Medizinrecht

(Rentenüberführung – Korrektur eines Überführungsbescheides – Arbeitsentgeltbegriff iS von § 6 Abs 1 S 1 AAÜG – vollumfängliche Ermittlung durch die Tatsachengerichte – notwendige Begleiterscheinung betriebsfunktionaler Zielsetzungen)

Aktenzeichen  B 5 RS 2/13 R

Datum:
30.10.2014
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
BSG
Dokumenttyp:
Urteil
ECLI:
ECLI:DE:BSG:2014:301014UB5RS213R0
Normen:
§ 5 AAÜG
§ 6 Abs 1 S 1 AAÜG
§ 8 Abs 2 AAÜG
§ 8 Abs 3 S 1 AAÜG
§ 8 Abs 3 S 2 AAÜG
§ 8 Abs 4 Nr 2 AAÜG
Anl 2 Nr 1 AAÜG
§ 11 S 1 SGB 1
§ 14 SGB 4
§ 17 SGB 4
§ 256a Abs 2 SGB 6
§ 39 Abs 2 SGB 10
§ 44 Abs 1 SGB 10
§ 44 Abs 2 SGB 10
§ 1 ArEV vom 12.12.1989
§ 3 Nr 4 Buchst c EStG
§ 62 SGG
§ 103 SGG
§ 164 Abs 2 SGG
§ 170 Abs 2 SGG
Art 103 GG
Spruchkörper:
5. Senat

Verfahrensgang

vorgehend SG Leipzig, 14. Februar 2012, Az: S 27 RS 1071/09, Urteilvorgehend Sächsisches Landessozialgericht, 1. Juli 2013, Az: L 4 RS 197/12, Urteil

Tenor

Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des Sächsischen Landessozialgerichts vom 1. Juli 2013 aufgehoben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an dieses Gericht zurückverwiesen.

Tatbestand

1
Die Beteiligten streiten im Überprüfungsverfahren darüber, ob die Beklagte die bisherige Höchstwertfestsetzung von Arbeitsentgelten, die der Kläger während seiner Zugehörigkeit zum Sonderversorgungssystem der Angehörigen der Nationalen Volksarmee (NVA) der DDR (Sonderversorgungssystem Nr 1 der Anl 2 zum AAÜG) tatsächlich erzielt hat, im sog Überführungsbescheid nach § 8 AAÜG teilweise zurücknehmen und zusätzlich Verpflegungsgeld für die allein noch streitige Zeit vom 1.1. bis 30.9.1990 als weiteres Arbeitsentgelt feststellen muss.
2
Der 1942 geborene Kläger war vom 31.8.1961 bis 30.9.1990 Angehöriger der NVA, zuletzt im Dienstgrad eines Oberst. Vom 1.1. bis 30.6.1990 erhielt er Verpflegungsgeld iHv 810 Mark der DDR und vom 1.7. bis 30.9.1990 iHv 454,30 DM.
3
Die Beklagte stellte die Zeiten vom 1.4.1962 bis 30.9.1990 als Zeiten der Zugehörigkeit zum Sonderversorgungssystem Nr 1 der Anl 2 zum AAÜG sowie die dabei erzielten Jahresbruttoarbeitsentgelte fest, ohne das Verpflegungsgeld zu berücksichtigen (Überführungsbescheid vom 24.7.2000 idF des Änderungsbescheides vom 30.8.2000 und des Widerspruchsbescheides vom 4.10.2000). Im November 2008 beantragte der Kläger, die bisherigen Feststellungen zur Höhe des Arbeitsentgelts zu überprüfen. Die Beklagte lehnte es jedoch ab, die Feststellungen im Überführungsbescheid teilweise zurückzunehmen und Verpflegungsgeld als weiteres Arbeitsentgelt festzustellen (Bescheid vom 30.4.2009 und Widerspruchsbescheid vom 7.8.2009).
4
Das SG Leipzig hat die Klage abgewiesen (Urteil vom 14.2.2012). Auf die Berufung des Klägers hat das Sächsische LSG das Urteil des SG sowie die angegriffenen Bescheide geändert und die Beklagte “verpflichtet, in Abänderung des Bescheides vom 24.7.2000 in der Fassung des Änderungsbescheides vom 30.8.2000 dem Kläger gewährtes Verpflegungsgeld für die Zeiten vom 1.1.1990 bis 30.9.1990 in Höhe von 1.264,25 Mark/DM als weiteres Arbeitsentgelt festzustellen” (Urteil vom 1.7.2013): Die Beklagte sei nach § 44 Abs 1 S 1 iVm Abs 2 S 1 SGB X verpflichtet, den Überführungsbescheid teilweise zurückzunehmen und Verpflegungsgeld als weiteres Arbeitsentgelt festzustellen. Der Begriff des “Arbeitsentgelts” iS von § 6 Abs 1 S 1 AAÜG bestimme sich nach § 14 SGB IV, wie das BSG bereits mehrfach entschieden habe. Das Verpflegungsgeld sei dem Kläger aus dem Beschäftigungs-/Dienstverhältnis zur NVA zugeflossen, gehöre zu den Einkünften aus nichtselbständiger Arbeit und sei nach der insoweit maßgebenden Rechtslage am 1.8.1991 steuerpflichtig gewesen. Denn wenn die unentgeltliche Verpflegung eines Soldaten im Rahmen der Gemeinschaftsverpflegung nach der Rechtsprechung des BFH keine steuerfreie, sondern regelmäßig mangels einer Steuerbefreiungsnorm eine steuerbare und steuerpflichtige Einnahme sei, könne dies für das Verpflegungsgeld, unabhängig davon, ob es als originäre Barleistung oder als Substitution für eine Sachleistung erbracht werde, nicht anders sein. Das Verpflegungsgeld sei auch nach keiner anderen Vorschrift des EStG steuerfrei. § 3 Nr 4 Buchst c) EStG erfasse nur die “im Einsatz” gezahlten Verpflegungszuschüsse. Vorliegend sei aber weder vorgetragen noch ergebe sich sonst ein Hinweis darauf, dass das gezahlte Verpflegungsgeld wegen der Teilnahme an außerhalb des Dienstortes geleisteten besonderen Einsätzen gewährt worden sei.
5
Mit der vom LSG zugelassenen Revision rügt die Beklagte die Verletzung formellen (§§ 103, 62 SGG) und materiellen Rechts (§ 6 Abs 1 S 1 AAÜG). Das Berufungsgericht lege den Begriff des “Arbeitsentgelts” in § 6 Abs 1 S 1 AAÜG rechtsfehlerhaft aus. Zwar ergebe sich aus der Rechtsprechung des BSG grundsätzlich, dass zur Begriffsdefinition das am 1.8.1991 geltende Bundesrecht und mithin § 14 SGB IV heranzuziehen sei. Das Verpflegungsgeld sei jedoch weder unmittelbar noch mittelbar “aus” dem Dienstverhältnis als Gegenleistung für die von den NVA-Soldaten erbrachten Dienste gezahlt worden. Vielmehr sei die Leistung nach der DDR-Doktrin ausschließlich sozialpolitisch motiviert gewesen und habe im überwiegend eigenbetrieblichen Interesse der NVA gestanden, um die Leistungsfähigkeit der Soldaten zu erhalten, ihre ständige Einsatzbereitschaft zu gewährleisten und die damit verbundenen allgemeinen physischen und psychischen Belastungen zu entschädigen. Insofern stelle sich das Verpflegungsgeld “als notwendige Begleiterscheinung betriebsfunktionaler Zielsetzung” dar und sei – auch nach bundesdeutschem Steuerrecht und der dazu ergangenen Rechtsprechung des BFH – steuerfrei. Gleiches ergebe sich aus § 3 Nr 4 Buchst c) EStG, der keinesfalls eindeutig auf “im Einsatz” gewährte Verpflegungszuschüsse beschränkt gewesen sei, wie das LSG meine. Lege man jedoch dessen Rechtsauffassung zugrunde, so hätte es jedenfalls weiter ermitteln müssen, ob der Kläger das Verpflegungsgeld im Zeitraum vom 1.1. bis 30.9.1990 “wegen der Teilnahme an außerhalb des Dienstortes geleisteten besonderen Einsätzen” erhalten habe. Die Entscheidung des LSG sei in diesem Punkt verfahrensfehlerhaft ergangen, weil der Sachverhalt diesbezüglich nicht ausreichend aufgeklärt und den Beteiligten kein rechtliches Gehör gewährt worden sei. Der hierin liegende Verfahrensmangel rechtfertige jedenfalls eine Zurückverweisung des Rechtsstreits zur weiteren Sachaufklärung.
6
Die Beklagte beantragt,
        
das Urteil des Sächsischen Landessozialgerichts vom 1. Juli 2013 aufzuheben und die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Leipzig vom 14. Februar 2012 zurückzuweisen.
7
Der Kläger beantragt,
        
die Revision zurückzuweisen.
8
Verpflegungsgeld sei Arbeitsentgelt iS von § 14 Abs 1 S 1 SGB IV. Denn es sei als laufende monatliche Einnahme aus der Beschäftigung bei der NVA gezahlt worden und an diese untrennbar geknüpft gewesen. Der erforderliche Zusammenhang zwischen der Beschäftigung und der Zahlung des Verpflegungsgeldes ergebe sich unmittelbar aus der Ordnung Nr 064/9/001 über die Verpflegung in der NVA und den Grenztruppen der DDR – Verpflegungsordnung – vom 29.10.1985. Hiernach sei Verpflegungsgeld nur für Zeiten gezahlt worden, für die Besoldung gewährt worden sei, nämlich ab dem Tag der Einstellung bis zur Entlassung, auch bei Urlaub und Krankheit. Da die Beschäftigung somit nicht hinweggedacht werden könne, ohne dass das Verpflegungsgeld entfalle, stelle es sich als Gegenleistung für die Zuverfügungstellung von Arbeitskraft dar. Deshalb könne auch ausgeschlossen werden, dass es sich bei dem Verpflegungsgeld um eine Sozialleistung gehandelt habe, die – wie der Sperrzonenzuschlag – unabhängig vom Bestehen eines Beschäftigungsverhältnisses gewährt worden sei. Ob der Arbeitgeber mit dem Verpflegungsgeld zugleich ein ideelles oder soziales Ziel verfolgt habe, sei bedeutungslos; jedenfalls habe es sich dabei nicht um eine echte Sozialleistung gehandelt, wie zB das Krankengeld der DDR. Es sei auch nicht ersichtlich, dass es sich bei dem Verpflegungsgeld um eine steuerfreie Aufwandsentschädigung oder um Zehrgeld gehandelt haben könnte. Für die Einordnung als Arbeitsentgelt sei irrelevant, ob das Verpflegungsgeld “neben” oder “zusätzlich” zur Besoldung gezahlt worden sei. Schließlich sei Verpflegungsgeld auch nicht nach § 3 Nr 4 Buchst c) EStG (lohn-)steuerfrei gewesen, weil diese Vorschrift nur Zuschüsse “im Einsatz” erfasse. Für die Teilnehmer an Katastropheneinsätzen und Manövern habe nach der Verpflegungsordnung aber von vornherein kein Anspruch auf Selbstverpflegung bestanden. Dies belege, dass das Verpflegungsgeld mangels eigenbetrieblicher Zwecke keine “notwendige Begleiterscheinung betriebsfunktionaler Zielsetzung” gewesen sei. Es sei darauf hinzuweisen, dass die Beklagte das im ersten Halbjahr 1991 gezahlte Verpflegungsgeld selbst als Arbeitsentgelt anerkannt habe und das Bundesministerium für Finanzen das im üblichen Dienstbetrieb gezahlte Verpflegungsgeld dem Lohnsteuerabzug unterworfen habe.

Jetzt teilen:

Ähnliche Artikel