Medizinrecht

Rentenversicherung: Ermittlung des überwiegenden Familienunterhalts bei der großen Witwerrente

Aktenzeichen  L 19 R 25/19

Datum:
13.11.2019
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2019, 53655
Gerichtsart:
LSG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Sozialgerichtsbarkeit
Normen:
BGB § 1360, § 1360a
SGB VI § 303 S. 1, § 46 Abs. 2 S. 1
SGB XI § 4 Abs. 1, Abs. 2, § 43, § 87a Abs. 3

 

Leitsatz

1. Nach §§ 46 Abs. 2 Nr. 2, 300 S. 1 SGB VI besteht der Anspruch auf Witwerrente nur dann, wenn die verstorbene Versicherte den Unterhalt ihrer Familie im letzten wirtschaftlichen Dauerzustand vor dem Tod überwiegend bestritten hat. (Rn. 31)
2. Zum Unterhaltsbedarf der Familie gehören sowohl die pflegebedingten Aufwendungen als auch die Aufwendungen für Unterkunft und Verpflegung des Ehegatten, die im Rahmen eines Aufenthalts im Pflegeheim angefallen sind. (Rn. 36 – 38)

Verfahrensgang

S 6 R 794/17 2018-11-27 Urt SGWUERZBURG SG Würzburg

Tenor

I. Auf die Berufung der Beklagten hin wird das Urteil des Sozialgerichts Würzburg vom 27.11.2018 aufgehoben und die Klage gegen den Bescheid vom 24.05.2017 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 10.10.2017 abgewiesen.
II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.

Gründe

Der Senat konnte durch Urteil ohne mündliche Verhandlung nach § 124 Abs. 2 SGG entscheiden, weil die Beteiligten hierzu ihr Einverständnis erklärt haben.
Die Berufung der Beklagten ist zulässig (§§ 143, 144, 151 SGG).
Die Berufung ist auch begründet. Das SG Würzburg hat zu Unrecht mit Urteil vom 27.11.2018 den Bescheid der Beklagten vom 24.05.2017 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 10.10.2017 aufgehoben und dem Kläger Witwerrente aus der Versicherung seiner verstorbenen Ehefrau zuerkannt. Der streitgegenständliche Bescheid der Beklagten ist im Ergebnis rechtlich nicht zu beanstanden. Der Kläger hat keinen Anspruch auf Witwerrente nach § 46 Abs. 2 Nr. 2 iVm § 303 Satz 1 Regelung 2 SGB VI. Die Voraussetzungen hierfür liegen nicht vor, weil die verstorbene Versicherte den Familienunterhalt im letzten wirtschaftlichen Dauerzustand nicht überwiegend bestritten hat und deshalb auch ein Verlust eines Unterhaltsbeitrages durch ihren Tod für den Kläger nicht eingetreten ist.
Gemäß § 46 Abs. 2 Nr. 2 SGB VI haben Witwer, die nicht wieder geheiratet haben, nach dem Tod des Ehegatten, der die allgemeine Wartezeit erfüllt hat, Anspruch auf große Witwerrente, wenn sie das 47. Lebensjahr vollendet haben. Unstreitig sind die Voraussetzungen für eine Witwerrente nach § 46 SGB VI erfüllt, insbesondere hatte die Verstorbene die allgemeine Wartezeit nach § 50 Abs. 1 SGB VI erfüllt. Da der Kläger zusammen mit seiner Ehefrau eine gemeinsame Erklärung über die weitere Anwendung des bis zum 31.12.1985 geltenden Hinterbliebenenrentenrechts abgegeben hatte, besteht der Anspruch auf Witwerrente nach § 300 Satz 1 Regelung 2 SGB VI nur dann, wenn die Verstorbene den Unterhalt ihrer Familie im letzten wirtschaftlichen Dauerzustand vor dem Tod überwiegend bestritten hat.
Die Verstorbene hat aber im letzten wirtschaftlichen Dauerzustand vor ihrem Tod den Unterhalt der Familie nicht überwiegend bestritten.
1. Der Kläger hat zusammen mit seiner Ehefrau unter dem 29.12.1988 eine gemeinsame Erklärung über die Fortgeltung des bis zum 31.12.1985 geltenden Hinterbliebenenrechts unterzeichnet. Diese Erklärung beinhaltet zwei einseitige empfangsbedürftige Willenserklärungen der Eheleute, die erst mit Zugang bei der Beklagten wirksam werden. Es kann dahingestellt bleiben, zu welchem Zeitpunkt diese Erklärung konkret bei der Beklagten einging (laut Datumsstempel entweder zum 30.12.1988 oder auch erst am 04.01.1989), da sie jedenfalls mit Zugang dieser Erklärung bei der Wohnortgemeinde A-Stadt nach § 16 Abs. 2 S. 2 Erstes Buch Sozialgesetzbuch – SGB I – gegenüber der Beklagten als wirksam gestellt gilt (vgl. Kreikebohm, Kommentar zum SGB VI, 5. Auflage, 2017, § 303 Rdnr 4).
2. Die Beklagte hat zutreffend als maßgeblichen letzten wirtschaftlichen Dauerzustand im Sinne des § 303 Satz 1 SGB VI das letzte Jahr vor dem Tod der Versicherten zugrunde gelegt, mithin den Zeitraum von Februar 2016 bis Januar 2017 (BSG, Urteil vom 16.03.2006 – B 4 RA 15/05 R – Rdnr 22, juris; Kreikebohm, a.a.O., § 303 SGB VI Rdnr 7 m.w.N.). Nach Angaben des Klägers hatte sich in diesem Zeitraum keine wesentliche Änderung der familiären und finanziellen Situation mehr ergeben. Insbesondere hatte sich die Versicherte bereits seit 07.05.2013 durchgehend im Pflegeheim M. B-Stadt befunden.
3. Das BSG hat in seiner Entscheidung vom 16.03.2006 (B 4 RA 15/05 R) zur Frage der Ermittlung des überwiegenden Familienunterhalts im Sinne des § 303 SGB VI grundlegend drei Prüfungsschritte beschrieben und darauf hingewiesen, dass es nicht ausreichend sei, wenn die Beklagte lediglich die vorhandenen Einkünfte der Eheleute im letzten wirtschaftlichen Dauerzustand gegenüberstelle. Vielmehr sei erforderlich – so das BSG -, in einem ersten Schritt zunächst festzustellen, wie hoch nach den wirtschaftlichen und persönlichen Verhältnissen der Ehegatten der gesamte Lebensbedarf der Familie im Sinne der §§ 1360, 1360a BGB im letzten Jahr vor dem Tod der Versicherten gewesen sei. In einem zweiten Schritt sei danach festzustellen, mit welchen Mitteln und von welcher Person der Bedarf gedeckt worden sei. Erst in einem dritten Schritt sei durch eine Gegenüberstellung der von jedem Ehegatten wirklich aufgebrachten Mittel der Anteil jedes Ehegatten festzustellen, der dann den Schluss auf das überwiegende Bestreiten des Familienunterhalts zulasse (BSG, a.a.O., Rdnr 23). Dabei hat das BSG zur Frage, was Familienunterhalt im Sinne des § 303 SGB VI sei, ausschließlich auf die zivilrechtlichen Regelungen der §§ 1360, 1360a BGB abgestellt. Insoweit ist die Argumentation der Beklagten, dass der Begriff des Familienunterhalts nicht rein zivilrechtlich, sondern unter Berücksichtigung der Risikoverlagerung auf einen Sozialleistungsträger und der sozialrechtlichen Prägung des Sachverhalts einschränkend auszulegen sei, nicht vertretbar, nachdem es hierfür weder in § 46 SGB VI noch in § 303 SGB VI eine Grundlage gibt.
4. Familienunterhalt bzw. Lebensbedarf der Familie ist nach §§ 1360, 1360a BGB alles, was nach den wirtschaftlichen und persönlichen Verhältnissen der Ehegatten erforderlich ist, um die Kosten des Haushalts zu bestreiten und die persönlichen Bedürfnisse der Ehegatten und den Lebensbedarf der gemeinsamen unterhaltsberechtigten Kinder zu befriedigen. Neben Aufwendungen für Haushalt, Nahrung, Kleidung, etc. sind auch alle Aufwendungen zu berücksichtigen, die zur Befriedigung des persönlichen Bedarfs der Ehegatten zu dienen bestimmt sind. Das Maß der Erforderlichkeit dieser Aufwendungen ist nicht pauschal zu bestimmen, sondern orientiert sich an den durch das eheliche Lebensverhältnis individuell geprägten Lebensumständen und ist damit nicht nur von der wirtschaftlichen bzw. finanziellen Lage der Eheleute abhängig, sondern auch von ihrer sozialen und persönlichen Lage, die sie entscheidend durch ihre eigene Lebensgestaltung prägen, somit auch vom Gesundheitszustand der Ehegatten (BSG, a.a.O., Rdnr 24 m.w.N.; Brudermüller in: Palandt, Kommentar zum BGB, 78. Aufl., 2019, § 1360 a Rdnr 1 m.w.N.). Das BSG hat des Weiteren darauf hingewiesen, dass der Familienbedarf im Sinne der § 1360, 1360a BGB nicht allein dadurch entfällt, dass ein Ehegatte in einem Pflegeheim untergebracht ist. Vielmehr sei zusätzlich zur Trennung der gemeinsamen Wohnung ein entsprechender Trennungswille erforderlich, um von einem Getrenntleben im Sinne des § 1567 BGB ausgehen zu können. Hierfür bestehen vorliegend keine Anhaltspunkte.
5. Das BSG hat weiterhin in seiner Entscheidung vom 16.03.2006 ausdrücklich klargestellt, dass auch die gesamten Aufwendungen eines Ehegatten, die im Rahmen eines Aufenthalts im Pflegeheim angefallen sind, zum Familienbedarf im obigen Sinne gehören, da diese durch einen besonderen persönlichen Bedarf des pflegebedürftigen Ehegatten bedingt seien. Hierzu gehören nach Ansicht des BSG auch die Aufwendungen für Unterkunft und Verpflegung, die nach § 4 Abs. 2 S. 2 Hs 2 SGB XI als Eigenleistung des pflegebedürftigen Ehegatten selbst zu tragen sind, sowie die pflegebedingten Aufwendungen und die Aufwendungen für Leistungen der medizinischen Behandlungspflege und der sozialen Betreuung (im Sinne des Art. 49a § 1 Abs. 1 des Pflegeversicherungsgesetzes (PflegeVG) idF des Art. 2 Nr. 2 des 1. SGB XI-ÄndG).
6. Das SG hat in seinem Urteil vom 27.11.2018 lediglich die Einkommenssituation der Eheleute betrachtet, dabei auch die pauschalierten Leistungen der Pflegekasse als Einkommen der verstorbenen Versicherten gewertet und aus der Addition der Beträge geschlossen, dass die Ehefrau des Klägers den Familienunterhalt überwiegend bestritten hätte. Diese Betrachtung entspricht nicht den Vorgaben des BSG-Urteils. Das SG hätte vielmehr den Bedarf der Verstorbenen hinsichtlich der notwendigen stationären Pflege im Pflegeheim umfassend ermitteln müssen, was nicht erfolgt ist. Die Rechnungen des Pflegeheims haben sich im letzten wirtschaftlichen Dauerzustand auf 11 x 3.569,91 € (02 – 12/2016) und 1 x 3.563,26 € (01/2017) belaufen, mithin insgesamt auf 42.832,27 €. Dem gegenüber hat die Verstorbene Leistungen für die stationäre Unterbringung im Pflegeheim von ihrer Pflegekasse in Höhe von 11 x 1.612,00 € und 1 x 1.775,00 €, mithin insgesamt 19.507,00 € erhalten. Durch die Leistungen der Pflegeversicherung wurde somit nur ein Teil des persönlichen Bedarfs der Verstorbenen gedeckt. Der von ihr selbst zu bestreitende – durch die Leistungen der gesetzlichen Pflegeversicherung nicht gedeckte – restliche Bedarf für Unterkunft und Verpflegung in Höhe von 23.325,27 € ist aus dem tatsächlich verfügbaren Einkommen der Eheleute zu bestreiten gewesen.
7. Die Regelungen der gesetzlichen Pflegeversicherung umschreiben in § 4 SGB XI den Leistungsanspruch der Versicherten. Gemäß § 4 Abs. 1 S. 1 SGB XI sind die Leistungen der Pflegeversicherung Dienst-, Sach- und Geldleistungen für den Bedarf an körperbezogenen Pflegemaßnahmen, pflegerischen Betreuungsmaßnahmen und Hilfen bei der Haushaltsführung sowie Kostenerstattung, soweit es das SGB XI vorsieht. Art und Umfang der Leistungen richten sich gemäß § 4 Abs. 1 S. 2 SGB XI nach der Schwere der Pflegebedürftigkeit und danach, ob häusliche, teilstationäre oder vollstationäre Pflege in Anspruch genommen wird. Gemäß § 4 Abs. 2 S. 2 SGB XI werden die Pflegebedürftigen bei vollstationärer Pflege von den Aufwendungen entlastet, die für ihre Versorgung nach Art und Schwere der Pflegebedürftigkeit erforderlich sind, also für die pflegebedingten Aufwendungen. Aufwendungen für Unterkunft und Verpflegung tragen die Pflegebedürftigen jedoch selbst (§ 4 Abs. 2 S. 2, 2. Hs SGB XI). Aus dem in § 28 SGB XI aufgelisteten Leistungskatalog der Pflegeversicherung wird bereits deutlich, dass die Gewährung von Pflegegeld, das zur freien Disposition der Ehegatten zur Verfügung stehen könnte und deshalb im Rahmen des unterhaltsrechtlichen Einkommenszuflusses zu beachten sein könnte (vgl. Brudermüller, a.a.O., § 1361 BGB, Rdnr 24e m.w.N.) – so wie die Beklagte dies ausgeführt hat – nur im Bereich der ambulanten Pflege in Frage kommt. Im Bereich der stationären Versorgung gilt § 43 SGB XI, der in seinem Absatz 2 S. 2 „pauschalierte Leistungsbeträge“ je nach zuerkanntem Pflegegrad und damit differenziert nach der Schwere der konkreten Pflegebedürftigkeit vorsieht. Allein die gesetzliche Festlegung eines pauschalierten Leistungsbetrages qualifiziert diesen nicht als Geldleistung an Versicherte im Sinne des § 11 SGB I. Als Geldleistungen in diesem Sinne sind nur Geldzahlungen an den Anspruchsinhaber oder einen Dritten zu verstehen, die in der Regel den Zweck haben, Arbeitseinkommen zu ersetzen und damit den Lebensunterhalt vorübergehend (z.B. durch Krankengeld, Verletztengeld, Arbeitslosengeld) oder langfristig (z. B. durch Renten) sicherzustellen. Sie orientieren sich in der Regel an dem bisherigen Einkommen des Leistungsempfängers. Demgegenüber bezwecken Naturalleistungen (bzw. Sachleistungen) die Abdeckung von Bedarfen, die unabhängig von den (vorangegangenen) Einkommens- und Vermögensverhältnissen der Bedürftigen zu erfüllen sind (Seewald, in: Kasseler Kommentar – KassKomm – zum Sozialversicherungsrecht, Stand August 2019, § 11 SGB I, Rdnr 25, 25a). § 43 SGB XI spricht ausdrücklich von einer Übernahme der pflegebedingten Aufwendungen einschließlich der Aufwendungen für Betreuung und der Aufwendungen für Leistungen der medizinischen Behandlungspflege. Eine Orientierung an einem (vorangegangenen) Einkommen der Pflegebedürftigen erfolgt nicht. Die Vergütung der stationären Pflegeleistungen erfolgt auf der Grundlage des § 84 SGB XI nach Pflegesätzen, durch die alle für die Versorgung der Pflegebedürftigen nach Art und Schwere ihrer Pflegebedürftigkeit erforderlichen Pflegeleistungen der Pflegeeinrichtung im Rahmen der stationären Pflege abgegolten werden (§ 84 Abs. 4 SGB XI) und die für alle Heimbewohner des Pflegeheimes nach einheitlichen Grundsätzen zu bemessen sind (§ 84 Abs. 3 SGB XI). Die Pflegesätze sind in einem gesonderten Pflegesatzverfahren nach § 85 SGB XI festzulegen, an dem die Träger des einzelnen zugelassenen Pflegeheimes bzw. deren Arbeitsgemeinschaften, die Pflegekassen oder sonstigen Sozialversicherungsträger sowie die Träger der Sozialhilfe beteiligt sind. Vergleichbar wie bei der Krankenhausbehandlung, also der stationären Krankenbehandlung nach § 39 Fünftes Buch Sozialgesetzbuch – SGB V – besteht auch im Bereich der gesetzlichen Pflegeversicherung im Rechtsverhältnis zwischen der Pflegekasse und dem Pflegebedürftigen ein Leistungsanspruch auf Erbringung der Naturalleistung „stationäre Pflege“, zu dessen Erfüllung sich die Pflegekasse der Einrichtung von Pflegeheimen bedient. Die zur Abgeltung dieser Naturalleistungen dem pflegebedürftigen Heimbewohner nach § 43 SGB XI zustehenden Leistungsbeträge sind nach § 87a Abs. 3 SGB XI von seiner Pflegekasse mit befreiender Wirkung unmittelbar an das Pflegeheim zu zahlen (Leitherer, in: KassKomm, Stand August 2019, § 43 SGB XI, Rdnr 11 m.w.N.). In § 87a Abs. 3 SGB XI wird gleichwohl davon ausgegangen, dass Anspruchsinhaber gegenüber der Pflegekasse der einzelne Pflegebedürftige ist und bleibt und dieser auch gegenüber dem Pflegeheim der Schuldner der Vergütung für die Heimunterbringung bleibt (Weber in: KassKomm, Stand August 2019, SGB XI, § 87a Rdnr 15 m.w.N.). Durch die gesetzlich in § 87a Abs. 3 SGB XI angeordnete unmittelbare Zahlungsverpflichtung des pauschalierten Leistungsentgeltes für die vom Pflegeheim erbrachten Sachleistungen zur Pflege wird der Inhalt und die Rechtsnatur des Anspruchs des Pflegebedürftigen gegen die Pflegekasse als Naturalleistungsanspruch nicht verändert. Unterhaltsrechtlich hat die Versicherte deshalb im letzten wirtschaftlichen Dauerzustand über die Deckung ihres persönlichen Pflegebedarfs durch Pflegesachleistungen hinaus kein weiteres, tatsächlich zufließendes Einkommen erzielt, das zur Deckung des gemeinsamen Familienunterhalts herangezogen werden könnte (so im Ergebnis auch Bayer. Landessozialgericht, Urteil vom 20.06.2013, Az L 14 R 805/12, Rdnr 35 ff., 39, juris). Im Gegenteil mussten die weiteren notwendigen Aufwendungen für Unterkunft und Verpflegung, die von der gesetzlichen Pflegeversicherung nicht abgedeckt werden, aus dem tatsächlich zufließenden Einkommen der Ehegatten bestritten werden. Auch wenn davon auszugehen ist, dass die eigene Versichertenrente der Verstorbenen (in Höhe von 5.307,32 €) und ihre Einkünfte aus Kapitalbeteiligungen (in Höhe von 1.580,00 €) zur Deckung dieses Unterhaltsbedarfs verwendet worden sind und auch dazu verwendet werden durften, war der überwiegende Unterhaltsbedarf (Rest 16.437,00 €) aus dem tatsächlich zufließenden Einkommen des Klägers zu bestreiten. Dieses tatsächlich zufließende Einkommen des Klägers belief sich im Zeitraum des letzten wirtschaftlichen Dauerzustandes nach seinen eigenen Angaben auf 17.574,00 € (zuzüglich des Wertes der von seiner Tochter erbrachten Leistungen der hauswirtschaftlichen Versorgung, auf die es vorliegend aber nicht mehr ankommt). Der Kläger hat damit überwiegend den Familienunterhalt bestritten.
8. Die Beklagte hat zu Recht ergänzend auf die Regelung des § 1610a BGB hingewiesen, aus der der Grundsatz zu entnehmen sei, dass bei Empfang von Sozialleistungen grundsätzlich davon auszugehen sei, dass diese zur Deckung eines krankheits- oder behinderungsbedingten Mehrbedarfs beim Unterhaltsgläubiger gezahlt würden und dass diese einen Unterhaltsanspruch gegen den Unterhaltsschuldner nicht mindern würden. Erst bei Nachweis durch den Unterhaltsschuldner, dass über den eine Behinderung abdeckenden Mehrbedarf hinaus noch ein geldwerter Vorteil beim Unterhaltsgläubiger besteht, kann eine Minderung des Unterhaltsanspruchs durchgesetzt werden. Diese gesetzliche Vermutung in § 1610a BGB stützt nach Ansicht des Senats die obigen Ausführungen.
9. Auch das BSG hat in seiner Entscheidung vom 16.03.2006 letztlich diese Wertung vorgenommen, wenn es auf den notwendigen dritten Prüfungsschritt hinweist. Als Unterhaltsbeiträge können auch nach Ansicht des BSG nur solche Leistungen und Aufwendungen berücksichtigt werden, die in dem letzten wirtschaftlichen Dauerzustand effektiv beigesteuert bzw getätigt worden sind (BSG, a.a.O., Rdnr 20). Unter Berücksichtigung des Zwecks der Witwerrente (insbesondere nach altem Recht nach § 43 Angestelltenversicherungsgesetz) sollte dem Witwer nur dann eine Rentenleistung mit Unterhaltsersatzfunktion zukommen, wenn die Versicherte vor ihrem Tod dauerhaft den Familienunterhalt überwiegend bestritten hatte und dieser Zustand – bei generalisierender Betrachtung – ohne den Tod für einen ins Gewicht fallenden Zeitraum fortbestanden hätte. Es komme deshalb für den Familienbedarf auf das tatsächlich Gegebene und Empfangene an; erst daraus könne hypothetisch geschlossen werden, ob der Witwer durch den Tod der Versicherten einen versicherungsrechtlich relevanten Unterhaltsverlust erlitten habe (BSG, a.a.O., Rdnr 21). Mit dem Tod der Versicherten endet im vorliegenden Fall die Zahlungsverpflichtung gegenüber dem Pflegeheim, der weitere, durch Leistungen der Pflegeversicherung nicht gedeckte Bedarf für Unterkunft und Verpflegung entfällt, ein Leistungsanspruch gegen die Pflegeversicherung besteht nicht mehr. Damit ist ein Unterhaltsverlust des Klägers nach dem Tod seiner Ehefrau insoweit denknotwendig ausgeschlossen.
10. Verfassungsrechtliche Bedenken gegen die Regelung des § 303 SGB VI können nicht gesehen werden, weil die Anwendung dieser Norm auf einer freiwilligen Erklärung der Ehegatten beruht (vgl. insoweit auch Kühn, in: Kreikebohm, a.a.O., § 303 SGB VI, Rdnr. 13 unter Hinweis auf LSG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 29.03.2012, Az. L 3 R 69/10).
Nach alledem war auf die Berufung der Beklagten hin das Urteil des Sozialgerichts Würzburg vom 27.11.2018 aufzuheben und die Klage gegen den Bescheid der Beklagten vom 24.05.2017 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 10.10.2017 abzuweisen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Gründe, die Revision nach § 160 Abs. 2 Nr. 1 und 2 SGG zuzulassen, liegen nicht vor.

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