Medizinrecht

Schmerzensgeld und Erwerbsschaden nach HWS-Distorsion

Aktenzeichen  2 O 577/13

Datum:
11.3.2016
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
SVR – 2016, 425
Gerichtsart:
LG
Gerichtsort:
Ansbach
Rechtsweg:
Ordentliche Gerichtsbarkeit
Normen:
VVG § 86 Abs. 1 S. 1
SGB X § 116
BGB § 253 Abs. 1, Abs. 2

 

Leitsatz

1. 1.200,- EUR Schmerzensgeld bei Halswirbelsäulendistorsion mit Schädelprellung und Commotio Cerebri, die eine vierwöchige Arbeitsunfähigkeit bewirkten und 16 krankengymnastische Behandlungen erforderlich machten. (redaktioneller Leitsatz)
2. Bei selbständig Tätigen ist für einen Verdienstausfallschaden zu prüfen, wie sich das von ihnen betriebene Unternehmen ohne den Unfall voraussichtlich entwickelt hätte. Für die Schadensschätzung gemäß § 287 ZPO und § 252 BGB benötigt das Gericht als Ausgangssituation greifbare Tatsachen, da sich nur anhand eines bestimmten Sachverhalts sagen lässt, wie sich die Dinge ohne das Schadensereignis weiterentwickelt hätten. Der Kläger muss also Tatsachen, die seine Gewinnerwartung wahrscheinlich machen, im Einzelnen darlegen und beweisen. Hingegen ist eine völlig abstrakte Berechnung eines Erwerbsschadens, auch in Form der Schätzung eines „Mindestschadens“, nicht zulässig. (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

1. Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 2.235,83 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit 27.02.2013 zu bezahlen.
2. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
3. Der Kläger trägt 88%, die Beklagte 12% der Kosten des Rechtsstreits.
4. Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 120% des jeweils zu vollstreckenden Betrages vorläufig vollstreckbar.

Gründe

Die zulässige Klage ist nur zum Teil begründet.
I.
Der Kläger hat gegen die Beklagte einen Anspruch auf Zahlung von 2.086,16 € sowie auf Ersatz außergerichtlich entstandener Rechtsanwaltsgebühren zur Geltendmachung dieses Betrages.
1. Der Kläger hat gegen die Beklagte einen Anspruch auf Erstattung der ihm durch den Unfall entstandenen Kosten für ärztliche und krankengymnastische Behandlungen sowie Medikamente in Höhe von 1.286,16 € aus §§ 7, 17 StVG, 823 Abs. 1, Abs. 2, 253 BGB, § 229 StGB, 115 Abs. 2 S. 1 VVG, § 1 PflVG. Das auf den klägerischen Wagen aufgefahrene Fahrzeug war bei der Beklagten haftpflichtversichert.
Der Kläger wurde durch den für ihn unvermeidbaren Auffahrunfall verletzt. Dies hat die Beweisaufnahme ergeben. Der dem Gericht als sorgfältig und zuverlässig arbeitende bekannte Sachverständige … hat in seinem unfallanalytischen Gutachten erläutert, dass die durch den Auffahrunfall bei dem klägerischen Pkw verursachte Geschwindigkeitsänderung mindestens 9,6 km/h betragen hat. Einwendungen wurden von den Parteien gegen diese Feststellung nicht erhoben. Auf diese Tatsache gestützt ist der medizinische Sachverständige Dr. med. … in seinem Gutachten zu dem Ergebnis gelangt, dass der Kläger eine HWS-Distorsion ersten Grades sowie eine Schädelprellung mit Commotio Cerebri erlitten hat. Dies schließt er aus den Kräften, die bei dem Aufprall auf den Kläger gewirkt haben, sowie aus den Schilderungen des Klägers beim behandelnden Arzt, er habe Kopfschmerzen und sich übergeben. Zweifel an den Feststellungen des Sachverständigen sind jedenfalls durch sein Ergänzungsgutachten vom 12.11.2015 ausgeräumt, indem er darlegt, dass es eine schematische Mindestgeschwindigkeitsänderung für die Denkbarkeit einer Halswirbelsäulenverletzung nicht gibt. Gerade auch vor dem Hintergrund der schon vor dem Unfall vorliegenden degenerativen Veränderung der Halswirbelsäule ist die Entstehung einer Halswirbelsäulendistorsion auch bei einer verhältnismäßig geringfügigen Anstoßkraft verständlich, nachvollziehbar und das Gericht hält sie für erwiesen.
Die Medikamentenverschreibungen vom 05.11. und 19.11.2012 beruhen zur Überzeugung des Gerichts auf den unfallbedingten Verletzungen und sind daher von der Beklagten umfänglich zu ersetzen. Gleiches gilt für die MRT-Untersuchung vom 20.11.2012 sowie die ärztlichen Leistungen vom 05.11. bis 14.12.2012.
Gemäß den Feststellungen des Sachverständigen waren jedoch nur 16 physiotherapeutische Behandlungen den unfallbedingten Verletzungen geschuldet, so dass insoweit nur ein Ersatz von 16 x 25,- € = 400,- € verlangt werden kann.
2. Das Gericht hält in Anbetracht der sachverständigenseits festgestellten Halswirbelsäulendistorsion mit Schädelprellung und Commotio Cerebri, die eine vierwöchige Arbeitsunfähigkeit bewirkten und 16 krankengymnastische Behandlungen erforderlich machten, ein Schmerzensgeld in Höhe von 1.200,- € für angemessen. Da die Beklagte hierauf bereits 400,- € bezahlt hat, besteht insofern noch ein Anspruch in Höhe von 800,- €, § 253 Abs. 1, Abs. 2 BGB.
3. Der Kläger hat außerdem aus § 115 Abs. 1 VVG i.V.m. § 823 Abs. 1 BGB gegen die Beklagte einen Anspruch auf Ersatz weiterer außergerichtlicher Rechtsanwaltsgebühren in Höhe von 153,40 €. Insgesamt belief sich der Geschäftswert auf 7.017,78 €; dieser umfasst die unstreitigen Nettoreparaturkosten, den Minderwert, die Nettogutachterkosten und die Unkostenpauschale sowie die nunmehr noch zugesprochenen weiteren Positionen Krankengymnastik, Medikamente, Arztkosten und Schmerzensgeld. Bei diesem Geschäftswert betragen die außergerichtlichen Rechtsanwaltsgebühren netto unter Zugrundelegung eines 1,3-fachen Faktors 612,80 €.
Dem Kläger steht eine 1,5-fache Gebühr nicht zu. Es ist nicht ersichtlich, inwieweit es sich bei diesem einfach gelagerten, hinsichtlich der Verursachungsbeiträge sogar unstreitigen Auffahrunfall um eine überdurchschnittlich schwere und arbeitsaufwendige Angelegenheit gehandelt haben soll.
Nach Abzug der auf die außergerichtlichen Rechtsanwaltsgebühren bereits getätigten Zahlung verbleibt eine Restforderung in Höhe von 153,40 €.
4. Der Zinsanspruch resultiert aus §§ 286 Abs. 2 Nr. 3, 288 Abs. 1 BGB.
II.
Im Übrigen ist die Klage unbegründet.
1. Nachdem der Sachverständige festgestellt hat, dass der Unfall allenfalls eine vierwöchige Arbeitsunfähigkeit und die Notwendigkeit von 16 krankgymnastischen Behandlungen verursacht hat, sind die Kosten für die Erteilung eines Wiederholungsrezeptes bzw. einer Überweisung am 21.01.2013 einschließlich Porto nicht auf den Unfall zurückzuführen. Insofern ist die Klage abzuweisen.
2. Ein über den ausgeurteilten Betrag hinausgehendes Schmerzensgeld wäre den erlittenen Unfallfolgen nicht angemessen, so dass auch insoweit die Klage abzuweisen ist.
3. Außergerichtliche Rechtsanwaltsgebühren werden nur aus dem letztendlich verursachten Schadensbetrag geschuldet. Sofern der Kläger seiner Berechnung einen Geschäftswert von 24.566,93 € zugrunde legt, ist diese überhöht.
4. Der Kläger kann Ersatz für einen angeblichen Verdienstausfallschaden in Höhe von 15.745,42 € nicht verlangen. Zwar umfasst der zu ersetzende Schaden des Klägers grundsätzlich gemäß §§ 249, 252 S. 1 BGB auch den entgangenen Gewinn. Entgangen ist insoweit derjenige Gewinn, welcher nach dem gewöhnlichen Lauf der Dinge oder nach den besonderen Umständen, insbesondere nach den getroffenen Anstalten und Vorkehrungen, mit Wahrscheinlichkeit erwartet werden konnte. Dabei ist nicht nur die Entwicklung des Umsatzes und des Rohgewinns von Bedeutung, sondern auch der Verlauf der fixen, d.h. fortlaufenden, sowie der variablen, also bei Umsatzausfall nicht anfallenden, Kosten zu berücksichtigen.
Die vom Kläger angestellten Berechnungen genügen nicht den von der Rechtsprechung gestellten Anforderungen an die Ermittlung eines ersatzfähigen Verdienstausfallschadens. Nach ständiger Rechtsprechung bedarf es bei selbständig Tätigen zur Beantwortung der Frage, ob diese einen Verdienstausfallschaden erlitten haben, der Prüfung, wie sich das von ihnen betriebene Unternehmen ohne den Unfall voraussichtlich entwickelt hätte (BGH NJW 2004, 1945). Für die Schadensschätzung gemäß § 287 ZPO und § 252 BGB benötigt das Gericht als Ausgangssituation greifbare Tatsachen, da sich nur anhand eines bestimmten Sachverhalts sagen lässt, wie sich die Dinge ohne das Schadensereignis weiterentwickelt hätten. Der Kläger muss also Tatsachen, die seine Gewinnerwartung wahrscheinlich machen, im Einzelnen darlegen und beweisen. Hingegen ist eine völlig abstrakte Berechnung eines Erwerbsschadens, auch in Form der Schätzung eines „Mindestschadens“, nicht zulässig. Insbesondere kann der Schaden nicht rein schematisch durch die Ermittlung fiktiver Monats- oder Tagesumsätze aus den Vorjahresumsätzen ermittelt werden.
Außerdem richtet sich der von der Beklagten zu ersetzende Erwerbsschaden auch nicht nach der abstrakten Minderung der Erwerbsfähigkeit auf Null, wie sie der Sachverständige für die Dauer eines Monats festgestellt hat. Vielmehr muss durch die verminderte Erwerbsfähigkeit auch tatsächlich ein Vermögensschaden entstanden sein, d.h. der Verletzte muss tatsächlich einen Verdienstausfall erlitten haben.
Im Hinblick darauf fehlt bereits jeglicher Beweis dafür, dass der Kläger im November 2012 keinerlei Einkünfte erzielt hat. Das Abfallen des Betriebsergebnisses im Jahr 2012 kann theoretisch auch auf gleichbleibend reduzierten monatlichen Betriebsergebnissen beruhen und muss nicht auf einem Totalausfall – wie vom Kläger behauptet – in den Monaten November und Dezember 2012 zurückzuführen sein. Zwar ist es erforderlich und angebracht, an die Geschäftsentwicklung und die Geschäftsergebnisse in den letzten Jahren vor dem Unfall anzuknüpfen und gleichermaßen Erkenntnisse von Entwicklungen einzubeziehen, die sich erst nach dem Unfallereignis bis zur letzten mündlichen Verhandlung ergeben haben. Jedoch reicht das klägerische Vorbringen weder für eine Schadensschätzung noch für die Einholung eines betriebswirtschaftlichen Sachverständigengutachtens aus.
Das Gericht vermisst zum einen die Vorlage monatlicher Umsatz- und Gewinnermittlungen für den Unfallzeitraum einerseits und die Vergleichszeiträume der Vorjahre und der nachfolgenden Jahre andererseits. Nach hiesiger Auffassung ist es ausgeschlossen, dass in allen Kalendermonaten jeweils etwa gleiche Umsätze erzielt werden. Dies würde konjunkturelle und saisonale Schwankungen, aber auch Urlaubszeiten des Klägers sowie auch seiner Kunden, Betriebsferien und Ähnliches nicht berücksichtigen. Daher lässt sich von einem Jahresergebnis nicht auf ein etwa 1/12 davon betragendes Monatsergebnis schließen.
Zum anderen fehlt Vortrag des Klägers dazu, welche konkreten Beratungen für den Monat November 2012 bereits vereinbart waren und auf Grund der Erkrankung des Klägers sodann abgesagt werden mussten.
III.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 92 Abs. 1 S. 1 ZPO, die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit auf §§ 708 Nr. 11, 709 ZPO.
Beschluss
Der Streitwert wird auf 19.231,58 € festgesetzt.

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