Aktenzeichen 10 B 19.2363
BayVersG Art. 1, Art. 15 Abs. 4, Abs. 5, Abs. 6, Art. 20 Abs. 2 Nr. 4, Art. 25
BayVwVfG Art. 37 Abs. 1
GG Art. 5 Abs. 1, Art. 8 Abs. 1
VwGO § 42 Abs. 2, § 43, § 113 Abs. 1 S. 4
VwZVG Art. 19
Leitsatz
1. Die Versammlungsgesetze als Spezialgesetze gehen dem allgemeinen Polizei- und Sicherheitsrecht vor, mit der Folge, dass auf letztere gestützte Maßnahmen gegen eine Person ausscheiden, solange sich diese in einer Versammlung befindet und sich auf die Versammlungsfreiheit berufen kann. Der Schutz endet erst mit der eindeutigen Auflösung der Versammlung oder dem eindeutigen Ausschluss des Teilnehmers von der Versammlung. (Rn. 21 – 22) (redaktioneller Leitsatz)
2. Ein Bescheid ist nicht hinreichend bestimmt, wenn er keine örtliche Beschränkung für das Verbot des Verteilens von Flugblättern auf den Bereich innerhalb eines Versammlungsorts enthält. (Rn. 23 – 25) (redaktioneller Leitsatz)
3. Das Verteilen von Flugblättern politischen Inhalts ist dem kommunikativen Verkehr zuzurechnen und ist jedenfalls in der Fußgängerzone oder anderen verkehrsberuhigten Bereichen grundsätzlich erlaubnisfreier Gemeingebrauch im Sinne des Art. 14 BayStrWG. (Rn. 26) (redaktioneller Leitsatz)
Verfahrensgang
W 5 K 17.833 2019-08-01 Urt VGWUERZBURG VG Würzburg
Tenor
I. Unter teilweiser Abänderung des Urteils des Bayerischen Verwaltungsgerichts Würzburg vom 1. August 2019 wird festgestellt, dass die bei der Versammlung der Klägerin am 22. April 2017 durch den Beklagten erfolgte Beschränkung des Verteilens themenbezogener Flugblätter auf den Versammlungsort rechtwidrig gewesen ist.
II. Der Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens in erster Instanz zur Hälfte sowie die Kosten des Berufungsverfahrens.
III. Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar.
IV. Die Revision wird nicht zugelassen.
V. Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird auf 2.500 Euro festgesetzt.
Gründe
I.
Gegenstand des Berufungsverfahrens ist (nur noch) die Klage der Klägerin, mit der (sinngemäß) die Feststellung begehrt wird, dass die im Verlauf der Versammlung der Klägerin durch den Beklagten erfolgte Beschränkung des Verteilens von Flugblättern auf den Versammlungsort rechtswidrig gewesen ist.
Mit Bescheid vom 20. April 2017 bestätigte die Stadt S. den Eingang einer Anzeige der Klägerin für eine am 22. April 2017 geplante Versammlung. Als Versammlungsort wurde unter Bezugnahme auf eine in einem beigefügten Lageplan schraffiert gekennzeichnete Fläche “die öffentliche Fläche nördlich der Zufahrt zur Tiefgarage am G .-Platz” festgelegt (Ziffer I.). Als “Kundgebungsmittel (wurden) ausschließlich (.) themenbezogene Flugblätter, Plakate, Fahnen, Fahnenstangen mit bis 2 m Länge zugelassen (.); weitere Kundgebungsmittel wurden nicht angezeigt” (Ziffer I.2.5). Zur Begründung wurde u.a. ausgeführt, dass die Beschränkungen der Gefahrenabwehr und der Rechtssicherheit dienten. Die Begrenzung der Transparentstangen und anderer Kundgebungsmittel sei notwendig, damit diese Gegenstände nicht als gefährliche Hieb- oder Stoßwaffen missbraucht werden könnten. Die weiteren beschränkenden Verfügungen dienten der Rechtssicherheit. Ansonsten bestehende Erlaubnisvorbehalte für bspw. straßenverkehrliche Sondernutzung oder andere straßen- und wegerechtliche Sondernutzungserlaubnisse für die Verwendung und Aufstellung von Hilfsmitteln mit funktionaler Bedeutung für die Ausübung der Versammlungsfreiheit würden suspendiert.
Vor Beginn der Versammlung grenzten Polizeibeamte den Versammlungsort mit einem Absperrband ein, wobei ein Zugang zum Kundgebungsplatz offen gelassen wurde. In dem Bereich zwischen dem Absperrband und dem Versammlungsplatz hielten sich mehrere Polizeibeamte auf. Im Verlauf der Versammlung beschränkten Polizeibeamte das Verteilen der Flugblätter auf den Versammlungsplatz.
Mit Schreiben vom 3. Mai 2017 rügte die Klägerin gegenüber dem Beklagten die Rechtswidrigkeit beider polizeilicher Maßnahmen. In seiner Stellungnahme vom 26. Mai 2017 führte der Beklagte in Bezug auf die Untersagung der Verteilung von Flugblättern außerhalb des Kundgebungsortes aus, dass die Klägerin hierzu einer “Sondernutzungsgestattung bedurft” hätte, welche aber nicht vorgelegen habe. Innerhalb der Versammlungsfläche sei gegen die Flugblattverteilung nicht eingeschritten worden.
Die daraufhin von der Klägerin erhobene Klage auf Feststellung der Rechtswidrigkeit der polizeilichen Maßnahmen bei der Versammlung am 22. April 2017 hat das Bayerische Verwaltungsgericht Würzburg nach Einvernahme von Zeugen mit Urteil vom 1. August 2019 abgewiesen. Hinsichtlich der begehrten Feststellung, dass die Beschränkung des Verteilens von Flugblättern rechtswidrig gewesen ist, gelangte das Verwaltungsgericht zu dem Ergebnis, dass sich die Klage bereits gegen den falschen Beklagten richte, weil die die Rechtsfolgen auslösende Regelung schon Gegenstand des Bescheids der Versammlungsbehörde vom 20. April 2017 gewesen sei. Aus der genauen Bestimmung des Versammlungsorts unter Ziffer I. des Bescheids in Verbindung mit dem als Anlage beigefügten Lageplan und der Aufzählung der ausschließlich zugelassenen Kundgebungsmittel in Ziffer I.2.5 des Bescheids ergebe sich nach dem objektiven Empfängerhorizont, dass die Kundgebungsmittel nur innerhalb der Versammlungsortes zum Einsatz kommen dürften. Das Vorgehen der Polizei gehe daher vollinhaltlich im Bescheid vom 20. April 2017 auf und stelle damit lediglich einen Vollzug (Art. 19 Abs. 1 Nr. 2 VwZVG) der gemäß Art. 25 BayVersG sofort vollziehbaren Anordnungen dar.
Der Senat hat mit Beschluss vom 22. November 2019 (Az. 10 ZB 19.1918) die Berufung gegen das Urteil insoweit zugelassen, als das Verwaltungsgericht die Klage auf Feststellung der Rechtswidrigkeit der Beschränkung des Verteilens von Flugblättern auf den Versammlungsort durch die Polizei bei der Versammlung der Klägerin am 22. April 2017 abgewiesen hat. Im Übrigen, d.h. hinsichtlich der von der Klägerin begehrten Feststellung der Rechtswidrigkeit der polizeilichen Abgrenzungsmaßnahmen, wurde der Antrag auf Zulassung der Berufung abgelehnt.
Die Klägerin führt zur Begründung ihrer Berufung aus, dass sich ihre Klage gegen den richtigen Beklagten richte, weil nicht die Stadt S. sondern die Polizei die versammlungsbeschränkende Maßnahme verfügt habe. Eine Auflage, wonach Kundgebungsmittel nur am Versammlungsort hätten verteilt werden dürfen, habe die Versammlungsbehörde nicht ausdrücklich erlassen. Aus Sicht des objektiven Empfängers habe der Bescheid der Stadt S. keine Beschränkung hinsichtlich der Flugblattverteilung enthalten. Für eine derartige Auslegung gebe es keine Anhaltspunkte. Der Beklagte habe die versammlungseinschränkende Maßnahme gegenüber den Teilnehmern nach Versammlungsbeginn mündlich ausgesprochen. Sie erweise sich jedoch im Hinblick auf Art. 5 und Art. 8 GG als rechtwidrig, da das Verteilen von Flugblättern keine erlaubnispflichtige Sondernutzung sondern Teil des Gemeingebrauchs sei.
Im Berufungsverfahren ist für die Klägerin beantragt,
das Urteil des Bayerischen Verwaltungsgerichts Würzburg vom 1. August 2019 hinsichtlich des Klageantrags zu 2) abzuändern und festzustellen, dass während der Versammlung der Klägerin am 22. April 2017 in S. die Beschränkung des Verteilens von Flugblättern auf den Bereich von zwei Metern hinter dem Absperrband rechtwidrig gewesen ist.
Für den Beklagten ist beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Zur Begründung wird ausgeführt, dass an der in der ersten Instanz geäußerten Rechtsauffassung festgehalten werde.
Die Beteiligten wurden mit Schreiben vom 18. Dezember 2019 zu einer Entscheidung nach § 130a VwGO angehört.
Wegen weiterer Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichts- und Behördenakten verwiesen.
II.
Die zulässige Berufung, über die der Senat nach vorheriger Anhörung der Beteiligten gemäß § 130a Satz 1 VwGO durch Beschluss ohne mündliche Verhandlung entscheidet, ist begründet.
Der Antrag der Klägerin ist gemäß § 88 VwGO nach dem erkennbaren Rechtsschutzziel dahingehend auszulegen, dass die Feststellung begehrt wird, dass die Beschränkung des Verteilens von themenbezogenen Flugblättern durch die Polizei auf den unter Ziffer I. des Bescheids der Stadt S. festgelegten Versammlungsort rechtswidrig gewesen ist.
1. Die (Fortsetzungs-)Feststellungsklage ist zulässig, insbesondere statthaft. Dabei kann offen bleiben, ob für die Feststellung der Rechtswidrigkeit eines Verwaltungsakts, der sich bereits vor Erhebung der ansonsten statthaften Anfechtungsklage erledigt hat, § 113 Abs. 1 Satz 4 VwGO analog anzuwenden ist, weil es sich hierbei um den Unterfall einer Anfechtungsklage handelt und eine Regelungslücke besteht, oder ob die Feststellung der Rechtswidrigkeit im Rahmen einer Feststellungsklage nach § 43 VwGO zu erfolgen hat (vgl. BayVGH, U.v. 10.7.2018 – 10 BV 17.2405 – juris Rn. 20; U.v. 22.9.2015 – 10 B 14.2242 – juris Rn. 38), da die Klägerin in entsprechender Anwendung von § 42 Abs. 2 Alt. 1 VwGO klagebefugt ist und darüber hinaus das in entsprechender Anwendung von § 113 Abs. 1 Satz 4 VwGO erforderliche berechtigte Interesse an der begehrten Feststellung der Rechtswidrigkeit der hier streitgegenständlichen polizeilichen Maßnahme hat.
1.1 Vorliegend berührte die Beschränkung des Verteilens der Flugblätter die Klägerin in ihrer Versammlungsfreiheit nach Art. 1 BayVersG und Art. 8 Abs. 1 GG, so dass die Möglichkeit einer Verletzung in ihren Rechten im Sinne des § 42 Abs. 2 Alt. 1 VwGO gegeben ist.
1.2 Die Klägerin hat auch das nach § 113 Abs. 1 Satz 4 VwGO erforderliche berechtigte Interesse an der Feststellung, dass die angegriffene Beschränkung im Verlauf ihrer Versammlung vom 22. April 2017 rechtswidrig war. Als ein solches Interesse kommt grundsätzlich jedes nach Lage des Falles anzuerkennende schutzwürdige Interesse rechtlicher, wirtschaftlicher oder ideeller Art in Betracht (vgl. BVerwG, B.v. 12.9.1989 – 1 C 40.88 – juris Rn. 10 m.w.N; BayVGH, U.v. 10.7.2018 – 10 BV 17.2405 – juris Rn. 26 ff.; U.v. 7.3.2018 – 3 BV 16.2040 – juris Rn. 28; U.v. 12.12.2016 – 10 BV 13.1005 – juris Rn. 45; U.v. 22.9.2015 – 10 B 14.2242 – juris Rn. 39). Insbesondere ist das erforderliche Feststellungsinteresse gegeben, wenn die Gefahr einer Wiederholung besteht. In versammlungsrechtlichen Streitigkeiten setzt dies zum einen die Möglichkeit einer erneuten Durchführung einer vergleichbaren Versammlung durch die Klägerin voraus, zum anderen, dass die Behörde voraussichtlich auch zukünftig an ihrer Rechtsauffassung festhalten wird (BVerfG, B.v. 3.3.2004 – 1 BvR 461/03 – juris Rn. 41).
Gemessen hieran ist von einer Wiederholungsgefahr auszugehen, da – wie das Verwaltungsgericht zutreffend festgestellt hat – die Möglichkeit besteht, dass die Klägerin erneut eine vergleichbare Versammlung durchführt. Denn nach den Darlegungen in der mündlichen Verhandlung beim Verwaltungsgericht und unter Berücksichtigung aller Umstände des Falles besteht erkennbar die Möglichkeit, dass die Klägerin auch in Zukunft Versammlungen abhalten wird, die ihrer Art nach zu den gleichen Rechtsproblemen und damit der gleichen Beurteilung ihrer Rechtmäßigkeit führen können. Der Beklagte hat auch nicht eindeutig erkennen lassen, in Zukunft von einer Wiederholung der betreffenden Beschränkung nach Versammlungsbeginn absehen zu wollen (BVerfG, B.v. 3.3.2004 – 1 BvR 461/03 – juris Rn. 44; BayVGH, U.v. 10.7.2018 – 10 BV 17.2405 – juris Rn. 27, U.v. 22.5.2006 – 24 B 05.3099 – juris Rn. 58; OVG NW, B.v. 1.6.2011 – 5 A 1374/10 – juris Rn. 4), vielmehr hält er unverändert an seiner bisher geäußerten Rechtsauffassung fest.
2. Die Klage ist im hier noch streitgegenständlichen Umfang auch begründet. Die Beschränkung des Verteilens von Flugblättern auf den Bereich innerhalb des Versammlungsorts war im Zeitpunkt ihrer Erledigung rechtswidrig und verletzte die Klägerin in ihren Rechten. Demgemäß war das Urteil des Bayerischen Verwaltungsgerichts Würzburg insoweit abzuändern und die begehrte Feststellung zu treffen.
2.1. Entgegen der Auffassung des Verwaltungsgerichts kann das Vorgehen der Polizei nicht auf Art. 19 Abs. 1 Nr. 2 VwZVG gestützt werden. Die Vorschrift setzt einen der Vollstreckung zugänglichen Verwaltungsakt voraus (vgl. Weber in PdK Bay, Stand: Juli 2017, Art. 19 VwZVG Anm. 1.4 und 2.8.2; Mosbacher in Engehlhardt/ App/Schlatmann, VwVG/VwZG, 11. Aufl. 2017, § 6 VwVG Rn. 1). Dabei kann offen bleiben, ob eine Beschränkung im Versammlungsrecht nach Art. 15 Abs. 1 und 2 BayVersG als Verwaltungsakt, der zur Abwehr einer Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung erlassen wird, einer Vollstreckung mittels Verwaltungszwangs durch das Verwaltungszustellungs- und Vollstreckungsgesetz als Rechtsgrundlage zugänglich ist (verneinend: Sadler in Heidelberger Kommentar, VwVG/VwZG, 9. Aufl. 2014, § 6 VwVG Rn. 30 m.w.N.). Denn versammlungsspezifische Maßnahmen der Gefahrenabwehr richten sich nach den hierfür speziell erlassenen Versammlungsgesetzen. Die dort geregelten, im Vergleich zu dem allgemeinen Polizei- und Sicherheitsrecht besonderen Voraussetzungen für beschränkende Verfügungen (vgl. Art. 15 Abs. 4 bis Abs. 6 BayVersG) sind Ausprägungen des Grundrechts der Versammlungsfreiheit. Dementsprechend gehen die Versammlungsgesetze als Spezialgesetze dem allgemeinen Polizei- und Sicherheitsrecht vor, mit der Folge, dass auf letztere gestützte Maßnahmen gegen eine Person ausscheiden, solange sich diese in einer Versammlung befindet und sich auf die Versammlungsfreiheit berufen kann. Der Schutz endet erst mit der eindeutigen Auflösung der Versammlung oder dem eindeutigen Ausschluss des Teilnehmers von der Versammlung (vgl. BVerfG, B.v. 10.12.2010 – 1 BvR 1402/06 – juris Rn. 28). Ferner sieht das Versammlungsgesetz bei Nichtbefolgung versammlungsrechtlicher Auflagen abschließend eigene Sanktionen vor (BVerwG, U.v. 6.9.1988 – 1 C 15.86 – juris Rn. 21; Groscurt in Peters/Janz, Handbuch Versammlungsrecht, 2015, G Eingriffsbefugnisse Rn. 151). Nach Versammlungsbeginn sind Maßnahmen gegen diese nur noch durch die Polizei und nur nach Art. 15 Abs. 4 bis Abs. 6 BayVersG zulässig (Dürig-Friedl in Dürig-Friedl/Enders, Versammlungsrecht, 1. Aufl. 2016, § 15 Rn. 194). Des Weiteren sind Verstöße bspw. gegen vollziehbare Anordnungen nach Art. 20 Abs. 2 Nr. 4 BayVersG sanktioniert.
2.2. Jedenfalls enthält der Bescheid der Versammlungsbehörde vom 20. April 2017 keine örtliche Beschränkung des Verteilens der Flugblätter auf den Bereich innerhalb des Versammlungsorts. Ein solcher ge- oder verbietender und damit einer Vollstreckung grundsätzlich zugänglicher Inhalt (vgl. VGH BW, B.v. 4.11.1993 – 14 S 2322/93 – juris Rn. 6; Mosbacher in Engehlhardt/App/Schlatmann, VwVG/VwZG, 11. Aufl. 2017, § 6 VwVG Rn. 1) lässt sich – entgegen der Auffassung des Verwaltungsgerichts – auch nicht aus der Festlegung des Versammlungsorts unter Ziffer I. des Bescheids mittels der in der Anlage schraffiert gekennzeichneten Fläche in Verbindung mit der Aufzählung der ausschließlich zugelassenen Kundgebungsmittel in Ziffer I.2.5 des Bescheids entnehmen.
Ausgehend vom Wortlaut der in Bezug genommenen Bestimmungen im Bescheid und unter Berücksichtigung der örtlichen Verhältnisse sind diese nach dem objektiven Empfängerhorizont (§ 133, § 157 BGB analog) einer Auslegung, wonach das Verteilen von themenbezogenen Flugblättern nur innerhalb des festgelegten Versammlungsorts zulässig sein sollte, nicht zugänglich. Durch die Beschreibung der Örtlichkeit (“öffentliche Fläche nördlich der Zufahrt zur Tiefgarage am G.-Platz”) und die Bezugnahme auf einen nicht maßstabsgerechten “Lageplan” wird der Versammlungsort nur ungefähr definiert. Einer Auslegung der vorgenannten Bestimmungen in Bezug auf die (Un-)Zulässigkeit des Einsatzes von Kundgabemittel außerhalb des Versammlungsbereichs steht auch entgegen, dass weitere in Ziffer I.2.5 zugelassene Kundgabemittel sowohl visuell als auch akustisch im Umfeld des Kundgabeorts wahrnehmbar gewesen sein dürften und auch sollten, so dass schon deshalb ein entsprechender Regelungswille der Versammlungsbehörde nicht angenommen werden kann. In diesem Zusammenhang ist im Hinblick auf die Bedeutung des Grundrechts der Versammlungsfreiheit (Art. 8 Abs. 1 GG) auch zu berücksichtigen, dass aufgrund der weiteren polizeilich angeordneten Abgrenzungsmaßnahmen (s.o.) der kommunikative Erfolg der Versammlung ohnehin eine, wenn auch zumutbare, Einschränkung erfahren hat (ausführlich: BayVGH, B.v. 22.11.2019 – 10 ZB 19.1918 – juris Rn. 11). Der Regelungsgehalt von Ziffer I.2.5 des Bescheids erschöpft sich demzufolge in einer Aufzählung der “ausschließlich” zugelassenen Kundgebungsmittel; weitere seien nicht angezeigt worden. Auch aus der Begründung des Bescheids lässt sich nichts anderes ableiten. Denn danach “dienten” die “beschränkenden Verfügungen” der “Rechtssicherheit”. So folge aus der “Erlaubnisfreiheit” für die Versammlung, dass “ansonsten bestehende Erlaubnisvorbehalte, z.B. (.) straßen- und wegerechtliche Sondernutzungserlaubnis für die Verwendung und Aufstellung von Hilfsmitteln (.) suspendiert werden (.). Für diese Erlaubnisfreiheit ist jedoch entscheidend, dass die Verwendung der Hilfsmittel funktionale Bedeutung für die konkrete Ausübung der Versammlungs- und Demonstrationsfreiheit hat.” Damit wird zum Ausdruck gebracht, dass die Gegenstände oder Hilfsmittel, die in eine Versammlung eingebracht werden sollen, an der durch die Versammlungsfreiheit bewirkten Privilegierung in Bezug auf die Erlaubnisfreiheit teilnehmen, wenn sie funktionale Bedeutung für die Durchführung der Veranstaltung haben oder sie zur Verwirklichung des Versammlungszwecks wesensnotwendig sind (vgl. BayVGH, B.v. 24.2.2017 – 10 ZB 15.1803 – juris Rn. 11 m.w.N.). Insofern wurde seitens der Versammlungsbehörde aber lediglich nachvollzogen, dass der grundrechtliche Schutz der Versammlungsfreiheit inhaltlich alle versammlungsbezogenen Verhaltensweisen erfasst, insbesondere auch solche, die auf eine größtmögliche Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit gerichtet sind. Hierzu gehören Reden, Transparente, Handzettel sowie grundsätzlich sowohl die Verwendung von Lautsprechern und Megaphonen als auch die Fortbewegung auf allgemein zugänglichen Straßen und Wegen (vgl. OVG NW, B.v. 6.7.2018 – 15 B 974/18 – juris -Ls-; s. auch: Kniesel in Dietel/Gintzel/Kniesel, Versammlungsgesetz, 18. Aufl. 2019, Teil I, Rn. 143 und 173 ff.). Vor dem Hintergrund der vorbeschriebenen inhaltlichen Dimension des Schutzumfangs der Versammlungsfreiheit einerseits (vgl. hierzu: Schneider in BeckOK Grundgesetz, Epping/Hillgruber, Stand: 15.5.2019, Art. 8 Rn. 17; Madeja in Madeja/Maurer PdK Bay, Stand Sept. 2017, Art. 15, Ziff. 2.1.2.3; Dürig-Friedl in Dürig-Friedl/Enders, Versammlungsrecht, 1. Aufl. 2016, Einleitung, Rn. 41 ff.; § 1 VersG Rn. 22) sowie der Strafbewehrung bei Verstößen gegen vollziehbare Anordnungen (s.o.) andererseits bestehen hinsichtlich der inhaltlichen Bestimmtheit erhöhte Anforderungen. Der Entscheidungsinhalt muss so gefasst sein, dass der Adressat und die mit dem Vollzug befassten Behörden ohne weiteres erkennen können, was genau gefordert wird bzw. was in der ihn betreffenden Angelegenheit geregelt worden ist, um ihr Verhalten danach ausrichten zu können.
Dies zugrunde gelegt lässt sich dem Bescheid vom 20. April 2017 kein hinreichend bestimmter (Art. 37 Abs. 1 BayVwVfG) ge- bzw. verbietender Entscheidungsinhalt und damit keine Grundlage für eine Durchsetzung (vgl. Merk in Wächtler/Heinhold/ Merk, Bayerisches Versammlungsgesetz, 1. Aufl. 2011, Art. 15 Rn. 39 m.w.N.) entnehmen, demzufolge das Verteilen themenbezogener Flugblätter außerhalb des festgelegten Versammlungsorts unzulässig gewesen wäre.
2.3. Schließlich kann die polizeiliche Beschränkung nach Versammlungsbeginn (s. Art. 24 Abs. 2 Satz 2 BayVersG) auch nicht auf Art. 15 Abs. 4 BayVersG oder gar auf allgemeines Polizei- und Ordnungsrecht gestützt werden. Zwar zielte, wie sich der Stellungnahme des Beklagten vom 26. Mai 2017 (Behördenakte Bl. 4 f.), seiner Klageerwiderung vom 11. September und 5. Dezember 2017 sowie seiner Einlassung in der mündlichen Verhandlung vom 1. August 2019 entnehmen lässt, das Einschreiten gegen das Verteilen von Flugblättern außerhalb des Versammlungsortes (wohl) darauf ab, eine in diesem Bereich nach der Satzung der Stadt S. über Sondernutzungen (Sondernutzungssatzung) als erlaubnispflichtig erachtete aber nicht erlaubte bzw. untersagte und ggf. bußgeldbewehrte Sondernutzung (vgl. § 3 Abs. 1, § 6 Abs. 1 Nr. 6, § 10 Abs. 1 Nr. 7 Sondernutzungssatzung) zu unterbinden. Dieser Maßnahmezweck verfängt allerdings schon deswegen nicht, weil das Verteilen von Flugblättern politischen Inhalts dem kommunikativen Verkehr zuzurechnen und jedenfalls in der Fußgängerzone oder anderen verkehrsberuhigten Bereichen (vgl. Wiget in Zeitler, Bayerischen Straßen und Wegegesetz, Stand: März 2019, Art. 14 Rn. 41 m.w.N) grundsätzlich erlaubnisfreier Gemeingebrauch im Sinne des Art. 14 BayStrWG ist (vgl. BVerfG, B.v. 18.10.1991 – 1 BvR 1377/91 – juris Rn. 16; B.v. 10.12.1975 – 1 BvR 118/71 – juris Rn. 42; BVerwG, U.v. 7.6.1978 – 7 C 5.78 – juris Rn. 14; BayVerfGH, E.v. 5.8.1977 – Vf. 10-VII-74 – juris Rn. 34; BayVGH, B.v. 4.7.1996 – 8 CE 95.4155 – BayVBl. 1996, 665/666; B.v. 17.9.2009 – 10 CS 09.2309 – juris Rn. 12). Demzufolge scheidet Art. 15 Abs. 4 i.V.m. Abs. 1 BayVersG als Befugnisnorm für die streitgegenständliche polizeiliche Beschränkung bereits mangels unmittelbarer Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung aus. Erfolgt die von Hand-zu-Hand-Werbung – wie hier – im (näheren) Umfeld und im unmittelbaren Zusammenhang mit einer Versammlung ist den Behörden aufgrund des verfassungsrechtlichen Schutzes für Versammlungen nach Art. 8 GG ein Rückgriff auf Rechtsgrundlagen des allgemeinen Polizei- und Ordnungsrechts von vornherein verwehrt.
Mangels tragfähiger Rechtsgrundlage ist die streitbefangene polizeiliche Verfügung somit rechtswidrig gewesen.
3. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1, § 155 Abs. 1 Satz 1 VwGO. Der Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens, soweit er unterlegen ist, d.h. in erster Instanz zur Hälfte und die Kosten des Berufungsverfahrens. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 Abs. 2 VwGO i.V.m. §§ 708 ff., § 711 ZPO.
4. Gründe für die Zulassung der Revision nach § 132 Abs. 2 VwGO liegen nicht vor.
5. Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 63 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 2 Satz 1, § 47, § 52 Abs. 2 GKG.