Aktenzeichen 3 ZB 13.2198
Leitsatz
1 Ein Beweisantrag ist als unzulässiges Ausforschungsbegehren abzulehnen, wenn er dazu dienen soll, Behauptungen zu stützen, die erkennbar ohne jede tatsächliche Grundlage erhoben werden. Einem Prozessbeteiligten ist es verwehrt, unter formalem Beweisantritt Behauptungen aufzustellen, für deren Wahrheitsgehalt nicht wenigstens eine gewisse Wahrscheinlichkeit spricht (hier: Verursachung eines Innenohrschadens durch “Temperaturtrauma”). (redaktioneller Leitsatz)
2 Zur Substantiierung eines Sachverständigenbeweisantrags ist angesichts eines unscharfen Krankheitsbildes mit vielfältigen Symptomen die Vorlage eines gewissen Mindestanforderungen genügenden fachärztlichen Attestes notwendig (BVerwG BeckRS 2008, 30091). (redaktioneller Leitsatz)
3 Der Beamte trägt die materielle Beweislast dafür, dass eine Schädigung wesentlich auf den Dienstunfall zurückzuführen ist. Lassen sich die anspruchsbegründenden Voraussetzungen für einen Dienstunfall nicht aufklären, geht die Nichterweislichkeit dieser Tatsachen zulasten des Beamten; dies gilt auch für den Kausalzusammenhang zwischen Unfallgeschehen und Körperschaden (vgl. BayVGH BeckRS 2016, 41752). (redaktioneller Leitsatz)
Verfahrensgang
12 K 13.1652 2013-08-27 Urt VGMUENCHEN VG München
Tenor
I.
Der Antrag auf Zulassung der Berufung wird abgelehnt.
II.
Der Kläger trägt die Kosten des Antragsverfahrens.
III.
Der Streitwert für das Antragsverfahren wird auf 5000,- Euro festgesetzt.
Gründe
Der auf den Zulassungsgrund des § 124 Abs. 2 Nr. 5 VwGO (Verfahrensmangel, auf dem die Entscheidung beruhen kann) gestützte Antrag bleibt ohne Erfolg.
Die Berufung ist nicht wegen eines Verfahrensmangels im Sinne von § 124 Abs. 2 Nr. 5 VwGO zuzulassen. Die vom Kläger gerügte Ablehnung seines in der mündlichen Verhandlung gestellten Beweisantrags begründet keinen Verfahrensmangel.
Der Kläger beantragte die Einholung eines Sachverständigengutachtens durch einen Facharzt auf dem Gebiet der Hals-, Nasen- und Ohren- Heilkunde (HNO) zum Beweis dafür, dass die vom Kläger geltend gemachte Innenohrschädigung und die einhergehenden Beschwerden ursächlich auf den Einsatz am 11. Dezember 2010 im Saunabereich der Therme E… zurückzuführen sind. Das Verwaltungsgericht hat diesen Antrag laut der Niederschrift über die mündliche Verhandlung mit der Begründung abgelehnt, dass für die unter Beweis gestellte Tatsache unter Beachtung der klägerischen Angaben, der von ihm vorgelegten und von der Beklagten eingeholten ärztlichen Stellungnahmen nicht eine gewisse Wahrscheinlichkeit spreche und es sich daher um einen Ausforschungsbeweis handele. Dies ist rechtlich nicht zu beanstanden.
Beweisanträge der Prozessbeteiligten nach § 86 Abs. 1 Satz 2 VwGO sind unsubstantiiert und als Ausforschungsbegehren unzulässig, wenn sie dazu dienen sollen, Behauptungen und Vermutungen zu stützen, die erkennbar ohne jede tatsächliche Grundlage erhoben werden. Einem Prozessbeteiligten ist es verwehrt, unter formalem Beweisantritt Behauptungen aufzustellen, für deren Wahrheitsgehalt wenigstens nicht eine gewisse Wahrscheinlichkeit spricht (BVerwG, B. v. 13.6.2007 – 4 BN 6/07; B. v. 5.3.2002 – 1 B 194/01; B. v. 30.1.2002 – 1 B 326/01 – jeweils in juris; OVG NW, B. v. 1.12.2011 – 6 A 512/11 – juris Rn. 5).
Gemessen daran ist die Ablehnung des Beweisantrags nicht verfahrensfehlerhaft.
Der Kläger begehrt die Verpflichtung des Beklagten, die Körperschäden „Vertigo mit Rechtsfallneigung, Tinnitus aurium rechts, Neuropathia vestibularis rechts“ als Dienstunfallfolgen eines im Rahmen des polizeilichen Einsatzes im Saunabereich der Therme E… dargelegten Ereignisses als Dienstunfall anzuerkennen und dem Kläger die gesetzlichen beamtenrechtlichen Unfallfürsorgeleistungen zu gewähren. Der Kläger sei aufgrund der winterlichen Außentemperatur beim Verlassen des Saunabereichs einer extremen Temperaturschwankung ausgesetzt gewesen, die als sog. „Temperaturtrauma“ zu den diagnostizierten Körperschäden geführt habe.
Der Beamte trägt die materielle Beweislast dafür, dass eine Schädigung wesentlich auf den Dienstunfall zurückzuführen ist. Für das Vorliegen eines Dienstunfalls ist der volle Beweis zu erbringen. Dieser muss mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit feststehen. Lassen sich die anspruchsbegründenden Voraussetzungen für einen Dienstunfall nicht aufklären, geht die Nichterweislichkeit dieser Tatsachen nach allgemeinen Beweisgrundsätzen zulasten des Beamten; dies gilt auch für den erforderlichen Kausalzusammenhang zwischen Unfallgeschehen und Körperschaden (vgl. BayVGH, B. v. 18.1.2016 – 3 ZB 13.34 – juris Rn. 8; B. v. 9.10.2015 – 3 ZB 12.1708 – juris Rn. 14; Plog/Wiedow, BeamtVG, Stand: Oktober 2015, § 31 Rn. 225 und Rn. 227; BVerwG, U. v. 22.10.1981 – 2 C 17/81 – juris Rn. 23).
Als maßgebliches Ereignis im Sinne des Dienstunfallrechts kommt hier nach dem Klagevortrag nur die Teilnahme am Einsatz im Saunabereich in der Therme E… vom 11. Dezember 2010 in Betracht. Ein Dienstunfall aufgrund der Teilnahme kann aber nur anerkannt werden, wenn die diagnostizierten Gesundheitsstörungen ihre zumindest wesentliche Teilursache in diesem Polizeieinsatz gefunden hätten (st. Rspr.; vgl. BayVGH, U. v. 14.12.2015 – 3 B 13.920 – juris Rn. 41). Der Dienstherr trägt im Rahmen der Dienstunfallfürsorge nur die spezifischen Gefahren der Beamtentätigkeit. Die materielle Beweislast liegt insoweit beim Kläger. Es muss deshalb ausgeschlossen werden, dass andere Gründe für den Körperschaden ursächlich waren. Es fällt aber nicht in die Risikosphäre des Beklagten, nachzuweisen, dass die Beschwerden des Klägers nicht aufgrund anderer Umstände oder persönlicher Disposition eingetreten sind. Dieses Risiko trägt der Kläger (vgl. VG Frankfurt, U. v. 25.2.2013 – 9 K 2327/12.F – juris Rn. 21)
Mit Bescheid vom 8. November 2011 und Widerspruchsbescheid vom 18. März 2013 lehnte das Landesamt für Finanzen die Anerkennung des Ereignisses vom 11. Dezember 2010 als Dienstunfall im Sinne des § 31 BeamtVG ab, da nach den allgemein geltenden Beweisgrundsätzen trotz Vorlage der ärztlichen Gutachten vom 24. Februar 2011 (Dr. B…) bzw. 14. Januar 2013 (Dr. U…) weiterhin davon auszugehen sei, dass die geltend gemachten Körperschäden „Vertigo mit Rechtsfallneigung, Tinnitus aurium rechts und Neuropathia vestibularis rechts“ nicht auf die Lufttemperatur am 11. Dezember 2010 im Saunabereich bzw. auf die Temperaturunterschiede zurückzuführen seien. Das im Attest vom 14. Januar 2013 geltend gemachte „Temperaturtrauma“ existiere in der HNO-Literatur nicht. Es sei dort auch nicht als mögliche Ursache für einen Tinnitus aufgeführt. Weitere Ermittlungen seien nicht veranlasst. Diesen Ausführungen ist der Kläger weder durch weiteren, substantiierten Sachvortrag noch durch Vorlage eines entsprechenden, die Kausalität zumindest als wahrscheinlich bestätigenden, hinreichend substantiierten Facharztgutachten entgegen getreten.
Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts darf zwar ein Beweisantrag auf Einholung eines Sachverständigengutachtens zum Nachweis einer tatsächlichen Erkrankung nicht mit der Begründung abgelehnt werden, dass der Kläger diese Erkrankung „nicht glaubhaft gemacht“ hat, gleichwohl ist zur Substantiierung eines Sachverständigenbeweisantrags angesichts eines unscharfen Krankheitsbildes (dort: Posttraumatische Belastungsstörung) mit vielfältigen Symptomen regelmäßig die Vorlage eines – gewissen Mindestanforderungen genügenden – fachärztlichen Attestes notwendig. Aus diesem muss sich nachvollziehbar ergeben, auf welcher Grundlage der Facharzt seine Diagnose gestellt hat und wie sich die Krankheit im konkreten Fall darstellt. Dazu gehören etwa Angaben darüber, seit wann und wie häufig sich der Patient in ärztlicher Behandlung befunden hat und ob die von ihm geschilderten Beschwerden durch die erhobenen Befunde bestätigt werden. Des Weiteren sollte das Attest Aufschluss über die Schwere der Krankheit, deren Behandlungsbedürftigkeit sowie den bisherigen Behandlungsverlauf (Medikation und Therapie) geben (BVerwG, U. v. 11.9.2007 – 10 C 8/07 – juris Rn. 15).
Soweit das Verwaltungsgericht diese Mindestanforderungen an ein ärztliches Attest auf den Fall des Nachweises der Kausalität eines Ereignisses für einen Körperschaden im Sinne des Dienstunfallrechts übertragen hat und es – auch im Hinblick auf die vielfältigen Ursachen, die einen Tinnitus auslösen bzw. zu einer Innenohrschädigung führen können – eine gewisse, nachvollziehbar ärztlich bestätigte Wahrscheinlichkeit fordert, dass diese Schäden durch das Ereignis hervorgerufen wurden bzw. hervorgerufen werden konnten, so ist dies rechtlich nicht zu beanstanden.
Zu Recht gelangte das Verwaltungsgericht zum Ergebnis, dass sich eine solche – zumindest wahrscheinliche – Kausalität den vom Kläger im Laufe des Verfahrens vorgelegten ärztlichen Attesten nicht entnehmen lässt. Ein ärztlicher Bericht des nach eigenem Vorbringen aufgrund der Beschwerden ab 13. Dezember 2010 konsultierten Arztes Dr. M… wurde vom Kläger nicht vorgelegt. Der mehrfachen Aufforderung des Beklagten, im Interesse des Klägers einen eingehenden Bericht über die Behandlung vorzulegen, wurde von Dr. M… ebenfalls nicht nachgekommen. Es fehlt insoweit am Nachweis, dass die beim Kläger am 24. Februar 2011 vom HNO-Facharzt Dr. B… diagnostizierten Gesundheitsstörungen tatsächlich unmittelbar nach dem dienstlichen Einsatz vom 11. Dezember 2010 aufgetreten sind bzw. mit diesem in unmittelbaren Zusammenhang stehen. Der vorgelegte Bericht des behandelnden Facharztes Dr. B… vom 2. Juni 2012, bei dem sich der Kläger am 24. Februar 2011 – also zweieinhalb Monate nach dem fraglichen Einsatz – vorgestellt hat, beschreibt zwar die beim Kläger bestehenden Gesundheitsstörungen im Zeitpunkt der Vorstellung, enthält jedoch keinerlei ärztliche Einschätzung zur Ursache der diagnostizierten Gesundheitsstörungen.
Obwohl der Kläger im Rahmen des ablehnenden Bescheids vom 8. November 2011 und des Widerspruchsbescheids vom 18. März 2013 auf der Grundlage des Schreibens des Ärztlichen Diensts der Bayerischen Polizei – Sachgebiet M 2 – vom 31. Oktober 2012 durch das Landesamt für Finanzen ausdrücklich darauf hingewiesen worden ist, dass er die volle Beweislast für den Nachweis der Kausalität zwischen Dienstunfall und den geltend gemachten Körperschäden zu tragen hat, wurden fachärztliche Bescheinigungen, die medizinisch oder – zumindest wissenschaftlich – nachvollziehbar eine gewisse Wahrscheinlichkeit zwischen dem dienstlichen Einsatz des Klägers am 11. Dezember 2010 und den Gesundheitsbeschwerden bestätigen, nicht vorgelegt.
Das vom Kläger beigebrachte ärztliche Attest des ihn behandelnden Internisten und Arzt für Naturheilverfahren Dr. U… vom 14. Januar 2013 ist ebenfalls nicht geeignet, eine solche Kausalität zumindest als wahrscheinlich darzustellen. Abgesehen davon, dass es sich hierbei nicht um ein fachärztliches Attest handelt, geht weder hervor, wann die Behandlung des Klägers begonnen hat noch welche Maßnahmen zur Behandlung erfolgt sind. Zudem wird im Rahmen der Diagnosestellung lediglich auf die im Attest vom 24. Februar 2011 durch Dr. B… festgestellten Beschwerden verwiesen. Soweit Dr. U… einen kausalen Zusammenhang zwischen dem Einsatz vom 11. Dezember 2010 und den Gesundheitsstörungen des Klägers herstellt, stützt er sich allein auf das Vorbringen des Klägers, dieser habe im Anschluss an den dienstlichen Einsatz Schwindel und einen Tinnitus im rechten Ohr verspürt. Der kausale Zusammenhang wird mit der Aussage des Klägers begründet, dass vor diesem Ereignis keinerlei Beschwerden bestanden hätten. Der ebenfalls im ärztlichen Attest vom 14. Januar 2013 durch Dr. U… aufgestellten Behauptung, beim Kläger würde ein sog. „Temperaturtrauma“ vorliegen, das in seinen Auswirkungen auf das Innenohr einem „Knall- oder Barotrauma“ vergleichbar wäre, wurden weder medizinische Ausführungen noch einschlägige wissenschaftliche Erkenntnisse zugrunde gelegt. Ein wissenschaftlicher Beleg, dass die Temperaturschwankung, der der Kläger am 11. Dezember 2010 im Dienst ausgesetzt war, für seine Gesundheitsstörungen verantwortlich sein könnte, wurde vom Kläger auch im weiteren Verfahren nicht beigebracht.
Für die Behauptung des Klägers, die Gesundheitsbeschwerden seien unmittelbar nach dem Ereignis aufgetreten und würden mit diesem in unmittelbarem Zusammenhang stehen, gibt es deshalb keine gesicherten Anhaltspunkte. Ein diesbezüglich in zeitlichem Zusammenhang stehendes ärztliches Gutachten des Dr. M…, den der Kläger am 13. Dezember 2010 aufgrund der aufgetretenen Beschwerden aufgesucht haben will, hat der Kläger nicht vorgelegt. Die beigebrachten ärztlichen Atteste vermögen einen solchen kausalen Zusammenhang nicht herzustellen. Einen wissenschaftlichen Nachweis für die Möglichkeit eines durch extreme Temperaturunterschiede ausgelösten „Temperaturtraumas“ einschließlich der damit einhergehenden Folgen konnte der Kläger nicht erbringen. Damit ist er den Anforderungen an die Substantiierung, die sich aus der Pflicht der Beteiligten, an der Erforschung des Sachverhalts mitzuwirken (§ 86 Abs. 1 Satz 1 Halbsatz 2 VwGO) und die in besonderem Maße für Umstände gilt, die in die eigene Sphäre des Beteiligten fallen, nicht nachgekommen (vgl. BVerwG, U. v. 11.9.2007 a. a. O. juris Rn. 15). Das Verwaltungsgericht war daher aus seiner Sicht berechtigt, von einer weiteren Sachaufklärung abzusehen.
Der Zulassungsantrag war deshalb mit der Kostenfolge des § 154 Abs. 2 VwGO abzulehnen.
Die Streitwertfestsetzung beruht auf §§ 47 Abs. 3, 52 Abs. 2 GKG.
Mit der Ablehnung des Antrags auf Zulassung der Berufung wird die Entscheidung des Verwaltungsgerichts rechtskräftig (§ 124a Abs. 5 Satz 4 VwGO).