Medizinrecht

Neuerteilung der Fahrerlaubnis

Aktenzeichen  W 6 K 20.500

Datum:
11.11.2020
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2020, 33740
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Würzburg
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
StVG § 2 Abs. 4 S. 1
FeV § 11 Abs. 1
FeV § 20 Abs. 1
BtMG § 13 Abs. 1 S. 1, § 13 Abs. 1 S. 2

 

Leitsatz

Tenor

I. Der Bescheid des Landratsamtes … vom 13. März 2020 wird aufgehoben. Der Beklagte wird verpflichtet, über den Antrag des Klägers vom 29. Mai 2019 unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts neu zu entscheiden.
II. Der Beklagte hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
III. Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der Beklagte kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe der zu vollstreckenden Kosten abwenden, wenn nicht der Kläger vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Gründe

Die zulässige Klage hat Erfolg, denn der Kläger hat einen Anspruch auf die beantragte erneute Verbescheidung seines Antrags auf Erteilung der Fahrerlaubnis vom 29. Mai 2019, § 113 Abs. 5 Satz 2 VwGO. Die im Ablehnungsbescheid des Landratsamts … vom 13. März 2020 angeführten Gründe rechtfertigen die Versagung der begehrten Fahrerlaubnis nicht.
1. Da dem Kläger mit Strafbefehl des Amtsgerichts Gemünden a.Main vom 15. November 2005 (Az.: … … … …) rechtskräftig die Fahrerlaubnis entzogen wurde, gelten nach § 20 Abs. 1 FeV im Verfahren auf Neuerteilung einer Fahrerlaubnis nach vorangegangener Entziehung die Vorschriften über die Ersterteilung. Gemäß § 2 Abs. 3 Satz 1 Nr. 3 StVG müssen Fahrerlaubnisbewerber zum Führen von Kraftfahrzeugen geeignet sein. Dies ist gemäß § 2 Abs. 1, Abs. 4 Satz 1 StVG, § 11 Abs. 1 Satz 1 FeV der Fall, wenn sie die körperlichen und geistigen Anforderungen erfüllen und nicht erheblich oder wiederholt gegen verkehrsrechtliche Vorschriften oder Strafgesetze verstoßen haben. Nach § 11 Abs. 1 Satz 2 FeV sind die Anforderungen insbesondere dann nicht erfüllt, wenn ein Mangel oder eine Erkrankung im Sinne von Anlage 4 oder 5 zur FeV vorliegt. Gibt es Anhaltspunkte dafür, dass ein solcher Mangel vorliegen könnte, ist die Fahrerlaubnisbehörde je nach Ausgestaltung der entsprechenden gesetzlichen Regelung gemäß den §§ 11 bis 14 FeV dazu berechtigt oder gar verpflichtet, Maßnahmen zur Aufklärung bestehender Fahreignungszweifel zu ergreifen. Der Bewerber um eine Fahrerlaubnis hat seine Eignung nachzuweisen, denn es besteht keine Eignungsvermutung zu seinen Gunsten. Vielmehr muss die Eignung bei der (Neu-)Erteilung der Fahrerlaubnis positiv festgestellt werden (Hühnermann in Burmann/Heß/Hühnermann/Jahnke, Straßenverkehrsrecht, 26. Aufl. 2020, StVG § 2 Rn. 7).
Die Ablehnung des Antrags des Klägers auf Wiedererteilung der Fahrerlaubnis war rechtswidrig, da mangels Hinweises auf die Rechtsfolgen des § 11 Abs. 8 FeV in der Gutachtensanordnung vom 21. Oktober 2019 der Schluss auf die Nichteignung des Klägers wegen Nichtvorlage des Gutachtens gerade nicht gezogen werden durfte. Ungeachtet dessen entsprach die Anordnung einer medizinisch-psychologischen Untersuchung nicht den Anforderungen des § 11 Abs. 6 FeV, insbesondere ist sie nicht verhältnismäßig gewesen. Da die vom Beklagten angeführten Gründe die Versagung der Fahrerlaubnis nicht tragen und sich die Fahrerlaubnisbehörde mit weiteren entscheidungserheblichen Gesichtspunkten nicht befasst hat, ist der Ablehnungsbescheid vom 13. März 2020 aufzuheben und das Verwaltungsverfahren vom Beklagten weiter zu betreiben sowie unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts neu zu verbescheiden.
Entgegen seiner Ansicht hat der Kläger bis zum Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung seine Fahreignung jedoch nicht abschließend nachgewiesen, sodass ungeachtet des – zwischen den Beteiligten unbestrittenen Erfordernisses des (erneuten) Ablegens der theoretischen und praktischen Fahrprüfung – weiterer Aufklärungsbedarf besteht. Wegen des jahrelangen illegalen Cannabiskonsums in der Vergangenheit bestehen nämlich weitere Fahreignungszweifel hinsichtlich der Adhärenz des Klägers.
1.1. Mit dem Gesetz zur Änderung betäubungsmittelrechtlicher und anderer Vorschriften vom 6. März 2017 (BGBl. I S. 403) wurde Cannabis in die Anlage III zum Betäubungsmittelgesetz – BtMG – aufgenommen, wodurch seine Verkehrs- und Verschreibungsfähigkeit hergestellt wurde. Es ist im Hinblick hierauf rechtlich geboten, den Konsum von Medizinal-Cannabis aus dem Anwendungsbereich der Nr. 9.2.1 der Anlage 4 zur Fahrerlaubnis-Verordnung auszuklammern. Denn bei der Einnahme von ärztlich verordnetem Medizinal-Cannabis entfällt die Fahreignung grundsätzlich nicht schon nach Nr. 9.2.1 der Anlage 4 zur FeV wegen regelmäßigem Cannabiskonsum, wenn es sich um die bestimmungsgemäße Einnahme eines für einen konkreten Krankheitsfall verschriebenen Arzneimittels i.S.d. Nr. 3.14.1 der Begutachtungs-Leitlinien zur Kraftfahrereignung vom 27. Januar 2014 (Begutachtungs-Leitlinien, VkBl. S. 110; Stand: 31.12.2019, die nach § 11 Abs. 5 FeV i.V.m. Anlage 4a Grundlage für die Beurteilung der Eignung zum Führen von Kraftfahrzeugen sind) handelt (sog. Arzneimittelprivileg, vgl. Dauer in Hentschel/König/Dauer, Straßenverkehrsrecht, 45. Aufl. 2019, § 2 StVG Rn. 65). Insoweit definieren Nr. 9.4 und Nr. 9.6.2 der Anlage 4 zur FeV speziellere Anforderungen für Eignungsmängel, die aus dem Gebrauch von psychoaktiven Arzneimitteln resultieren (vgl. Dauer, a.a.O., Haus/Krumm/Quarch, Gesamtes Verkehrsrecht, 2. Aufl. 2017, § 11 FeV Rn. 51).
Soll eine Dauerbehandlung mit Medizinal-Cannabis im Sinne von Nr. 9.6 der Anlage 4 zur FeV nicht zum Verlust der Fahreignung führen, setzt dies voraus, dass die Einnahme von Cannabis indiziert und ärztlich verordnet ist und im Rahmen der Behandlung einer Erkrankung erfolgt (Schubert/Huetten/Reimann/Graw, Begutachtungsleitlinien zur Kraftfahreignung, 3. Aufl. 2018, S. 303). Dies setzt voraus, dass das Medizinal-Cannabis zuverlässig nur nach der ärztlichen Verordnung eingenommen wird, keine dauerhaften Auswirkungen auf die Leistungsfähigkeit festzustellen sind, die Grunderkrankung bzw. die vorliegende Symptomatik keine verkehrsmedizinisch relevante Ausprägung aufweist, die eine sichere Verkehrsteilnahme beeinträchtigt, und nicht zu erwarten ist, dass der Betroffene in Situationen, in denen seine Fahrsicherheit durch Auswirkungen der Erkrankung oder der Medikation beeinträchtigt ist, am Straßenverkehr teilnehmen wird; hierbei ist stets eine einzelfallorientierte Betrachtung erforderlich (BayVGH, B.v. 16.1.2020 – 11 CS 19.1535 – BeckRS 2020, 1237 – Rn. 22 unter Verweis auf: Handlungsempfehlung der Ständigen Arbeitsgruppe Beurteilungskriterien [StAB] zur Fahreignungsbegutachtung bei Cannabismedikation, aktualisierte Fassung vom August 2018, abgedruckt in Schubert/Huetten/Reimann/Graw, a.a.O., S. 440 ff. – nachfolgend: Handlungsempfehlung Cannabismedikation – S. 443; vgl. auch OVG NW, B.v. 5.7.2019 – 16 B 1544/18 – Blutalkohol 56, 342 = juris Rn. 4 ff.; VGH BW, B.v. 31.1.2017 – 10 S 1503/16 – VRS 131, 207 = juris Rn. 8 f.).
Aus Sicht der erkennenden Kammer ist gerade hinsichtlich der zuverlässigen Einnahme des Medizinal-Cannabis nur nach der ärztlichen Verordnung und damit der Compliance bzw. Adhärenz bei der Aufklärung ein besonderer Schwerpunkt zu setzen, der je nach der konkret zu beurteilenden Sachverhaltsgestaltung aus verschiedenen Perspektiven ausgeleuchtet werden muss. Dies gilt zum einen, weil gerade auch Patienten mit Medizinal-Cannabis behandelt werden, die bereits eine Vorgeschichte mit illegalem Cannabiskonsum haben. Zum anderen fällt anhand vorliegender Literatur auf, dass obwohl es sich bei der Behandlung mit Medizinal-Cannabis aufgrund unzureichender Studienlage stets um einen individuellen Heilversuch handelt, dennoch bereits im Jahr 2017, d.h. dem Jahr der Gesetzesänderung, eine erstaunlich hohe Zahl an Anträgen bei den Krankenkassen verzeichnet wurde (ohne Erfassung von Privatrezepten); es liegt daher nahe, dass auch cannabisaffine Personen versuchen, über den Weg einer ärztlichen Verschreibung den Gebrauch zu legalisieren (vgl. Mußhoff/Graw, Blutalkohol 2019, 73). Da Patienten mit einer Sucht- oder Missbrauchsvorgeschichte sich von den Patienten, die aus rein medizinischen Gründen erstmalig Cannabis in einem Therapiekontext erhalten, unterscheiden, differenziert folglich die Handlungsempfehlung Cannabismedikation drei verschiedene Fallgruppen abhängig von der Cannabisvorerfahrung: 1. Patienten, bei denen der Arzt die Indikation stellt und Cannabis als Medikament verschreibt, 2. Patienten, die in der Krankheitsvorgeschichte Erfahrungen mit (illegaler) Cannabis-Eigentherapie gemacht haben und nun auf eine Verschreibung durch den Arzt wechseln und 3. Konsumenten, die eine Missbrauchsvorgeschichte und/oder eine drogenbezogene Delinquenz aufweisen und die eine Cannabisverschreibung aus medizinischen Gründen anstreben, um missbräuchlichen Konsum zu legalisieren (Handlungsempfehlung Cannabismedikation, a.a.O., S. 442). Personen vom Typ 3) gilt es, nicht mit Cannabis zu versorgen und insbesondere auch von der Teilnahme am Straßenverkehr auszuschließen. Auch sind sie verantwortlich für den derzeit sehr skeptischen Eindruck in der Öffentlichkeit, was die Therapie mit Cannabisprodukten betrifft, was sich äußerst negativ auf den verantwortungsbewussten Patienten auswirkt, der durchaus adhärent und leistungsfähig ist und dem der Erhalt der Mobilität dann auch ermöglicht werden sollte (Mußhoff/Graw, Blutalkohol 2019, 73, 80f.).
Diese Differenzierung findet ihre Stütze auch in § 13 Abs. 1 Satz 1 und 2 BtMG. Hieraus ergibt sich, dass Medizinal-Cannabis nur im Rahmen einer ordnungsgemäßen Behandlung ärztlich verschrieben, verabreicht oder überlassen werden darf und dies nur dann, wenn die Anwendung am oder im Körper begründet ist, was insbesondere dann nicht der Fall ist, wenn der beabsichtigte Zweck auf andere Weise erreicht werden kann. Hieraus ist zum einen abzuleiten, dass zwingende Voraussetzung einer medizinischen Indikation eine eigene Untersuchung des Patienten durch den verschreibenden oder die Behandlung veranlassenden Arzt darstellen muss. Auf diese Weise soll den Anforderungen an die Sicherheit und Kontrolle des legalen Betäubungsmittelverkehrs Genüge getan und die Eignung und Erforderlichkeit einer Behandlung mit Betäubungsmitteln sichergestellt werden (Bohnen/Schmidt in BeckOK, Stand 15.9.2019, § 13 BtMG Rn. 16). Zudem dürfen Betäubungsmittel immer nur die Ultima Ratio darstellen: Kommen andere Maßnahmen in Betracht, die zur Erreichung des Ziels geeignet sind, wie eine Änderung der Lebensweise, physiotherapeutische Behandlungen, eine Psycho- oder Verhaltenstherapie oder die Anwendung nicht den Vorschriften des Betäubungsmittelgesetzes unterliegender Arzneimittel, ist diesen der Vorrang zu geben (Bohnen/Schmidt in BeckOK, Stand 15.9.2019, § 13 BtMG Rn. 25; Patzak in Körner/Patzak/Volkmer, BtMG, 9. Aufl. 2019, § 13 Rn. 20 ff.). An diesen hohen Hürden wollte auch das Gesetz zur Änderung betäubungsmittelrechtlicher und anderer Vorschriften vom 6. März 2017 nichts ändern: Beabsichtigt war mit der Gesetzesänderung ausweislich der Begründung, Patientinnen und Patienten mit schwerwiegenden Erkrankungen nach entsprechender Indikationsstellung und bei fehlenden Therapiealternativen zu ermöglichen, Cannabis-Arzneimittel zu therapeutischen Zwecken in standardisierter Qualität durch Abgabe in Apotheken zu erhalten. Die behandelnden Ärzte haben hierbei insbesondere das Vorliegen der – auch schon nach geltender Rechtslage – für alle übrigen verschreibungsfähigen Betäubungsmittel geltenden Voraussetzungen des § 13 Abs. 1 Satz 1 und 2 BtMG zu berücksichtigen (BT-Drs. 18/8965, S. 13).
1.2. Unter Zugrundelegung dieser Anforderungen bestehen jedenfalls keine Zweifel (mehr), dass für den Kläger hinsichtlich der gegebenen Behandlung seiner Erkrankung (Acne inversa) mit Medizinal-Cannabis das Arzneimittelprivileg gilt. Einer weitergehenden Aufklärung dieser Frage durch die Fahrerlaubnisbehörde bedurfte es daher nicht, sodass die Gutachtensanforderung vom 21. Oktober 2019 (vgl. Fragen Nrn. 3 und 4) schon deshalb rechtswidrig gewesen ist.
Im ärztlichen Gutachten der IBBK vom 18. September 2019 (Untersuchungstag: 29.8.2019) wird festgestellt, dass die Grunderkrankung Acne inversa (ICD-10: L73.2) die Verordnung von Cannabis rechtfertigt. Der Gutachter kommt zu diesem Ergebnis auf der Grundlage von umfangreichen, durch den Kläger bereitgestellten Unterlagen (vgl. ärztl. Gutachten v. 18.9.2019, S. 6: ärztliche Bescheinigung v. 8.4.2017 zur Vorlage bei der gesetzlichen Krankenversicherung durch den damals behandelnden Hautarzt, Befundbericht des Universitätsklinikums Würzburg v. 13.6.2018 und je zwei Kostenübernahmeerklärungen der Krankenversicherung des Klägers) sowie durch einen Fragebogen und eine eigene Anamnese (ärztl. Gutachten v. 18.9.2019, S. 5). Der Gutachter stellt abschließend fest, dass bei der Behandlung des Klägers mehrere verschiedene Versuche stattgefunden hätten, die hinsichtlich ihres Erfolges unzureichend gewesen seien und sich seit der Behandlung mit Medizinal-Cannabis ein zufriedenstellender Erfolg eingestellt habe (ärztl. Gutachten v. 18.9.2019, S. 10). Dieser Beurteilung legte der Gutachter offenkundig auch die gesetzlichen Anforderungen des § 13 Abs. 1 Satz 1 und Satz 2 BtMG zugrunde, da er auf Seite 4 des Gutachtens darauf hinweist, dass die Notwenigkeit der Einnahme von Medizinal-Cannabis medizinisch hinreichend begründet sein muss. Anhaltspunkte, welche die Tragfähigkeit dieser fachlichen Feststellungen erschüttern könnten, sind weder ersichtlich noch wurden sie von der Behörde vorgetragen.
Soweit sich der Beklagte daran stößt, dass der in Unterfranken wohnende Kläger in Behandlung bei einem Arzt in Leipzig ist, vermag dieser Umstand alleine die Feststellung des medizinischen Gutachtens, dass die Behandlung mit Medizinal-Cannabis gerechtfertigt ist, nicht zu erschüttern. Bei dem behandelnden Arzt Dr. S. M. handelt es sich unstrittig um einen zugelassenen und praktizierenden Arzt, der ausweislich des vorgelegten Attestes ein Facharzt für Allgemeinmedizin/Naturheilverfahren/Ernährungsmedizin/Reisemedizin ist. Weshalb es einem solchen Arzt nicht möglich sein sollte, eine Therapie mit Medizinal-Cannabis zu verordnen und zu überwachen, erschließt sich nicht, insbesondere da ausweislich § 13 Abs. 1 BtMG die Verschreibung von Betäubungsmitteln und deren Verwendung im Rahmen einer ärztlichen Behandlung nicht einer bestimmten medizinischen Fachrichtung vorbehalten ist, sondern (nur) an den ärztlichen Heilauftrag geknüpft ist. Des Weiteren steht es dem Kläger grundsätzlich frei, an welchen Arzt – auch räumlich gesehen – er sich mit seiner Behandlung wendet, wobei der Kläger in der mündlichen Verhandlung nachvollziehbar erklärt hat, dass es schwierig sei, überhaupt einen entsprechenden Arzt zu finden.
1.3. Jedoch hat der Kläger bis zum Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung seine Fahreignung (noch) nicht abschließend nachgewiesen, denn es bestehen noch aufzuklärende Zweifel aufgrund der Auffälligkeit im Jahr 2005, als der Kläger unter erheblichem Cannabiseinfluss ein Kraftfahrzeug geführt hatte, sowie des Umstands, dass er in der Vergangenheit jahrelang illegal beschafftes Cannabis konsumiert hat.
Wie bereits oben (1.1) ausgeführt, ist eine zentrale Frage die nach der zwingend zu fordernden Compliance bzw. Adhärenz. Die Begriffe Compliance und Adhärenz werden mitunter synonym verwendet, der Begriff der Compliance wird zunehmend vom Begriff der Adhärenz abgelöst. Hinter dem Adhärenz-Konstrukt steckt gegenüber dem Gedanken der reinen Befolgung ärztlicher Anordnungen die Idee der aktiveren und verantwortungsbewussteren Rolle des Patienten beim Umgang mit der Erkrankung und bei der Planung, Gestaltung und dem Erreichen des Therapieziels (vgl. Handlungsempfehlung Cannabismedikation, a.a.O., S. 443 – Fn 5). Der diesbezügliche Aufklärungsumfang muss sich unter Berücksichtigung des jeweiligen Einzelfalls auch danach richten, ob der Betroffene bereits in der Vergangenheit in Zusammenhang mit illegalem Cannabiskonsum aufgefallen ist oder dahingehende Vorerfahrung hat. Bejahendenfalls sieht die Handlungsempfehlung Cannabismedikation bei diesen Personen vor, im psychologischen Teil der Untersuchung das Bestehen und Qualifizieren einer etwaigen früheren Drogenproblematik abzuklären (Handlungsempfehlung Cannabismedikation, a.a.O., S. 444), sodass im Rahmen des psychologischen Untersuchungsgesprächs Aspekte eines möglichen missbräuchlichen Umgangs mit dem Medizinal-Cannabis, des Risikos eines Beikonsums sowie des Rückfalls in eine frühere Suchtproblematik geklärt werden können (Handlungsempfehlung Cannabismedikation, a.a.O., S. 446).
Ausweislich seiner Angaben bei der medizinischen Untersuchung am 29. August 2019 konsumiere der Kläger, seit er 17 bzw. 18 Jahre alt war, in wechselnder Intensität und Häufigkeit Cannabis, teilweise unterbrochen von Konsumpausen bis zu drei Monaten. Im Jahr 2006 sei er für acht Monate während und einige Zeit nach einer hautärztlichen Behandlung abstinent gewesen. Nach seinen eigenen Angaben habe sich der Hautzustand in Zeiten der Abstinenz verschlechtert, seit Juni 2017 erhalte er Medizinal-Cannabis (ärztl. Gutachten v. 18.9.2019, S. 4-5). Infolgedessen ist in Einklang mit der Handlungsempfehlung Cannabismedikation aufzuklären, ob der Kläger als jahrelanger Konsument von illegalem Cannabis dennoch die notwendige Compliance bzw. Adhärenz mit sich bringt. Das Gericht verkennt dabei nicht, dass in dem bereits vorgelegten ärztlichen Gutachten vom 18. September 2019 dem Kläger bescheinigt wird, dass seine Compliance hoch ist (ärztl. Gutachten v. 18.9.2019, S. 10). Jedoch kann das lediglich eine medizinische Beurteilung der Compliance des Klägers sein, die sich gerade nicht mit seiner Drogenvergangenheit und der diesbezüglichen inneren Einstellung auseinandersetzt. Denn hinsichtlich der Behandlung mit Medizinal-Cannabis kann nichts anderes gelten, als bei verkehrsmedizinisch relevanten Arzneimitteln, bei deren Einnahme der Überprüfung der Compliance bzw. Adhärenz besondere Beachtung geschenkt werden muss (Schubert/Huetten/Reimann/Graw, Begutachtungsleitlinien zur Kraftfahreignung, 3. Aufl. 2018, S. 309). Denn nur im Rahmen eines psychologischen Untersuchungsgesprächs können die Vorgeschichte und insbesondere die Lerngeschichte im Umgang mit der Substanzwirkung bei der Beurteilung eines verantwortlichen Umgangs mit den ärztlich verordneten Cannabismedikamenten berücksichtigt werden (Handlungsempfehlung Cannabismedikation, a.a.O., S. 446).
Rein vorsorglich ist anzumerken, dass aus dem ärztlichen Gutachten der IBBK vom 18. September 2019 nicht hervorgeht, ob ein Psychologe konsiliarisch für die Durchführung der psycho-physischen Leistungstest herangezogen worden ist. Das ärztliche Gutachten ist ausschließlich von einem Arzt unterzeichnet und aus dem Abschnitt zu den Leistungstestverfahren (ärztl. Gutachten v. 18.9.2019, S. 7-9) geht nicht hervor, dass und welcher Psychologe die Tests durchgeführt hat, was jedoch zwingend erforderlich ist. Die psychische Leistungsfähigkeit, insbesondere die Konzentrations- und Aufmerksamkeitsleistung sowie Reaktionsfähigkeit, werden nämlich mit (rein) psychologischen Testverfahren untersucht (vgl. Nr. 2.5 der Begutachtungs-Leitlinien). Bevor eine erneute psycho-physische Leistungsüberprüfung angeordnet wird, sollte von der Begutachtungsstelle eine ergänzende Stellungnahme zu dieser Frage angefordert werden.
2. Nach alldem ist die Versagung der beantragten Erteilung der Fahrerlaubnis in der vorliegenden Form rechtswidrig gewesen. Das Landratsamt war unter Aufhebung des ablehnenden Bescheids vom 13. März 2020 zur Neuentscheidung unter Beachtung der oben dargestellten Rechtsauffassung des Gerichts – insbesondere hinsichtlich der noch aufzuklärenden Zweifel – zu verpflichten.
3. Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 154 Abs. 1 VwGO, die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit ergibt sich aus §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.

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