Aktenzeichen 21 ZB 17.311
Leitsatz
Die Beurteilung, wann dem Arzt die gesundheitliche Eignung vorübergehend (§ 6 Abs. 1 Nr. 2 BÄO) abzusprechen ist, hängt vom jeweiligen Einzelfall ab und bedarf einer Einzelfallprüfung. (Rn. 11) (redaktioneller Leitsatz)
Verfahrensgang
Au 2 K 15.1777 2017-01-12 Urt VGAUGSBURG VG Augsburg
Tenor
I. Der Antrag des Beklagten auf Zulassung der Berufung wird abgelehnt.
II. Der Beklagte hat die Kosten des Zulassungsverfahrens zu tragen.
III. Der Streitwert für das Zulassungsverfahren wird auf 20.000,00 EUR festgesetzt.
Gründe
I.
Der Antrag des Beklagten auf Zulassung der Berufung richtet sich gegen die Aufhebung seines Bescheids durch das Verwaltungsgericht, in dem das Ruhen der ärztlichen Approbation des Klägers angeordnet wurde.
Der Kläger betreibt eine Facharztpraxis für Allgemeinmedizin. Mit Bescheid vom 5. November 2015 ordnete die Regierung von Oberbayern das Ruhen der Approbation des Klägers als Arzt an und verpflichtete den Kläger unter Zwangsgeldandrohung seine Approbationsurkunde der Regierung von Oberbayern spätestens innerhalb von zwei Wochen nach Bestandskraft des Bescheids zu übergeben. Zur Begründung wurde im Wesentlichen dargelegt, dass der Kläger zur Ausübung des Arztberufes gegenwärtig aus gesundheitlichen Gründen nicht uneingeschränkt geeignet sei. In den fachärztlichen Gutachten hätten die Gutachter die gesundheitliche Eignung bzw. Berufsfähigkeit des Klägers nur unter bestimmten Voraussetzungen anerkannt.
Mit Urteil vom 12. Januar 2017 hat das Verwaltungsgericht den Bescheid der Regierung von Oberbayern vom 5. November 2015 aufgehoben. Zur Begründung wurde ausgeführt, dass aufgrund des Ergebnisses der Beweisaufnahme die Voraussetzungen für das angeordnete Ruhen der Approbation nicht (mehr) vorliegen. Der Kläger sei zur Ausübung des ärztlichen Berufs in gesundheitlicher Hinsicht geeignet.
Dagegen wendet sich der Beklagte mit seinem Berufungszulassungsantrag.
II.
1. Der Antrag des Beklagten auf Zulassung der Berufung hat keinen Erfolg.
Das vom Beklagten innerhalb der Begründungsfrist Dargelegte, auf dessen Prüfung der Senat nach § 124a Abs. 4 Satz 4 und Abs. 5 Satz 2 VwGO im Grundsatz beschränkt ist, rechtfertigt es nicht, die Berufung zuzulassen. Die von Beklagtenseite geltend gemachten Zulassungsgründe (§ 124 Abs. 2 Nrn. 1, 2 und 3 VwGO) liegen nicht vor.
1.1 Es bestehen keine ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit des angegriffenen Urteils (§ 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO).
Ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des Urteils im Sinn des § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO bestehen dann, wenn gegen dessen Richtigkeit nach summarischer Prüfung gewichtige Gesichtspunkte sprechen, wovon immer dann auszugehen ist, wenn ein einzelner tragender Rechtssatz oder eine erhebliche Tatsachenfeststellung mit schlüssigen Gegenargumenten derart in Frage gestellt wird, dass sich die gesicherte Möglichkeit der Unrichtigkeit der erstinstanzlichen Entscheidung ergibt (vgl. zu diesem Maßstab BVerfG, B.v. 10.9.2009 – 1 BvR 814/09 und B.v. 20.12.2010 – 1 BvR 2011/10 – jeweils juris). Solche ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit des Urteils ergeben sich aus dem Zulassungsvorbringen nicht.
1.1.1 Der Beklagte meint, ernstlichen Zweifel unterliege, dass aus den Diagnosen der Gutachter, wonach derzeit nicht von einer Abhängigkeitssituation des Klägers auszugehen sei, die Schlussfolgerung gezogen werde, dass keine Abhängigkeitssituation bzw. Suchterkrankung bestehe. Das Nichtbestehen einer aktuellen Abhängigkeitssituation widerlege nicht das Vorliegen einer Suchterkrankung. Eine Opiat- oder Opioidabhängigkeit, die beim Kläger jedenfalls bestanden habe, sei als lebenslange Dauererkrankung anzusprechen. Dazu trage die hohe Rückfallgefahr im Allgemeinen und im Besonderen bei, dass der Kläger, wenn auch in Form einer kontrollierten transdermalen Opioidtherapie mit Buprenorphin-Pflastern („Norspan“), weiterhin ein Opioid zur Schmerzbewältigung benötige. Angesichts der den Schmerzen zugrunde liegenden Problematik einer schwerwiegenden Darmerkrankung (Morbus Crohn) sei auch nicht davon auszugehen, dass die Notwendigkeit der Schmerztherapie und damit auch die Notwendigkeit einer Behandlung mit einem Opioid entfallen könnte. Für die Frage, ob eine Suchterkrankung den Rückschluss auf die fehlende gesundheitliche Eignung zur Ausübung des ärztlichen Berufs zulässt, sei nicht allein entscheidend, ob der Betroffene unter momentanem Einfluss des Suchtmittels nicht in der Lage sei, seinen ärztlichen Pflichten nachzukommen, sondern auch danach, ob eine entsprechende Situation nicht jederzeit eintreten könne, eben weil Sucht schwer kontrollierbar sei.
Der Senat teilt in vollem Umfang die im Urteil ausführlich begründete Rechtsauffassung des Verwaltungsgerichts, dass zum maßgeblichen Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung (vgl. OVG NW, B.v. 21.102016 – 13 B 893/15 – juris Rn. 5) die Voraussetzungen für das angeordnete Ruhen der Approbation beim Kläger nicht (mehr) vorliegen (§ 6 Abs. 1 Nr. 2, § 3 Abs. 1 Nr. 3 BÄO), weil der Kläger aufgrund des Ergebnisses der Beweisaufnahme zur Ausübung des ärztlichen Berufs in gesundheitlicher Hinsicht geeignet ist (UA S. 19 ff.). Das Verwaltungsgericht hat zum Beweisthema „Zur Frage der gesundheitlichen Eignung des Klägers zur Ausübung seines Berufs als Arzt“ in der mündlichen Verhandlung unter Erläuterung ihrer schriftlichen Gutachten vernommen: Prof. Dr. … (Klinikum der Universität M* …, Klinik und Poliklinik für Psychiatrie und Psychotherapie), PD Dr. … (Universitätsklinikum U**, Leiter der Schmerzabulanz) und Dr. … (Algesiologikum MVZ M* …, Zentrum für Schmerzmedizin M* …*). Die Sachverständigen aus verschiedenen medizinischen Fachbereichen haben übereinstimmend festgestellt, dass bei Durchführung der kontrollierten transdermalen Opioidtherapie beim Kläger nicht von einer Abhängigkeitssituation bzw. Suchterkrankung ausgegangen werden könne. Bei Durchführung der Therapie seien nach wenigen Wochen keine Aufmerksamkeitsdefizite oder Ähnliches mehr zu erwarten. Die Therapie diene der Aufrechterhaltung der gesundheitlichen Eignung zur Ausübung des Arztberufs. Derzeit sei der Kläger zur Ausübung seines Berufs uneingeschränkt geeignet.
Die Beurteilung, wann dem Arzt die gesundheitliche Eignung vorübergehend (§ 6 Abs. 1 Nr. 2 BÄO) abzusprechen ist, hängt vom jeweiligen Einzelfall ab und bedarf einer Einzelfallprüfung (Schelling in Spickhoff, Medizinrecht, 2. Aufl. 2014, § 6 Rn. 15). Eine solche Einzelfallprüfung hat das Verwaltungsgericht für den Fall des Klägers auf einer breit angelegten medizinisch-fachlichen Grundlage vorgenommen. Aus den zahlreichen den Verfahrensakten zu entnehmenden medizinischen Stellungnahmen verschiedener Ärzte und Kliniken ergibt sich schließlich im Hinblick auf die gesundheitliche Eignung des Klägers zur Ausübung der ärztlichen Tätigkeit der Verlauf seines Krankheitsbildes. Wie das Verwaltungsgericht festgestellt hat, haben die Gutachter überzeugend, schlüssig und nachvollziehbar ausgeführt, wie und warum sie zu ihrer übereinstimmenden – Überzeugung gekommen sind (UA S. 20). Das Verwaltungsgericht hat weiter ausgeführt, den gesundheitlichen Anforderungen des Arztberufs könne der Kläger unter der erforderlichen, kontrollierten und wirksamen transdermalen Opioidtherapie nach Überzeugung des Gerichts gerecht werden, da es nach Auffassung der medizinischen Sachverständigen darunter nicht zu einem reduzierten Aufmerksamkeits- und Aufnahmevermögen, Ausfallerscheinungen oder ähnlichen Beeinträchtigungen kommen könne. Anhaltspunkte dafür, dass es bei einer weiteren Ausübung des ärztlichen Berufs unter Anwendung der Opioidtherapie zu Patientengefährdungen kommen könne, hätten sich im Rahmen der gerichtlichen Beweiserhebung nicht ergeben (UA S. 21 f.).
Das Zulassungsvorbringen kann ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des Urteils nicht begründen. Die Beklagtenseite stellt lediglich den im verwaltungsgerichtlichen Verfahren beigezogenen Gutachten und Sachverständigenaussagen – ohne deren Verwertbarkeit oder die fachlichen Feststellungen qualifiziert in Frage zu stellen – seine für den Fall des Klägers fachlich nicht näher begründete allgemeine Einschätzung gegenüber, dass eine Opiat- oder Opioidabhängigkeit eine lebenslange Dauererkrankung sei, der Kläger weiterhin ein Opioid zur Schmerzbewältigung benötige und letztlich wegen der schweren Kontrollierbarkeit einer Sucht jederzeit eine Situation eintreten könne, in der der Betroffene nicht in der Lage sei, seinen ärztlichen Pflichten nachzukommen.
1.1.2 Für die Beklagtenseite ergeben sich weiter ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des angefochtenen Urteils aus der Annahme des Verwaltungsgerichts, dass mit den von den Gutachtern aufgeführten Bedingungen, Voraussetzungen oder Auflagen nicht die ärztliche Berufstätigkeit des Klägers eingeschränkt, sondern lediglich die Aufrechterhaltung seiner gesundheitlichen Eignung sichergestellt werden solle. Hänge die Aufrechterhaltung der gesundheitlichen Eignung von der Erfüllung von Bedingungen usw. ab, tue es zugleich die Grundlage für das Fortbestehen der Approbation, die aber als Nebenbestimmung zu einer Approbation nicht zulässig sei (vgl. BVerwG, U.v. 9.12.1998 – 3 C 4/98 – juris).
Diese Fragestellung bezieht sich nicht auf einen das angegriffene Urteil enthaltenden tragenden Rechtssatz, so dass sich insoweit nicht die Möglichkeit der Unrichtigkeit der erstinstanzlichen Entscheidung ergeben kann. Streitgegenstand ist vorliegend nicht der Widerruf der Approbation (§ 5 BÄO), sondern die Anordnung des Ruhens der Approbation, so dass sich die Frage der Unzulässigkeit von Nebenbestimmungen bei der Approbation und, ob die Erhaltung der gesundheitlichen Eignung insoweit überhaupt entsprechend gesichert werden kann, nicht stellt.
1.2 Ein Berufungszulassungsgrund gemäß § 124 Abs. 2 Nr. 2 VwGO liegt ebenfalls nicht vor. Besondere tatsächliche oder rechtliche Schwierigkeiten im Sinn dieser Bestimmung weist eine Rechtssache auf, wenn die Beantwortung der für die Entscheidung erheblichen Fragen in tatsächlicher oder rechtlicher Hinsicht voraussichtlich das durchschnittliche Maß nicht unerheblich überschreitende Schwierigkeiten bereitet, wenn sich diese also wegen ihrer Komplexität und abstrakten Fehleranfälligkeit aus der Mehrzahl der verwaltungsgerichtlichen Verfahren heraushebt (vgl. BayVGH, B.v. 3.11.2011 – 8 ZB 10.2931 – juris Rn. 28; B.v. 10.4.2017 – 15 ZB 16.673 – juris Rn. 42 jeweils m.w.N.). Das ist hier nicht der Fall.
Besondere tatsächliche Schwierigkeiten bestehen vorliegend insbesondere nicht im Hinblick auf die Sachverhaltsermittlung der gesundheitlichen Eignung des Klägers zur Ausübung des ärztlichen Berufs. Das Verwaltungsgericht hat zu dieser Frage in der mündlichen Verhandlung drei Ärzte aus verschiedenen Fachbereichen als Sachverständige vernommen, die schließlich fachlich in schlüssiger nachvollziehbarer Weise zu einem übereinstimmenden Ergebnis gelangt sind. Der von der Beklagtenseite erstmals im Berufungszulassungsverfahren vorgetragene weitere Aufklärungsbedarf ist nicht gegeben. Es ist davon auszugehen, dass die medizinischen Umstände, für die die Beklagtenseite in ihrem Zulassungsantrag noch weiteren Aufklärungsbedarf gesehen hat, als Krankheitsverlauf des Klägers den vernommenen Sachverständigen bekannt waren und in deren fachliche Einschätzung eingeflossen sind. Das Verwaltungsgericht hat mithin die gebotene Aufklärung vollständig vorgenommen.
Besondere rechtliche Schwierigkeiten im Hinblick auf die Problematik einer Approbation unter Nebenbestimmungen – wie die Beklagtenseite meint – liegen schon deshalb nicht vor, weil die Frage nicht entscheidungserheblich ist.
Die von Beklagtenseite aufgeworfene Frage „ob eine derzeit latente Suchterkrankung eines Arztes seine gesundheitliche Eignung zur Ausübung seines Berufs entfallen lässt“, führt nicht weiter, weil sie sich so allgemein, wie sie formuliert ist, nicht stellt.
1.3 Die Rechtssache hat entgegen der Auffassung des Beklagten keine grundsätzliche Bedeutung im Sinne des § 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO.
Um eine grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache dem Darlegungsgebot genügend zu begründen, hat der Rechtsmittelführer eine konkrete Rechts- oder Tatsachenfrage zu formulieren und darzulegen, weshalb diese Frage für den Rechtsstreit entscheidungserheblich (klärungsfähig) ist, weshalb sie klärungsbedürftig ist und inwiefern der Frage eine über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung zukommt (vgl. Happ in Eyermann, VwGO, 14. Aufl. 2014, § 124a Rn. 72).
Der Beklagte misst der Frage grundsätzliche Bedeutung bei,
„ob ein fachärztliches Gutachten, das die gesundheitliche Eignung eines Arztes zur Ausübung seines Berufs i.S. v. § 3 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 BÄO nur unter bestimmten Voraussetzungen bescheinigt und/oder Auflagen dafür macht, dem Betroffenen Anspruch auf Erteilung bzw. das Fortbestehen seiner Approbation gibt, d.h. im letzteren Fall die Anordnung des Ruhens der Approbation verhindert oder zur Aufhebung einer bereits ausgesprochenen Ruhensanordnung führt“.
Diese Frage – soweit sie überhaupt die Voraussetzungen einer Ruhensanordnung (§ 6 BÄO) und nicht die Erteilungsvoraussetzungen für eine Approbation bzw. deren Widerruf in den Blick nimmt – ist in dieser Formulierung einer Klärung nicht zugänglich und ließe sich nicht in verallgemeinerungsfähiger Weise beantworten.
Darüber hinaus ging das Verwaltungsgericht davon aus, dass der Kläger derzeit entsprechend der fachärztlichen Gutachten zur Ausübung des Arztberufs uneingeschränkt geeignet ist, so dass es auch an der Entscheidungserheblichkeit fehlt. Aus fachlicher Sicht bestanden zum für das Verwaltungsgericht maßgeblichen Zeitpunkt keine Anhaltspunkte dafür, dass der Kläger die kontrollierte transdermale Opioidtherapie nicht nach den fachärztlichen Vorgaben durchführt. Hätten sich für die Gutachter zum maßgeblichen Zeitpunkt insoweit Bedenken an einem verantwortungsvollen Umgang des Klägers mit der vereinbarten Therapie ergeben, hätte dieser Umstand Einfluss auf die Beurteilung der gesundheitlichen Eignung genommen, denn noch nicht der Therapieplan, sondern erst die zuverlässige Umsetzung der entsprechenden notwendigen Maßnahmen kann eine positive Einschätzung der gesundheitlichen Eignung i.S. des § 3 Abs. Abs. 1 Nr. 3 BÄO des Klägers bewirken.
2. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO.
3. Die Streitwertfestsetzung folgt aus § 47 Abs. 1 Satz 1, Abs. 3, § 52 Abs. 1 GKG, wobei sich der Senat an Nr. 16.1 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit orientiert hat (vgl. BayVGH, B.v. 24.4.2009 – 21 C 09.389 – juris Rn. 3).
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).
Mit der Ablehnung des Zulassungsantrags wird das Urteil des Verwaltungsgerichts rechtskräftig (§ 124a Abs. 5 Satz 4 VwGO).