Medizinrecht

Medizinische Versorgung in Serbien für Angehörige der Volksgruppe Roma

Aktenzeichen  M 17 K 15.30065

Datum:
15.4.2016
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
AufenthG AufenthG § 60 Abs. 7 S. 1, § 60a Abs. 2
EMRK EMRK Art. 8 Abs. 1

 

Leitsatz

Eine medizinische Versorgung in Serbien ist auch für Angehörige der Volksgruppe Roma möglich und erreichbar. (redaktioneller Leitsatz)
Die Erkrankung eines 13-jährigen Kindes an einer schweren Muskeldystrophie mit starker CK-Erhöhung sowie infektgetriggerten Rhabdomyolysen begründet ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 7 S. 1 AufenthG, da im Fall einer Rückführung nach Serbien eine wesentliche Verschlimmerung der Krankheit mit der Folge nicht ausschließbarer erheblicher und konkreter Lebens- oder Gesundheitsgefahr droht. (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I.
Soweit die Klage zurückgenommen wurde, wird das Verfahren eingestellt.
II.
Die Beklagte wird unter entsprechender Aufhebung des Bescheides des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge vom 14. Januar 2015 verpflichtet festzustellen, dass bei dem Kläger zu 2) die Voraussetzungen des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG hinsichtlich Serbien vorliegen.
Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
III.
Die Kosten des Verfahrens hat die Klägerin zu 1) zu ½, der Kläger zu 2) und die Beklagte jeweils zu ¼ zu tragen.
IV.
Das Urteil ist hinsichtlich der Kostenentscheidung vorläufig vollstreckbar.
V.
Dem Kläger zu 2) wird für die Rechtsverfolgung eines Anspruchs auf Feststellung, dass Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 7 AufenthG bestehen, Prozesskostenhilfe unter Beiordnung ihrer Prozessbevollmächtigten im Kostenumfang eines im Bezirk des Verwaltungsgerichts niedergelassenen Rechtsanwalts bewilligt. Im Übrigen wird der Antrag auf Gewährung von Prozesskostenhilfe abgelehnt.

Gründe

1. Soweit der Klägerbevollmächtigte die Klage zurückgenommen hat, war das Verfahren einzustellen, § 92 Abs. 3 VwGO.
2. Im Übrigen ist die zulässige Klage, über die im Einverständnis der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung entschieden werden konnte (§ 101 Abs. 2 VwGO), im Hinblick auf den Kläger zu 2) begründet.
2.1. Der Kläger zu 2) hat nach der im Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung maßgeblichen Sach- und Rechtslage (§ 77 Abs. 1 Satz 1 AsylG) einen Anspruch auf die Feststellung, dass ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG hinsichtlich Serbien vorliegt. Der angegriffene Bescheid des Bundesamts ist rechtswidrig, soweit er diesen Anspruch des Klägers in Nr. 2 nicht anerkennt und verletzt ihn daher in seinen subjektiv-öffentlichen Rechten (§ 113 Abs. 5 VwGO).
Nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG soll von der Abschiebung eines Ausländers in einen anderen Staat abgesehen werden, wenn dort für diesen Ausländer eine erhebliche, konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit besteht. Die Vorschrift kann einen Anspruch auf Abschiebungsschutz begründen, wenn die Gefahr besteht, dass sich die Krankheit eines ausreisepflichtigen Ausländers in seinem Heimatstaat wesentlich verschlechtert. Für die Bestimmung der „Gefahr“ gilt der Prognosemaßstab der beachtlichen Wahrscheinlichkeit, d. h. die drohende Rechtsgutverletzung darf nicht nur im Bereich des Möglichen liegen, sondern muss mit überwiegender Wahrscheinlichkeit zu erwarten sein (BVerwG, B. v. 2.11.1995 – 9 B 710.94 – DVBl 1996,108). Eine Gefahr ist „erheblich“, wenn eine Gesundheitsbeeinträchtigung von besonderer Intensität zu erwarten ist. Das wäre der Fall, wenn sich der Gesundheitszustand des Ausländers wesentlich oder sogar lebensbedrohlich verschlechtern würde. Eine wesentliche Verschlechterung ist nicht schon bei einer befürchteten ungünstigen Entwicklung des Gesundheitszustandes anzunehmen, sondern nur bei außergewöhnlich schweren körperlichen oder psychischen Schäden. Außerdem muss die Gefahr konkret sein, was voraussetzt, dass die Verschlechterung des Gesundheitszustandes alsbald nach der Rückkehr des Betroffenen in sein Heimatland eintreten wird (vgl. NdsOVG, U. v. 12.9.2007 – 8 LB 210/05 – juris Rn. 29 m. w. N.). Eine zielstaatsbezogene Gefahr für Leib und Leben besteht nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (vgl. etwa U. v. 29.10.2002 – 1 C 1.02 – DVBl 2003, 463) auch dann, wenn im Heimatland des Ausländers die notwendige Behandlung oder Medikation seiner Erkrankung zwar allgemein zur Verfügung steht, dem betroffenen Ausländer individuell jedoch aus finanziellen oder sonstigen Gründen nicht zugänglich ist.
Gemessen daran besteht für den in der Abschiebungsandrohung genannten Zielstaat Serbien für den Kläger zu 2) das Abschiebungsverbot. Bei einer Rückkehr dorthin würde sich sein gesundheitlicher Zustand mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit alsbald wesentlich verschlechtern.
Davon ist das Gericht aufgrund der zahlreichen vorliegenden medizinischen Stellungnahmen und nicht zuletzt aufgrund der Äußerung des Vertrauensarztes der Deutschen Botschaft in … überzeugt.
Grundsätzlich ist eine medizinische Versorgung in Serbien auch für Angehörige der Volksgruppe Roma möglich und erreichbar:
Anerkannte Sozialhilfeempfänger und ihre Familienangehörigen sind in der gesetzlichen Pflichtversicherung krankenversichert, wobei in Serbien Erkrankungen beinahe ausnahmslos grundsätzlich behandelbar sind (vgl. VG München, U. v. 5.8.2011 – M 17 K 10.31171 – juris; Lageberichte des Auswärtigen Amtes). Dabei ist zu berücksichtigen, dass der Abschiebungsschutz nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG nicht dazu dient, eine bestehende Krankheit optimal zu behandeln; insbesondere gewährt die Vorschrift keinen allgemeinen Anspruch auf Teilhabe am medizinischen Fortschritt und Standard der medizinischen Versorgung in Deutschland, vielmehr muss sich der Betreffende auf den Standard der Gesundheitsversorgung seines Herkunftsstaates verweisen lassen, auch wenn diese nicht dem Niveau in Deutschland entspricht (VG Arnsberg, U. v. 4.1.2007 – 7 K 1150/06.A – juris). Dabei verkennt das Gericht nicht, dass sämtliche zielstaatsbezogenen Umstände, die zu einer Verschlimmerung der Erkrankung führen können, in die Beurteilung mit einzubeziehen sind, also insbesondere die tatsächliche Nichterlangbarkeit einer an sich vorhandenen medizinischen Behandlungsmöglichkeit aus finanziellen oder sonstigen persönlichen Gründen oder die Gefahr des Hinzutretens von weiteren Erkrankungen im Zielstaat (BVerwG, U. v. 29.10.2002 – 1 C 1.02 – juris). Auch Roma haben in Serbien grundsätzlich Zugang zu allen staatlichen Einrichtungen und Dienstleistungen einschließlich der Sozialhilfe und der medizinischen Grundversorgung (vgl. VG Oldenburg, B. v. 27.1.2016 – 7 B 283/16 – juris Rn. 13). Ärztliche Notfallversorgung ist grundsätzlich auch für nicht registrierte Personen gewährleistet. Kinder unter 18 Jahren werden grundsätzlich kostenfrei behandelt, wenn sie registriert sind (Lagebericht des Auswärtigen Amts vom 23. November 2015, S. 12). Nach den dem Gericht vorliegenden Erkenntnismitteln ist für bisher nicht registrierte Personen mit Gesetz vom 31. August 2012 die Grundlage für eine nachträgliche Eintragung ins Personenstandsregister unter vereinfachten Bedingungen geschaffen worden. Damit soll der rechtliche Status insbesondere der Roma verbessert werden. In dem Ende 2011 in Kraft getretenen neuen Meldegesetz ist darüber hinaus eine Regelung aufgenommen worden, Personen, die nicht über einen Personalausweis verfügen, die Anmeldung zu erleichtern. Auch diese Regelung zielt darauf, bisher nicht registrierten Roma die Anmeldung zu ermöglichen. Roma werden auch dann grundsätzlich kostenfrei und ohne finanzielle Eigenbeteiligung in Serbien behandelt, wenn sie dort wegen ihrer traditionellen Lebensweise keinen festen Wohnsitz oder Aufenthalt haben. Mit der „Richtlinie über das Verfahren der Verwirklichung der Rechte aus der Sozialversicherung“ ist geregelt, dass Roma im System der Sozialversicherung angemeldet sein können, wenn sie eine persönliche Erklärung abgeben, dass sie Roma sind, und wenn sie eine persönliche Erklärung über den Ort ihres vorläufigen Aufenthalts abgeben (Auswärtiges Amt vom 1. Juli 2014 – 508-516.80/48127). Zwar können Roma u. U. in staatlichen Einrichtungen gelegentlich Opfer diskriminierender Behandlung werden. Es ist jedoch nicht ersichtlich, dass die auch für Roma eröffneten Rechtsschutzmöglichkeiten in Serbien keinen ausreichenden Schutz gegen eine willkürliche Versagung des Zugangs zu Sozial- und Gesundheitsleistungen bieten. Auch der Umstand, dass in Serbien befristet für neun Monate im Jahr Sozialhilfe bewilligt wird, ändert an der rechtlichen Beurteilung nichts, da in der übrigen Zeit zumindest ein Anspruch auf Nothilfe der Gemeinde besteht (SFH, Serbien: Zugang zu Sozialleistungen für Roma und Ashkali, 15. März 2015, S. 6). Daneben kommt hinreichende medizinische Versorgung zum Zuge. Für die medizinische Versorgung gibt es in Serbien, unter der Voraussetzung der Registrierung, eine gesetzliche Pflichtversicherung. Diese gilt für alle Arbeitnehmer, einschließlich ihrer Familienangehörigen. Gemeldete anerkannte Arbeitslose und anerkannte Sozialhilfeempfänger sowie deren Familienangehörige sind versichert, ohne Versicherungsbeiträge zahlen zu müssen. Gleiches gilt für Angehörige der Volksgruppe der Roma, sofern sie wegen ihrer traditionellen Lebensweise keinen festen Wohnsitz bzw. keinen Aufenthalt in Serbien haben (vgl. Lagebericht, S. 15 f.).
Dies wird auch durch die Feststellungen des Vertrauensarztes der Deutschen Botschaft in …, Dr. …, in seiner Stellungnahme vom 29. November 2015 bestätigt. Danach hätten die Angehörigen der Volksgruppe der Roma die gleichen Rechte wie auch alle anderen Bürger. Von diesen Rechten würden sie auch Gebrauch machen. Im Gesetz stehe, dass die Roma, die auf eine traditionelle Lebensweise leben, das Recht auf den Gesundheitsschutz in staatlichen medizinischen Anstalten haben, ungeachtet dessen, ob sie gültige medizinische Dokumente besitzen oder nicht.
Nach den Feststellungen des Lageberichts sind keine nachgewiesenen Fälle von Behandlungsverweigerung in öffentlichen Einrichtungen bekannt (vgl. Lagebericht, S. 15 f.). Sollte dessen ungeachtet nach der Rückkehr eine Behandlung im Rahmen der gesetzlichen Krankenversicherung verweigert werden, ist es jedenfalls zuzumuten, unter Zuhilfenahme von Verwandten und der dafür zuständigen Stellen, beispielsweise der Romagesundheitsmoderatoren/-mediatoren, des Republikanischen Krankenversicherungsfonds, oder erforderlichenfalls durch Inanspruchnahme gerichtlichen (Eil-)Rechtsschutzes den Anspruch auf Behandlung gegenüber einem diese rechtswidrig verweigernden Arzt durchzusetzen (vgl. VG Berlin, U. v. 29.1.2015 – 7 K 476.14 A – juris). Die damit verfügbare Behandlung bleibt auch nicht hinter dem zurück, was zur Abwendung erheblicher Verschlechterungen des Gesundheitszustandes erforderlich ist.
Das Voranstehende gilt insgesamt erst Recht, weil Serbien sicherer Herkunftsstaat ist, Anl. II AsylG (zu § 29a), woran es (auch hinsichtlich der Roma und Ashkali) keine rechtlichen Zweifel gibt (VG Oldenburg, B. v. 9.4.2015 – 7 B 1548/15 – VG Münster, U. v. 11.5.2015 – 4 K 3220/13.A und 4 K 802/13.A, VGH BW, U. v. 24.6.2015 – A 6 S 1259/14 – jeweils juris und m. w. N.). Die tatsächlichen Erkenntnisse, auf die das Gericht seine Überzeugungsbildung stützt, werden bestätigt durch den „Bericht im Hinblick auf die Einstufung der Republik Serbien als sicheres Herkunftsland im Sinne des § 29 a AsylVfG (Stand: November 2015)“ des Auswärtigen Amtes vom 23. November 2015 (dort unter 1.6. Medizinische Versorgung). Mithin ist die medizinische Versorgung bei gedachter Rückkehr nach Serbien grundsätzlich gesichert. Daran wird im und als Grundsatz festgehalten.
Allerdings muss insoweit berücksichtigt werden, dass die Frage, ob die Voraussetzungen des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG angesichts einer Erkrankung bei dem jeweiligen Ausländer vorliegen, nur einer Beurteilung anhand der jeweiligen Fallumstände, insbesondere des konkreten Krankheitsbildes, der konkreten notwendigen medizinischen Behandlungen und deren individueller Verfügbarkeit im Herkunftsstaat zugänglich ist, die grundsätzlich nicht „abstrakt“ für eine Vielzahl von Fällen gleichsam vorab vorgenommen werden kann (NdsOVG, B. v. 11.8.2015 – 8 LA 145/15). Die insoweit gebotene Einzelfallbetrachtung führt hier zu dem Ergebnis, dass die Voraussetzungen des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG hinsichtlich des Klägers zu 2) vorliegen; bezogen auf seine Person sind voraussichtlich Abschiebungsverbote gemäß § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG anzunehmen.
Denn unter Zugrundelegung aller vorstehender Kriterien und unter zusammenfassender Betrachtung aller relevanten Umstände und Aspekte ist im besonderen Einzelfall des Klägers zu 2) derzeit ein Abschiebungshindernis nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG anzunehmen. Es besteht die hinreichende Wahrscheinlichkeit dafür, dass der Kläger zu 2) aufgrund der bei ihm attestierten Erkrankungen und der belegten Krankheitsbilder bei einer Rückkehr nach Serbien ohne die Behandlung in der Form, wie sie diese in Deutschland erhält, und insbesondere im Hinblick auf die nach Attestlage bestehenden Gefahren alsbald schweren gesundheitlichen Gefahren ausgesetzt sein würde. Zwar geht das Gericht davon aus, dass für die Erkrankung des Klägers zu 2) an einer schweren Muskeldystrophie mit starker CK-Erhöhung sowie infektgetriggerten Rhabdomyolysen weder in Deutschland noch in Serbien eine ethiologische Therapie zur Verfügung steht und sowohl unbehandelt als auch behandelt zu einer verkürzten Lebenserwartung führt. Im Hinblick auf die Aussagen in den vorgelegten Attesten und mit Blick auf den hohen Rang der von Art. 2 Abs. 2 und Art. 1 Abs. 1 GG geschützten Rechtsgüter ist jedoch in diesem speziellen Einzelfall nach derzeitigem Stand davon auszugehen, dass der Kläger zu 2) im Falle einer derzeitigen Rückführung nach Serbien eine wesentliche Verschlimmerung der Krankheit mit der Folge nicht ausschließbarer erheblicher und konkreter Lebens- oder Gesundheitsgefahr droht.
Entsprechend bestätigen die ärztlichen Stellungnahmen (Morphologischer Befund des Klinikums der … vom … Juni 2012 – Bl. 22 BA, Ergänzender Arztbericht mit ergänzendem immunhistochemischem Befund des Klinikums der … vom … November 2012 – Bl. 23 f. BA, Elektronenmikroskopischer Ergänzungsbefund des Klinikums der … vom … Juli 2012 – Bl. 25 BA, Arztbericht des Klinikums der … vom … August 2012 – Bl. 26 ff. BA, Vorläufiger ärztlicher Bericht des Klinikums der … vom … Juli 2013 – Bl. 39 f. BA, Bericht der Kliniken … vom … Mai 2014 – Bl. 63 f. BA, Ärztliche Bescheinigung des Klinikums … vom … Juni 2015 – Bl. 74 GA, Arztbrief des Klinikums … vom … November 2015 – Bl. 83 GA, Arztbrief von Prof. Dr. …, Integriertes Sozialpädiatrisches Zentrum im Dr. … des Klinikums der … vom … Februar 2016 – Bl. 101 GA), dass es im Rahmen der Erkrankung des Klägers zu 2) zu myokardialem Versagen sowie zu einem Nierenversagen im Rahmen der Rhabdomyolysen kommen könne, so dass regelmäßige kardiologische Verlaufskontrollen sowie rasche stationäre Aufnahmen im Rahmen der Rhabdomyolysen notwendig seien. Ebenso müsse stets die Möglichkeit bestehen auf rasche Funktionseinschränkung der kardialen Funktion reagieren zu können. Es könnten entzündlich bedingten Muskeluntergänge auftreten, bei denen z. B. Infekte starke Episoden von Muskelzerfall hervorrufen würden. Diese Akutsituationen könnten, falls nicht rechtzeitig stationär in der Klinik behandelbar, lebensgefährliches Ausmaß annehmen. Der Gesundheitszustand des Klägers zu 2) verschlechtere sich zunehmend. Durch eine spezifische Behandlung durch die genannten Hilfsmittel sei regelhaft von einer längeren Lebenserwartung auszugehen als dies unbehandelt der Fall sei. Der Junge sei mit dieser Erkrankung in Serbien nicht adäquat versorgt, von einer Verschlechterung seines Zustandes sei mit höchster Wahrscheinlichkeit auszugehen. Zusätzlich bestehe die lebensbedrohliche Komponente der rezidivierenden Rhabdomyolysen, die bei nicht adäquater Therapie letal enden können.
Mit Schreiben vom 7. Dezember 2015 übersandte die Deutsche Botschaft in … die ärztliche Stellungnahme ihres Kooperations-/Vertrauensarztes … Dr. …, Facharzt für Neurologie und Psychiatrie, vom … November 2015 (Bl. 85 GA), wonach aufgrund der derzeitigen Situation in Serbien für den Kläger zu 2) keine adäquaten Behandlungsbedingungen bestünden.
Unter Berücksichtigung der ärztlichen Stellungnahmen würde sich demnach im Falle einer Rückkehr der Gesundheitszustand des Klägers zu 2) nach Einschätzung der behandelnden Ärzte mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit und alsbald verschlechtern.
Vor diesem Hintergrund geht das Gericht in diesem vorliegenden Einzelfall davon aus, dass bei dem Kläger zu 2) aus medizinischen Gründen im Falle seiner Rückkehr nach Serbien – jedenfalls zum gegenwärtigen Zeitpunkt – erhebliche individuelle Gesundheitsgefahren bestehen würden. Der streitgegenständliche Bescheid war daher insoweit aufzuheben und die Beklagte zu verpflichten, festzustellen, dass für den Kläger zu 2) die Voraussetzungen des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG hinsichtlich Serbiens vorliegen.
2.2. Allerdings kann sich die Klägerin zu 1) nicht mit Erfolg auf einen Anspruch auf die Feststellung berufen, dass ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG hinsichtlich Serbien vorliegt, weil nämlich das Vorliegen eines Abschiebungshindernisses in der Person des Klägers zu 2) nicht zugleich die ihr gegenüber ausgesprochene Abschiebungsandrohung rechtswidrig macht. Eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit müsste individuell für die Klägerin zu 1) („für diesen Ausländer“ im Sinne des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG) bestehen. Auch auf eine etwaige Unmöglichkeit der Abschiebung aus rechtlichen Gründen aufgrund der Trennung von Familienmitgliedern (Art. 6 GG bzw. Art. 8 Abs. 1 EMRK) könnte sich die Klägerin zu 1) hier nicht berufen, da dies kein zielstaatsbezogenes Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG, sondern ein im Rahmen von § 60a AufenthG zu prüfendes inlandsbezogenes Abschiebungshindernis ist, für das sich die Klägerin zu 1) auf einen Antrag auf Duldung nach § 60a Abs. 2 AufenthG bei der örtlich zuständigen Ausländerbehörde verweisen lassen muss und bei der Aufenthaltsbeendigung zu berücksichtigen ist (vgl. § 43 Abs. 3 Satz 1 AsylG; VG München U. v. 5.2.2015 – M 17 K 15.30002; NdsOVG, U. v. 18.5.2010 – 11 LB 186/08 – juris Rn. 47; OVG Berlin-Bbg. B. v. 30.4.2013 – OVG 12 S 25.13 – juris unter Hinweis auf § 59 Abs. 3 Satz 1 AufenthG; BVerwG, U. v. 25.9.1997 – 1 C 6/97 – juris).
3. Die Kostenentscheidung beruht hinsichtlich des zurückgenommenen Teils der Klage auf § 155 Abs. 2 VwGO, im Übrigen auf § 154 Abs. 1 VwGO und berücksichtigt die Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts zur Kostenteilung in Asylverfahren (vgl. z. B. B. v. 29.6.2009 – 10 B 60/08 – juris). Das Verfahren ist gemäß § 83 b AsylVfG gerichtskostenfrei.
4. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit der Kostenentscheidung ergibt sich aus § 167 VwGO i. V. m. §§ 708 ff der Zivilprozessordnung (ZPO).
5. Unter Bezugnahme auf die vorgenannten Ausführungen war der Klagepartei zu 2) für die Rechtsverfolgung eines Anspruchs auf Feststellung, dass Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 7 AufenthG bestehen, gemäß § 167 VwGO, §§ 114 ff., 121 Abs. 2, 3 ZPO Prozesskostenhilfe unter Beiordnung ihres Prozessbevollmächtigten zu gewähren, da die Rechtsverfolgung nicht mutwillig war und insofern für die Rechtsverfolgung hinreichende Aussicht auf Erfolg bestand. Die Vertretung der Klagepartei durch einen Rechtsanwalt im Klageverfahren war erforderlich. Soweit die Klagepartei ihre Klage hinsichtlich der Verpflichtung, den Klägern subsidiären Schutz gemäß § 4 AsylG zu gewähren, zurückgenommen hat, fehlt es an einer beabsichtigten Rechtsverfolgung im Sinne des § 114 Abs. 1 Satz 1 ZPO. Eine vor der Entscheidung über die Bewilligung erklärte Klagerücknahme führt daher stets zur Versagung der Prozesskostenhilfe (Geiger in Eyermann, VwGO, 14. Aufl. 2014, § 166 Rn. 27).
6. Die Entscheidungen über die Einstellung des Verfahrens (Nr. I des Tenors) und die Bewilligung von Prozesskostenhilfe (Nr. V des Tenors) sind unanfechtbar (§ 80 AsylG).

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