Medizinrecht

Rückerstattung des Festkostenzuschusses wegen mangelhafter prothetischer Versorgung  des Patienten

Aktenzeichen  L 12 KA 5005/15

Datum:
11.10.2017
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2017, 149842
Gerichtsart:
LSG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Sozialgerichtsbarkeit
Normen:
BGB § 276
BMV-Z §§ 23ff.
SGB V § 76 Abs. 4

 

Leitsatz

Eine Neuanfertigung des mangelhaften Zahnersatzes durch den behandelnden Zahnarzt ist dem Patienten nicht zumutbar, wenn dieser Zahnarzt bereits vier erfolglose Nachbesserungsversuche durchgeführt hat, ohne den aufgezeigten Mangel zu beseitigen. (Rn. 23)

Verfahrensgang

S 43 KA 5115/12 2014-12-04 SGMUENCHEN SG München

Tenor

I. Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts München vom 4. Dezember 2014, S 43 KA 5115/12, wird zurückgewiesen.
II. Der Kläger trägt auch die Kosten des Berufungsverfahrens einschließlich der Kosten der Beigeladenen zu 2). Die Kosten der Beigeladenen zu 1) sind nicht zu erstatten.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.

Gründe

Die zulässige Berufung des Klägers ist nicht begründet. Das SG hat die Klage zu Recht abgewiesen, denn der angefochtene Bescheid des Prothetik-Einigungsausschusses vom 23.03.2012 ist rechtlich nicht zu beanstanden.
Streitgegenständlich ist allein der das Verwaltungsverfahren abschließende Bescheid des beklagten Prothetik-Einigungsausschusses. Die Zuständigkeit des Beklagten zur Festsetzung von Ersatzansprüchen wegen fehlerhafter Prothetik ergibt sich aus § 2 Abs. 3 Bundesmantelvertrag-Zahnärzte (BMV-Z) iVm § 4 Abs. 1 Anl. 12 zum BMV-Z und Anlage 4b zu § 11 Gesamtvertrag Zahnärzte Bayern.
Der angefochtene Bescheid, mit dem der Kläger zur Rückerstattung des Festkostenzuschusses wegen mangelhafter prothetischer Versorgung der versicherten Patientin G. M. verpflichtet worden ist, ist rechtmäßig.
Rechtsgrundlage des Schadensersatzanspruches gegen den Kläger ist auch im hier betroffenen Primärkassenbereich der Gesamtzusammenhang der Vorschriften der §§ 23 ff. Bundesmantelvertrag-Zahnärzte (BMV-Z) hinsichtlich der Pflichten der Vertragszahnärzte bei der prothetischen Versorgung der Versicherten. Nicht anders als im Ersatzkassenbereich ergibt sich aus der Gesamtschau auch im Primärkassenbereich die öffentlich-rechtliche Pflicht des Vertragszahnarztes, der Krankenkasse den Schaden zu ersetzen, der dieser entsteht, wenn sie ihren Versicherten erneut eine prothetische Versorgung gewähren muss, weil die prothetische Erstversorgung durch den Vertragszahnarzt mangelhaft war. Voraussetzung der Ersatzpflicht ist zunächst eine schuldhafte Verletzung öffentlich-rechtlicher Pflichten, die – wie hier – darin liegen kann, dass eine prothetische Versorgung dem zahnärztlichen Standard nicht genügt (vgl. BSG SozR 4-5555 § 12 Nr. 1 RdNr. 4; BSG SozR 4-5555 § 15 Nr. 1 RdNr. 16). Zudem muss eine Nachbesserung – wegen Unbrauchbarkeit des Arbeitsergebnisses – nicht möglich und/oder eine Nachbesserung bzw. Neuanfertigung durch den bisher behandelnden Vertragszahnarzt nicht zumutbar sein. Dies gilt auch bei der Notwendigkeit der Neuanfertigung einer Prothetik (Urteil des BSG vom 10.05.2017, B 6 KA 15/16 R). Diese Voraussetzungen liegen hier vor.
Grundsätzlich ergibt sich die Mangelhaftigkeit einer prothetischen Versorgung daraus, dass der eingegliederte Zahnersatz solche Mängel aufweist, dass er vom Versicherten nicht oder nur mit unzumutbaren Einschränkungen getragen werden kann. Die fehlende Nutzbarkeit des Zahnersatzes indiziert den Fehler des Zahnarztes bei der Versorgung. Entweder hat er in der Planungs- oder in der Eingliederungsphase Fehler gemacht (BSG, B 6 KA 35/11 R). Dass die der Versicherten eingegliederte prophetische Versorgung sowohl im Ober- als auch im Unterkiefer im Ergebnis dem zahnärztlichen Standard nicht genügt, ergibt sich aus dem von der Beigeladenen zu 2) eingeholten Gutachten des Gutachters Dr. O. vom 10.08.2011 und den Feststellungen des Beklagten im angefochtenen Beschluss vom 23.03.2012 sowie des Prothetikausschusses vom 30.11.2011. Insbesondere stellen alle übereinstimmend fest, dass die Randgestaltung der Primärkronen 13, 23, 33 und 44 wegen der Unterhakbarkeit nicht fachgerecht ist. Diese Mängel in der Randgestaltung der Primärkronen sind nach Auffassung der fachkundig besetzten Ausschüsse sowie des Gutachters Dr. O. nicht nachbesserbar und bedingen für sich allein eine Neuanfertigung der beiden Teleskopversorgungen. Hinzu kommen die festgestellten Haarrisse und Abplatzungen. Die Frakturen bei den Verbindungen beruhen vor allem auf der nicht funktionsgerecht eingestellten Okklusion und den zu hohen Teleskopkronen. Der unausgeglichene Zusammenbiss hat somit zu einer Überlastung der einzelnen Bereiche geführt, wodurch die Verblendung einschließlich frakturierten. Diesen Ausführungen schließt sich der Senat an und macht sie sich zu Eigen. Entgegen der Auffassung des Klägers würde nach Auffassung des fachkundig besetzten Senats der vom Kläger vorgeschlagene additive Aufbaus der Seitenzähne zur Verringerung des Aufbisses auf die Teleskopkronen die bereits ohnehin zu hoch eingestellte Bisslage weiter erhöhen und ist insofern nicht zielführend. Eine Pflichtverletzung durch den Kläger wird daher festgestellt.
Es liegen auch keine den Kläger exkulpierenden Anhaltspunkte vor, insbesondere nicht die nicht durchgeführte Aufbissschienentherapie. Nachdem feststand, dass die Patientin die Durchführung dieser Therapie verweigerte, hätte der Kläger vielmehr – wie von den Beteiligten vorgetragen – das Behandlungsziel neu definieren müssen, wenn er von der Notwendigkeit dieser Therapie als Voraussetzung für einen ordnungsgemäßen Zahnersatz ausgegangen ist.
Der Kläger hat auch schuldhaft gehandelt. Er als Zahnarzt hat die Regeln der vertragszahnärztlichen Kunst zu kennen, so dass ihm ihre Missachtung als Fahrlässigkeit im Sinne des § 76 Abs. 4 SGB V im Verbindung mit § 276 Abs. 2 BGB zuzurechnen ist. Eine Nachbesserung des fehlerhaften Zahnersatzes scheidet aus, vielmehr ist eine Neuanfertigung des gesamten Zahnersatzes notwendig. Eine solche Neuanfertigung ebenso wie eine Nachbesserung der Unterkieferprothese durch den Kläger ist der Patientin aber nicht zumutbar, nachdem es dem Kläger in vier Nachbehandlungen nicht gelungen ist, die aufgezeigten Mängel nachzubessern. Zudem fällt auf, dass der Kläger auch im Berufungsverfahren die Notwendigkeit der Neuanfertigung bestreitet und weiterhin vorträgt, eine Nachbesserung sei möglich und zumutbar. In diesem Zusammenhang geht der Senat bezogen auf die Beurteilung der Zumutbarkeit davon aus, dass der ärztliche Behandlungsvertrag durch ein besonderes Vertrauensverhältnis geprägt ist (vgl. BSG, Urteil vom 10.05.2017, B 6 KA 15/16 R, juris, RdNr. 35). Daher können keine hohen Anforderungen an die vom Versicherten geltend gemachte Unzumutbarkeit einer Nacherfüllung durch den bisher behandelnden Zahnarzt gestellt werden. Das gilt sowohl für Fälle, in denen der Mangel durch Nachbesserung behoben werden kann, wie auch für Fälle, in denen eine Neuanfertigung erforderlich ist. Durch schwerwiegende Behandlungsfehler kann das für jede ärztliche Behandlung erforderliche Vertrauensverhältnis unabhängig davon zerstört werden, ob dieser Fehler die vollständige Unbrauchbarkeit zur Folge hat. Entsprechendes gilt, wenn der Zahnarzt einen später gutachtlich bestätigten Behandlungsfehler gegenüber dem Versicherten nachhaltig bestreitet und sich – wie hier – uneinsichtig zeigt.
Die Beigeladene zu 2) hat auch einen Schaden erlitten, da sie den Kassenanteil vergeblich aufgewendet hat.
Die Berufung war daher zurückzuweisen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 197 a SGG iVm. § 154 Abs. 2 VwGO. Der unterliegende Teil trägt die Kosten des Verfahrens.
Gründe für eine Zulassung der Revision liegen nicht vor, § 160 SGG.

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