Aktenzeichen M 5 K 18.3525
Leitsatz
Die Durchführung eines betrieblichen Eingliederungsmanagements ist keine Rechtmäßigkeitsvoraussetzung für den Erlass einer Verfügung, mit der ein Beamter wegen dauernder Dienstunfähigkeit vorzeitig in den Ruhestand versetzt wird. Vielmehr ist ein nicht mehr dienstfähiger Beamter in den Ruhestand zu versetzen, § 26 Abs. 1 S. 1 BeamtStG. (Rn. 21) (redaktioneller Leitsatz)
Tenor
I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Die Klägerin hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
III. Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des jeweils zu vollstreckenden Betrags.
Gründe
Die zulässige Anfechtungsklage ist unbegründet. Der angefochtene Bescheid der Regierung von Oberbayern vom 19. April 2018 sowie deren Widerspruchsbescheid vom 12. Juni 2018 sind rechtmäßig und verletzen die Klägerin nicht in ihren Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 der Verwaltungsgerichtsordnung/VwGO).
1. Rechtsgrundlage für die Ruhestandsversetzungsverfügung ist § 26 Abs. 1 des Gesetzes zur Regelung des Statusrechts der Beamtinnen und Beamten in den Ländern (Beamtenstatusgesetz/BeamtStG) i.V.m. Art. 66 Abs. 2 des Bayerischen Beamtengesetzes/BayBG.
Nach § 26 Abs. 1 Satz 1 BeamtStG sind Beamtinnen auf Lebenszeit und Beamte auf Lebenszeit in den Ruhestand zu versetzen, wenn sie wegen ihres körperlichen Zustands oder aus gesundheitlichen Gründen zur Erfüllung ihrer Dienstpflichten dauernd unfähig (dienstunfähig) sind. Als dienstunfähig kann nach § 26 Abs. 1 Satz 2 BeamtStG auch angesehen werden, wer infolge Erkrankung innerhalb eines Zeitraums von sechs Monaten mehr als drei Monate keinen Dienst getan hat und keine Aussicht besteht, dass innerhalb einer Frist, deren Bestimmung dem Landesrecht vorbehalten bleibt, die Dienstfähigkeit wieder voll hergestellt ist. Hierzu bestimmt Art. 65 Abs. 1 BayBG, dass Beamtinnen und Beamte auch dann als dienstunfähig im Sinne des § 26 Abs. 1 Satz 1 BeamtStG angesehen werden können, wenn sie infolge einer Erkrankung innerhalb von sechs Monaten mehr als drei Monate keinen Dienst geleistet haben und keine Aussicht besteht, dass sie innerhalb von weiteren sechs Monaten wieder voll dienstfähig werden.
Soweit – wie vorliegend – die Dienstunfähigkeit umstritten ist, kommt es für die Rechtmäßigkeit der Ruhestandsversetzungsverfügung materiell-rechtlich auf die Sach- und Rechtslage zum Zeitpunkt der letzten Behördenentscheidung an (BVerwG, U.v. 5.6.2014 – 2 C 22.13 – BVerwGE 150, 1/3 Rn. 10; U.v. 16.10.1997 – 2 C 7/97 – BVerwGE 105, 267; BayVGH, B.v. 12.8.2005 – 3 B 98.1080 – juris; VG München, U.v. 10.12.2014 – M 5 K 14.2534 – juris Rn. 17).
Für die Anwendung des § 26 Abs. 1 Satz 2 BeamtStG und des Art. 65 Abs. 1 BayBG reicht es aus, dass keine Aussicht auf Wiedererlangung der Dienstfähigkeit besteht. Eine Aussicht auf Wiedererlangung der Dienstfähigkeit besteht dann, wenn ein (medizinischer) Sachverhalt vorliegt, aus dem sich eine gewisse Wahrscheinlichkeit für die Wiederherstellung der Dienstfähigkeit ergibt (Summer in Weiss/Niedermaier/ Summer/Zängl, Beamtenrecht in Bayern, Stand: Juni 2018, Art. 65 BayBG Rn. 4).
Zur Beurteilung der Dienstfähigkeit müssen die gesundheitsbedingten Leistungsbeeinträchtigungen festgestellt und deren prognostische Entwicklung bewertet werden. Diese Beurteilungsvorgänge erfordern in aller Regel besondere medizinische Sachkunde, über die nur ein Arzt verfügt. Die Notwendigkeit, einen Arzt hinzuzuziehen, bedeutet aber nicht, dass diesem die Entscheidungsverantwortung für die Beurteilung der Dienstfähigkeit übertragen werden darf. Vielmehr wird der Arzt als Sachverständiger tätig, auf dessen Hilfe der Dienstherr angewiesen ist, um die notwendigen Feststellungen treffen zu können. Der Dienstherr muss die ärztlichen Befunde und Schlussfolgerungen nachvollziehen und sich auf ihrer Grundlage ein eigenes Urteil bilden (BVerwG, U.v. 5.6.2014 – 2 C 22.13 – BVerwGE 150, 1/5, Rn. 18). In der Rechtsprechung ist anerkannt, dass der medizinischen Beurteilung eines Amtsarztes ein Vorrang gegenüber privatärztlichen Stellungnahmen eingeräumt werden kann, wenn der Amtsarzt über die entsprechende Sachkunde wie der Privatarzt verfügt und seine medizinische Beurteilung in sich stimmig und nachvollziehbar ist (BVerwGE, a.a.O., Rn. 20 m.w.N.; U.v. 12.10.2006 – 1 D 2/05 – juris Rn. 34).
Bei der Beurteilung der Frage, ob der Beamte zur Erfüllung seiner Dienstpflichten dauernd unfähig ist, kommt der Behörde kein gerichtsfreier Beurteilungsspielraum zu. Vielmehr handelt es sich um die Auslegung eines unbestimmten Rechtsbegriffs, die gerichtlich voll überprüfbar ist. Der gerichtlichen Kontrolle unterliegt somit nicht nur, ob der Sachverhalt hinreichend sorgfältig ermittelt wurde, sondern auch, ob der ermittelte Sachverhalt die Feststellung der dauernden Dienstunfähigkeit rechtfertigt. Aus diesem Grund sind die Feststellungen oder Schlussfolgerungen aus ärztlichen Gutachten vom Gericht – in den Grenzen der erforderlichen Sachkenntnis – nicht ungeprüft zu übernehmen, sondern selbstverantwortlich zu überprüfen und nachzuvollziehen (BVerwG, U.v. 5.6.2014 – 2 C 22.13 – BVerwGE 150, 1/5, Rn. 17; OVG Saarl, U.v. 24.4.2012 – 2 K 984/10 – juris; OVG NRW, B.v. 3.2.2012 – 1 B 1490/11 – juris, IÖD 2012, 50; U.v. 22.1.2010 – 1 A 2211/07 – juris).
2. Gemessen an diesen Grundsätzen ist die angefochtene Ruhestandsverfügung zum maßgeblichen Zeitpunkt ihres Erlasses am 19. April 2018 wie des Widerspruchsbescheids vom 12. Juni 2018 rechtlich nicht zu beanstanden.
a) Die Einwände gegen den Zeitpunkt der Zustellung gehen ins Leere. Denn die Klagepartei hat rechtzeitig Widerspruch erhoben.
Die angefochtene Verfügung ist auch nicht deshalb rechtswidrig, weil kein betriebliches Eingliederungsmanagement nach § 84 Abs. 2 Satz 1 des Neunten Buches des Sozialgesetzbuches/SGB IX durchgeführt wurde.
Nach § 84 Abs. 2 Satz 1 SGB IX klärt der Arbeitgeber, wenn Beschäftigte innerhalb eines Jahres länger als sechs Wochen ununterbrochen oder wiederholt arbeitsunfähig sind, mit der zuständigen Interessenvertretung, ggf. der Schwerbehindertenvertretung und der betroffenen Person die Möglichkeiten, wie die Arbeitsunfähigkeit möglichst überwunden werden und mit welchen Leistungen oder Hilfen erneuter Arbeitsunfähigkeit vorgebeugt und der Arbeitsplatz erhalten werden kann (betriebliches Eingliederungsmanagement). Diese Vorschrift findet auch auf Beamte Anwendung und ist nicht davon abhängig, dass der länger erkrankte Beschäftigte zum Kreis der behinderten Menschen gehört. Das betriebliche Eingliederungsmanagement nach § 84 Abs. 2 SGB IX, das die Einwilligung des Betroffenen voraussetzt, kann daher als Ausdruck und Konkretisierung der Fürsorgepflicht verstanden werden, mit dem ein „gesetzlich verankertes Frühwarnsystem“ etabliert wird. Die Durchführung eines betrieblichen Eingliederungsmanagements ist aber keine Rechtmäßigkeitsvoraussetzung für den Erlass einer Verfügung, mit der ein Beamter wegen dauernder Dienstunfähigkeit vorzeitig in den Ruhestand versetzt wird. Vielmehr ist ein nicht mehr dienstfähiger Beamter in den Ruhestand zu versetzen (§ 26 Abs. 1 Satz 1 BeamtStG). Für die Durchführung eines betrieblichen Eingliederungsmanagements ist kein Raum mehr. Dieses spezielle Verfahren ist nicht auf den Abschluss eines Zurruhesetzungsverfahrens gerichtet; es dient vielmehr dazu, bereits den Eintritt einer Dienstunfähigkeit und damit den materiellen Anknüpfungspunkt entsprechender Verfahren zu vermeiden (vgl. zum Ganzen: BVerwG, U.v. 5.6.2014 – 2 C 22.13 – BVerwGE 150, 1/5, Rn. 47 ff.).
b) Die Amtsärztin hat die psychische Erkrankung der Klägerin und die daraus folgenden Einschränkungen für die Erfüllung der dienstlichen Anforderungen sorgfältig erhoben und geprüft. Diese Schlussfolgerungen sind nachvollziehbar und überzeugend.
Im Einzelnen hat sie erläutert, dass sie bei der ersten Begutachtung der Beamtin am 27. Juli 2017 (Gesundheitszeugnis vom 9.8.2017) zwar eine schwere depressive Episode festgestellt habe. Gleichwohl habe sie seinerzeit die Hoffnung gehabt, dass sich nach einer stationären Behandlung das Beschwerdebild so bessern könnte, dass keine dauernde Dienstunfähigkeit vorliege. Nachdem der Zustand der dienstunfähigen Erkrankung angehalten hat, hat die Ärztin die Klägerin am 23. Januar 2018 (Gesundheitszeugnis von gleichem Datum) erneut untersucht. Zu diesem Zeitpunkt habe sich der Gesundheitszustand der Beamtin nicht gebessert. Auch wenn eine stationäre Behandlung geplant gewesen sei, werde dadurch das Beschwerdebild nicht mit höherer Wahrscheinlichkeit besser. Hinzu komme, dass ein ausgeprägtes Erkrankungsbild mit Erschöpfung, Konzentrationsstörung und Tagesmüdigkeit bestanden habe. Die Prognose, dass bei der Klägerin nicht zu erwarten sei, dass innerhalb der nächsten sechs Monate die volle tätigkeitsbezogene Leistungsfähigkeit wiederhergestellt wird, ist daher nachvollziehbar und überzeugend. Denn das Beschwerdebild der Beamtin zeigte sich über eine längere Dauer und mit einer entsprechenden Schwere. Das gilt auch für die fachliche Bewertung, dass keine Leistungsfähigkeit für eine andere, u.U. auch geringer wertige Tätigkeit oder eingeschränkte Dienstfähigkeit vorliege.
Vor diesem Hintergrund ist auch die im Gesundheitszeugnis vom 10. April 2018 dargelegte Einschätzung nachvollziehbar und überzeugend. Angesichts der Dauer und Schwere des Erkrankungsbildes bestünden trotz des schon länger geplanten stationären Krankenhausaufenthalts keine realistischen Aussichten auf eine Wiederherstellung der vollen Dienstfähigkeit innerhalb der nächsten sechs Monate. Wenn der behandelnde Privatarzt demgegenüber eine Prognose der Dienstfähigkeit erst nach der stationären Rehabilitation vorschlägt, so verkennt das die dargestellte Dauer und Schwere der Erkrankung. Auch der vom Gesetz vorgegebene zeitliche Horizont für die Wiedererlangung der Dienstfähigkeit wird im Attest des behandelnden Arztes nicht angesprochen. Daher kommt der amtsärztlichen Einschätzung der Vorrang vor der Bewertung durch den behandelnden Arzt zu.
Die Regierung von Oberbayern hat die amtsärztlichen Stellungnahmen im Bescheid vom 19. April 2018 und ausführlicher im Widerspruchsbescheid vom 12. Juni 2018 geprüft, übernommen und hat entsprechend die Tatbestandsvoraussetzungen für eine Ruhestandsversetzung der Kläger wegen Dienstunfähigkeit als gegeben angesehen. Dagegen ist rechtlich nichts zu erinnern. Soweit sich die stationäre Krankenhausbehandlung durch Verzögerungen bei der der Bearbeitung durch die private Krankenkasse der Klägerin verzögert hat, liegt das in der Sphäre der Klagepartei. Daraus folgt keine Verpflichtung des Dienstherrn, mit der Bewertung der Dienstfähigkeit weiter zuzuwarten. Hinzu kommt, dass sich selbst – so die Amtsärztin – nach einer stationären Behandlung mit einer höheren Wahrscheinlichkeit eine Stabilisierung des Gesundheitszustands nicht ergebe. Bei einer Wiedererlangung der dienstlichen Leistungsfähigkeit – die innerhalb von sechs Monaten nach Abschluss des Verwaltungsverfahrens nicht absehbar war – im weiteren zeitlichen Verlauf ist eine Reaktivierung möglich (§ 29 BeamtStG). Dem dient die für Januar 2019 geplante Nachuntersuchung.
3. Die Klägerin hat als unterlegene Beteiligte nach § 154 Abs. 1 VwGO die Kosten des Verfahrens zu tragen. Der Ausspruch über die vorläufige Vollstreckbarkeit der Kostenentscheidung folgt aus § 167 Abs. 2 VwGO i.V.m. § 709 der Zivilprozessordnung/ZPO.