Medizinrecht

Schadensersatzanspruch nach Verkehrsunfall – Haftungsausschluss gegenüber betriebsangehörigem Verletzten

Aktenzeichen  22 O 155/16

Datum:
2.3.2017
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
r+s – 2017, 278
Gerichtsart:
LG
Gerichtsort:
Coburg
Rechtsweg:
Ordentliche Gerichtsbarkeit
Normen:
SGB VII § 8 Abs. 2, Abs. 3, § 105 Abs. 1 S. 1, § 108 Abs. 1
StGB § 229
BGB § 249, § 280 Abs. 1, § 362 Abs. 1, § 398, § 823 Abs. 1, Abs. 2, § 826
StVG § 7, § 18
ZPO § 287 Abs. 1

 

Leitsatz

1 Unter “Personenschaden” iSv § 105 SGB VII ist der Schaden zu verstehen, der den Verletzten in seiner körperlichen Unversehrtheit trifft. Hierunter fällt zum einen der rein immateriellen Schaden (Schmerzensgeld), aber auch jeder mittelbare materielle Vermögensschaden, der als Folge der Verletzung auftritt (Anschluss BGH BeckRS 2012, 06800 Rn. 8). (Rn. 24) (redaktioneller Leitsatz)
2 Wird beim Unfall eine vom Geschädigten bestimmungsgemäß am Körper getragene Gleitsichtbrille beschädigt, ist der Schaden nach § 8 Abs. 3 SGB VII einem Gesundheitsschaden gleichzustellen; der Haftungsausschluss nach § 105 SGB VII greift damit auch insoweit. (Rn. 26) (redaktioneller Leitsatz)
3 Nach § 105 Abs. 1 S. 1 iVm § 8 Abs. 2 Nr. 1 SGB VII nicht vom Haftungsausschluss nach § 105 SGB VII erfasste Arbeitsstättenwege sind solche Wege, die aus dem privaten Bereich zur Aufnahme der versicherten Tätigkeit und danach zurück führen, sowie solche, die in die versicherte Tätigkeit eingeschoben werden. (Rn. 22) (redaktioneller Leitsatz)
4 Werden vom Versicherten entlang einer Route unterschiedliche Punkte mit teils privaten, teils betrieblichen Anliegen angefahren, so ist für die Einordnung der Art des Weges das konkrete Wegstück, auf dem sich der Unfall ereignet hat, entscheidend. Sind Start- und Endpunkt des Teilstücks betriebsbezogen, liegt kein Arbeitsstättenwegeunfall, sondern ein vom Haftungsausschluss nach § 105 SGB VII erfasster Betriebswegeunfall vor. (Rn. 23) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Der Kläger trägt die Kosten des Rechtsstreits.
3. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des jeweils zu vollstreckenden Betrages.

Gründe

Die zulässige Klage ist unbegründet.
1.1. Der Kläger vermag mit seinen Anträgen nicht durchzudringen, weil die Haftung für Personenschäden im Verhältnis zwischen den Parteien nach § 105 I 1 SGB VII ausgeschlossen ist. Ihm zustehende Ansprüche für bereits entstandene Sachschäden sind durch Erfüllung erloschen; zukünftige stehen nicht zu erwarten. Die von ihm geltend gemachten abgetretenen Ansprüche seiner Ehefrau bestehen nicht.
1.1.1. Ansprüche des Klägers
a) Ansprüchen des Klägers aus § 823 I, II BGB, § 229 StGB bzw. §§ 7, 18 StVG i.V.m. § 115 VVG steht – soweit es um den Ersatz von Personenschäden geht – der Haftungsausschluss nach § 105 I 1 SGB VII entgegen.
Nach § 105 I 1 SGB VII sind Personen, die durch eine betriebliche Tätigkeit einen Versicherungsfall von Versicherten desselben Betriebs verursachen, zum Ersatz des Personenschadens nur verpflichtet, wenn sie den Versicherungsfall vorsätzlich oder auf einem nach § 8 II Nr. 1-4 SGB VII versicherten Weg herbeigeführt haben.
aa) Der Unfall des Klägers und des Beklagten zu 1) vom 07.02.2013 stellt einen Versicherungsfall im Sinne der Vorschrift dar. Dies steht durch die Bindungswirkung des bestandskräftigen Bescheids der Berufsgenossenschaft Holz und Metall vom 04.09.2015 (Anlage K7) gemäß § 108 I SGB VII fest.
bb) Hiermit verbindet sich der Haftungsausschluss nach § 105 I 1 SGB VII, weil keiner der genannten Ausnahmetatbestände; die – hier nicht im Raum stehende – vorsätzliche Herbeiführung des Versicherungsfalles oder ein Unfall auf einem Arbeitsstättenweg nach § 8 II SGB VII, eingreift.
Arbeitsstättenwege sind solche, die aus dem privaten Bereich zur Aufnahme der versicherten Tätigkeit und danach zurück führen und solche, die in die versicherte Tätigkeit eingeschoben werden. Die Abgrenzung erfolgt danach, in welcher inhaltlichen Zielrichtung die Fortbewegung erfolgt; ob dies also in Ausführung der versicherten Tätigkeit geschieht (vgl. Ricke in Kassler Kommentar zum Sozialversicherungsrecht SGB VII, April 2015, EL 85, § 8 Rn. 179, 191 ff, 197 b, 217; Rolfs in Erfurter Kommentar zum Arbeitsrecht, 16. Auflage, 2016, § 8 SGB VII, Rn. 13). Für die Abgrenzung zwischen einem Arbeitsstättenweg und einem Betriebs Weg kommt es auf die Örtlichkeit und den Zusammenhang mit dem Betrieb und der Tätigkeit des Versicherten an (vgl. BGH, Urteil vom 25.10.2005, Az.: VI ZR 334/04).
Im vorliegenden Fall fuhren der Kläger und der Beklagte zu 1) entlang ihrer Route unterschiedliche Punkte mit teils privaten, teils betrieblichen Anliegen an. Entscheidend ist für die Einordnung der Art des Weges das konkrete Wegstück, auf dem sich der Unfall ereignete. Dies war der Fall zwischen … wo der Kläger sich im Betriebsinteresse mit einem Holzhändler traf und … wo er eine Baustelle kontrollieren wollte. Sowohl Startals auch Endpunkt der Etappe waren daher betriebsbezogen. Es liegt aus diesem Grund kein Arbeitsstättenwegeunfall, sondern ein Betriebswegeunfall vor, der vom gesetzlichen Haftungsausschluss für Personenschäden erfasst ist.
cc) Der Haftungsausschluss nach § 105 SGB VII bezieht sich lediglich auf Personenschäden. Darunter ist der Schaden zu verstehen, der den Verletzten in seiner körperlichen Unversehrtheit trifft. Hierunter fällt zum einen der rein immaterielle Schaden (Schmerzensgeld), aber auch jeder mittelbare materielle Vermögensschaden, der als Folge der Körperverletzung auftritt (vgl. BGH, Urteil vom 08.03.2012, Az.: III ZR 191/11).
Daraus folgt für den vorliegenden Fall, dass nicht nur der eingeklagte Anspruch auf Schmerzensgeld, sondern auch Fahrtkosten, Besuchskosten und Mehraufwendungen von dem Haftungsausschluss erfasst sind. Die diesbezüglichen Kosten gelten als durch die Versicherungsleistungen abstrakt abgegolten (vgl. Rolfs in Erfurter Kommentar zum Arbeitsrecht, 16. Auflage, 2016, § 104 SGB VII, Rn. 15). Dem steht es auch nicht entgegen, wenn diese Positionen mit den Versicherungsleistungen nicht deckungsgleich sind. Die sich ergebenden Leistungsunterschiede, die sich je nach Situation zu Gunsten oder zu Lasten eines Geschädigten auswirken können, sind systemimmanent und vom Gesetzgeber angesichts des bezweckten Schutzes Geschädigter einerseits und der Enthaftung des beitragszahlenden Unternehmers und dem Betriebsfrieden andererseits bewusst in Kauf genommen (vgl. BGH, Urteil vom 08.03.2012, Az.: III ZR 191/11).
Auch Ansprüche, die sich auf die Gleitsichtbrille des Klägers beziehen, sind von der Ausschlusswirkung erfasst, weil die Gleitsichtbrille als Sehhilfe ein Hilfsmittel im Sinne des § 8 III SGB VII darstellt, dessen Beschädigung durch die Vorschrift einem Gesundheitsschaden gleichgestellt wird, wenn es sich – wie hier unbestritten vorgetragen – im Unfallzeitpunkt bestimmungsgemäß am Körper befand (vgl. Rolfs in Erfurter Kommentar zum Arbeitsrecht, 16. Auflage, 2016, § 104 SGB VII, Rn. 14; Ricke in Kasseler Kommentar zum Sozialversicherungsrecht, 91. EL, September 2016, § 8 SGB VII, Rn. 33).
b) Die Ansprüche des Klägers auf Ersatz für Sachschäden sind durch Erfüllung (§ 362 I BGB) erloschen.
Die Haftung der Beklagten für Sachschäden, die von der Wirkung des Haftungsausschlusses nicht erfasst werden, hat die Beklagtenseite auf gerichtliche Nachfrage (Bl. 112 d.A.) dem Grunde nach unstreitig gestellt (Bl. 115 d.A.).
Nach § 249 I BGB ist ein Geschädigter zu stellen, wie er ohne den zum Ersatz verpflichtenden Umstand – hier also den Unfall – stünde. Der Kläger kann daher in Höhe von 176,- € die Reparaturkosten für seine Uhr ersetzt verlangen. Für die Schadensbemessung bei den beschädigten Kleidungsstücken ist angesichts des Umstands, dass sie bereits gebraucht waren, eine Abschreibung vorzunehmen (vgl. Grüneberg in Palandt, Bürgerliches Gesetzbuch, 76. Auflage, 2017, § 249, Rn. 19). Das Gericht geht im Wege der Schätzung (§ 287 I ZPO) davon, dass als Wert für die Bekleidungsstücke mit einem Gesamtanschaffungswert von 1.255,90 € jedenfalls nicht mehr als ein Betrag von 251,18 € angesetzt werden kann. Dabei wurde berücksichtigt, dass sich die Textilien – soweit vorgetragen – seit dem Vorjahr im Gebrauch des Klägers befanden und Garderobe nicht nur aus modischen Gesichtspunkten, sondern auch unter dem Aspekt der Abnutzung sehr schnell Werteinbußen erleidet. Der Kläger selbst hat zudem vortragen lassen (Bl. 63 d.A.) dass er stets hochwertige Kleidung trage. Vor diesem Hintergrund ist nicht davon auszugehen, dass er seine Kleidungsstücke allzu lange trägt. Angesetzt wurde daher ein Fünftel des Anschaffungspreises. Nach Addition der Reparaturkosten ergibt sich eine Schadenssumme von 427,18 €. Nachdem die Beklagte jedoch bereits in Höhe von 475,- € bzw. 450,- € Schadenersatz für dieses Positionen geleistet hat, ist der Anspruch voll umfänglich erloschen.
c) Dem Feststellungsantrag konnte nicht entsprochen werden, weil eine Einstandspflicht für Personenschäden, wie dargelegt, nicht besteht. Die vom Kläger nach seinem Vortrag zukünftig befürchteten weiteren Schäden durch die Beeinträchtigungen, die er bei der eigenständigen Ausführung von Arbeiten erlitten hat, zählen jedoch zu den Personenschäden. Soweit für Sachschäden kein Haftungsausschluss besteht, ist nicht ersichtlich, dass solche möglicherweise in Zukunft noch entstehen können, wie es für die Begründetheit des Feststellungsantrags erforderlich wäre.
1.1.2. Abgetretene Ansprüche der Ehefrau des Klägers Aus abgetretenem Recht kann der Kläger keine Ansprüche gegen die Beklagten geltend machen, weil seine Ehefrau durch den Unfall keine eigenen Ansprüche erlangt hat, die sie ihm im Wege der Abtretung (§ 398 BGB) übertragen konnte.
a) Die Haftpflichtvorschriften in §§ 7, 18 StVG gewähren Schadenersatz nur dem Verletzten selbst.
b) Auf § 823 I BGB kann die Ehefrau des Klägers keine Ansprüche stützen, weil durch den Unfall keines ihrer absolut geschützten Rechtsgüter verletzt wurde. Das Vermögen als solches zählt hierzu nicht. Auch soweit die Ehefrau des Klägers ihre selbständige Arbeit reduzieren musste, kommt eine Verletzung des Rechts am eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb als sonstiges Recht im Sinne des § 823 I BGB nicht in Betracht, da es hierzu eines betriebsbezogenen Eingriffs bedürfte. Eine solche unmittelbare Beeinträchtigung ist in Gestalt des Unfalls des Klägers jedoch nicht gegeben.
c) Auch § 823 II, § 229 StGB erfassen vom Schutzbereich her nur den Verletzten selbst und stehen daher der Ehefrau des Klägers nicht als Anspruchsgrundlage zur Verfügung.
d) Auf § 826 BGB, der Vermögensschutz gewährt, kann die Ehefrau des Klägers sich nicht stützen, weil schon eine vorsätzliche Schädigung nicht im Raum steht.
e) Ein Anspruch der Ehefrau kann sich auch nicht aus § 280 I BGB in Verbindung mit den Grundsätzen zum Vertrag mit Schutzwirkung zugunsten Dritter herleiten. Abgesehen davon, dass der Sachverhalt für eine vertragliche Beförderung des Klägers schon keine Anhaltspunkte liefert, würde es jedenfalls an der erforderlichen Leistungsnähe der Ehefrau des Klägers fehlen, weil diese nicht bestimmungsgemäß mit der Leistung, also der Fahrt, in Berührung kam und den Gefahren nicht so wie ihr Mann ausgesetzt war (vgl. Grüneberg in Palandt, Bürgerliches Gesetzbuch, 74. Auflage, 2015, § 328, Rn. 13 ff).
1.2. Mangels Hauptanspruch besteht auch kein Anspruch auf Zinsen und Erstattung vorgerichtlicher Rechtsverfolgungskosten.
2. Die Kostenentscheidung gemäß § 91 I ZPO beruht auf dem vollständigen Unterliegen der Klägerseite.
3. Der Ausspruch zur vorläufigen Vollstreckbarkeit ergibt sich für das nur für die Beklagtenseite in den Kosten vollstreckbare Endurteil aus § 709 1, 2 ZPO.

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