Medizinrecht

Nationales Abschiebungsverbot betreffend Pakistan wegen posttraumatischer Belastungsstörung (PTBS) bei jungem Erwachsenen

Aktenzeichen  M 23 K 14.31059

Datum:
12.5.2016
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
AufenthG AufenthG § 60 Abs. 5, Abs. 7 S. 1, S. 5

 

Leitsatz

Ein zielstaatsbezogenes Abschiebungshindernis nach § 60 Abs. 7 S. 1 AufenthG kann sich aus der Krankheit eines Ausländers ergeben, wenn diese sich im Heimatstaat verschlimmert, weil die Behandlungsmöglichkeiten dort unzureichend sind, wobei der Standard des deutschen Gesundheitssystems nicht gefordert werden kann (vgl. nunmehr § 60 Abs. 7 S. 3 AufenthG; VG Schwerin BeckRS 2016, 44900). (red. LS Clemens Kurzidem)
Ein zielstaatsbezogenes Abschiebungshindernis kann sich trotz an sich verfügbarer medikamentöser und ärztlicher Behandlung auch aus sonstigen Umständen im Zielstaat ergeben, die dazu führen, dass der betroffene Ausländer diese medizinische Versorgung tatsächlich nicht erlangen kann. Denn eine zielstaatsbezogene Gefahr für Leib und Leben besteht auch dann, wenn die notwendige Behandlung oder Medikation zwar allgemein zur Verfügung steht, dem betroffenen Ausländer individuell jedoch aus finanziellen oder sonstigen Gründen nicht zugänglich ist. (red. LS Clemens Kurzidem)
Für die Annahme einer „konkreten Gefahr“ im Sinne von § 60 Abs. 7 S. 1 AufenthG genügt nicht die bloße theoretische Möglichkeit, Opfer von Eingriffen in Leib, Leben oder Freiheit zu werden. Vielmehr ist der Begriff der „Gefahr“ im Ansatz kein anderer als der im asylrechtlichen Prognosemaßstab der „beachtlichen Wahrscheinlichkeit“ angelegte, wobei allerdings das Element der „Konkretheit“ der Gefahr für „diesen“ Ausländer das zusätzliche Erfordernis einer Einzelfall bezogenen, individuell bestimmten und erheblichen Gefährdungssituation statuiert (vgl. VGH München BeckRS 2013, 46857). (red. LS Clemens Kurzidem)
Es liegt in der Natur einer psychischen Erkrankung (PTBS), dass sie nicht allein durch Ereignisse entsteht, denen in Pakistan weite Teile der Bevölkerung ausgesetzt sind, sondern vielmehr in der Individualität des Erlebenden ihre Ursache hat. Dieser Individualität der Krankheitsentstehung und -ausbildung entspricht es, dass Personen, die als Folge individueller (Kriegs-) Ereignisse traumatisiert sind, keine Bevölkerungsgruppe im Sinne des § 60 Abs. 7 S. 5 AufenthG darstellen (VGH München BeckRS 2013, 46857). (red. LS Clemens Kurzidem)
Eine psychotherapeutische Behandlung einer PTBS ist für einen jungen Erwachsenen, der nicht durch einen vermögenden Familienverband unterstützt werden kann, in Pakistan nicht zu erlangen. (red. LS Clemens Kurzidem)

Tenor

I.
Das Verfahren wird eingestellt soweit der Kläger die Klage zurückgenommen hat.
II.
Der Bescheid des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge vom 23. September 2014 wird in Nr. 4 insoweit aufgehoben, als festgestellt wurde, dass ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 7 AufenthG nicht vorliegt.
Er wird zudem in Nr. 5 aufgehoben.
Die Beklagte wird verpflichtet festzustellen, dass die Voraussetzungen des § 60 Abs. 7 AufenthG hinsichtlich Pakistans vorliegen.
III.
Von den Kosten des Verfahrens trägt der Kläger ¾, die Beklagte ¼.
IV.
Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar.
Der jeweilige Kostenschuldner darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht der jeweilige Kostengläubiger vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Gründe

Das Gericht konnte trotz Ausbleibens eines Vertreters der Beklagten über die Sache verhandeln und entscheiden, da die Beklagte ordnungsgemäß geladen und in der Ladung auf diese Möglichkeit hingewiesen worden war (§ 102 Abs. 2 VwGO).
Soweit die Bevollmächtigte des Klägers in der mündlichen Verhandlung die Klage, abgesehen von dem gestellten Hilfsantrag in Bezug auf die Feststellung eines Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG zurückgenommen hat, war das Verfahren einzustellen, § 92 Abs. 3 VwGO.
Die Klage ist im Übrigen begründet. Der angefochtene Bescheid des Bundesamts ist rechtswidrig, soweit darin in Nr. 4 festgestellt wird, dass ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 7 AufenthG nicht vorliegt und verletzt den Kläger insoweit in seinen Rechten. Der Kläger hat einen Anspruch auf Verpflichtung der Beklagten zur Feststellung eines Abschiebungsverbots hinsichtlich Pakistans nach § 60 Abs. 7 AufenthG unter entsprechender Aufhebung der Regelung in Nr. 4 des streitgegenständlichen Bescheids (§ 113 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 5 Satz 1 VwGO).
Maßgeblich für die Entscheidung ist die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung (§ 77 Abs. 1 Satz 1 AsylG).
Da der Kläger einen Anspruch auf Feststellung eines nationalen Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG hinsichtlich Pakistans hat, bedarf es einer Entscheidung über das Vorliegen der Voraussetzungen des § 60 Abs. 5 AufenthG nicht mehr, da es sich bei dem nationalen Abschiebeverbots nach § 60 Abs. 5 und Abs. 7 Satz 1 AufenthG einschließlich § 60 Abs. 7 Sätze 1 AufenthG in verfassungskonformer Anwendung um einen einheitlichen, in sich nicht weiter teilbaren Streitgegenstand handelt.
Nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG soll von der Abschiebung eines Ausländers in einen anderen Staat abgesehen werden, wenn dort für diesen Ausländer eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit besteht. Wegen seiner Erkrankung droht dem Kläger bei Rückkehr in die Heimat eine erhebliche konkrete Gesundheitsgefahr.
Die Regelung in § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG erfasst nur solche Gefahren die in den spezifischen Verhältnissen im Zielstaat begründet sind, während Gefahren, die sich aus der Abschiebung als solche ergeben, nur von der Ausländerbehörde als inlandsbezogenes Vollstreckungshindernis berücksichtigt werden können (ständige Rechtsprechung vgl. BVerwG, U. v. 17.10.2006 – 1 C 18/05 – juris). Ein zielstaatsbezogenes Abschiebungshindernis kann sich auch aus der Krankheit eines Ausländers ergeben, wenn diese sich im Heimatstaat verschlimmert, weil die Behandlungsmöglichkeiten dort unzureichend sind, wobei der Standard des deutschen Gesundheitssystems nicht gefordert werden kann (vgl. nunmehr auch § 60 Abs. 7 Satz 3 AufenthG; VG Schwerin, U. v. 29.3.2016 – 5 A 2716/15 As SN – juris). Ein zielstaatsbezogenes Abschiebungshindernis kann sich darüber hinaus trotz an sich verfügbarer medikamentöser und ärztlicher Behandlung aber auch aus sonstigen Umständen im Zielstaat ergeben, die dazu führen, dass der betroffene Ausländer diese medizinische Versorgung tatsächlich nicht erlangen kann. Denn eine zielstaatsbezogene Gefahr für Leib und Leben besteht auch dann, wenn die notwendige Behandlung oder Medikation zwar allgemein zur Verfügung steht, dem betroffenen Ausländer individuell jedoch aus finanziellen oder sonstigen Gründen nicht zugänglich ist. In die Beurteilung miteinzubeziehen und bei der Gefahrenprognose zu berücksichtigen sind sämtliche zielstaatsbezogenen Umstände, die zu einer Verschlimmerung der Erkrankung führen können. Für die Annahme einer „konkreten Gefahr“ genügt nicht die bloße theoretische Möglichkeit, Opfer von Eingriffen in Leib, Leben oder Freiheit zu werden. Vielmehr ist der Begriff der „Gefahr“ im Sinn von § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG im Ansatz kein anderer als der im asylrechtlichen Prognosemaßstab der „beachtlichen Wahrscheinlichkeit“ angelegte, wobei allerdings das Element der „Konkretheit“ der Gefahr für „diesen“ Ausländer das zusätzliche Erfordernis einer Einzelfall bezogenen, individuell bestimmten und erheblichen Gefährdungssituation statuiert (vgl. BayVGH, U. v. 23.11.2012 – 13a B 12.30061 unter Bezugnahme auf BVerwG, U. v. 17.10.1995 – 9 C 9/95 zu § 53 Abs. 6 AuslG 1990 – jeweils juris). Erforderlich, aber auch ausreichend für das Vorliegen der Voraussetzungen des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG ist damit in Krankheitsfällen, dass sich die vorhandene Erkrankung des Ausländers aufgrund zielstaatsbezogener Umstände in einer Weise verschlimmert, die zu einer erheblichen und konkreten Gefahr für Leib oder Leben führt, d. h. dass eine wesentliche Verschlimmerung der Erkrankung alsbald nach der Rückkehr des Ausländers droht (BVerwG, U. v. 22.3.2012 – 1 C 3.11; BayVGH U. v. 17.3.2016 – 13a B 16.30007 – jeweils juris).
Ob eine behandlungsbedürftige Erkrankung vorliegt, bedarf der Darlegung durch den jeweiligen Antragsteller (§ 86 Abs. 1 Satz 1 Halbs. 2 VwGO; vgl. dazu BVerwG, B. v. 26. Juli 2012 – 10 B 21.12; U. v. 11. September 2007 – 10 C 8.07, jeweils juris). Besondere Anforderungen hierfür gelten nach der ständigen Rechtsprechung im Hinblick auf das Vorbringen einer behandlungsbedürftigen posttraumatischen Belastungsstörung (PTBS). Angesichts der Unschärfen des Krankheitsbilds und seiner vielfältigen Symptome bedarf es hierfür regelmäßig eines fachärztlichen Attests, das den Mindestanforderungen genügt. So muss sich nachvollziehbar ergeben, auf welcher Grundlage der Facharzt seine Diagnose gestellt hat und wie sich die Krankheit im konkreten Fall darstellt. Dazu gehören etwa Angaben darüber, seit wann und wie häufig sich der Patient in ärztlicher Behandlung befunden hat und ob die von ihm geschilderten Beschwerden durch die erhobenen Befunde bestätigt werden. Des Weiteren sollte das Attest Aufschluss über die Schwere der Krankheit, deren Behandlungsbedürftigkeit sowie den bisherigen Behandlungsverlauf (Medikation und Therapie) geben. Wird das Vorliegen einer PTBS auf traumatisierende Erlebnisse im Heimatland gestützt und werden die Symptome erst längere Zeit nach der Ausreise aus dem Heimatland vorgetragen, ist in der Regel auch eine Begründung dafür erforderlich, warum die Erkrankung nicht früher geltend gemacht worden ist (vgl. grundlegend BVerwG, U. v. 11.9.2007 – 10 C 17.07 – juris).
Aufgrund der vorliegenden umfangreichen psychologischpsychotherapeutischen Stellungnahmen, sowohl von dem den Kläger behandelnden Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie, als auch der behandelnden Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeutin, sowie der Stellungnahmen des betreuenden Sozialpädagogen steht für das Gericht unzweifelhaft fest, dass der Kläger an anhaltenden Depressionen sowie schweren Angstattacken auf dem Boden einer posttraumatischen Belastungsstörung leidet und der längerfristigen Behandlung bedarf, welche in Pakistan zumindest für den Kläger nicht zu erreichen ist.
Die vorliegenden Stellungnahmen beruhen auf einem Behandlungs- und Beobachtungszeitraum von knapp eineinhalb Jahren mit regelmäßigem intensivem Kontakt zum Kläger. Sie bestätigen übereistimmend, dass der Kläger aufgrund der Vorfälle in Pakistan sowie Erfahrungen auf der Flucht traumatisiert sei. So führt das Psychologischpsychotherapeutische Attest vom 20. Oktober 2014 aus, dass der Kläger deutliche Schlafstörungen habe und regelmäßig unter Albträumen leide. Er verfalle in Panik und habe Angstreaktionen. An körperlichen Beschwerden würden häufig auftretende Kopfschmerzen, Schwindelanfälle und indifferente Schmerzen am ganzen Körper beklagt. Die innere Anspannung des Klägers werde in psychomotorischer Unruhe deutlich. Wiedererleben zeige sich in Form von Intrusionen. Vermeidungsverhalten werde deutlich in Ablenkungsversuchen und „Sich-Beschäftigt-Halten“, sowie in Darüberweggehen oder Themenwechsel beim Ansprechen belastender Erlebnisse. Die Steuerungsfähigkeit, besonders in Bezug auf selbstgefährdendes Verhalten, scheine unter hohe emotionaler Belastung reduziert. Das fachärztliche Kurzgutachten vom 22. Februar 2016 kommt zu dem Ergebnis, dass bei dem Kläger sich der eindeutige Befund einer posttraumatischen Belastungsstörung ergebe mit nächtlichen Angstattacken, angstvollem Erwachen, dem Immerwiedersehen von Bildern von Gewalterfahrung, der anschließenden Unmöglichkeit wieder einzuschlafen und einer daraus resultierenden massiven Tagesmüdigkeit. Diese Intrusionen oder Flashback‘s mit den praktisch psychotischen Bildern erlebter Gewaltszenen beeinflussten das nächtliche Leben von dem Kläger weiterhin, trotz Gruppenpsychotherapie und trotz beginnender Einzelpsychotherapie. Neben der Therapie erfolge eine Medikamentengabe. Der Kläger leide dennoch weiterhin an schlaflosen angstvollen Nächten und Flashback‘s.
Auch wenn die einzelnen vorgelegten Gutachten zum Teil nur Kurzgutachten darstellen, so ergibt sich für das Gericht in der Gesamtschau dennoch eine überzeugende Einschätzung und Diagnose. Schließlich bestätigen die vorgelegten Stellungnahmen der Ärzte, Therapeuten und des Sozialpädagogen auch, dass der Kläger zuverlässig die ihm angebotenen Therapiemöglichkeiten wahrnimmt und dennoch weiterhin – trotz gewisser Besserung – der dringend weiteren Behandlung und Führsorge bedarf. Dementsprechend ist auch der Kläger weiterhin, trotz Volljährigkeit, im Rahmen einer Jugendhilfemaßnahme in einer Einrichtung „…“ untergebracht. Wie der in der mündlichen Verhandlung anwesende Betreuer ausführte, benötigt der Kläger diese pädagogische Betreuung auch in erheblichem Umfang weiterhin. Zwar war der Kläger in der Lage, im Juli 2015 seinen Mittelschulabschluss zu machen und eine Berufsausbildung als Gärtner zu beginnen. Der persönliche Eindruck des Gerichts im Rahmen der mündlichen Verhandlung bestätigt jedoch ebenfalls, dass dem Kläger dies nur mit umfassender therapeutischer und pädagogischer Behandlung und Betreuung gelingt.
Bezüglich der Erkrankung des Klägers greift auch nicht die Sperrwirkung des § 60 Abs. 7 Satz 5 AufenthG, selbst wenn die psychische Erkrankung zumindest überwiegend wohl auf Ereignissen beruht, denen viele Menschen in Pakistan in gleicher oder ähnlicher Weise ausgesetzt sind. Denn es liegt in der Natur einer psychischen Erkrankung, dass sie nicht allein durch diese Ereignisse entsteht, sondern vielmehr in der Individualität des Erlebenden ihre Ursache hat. Diese Individualität der Krankheitsentstehung und -ausbildung entspricht es, dass Personen, die als Folge individueller (Kriegs-) Ereignisse traumatisiert sind, keine Bevölkerungsgruppe im Sinne des § 60 Abs. 7 Satz 5 AufenthG darstellen (vgl. zu § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG a. F. BayVGH U. v. 23.11.2012 – 13a B 12.30061 m. w. N. – juris)
Wie sich aus den Stellungnahmen eindeutig ergibt, benötigt der Kläger, neben einer – auch nur teilweise erfolgreichen medikamentösen Behandlung – insbesondere weiterhin eine umfangreiche engmaschige psychotherapeutische Behandlung.
Diese Behandlung ist in Pakistan zum gegenwärtigen Zeitpunkt für den Kläger nach Überzeugung des Gerichts nicht erreichbar. Aufgrund der vorliegenden Erkenntnismittel geht das Gericht zwar davon aus, dass in Pakistan eine medizinische Behandlung grundsätzlich möglich ist und auch die Grundversorgung mit nahezu allen gängigen Medikamenten sicher gestellt ist (vgl. Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschieberelevante Lage in der islamischen Republik Pakistan – Lagebericht -, Stand Juli 2015, Seite 27), allerdings dürfte hinsichtlich der Behandlung mit einer Psychotherapie diese Einschätzung nicht gelten (vgl. Schweizerische Flüchtlingshilfe, Pakistan: Medizinische Versorgung, Auskunft der SFH-Länderanalyse, 14. Mai 2009; Schweizerische Flüchtlingshilfe, Pakistan: Medizinische Versorgung, 27. März 2014; Akkord – Anfragebeantwortung zu Pakistan: Situation für Personen mit psychischer Erkrankung vom 22. Mai 2013). So sei die psychiatrische Versorgung in Pakistan gemessen an europäischen Standards dürftig und bestehe dabei noch ein großes Gefälle zwischen Stadt und Land. 90 Prozent der Dienstleistungen im Bereich geistiger Gesundheit seien darüber hinaus privat und deren Kosten gemessen am Durchschnittseinkommen extrem hoch. Aufgrund des akuten Mangels an psychosozialen Fachkräften und des relativ geringen Bewusstseinsstandes für psychische Gesundheit, lasse sich die Mehrheit der psychiatrischen Patienten von traditionellen „Wunderheilern“ und religiösen heilen behandeln. Das Stigma, das mit psychischen Störungen verbunden sei, und die Diskriminierung von Patienten und deren Familie würden Personen davon abhalten, Dienstleistungen der psychischen Gesundheitsvorsorge in Anspruch zu nehmen. Der Bereich der geistigen Gesundheit habe die niedrigste Priorität, der Gesundheitsdienst sei elementar bis miserabel. Nach diesen Erkenntnismitteln ist davon auszugehen, dass für den Kläger – der auch nicht von einem vermögenden Familienverband unterstützt werden kann – keine oder jedenfalls keine ausreichende Therapie zur Verfügung steht (vgl. hierzu ausführlich VG Ansbach, U. v. 27.2.2014 – AN 11 K 13.31170 – juris RN. 43ff).
Darüber hinaus erscheint es aufgrund der medizinischen Stellungnahmen als äußerst wahrscheinlich, dass sich der gesundheitliche Zustand des Klägers im Fall einer zwangsweisen Rückkehr in sein Heimatland deutlich verschlechtern würde. Das Gericht folgt insoweit der Einschätzung der psychologischen Stellungnahmen, dass die Erkrankung des Klägers (zumindest primär) auf dramatischen Ereignissen im Heimatland des Klägers beruht und eine Konfrontation damit zu einer deutlichen Verschlechterung und Retraumatisierung mit Folgen bis hin zum Suizid führen würde.
Bei einer Rückkehr nach Pakistan droht dem Kläger somit wegen seiner Erkrankung mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit eine erhebliche konkrete Gesundheitsgefahr. Damit liegt ein Abschiebungshindernis vor, dass zur Verpflichtung der Beklagten zur Feststellung eines Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG führt.
Nr. 4 des streitgegenständlichen Bescheids war daher insoweit aufzuheben und die Beklagte zu verpflichten, festzustellen, dass für den Kläger die Voraussetzungen des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG hinsichtlich Pakistans vorliegen. Infolge des Abschiebungsverbots war auch die Abschiebungsandrohung in Nr. 5 des Bescheids aufzuheben, da im Umkehrschluss zu § 34 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 AsylG eine Abschiebungsandrohung unzulässig ist, wenn die Voraussetzungen des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG vorliegen und kein atypischer Fall gegeben ist (BayVGH, U. v. 23.11.2012 – 13a B 12.30061 – juris). Nr. 5 des streitgegenständlichen Bescheids ist daher rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).
Die Kostenentscheidung beruht hinsichtlich des zurückgenommenen Teils der Klage auf § 155 Abs. 2 VwGO, im Übrigen auf § 154 Abs. 1 VwGO und berücksichtigt die Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts zur Kostenteilung in Asylverfahren (vgl. z. B. Beschluss vom 29.6.2009 – 10 B 60/08 – juris). Das Verfahren ist gemäß § 83b AsylG gerichtskostenfrei.
Der Ausspruch zur vorläufigen Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 Abs. 1 VwGO i. V. m. §§ 708 ff. ZPO.

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