach Eintritt der erwarteten Funktionsbeeinträchtigung jedoch nicht möglich oder in ihrem Ausgang zumindest ungewiss ist, und diese Ungewissheit es für den Betreffenden unzumutbar macht, den Eintritt der Funktionsstörung abzuwarten (vgl. BVerwG, Urteil v. 28.09.2017, Az. 5 C 10/16).
Für den Fall einer HIV-Infektion entspricht es ferner der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs, dass die Übertragung des HIV selbst dann eine Gesundheitsbeeinträchtigung darstellt, wenn es zum Ausbruch der Immunschwächekrankheit AIDS noch nicht gekommen ist (BGH, Urteil v. 30.04.1991, Az. VI ZR 178/90). Danach stellt bereits der symptomfreie anormale Zustand der Infektion eine Krankheit dar (vgl. Prölss/MartinVoit, a.a.O., VVG § 192 Rn. 26 m.w.N.).
Für das Beihilferecht hat das Bundesverwaltungsgericht im Fall einer präventiven Mastektomie unter Berücksichtigung dessen angenommen, dass eine Krankheit auch dann vorliegt, wenn die auf Tatsachen gestützte konkrete Gefahr einer schwerwiegenden Gesundheitsschädigung besteht und die schädigenden Folgen, die im Falle des Ausbruchs der Krankheit einträten, so schwer sind, dass die Behandlungsbedürftigkeit bereits vor Realisierung der Gefahr zu bejahen ist, weil der betreffenden Person bei wertender Gesamtbetrachtung nicht zuzumuten ist, dem Geschehen seinen Lauf zu lassen und sich auf die Inanspruchnahme von Früherkennungsmaßnahmen zu beschränken (BVerwG, Urteil v. 28.09.2017, Az. 5 C 10/16).
Der Senat ist der Ansicht, dass unter diesen Voraussetzungen auch im Rahmen der privaten Krankheitskostenversicherung nach dem Sinn und Zweck der Versicherung von einer Krankheit gemäß § 1 Abs. 2 MB/KK, § 192 Abs. 1 VVG auszugehen ist.
c. Vorliegend ist es der Klägerin nach den getroffenen Feststellungen nicht zumutbar, auf den Eintritt einer auch die linke Brust betreffenden Krebserkrankung zuzuwarten und sich auf Früherkennungsmaßnahmen zu beschränken. Aus dem Vorhandensein einer lobulären Neoplasie Grad 3 in der rechten Brust als aggressiver und nicht tastbarer Krebsvorstufe in Verbindung mit einer hohen familiären Vorbelastung mit teilweise letal verlaufenen Krebserkrankungen folgt, dass die linksseitige Mastektomie sich als notwendige Konsequenz des aktuell anormalen körperlichen Zustands der Klägerin darstellt.
(1) Nach den nicht angegriffenen Feststellungen des Sachverständigen D. im Gutachten vom 05.08.2016 sowie der Anhörung vom 06.04.2017 entwickeln sich im Fall einer bereits mit Nekrosen verbundenen lobulären Neoplasie wie im Fall der Klägerin bei 9 bis 19% der Patientinnen kontralaterale Karzinome auch in der anderen Brust. Die bei der Klägerin vorhandene Krebsvorstufe ist nicht tastbar und nur mammografisch interventionell abklärbar. Durch die Mastektomie kann eine Risikoreduktion um 95 bis 100% erreicht werden.
(2) Wie der Sachverständige D. weiter überzeugend darstellte, stellt die familiäre Vorbelastung der Klägerin eine weitere Besonderheit dar. Sie entstammt einer Hochrisikofamilie. Sowohl die Mutter der Klägerin wie auch eine Tante mütterlicherseits verstarben an einem Mamma-Karzinom. Zwei weitere Schwestern mütterlicherseits waren an diesem zumindest erkrankt. Zwar wurde bei der Klägerin nicht die häufig mit Brustkrebserkrankung verbundene Mutation der Gene BRCA 1 oder BRCA 2 festgestellt. Der Sachverständige hat jedoch nachvollziehbar dargestellt, dass Brustkrebs durch zahlreiche Gene vererbt wird, ohne das insoweit eine standardisierte Früherkennung existiert.
(3) Unter Berücksichtigung dieser objektiven Umstände ist der Senat der Überzeugung, dass bei der Klägerin die konkrete Gefahr einer schwerwiegenden Gesundheitsschädigung bestand, wobei die schädigenden Folgen, die im Falle des Ausbruchs der Krankheit einträten, so schwer sind, dass die Behandlungsbedürftigkeit bereits vor Realisierung der Gefahr zu bejahen ist. Ein weiteres Zuwarten unter Inanspruchnahme von Früherkennungsmaßnahmen war der Klägerin nicht zumutbar.
Die Wahrscheinlichkeit einer erneuten Brustkrebserkrankung war bei der Klägerin in hohem Maße gesteigert, was sich aus dem Zusammentreffen der eingetretenen lobulären Neoplasie mit einer massiven familiären Vorbelastung ergibt. Brustkrebs stellt eine nicht selten tödlich verlaufende Erkrankung dar. Zwar bestehen Möglichkeiten der Früherkennung. Diese sind jedoch einerseits eingeschränkt, wenn wie im Fall der Klägerin Gewebeveränderungen nicht tastbar sind, so dass eine Früherkennung nur mittels apparativer Medizin erfolgen kann. Andererseits ist die bei der Klägerin aufgetretene Krebsvorstufe häufig mit mehreren Herdbefunden verbunden. Auch eine viertel- oder halbjährliche mittels Ultraschall oder Mammografie durchgeführte Früherkennung kann nicht sicher gewährleisten, dass Therapiemöglichkeiten nicht aufgrund einer bereits streuenden Karzinombildung erheblich reduziert oder ausgeschlossen werden.
Zudem ist die erhebliche persönliche Betroffenheit der Klägerin zu berücksichtigen, deren Mutter im Alter von 58 Jahren an Brustkrebs verstarb. Mit den weiteren krebsbedingten Krankheitsfällen, zumindest in einem Fall mit ebenfalls letalem Verlauf, ist von einer erheblichen auch psychischen Belastung der Klägerin auszugehen, die im engsten familiären Umfeld die unsicheren Erfolgsaussichten von Früherkennungsmaßnahmen bzw. Behandlungsmaßnahmen erlebte. Die Erkrankungen und Todesfälle ereigneten sich auch in einer Altersspanne der betroffenen engen Verwandten, der sich die 50-jährige Klägerin zumindest nähert.
Die Entfernung der linken Brust stellte sich daher als notwendige Heilbehandlung zur Beseitigung eines anormalen körperlichen Zustandes der Klägerin mit Krankheitswert aufgrund des hohen und nicht zumutbaren Risikos einer schwerwiegenden Störung dar. Die Höhe der von dem Beklagten daher gemäß § 1 Abs. 2, § 4 Abs. 1 MB/KK zu erstattenden Heilbehandlungskosten ist im Berufungsrechtszug nicht streitig.
2. Die Kosten der bei der Klägerin von der Streithelferin bei der Rekonstruktion der Brüste verwendeten Strattice-Gewebematrix sind gemäß § 1 Abs. 22, § 4 Abs. 1 MB/KK in Verbindung mit dem Leistungsversprechen nach Ziff. I des vereinbarten Tarifs X in der zugesprochenen Höhe von 60% ersatzfähig.
a. Bei der Strattice-Gewebematrix handelt es sich um eine Wahlleistung nach § 2 Abs. 1 KHEntgG, da sie über die medizinisch zweckmäßige und ausreichende Versorgung des Patienten hinausgeht (§ 2 Abs. 2 KHEntgG). Dem Leistungsversprechen der Beklagten gemäß § 1 Abs. 1, Abs. 2, Abs. 3 MB/KK in Verbindung mit Ziff. I des Tarifs X (Anlage K2) ist keine Beschränkung auf allgemeine Krankenhausleistungen zu entnehmen. Vielmehr ist der Katalog des Tarifs X so allgemein und umfassend gehalten, dass er ohne weiteres alle Wahlleistungen umfasst. In dem in Ziff. I. a) des Tarifs X aufgestellten Katalogs erstattungsfähiger Aufwendungen sind die Kosten für die Gewebematrix zumindest bei der gebotenen verwenderfeindlicher Auslegung unter Operationskosten zu fassen. Unter diese fallen auch bei einer Operation in den Körper des Patienten eingebrachte den Operationserfolg unterstützende Materialien.
b. Der Erstattungsfähigkeit steht auch nicht entgegen, dass mit der Verwendung eines titanisierten Netzes eine kostengünstigere, medizinisch zweckmäßige und ausreichende Versorgung möglich gewesen wäre. Die Berufung verkennt insoweit, dass die Notwendigkeit der Heilbehandlung nach § 1 Abs. 2 MB/KK sich allein darauf bezieht, inwieweit durch die Heilbehandlung die erforderliche Bekämpfung der Krankheit erfolgt. Die Einbeziehung von Kostengesichtspunkten lässt sich § 1 Abs. 2 Satz 1 MB/KK im Wege der Auslegung nicht entnehmen. Allgemeine Versicherungsbedingungen sind so auszulegen wie ein durchschnittlicher Versicherungsnehmer sie bei verständiger Würdigung, aufmerksamer Durchsicht und Berücksichtigung des erkennbaren Sinnzusammenhangs verstehen muss. Dabei kommt es auf die Verständnismöglichkeiten eines Versicherungsnehmers ohne versicherungsrechtliche Spezialkenntnisse und damit – auch – auf seine Interessen an.
Aus dem Wortlaut des § 1 Abs. 2 S. 1 MB/KK ist nicht zu ersehen, dass auch finanzielle Aspekte bei der Beurteilung der medizinischen Notwendigkeit der Heilbehandlung eine Rolle spielen sollen. § 1 Abs. 2 S. 1 MB/KK stellt nur auf die „medizinisch notwendige“ und nicht auf die „medizinische und notwendige“, die „notwendige medizinische“, die „medizinisch nur notwendige“ oder gar auf die „medizinisch und wirtschaftlich notwendige“ Heilbehandlung ab. „Medizinisch“ bezieht sich gerade auf „notwendig“. Dieser sprachliche Zusammenhang macht bei verständiger Lektüre deutlich, dass die Notwendigkeit der Heilbehandlung allein aus medizinischer Sicht zu beurteilen ist. Daraus entnimmt der durchschnittliche Versicherungsnehmer, dass es auf seine laienhaften Vorstellungen oder die Einschätzung des behandelnden Arztes nicht ankommt. Auch nach dem ihm erkennbaren Sinnzusammenhang wird er in diese Beurteilung Kostengesichtspunkte nicht hineinlesen. Er versteht wohl, dass ihm nicht die Kosten für jede beliebige Behandlungsmaßnahme erstattet werden, sondern nur für eine solche, die objektiv geeignet ist, sein Leiden zu heilen, zu bessern oder zu lindern. Dass darüber hinaus der Versicherer seine Leistungspflicht nur auf die billigste Behandlungsmethode beschränken will, erschließt sich dem Versicherungsnehmer dagegen nicht. Aus seiner Sicht verliert eine medizinisch anerkannte Heilbehandlung das qualifizierende Merkmal „notwendig“ im Einzelfall nicht deshalb, weil sie teurer ist als eine nach Einschätzung des Versicherers gleichwertige, aber kostengünstigere Behandlung. Zudem ist für den Versicherungsnehmer nicht erkennbar, nach welchen Maßstäben die medizinische Gleichwertigkeit von Heilbehandlungen zu beurteilen sein soll. Übernimmt der Versicherer – wie der Beklagte – die Kosten einer medizinisch notwendigen Heilbehandlung ohne für den durchschnittlichen Versicherungsnehmer erkennbare Einschränkung, so kann er ihn grundsätzlich nicht auf einen billigeren oder den billigsten Anbieter einer Heilbehandlung verweisen, die er für medizinisch gleichwertig hält (BGH, Urteil v. 12.03.2003, Az. IV ZR 278/01 = BGHZ 154, 154-171).
Die Notwendigkeit nach § 1 Abs. 2 MB/KK ist daher anders zu verstehen als im Rahmen von § 2 Abs. 2 KHEntgG, da in § 1 Abs. 2 MB/KK – zumindest bei der gebotenen verwenderfeindlichen Auslegung – kein Bezug auf die Wirtschaftlichkeit der Behandlung besteht, anders als mit der ausdrücklichen Erwähnung der „ausreichenden“ Behandlung in § 2 Abs. 2 KHEntgG.
c. Ebenso greift das Übermaßverbot nach § 5 Abs. 2 MB/KK nicht ein:
Der durchschnittliche Versicherungsnehmer kann schon dem Wortlaut des § 5 Abs. 2 MB/KK X nicht entnehmen, dass mit der Überschreitung des medizinisch notwendigen Maßes auch ein wirtschaftliches Übermaß gemeint ist. Ebenso wie in § 1 Abs. 2 S. 1 MB/KK X sind die Begriffe „medizinisch“ und „notwendig“ miteinander verbunden. Bei verständiger Würdigung dieses Zusammenhangs wird ein Durchschnittsversicherungsnehmer auch der Regelung des § 5 Abs. 2 MB/KK entnehmen, dass sich das notwendige Maß nicht nach seinen subjektiven Vorstellungen oder denen seines Arztes, sondern nach objektiven medizinischen Gesichtspunkten bestimmt. Auch wenn er als Ziel der Übermaßregelung erkennen kann, dass der Versicherer sich vor einer unnötigen Kostenbelastung schützen will, bezieht er die Kürzungsbefugnis auf Heilbehandlungsmaßnahmen, die aus medizinischer Sicht nicht mehr oder nicht in dem abgerechneten Umfang notwendig waren. Ihm erhellt sich indes nicht, dass er trotz uneingeschränkter medizinischer Notwendigkeit der Heilbehandlung reduzierte Versicherungsleistungen erhalten soll (BGH, Urteil v. 12.03.2003, Az. IV ZR 278/01 = BGHZ 154, 154-171).
Die von der Berufung angeführte Entscheidung des Bundesgerichtshofs (Urteil v. 22.04.2015, Az. IV ZR 419/13) ist nicht einschlägig, da dort der Verstoß gegen § 5 Abs. 2 MB/KK grundlegend auf die fehlende Notwendigkeit gestützt wurde (ein teureres Hörgerät wies verschiedene nicht zur Behebung der Krankheit notwendige Funktionen auf). § 5 Abs. 2 MB/KK betrifft die Kosten einer Übermaßbehandlung, nicht die einer unwirtschaftlichen Behandlung (Prölss/Martin-Voit, a.a.O., § 5 MB/KK Rn. 29). Es ist durch den Beklagten bereits nicht vorgetragen, dass die Strattice-Gewebematrix zusätzliche, über die zwingend erforderlichen Merkmale hinausgehende Funktionen aufwies. Vielmehr stellt sie sich lediglich als vollständig ersetzende und dabei teurere Alternative dar.
III.
Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 97 Abs. 1, 101 Abs. 1 ZPO.
Der Ausspruch über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 708 Nr. 10, § 711 ZPO.
Die Revision war vollumfänglich zuzulassen. Es handelt sich um eine Rechtssache von grundsätzlicher Bedeutung im Sinne des § 543 Abs. 2 Nr. 1 ZPO. Die vorliegend klärungsbedürftige Frage des Inhalts des privatversicherungsrechtlichen Krankheitsbegriffs und dessen Erstreckung auf eine noch störungsfreie konkrete Gefahr einer schwerwiegenden Gesundheitsschädigung kann sich in einer unbestimmten Vielzahl von Fällen stellen. Bundes- und obergerichtliche Rechtsprechung existiert – soweit ersichtlich – insoweit noch nicht.