Aktenzeichen S 31 R 388/16
SGG SGG § 64 Abs. 3, § 87, § 197a
Leitsatz
1. Ein Kameramann, der nicht weisungsgebunden arbeitet und nicht in einem fremden Betrieb eingegliedert ist, dem Auftraggeber projektbezogene Rechnungen stellt und über eigene Kameraausrüstung, Lichtanlage und PKW verfügt und bei der Kameraführung eigenverantwortlich gestaltend tätig ist, ist selbständig.
2 Wird die Tätigkeit jeweils projektbezogen ausgeübt und besteht zudem keine Rahmenvereinbarung im Sinne eines Dauerschuldverhältnisses und werden zudem zwischen den Beteiligten die Konditionen für die Zusammenarbeit jeweils neu ausgehandelt und festgelegt, spricht dies für eine selbständige Tätigkeit. (redaktioneller Leitsatz)
3 Programmgestaltend ist bei einer Filmproduktion jeder, dessen Tätigkeit Einfluss darauf nimmt, wie das Endprodukt letztlich aussieht, indem er seine „eigene Auffassung zu künstlerischen Fragen, seine Fachkenntnisse und Informationen sowie seine individuelle künstlerische Befähigung und Aussagekraft” einbringt. (redaktioneller Leitsatz)
Tenor
I.
Unter Aufhebung des Bescheides vom 21.05.2015 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 26.01.2016 wird festgestellt, dass der Beigeladene seit dem 26.07.2014 nicht in einem abhängigen Beschäftigungsverhältnis im Sinne von § 7 SGB IV zur Klägerin steht und insofern auch keine Versicherungspflicht in der gesetzlichen Rentenversicherung sowie nach dem Recht der Arbeitsförderung besteht.
II.
Die Beklagte trägt die Kosten des Rechtsstreits.
Gründe
Die Klage ist zulässig, insbesondere ist die Klagefrist gewahrt. Zwar ist der Widerspruchsbescheid der Klägerin schon am 27.01.2016 zugegangen, jedoch fiel der 27.02.2016 auf einen Samstag, sodass der Klageeingang am Montag, 29.02.2016 fristwahrend war, §§ 87, 64 Abs. 3 SGG.
Die Klage ist auch begründet.
Der Beigeladene ist als Kameramann im Auftrag der Klägerin zur Überzeugung des Gerichts nicht im Rahmen eines abhängigen Beschäftigungsverhältnisses tätig. Der angefochtene Bescheid vom 21.05.2015 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 26.01.2016 ist daher rechtswidrig und verletzt die Klägerin in ihren Rechten.
Gemäß § 7 Abs. 1 Satz 2 SGB IV sind Anhaltspunkte für eine Beschäftigung: eine Tätigkeit nach Weisungen und die Eingliederung in die Arbeitsorganisation des Weisungsgebers. Beschäftigt ist, wer von einem Arbeitgeber persönlich abhängig ist.
Die persönliche Abhängigkeit erfordert die Eingliederung in den Betrieb und damit die Unterordnung unter das umfassende Weisungsrecht des Arbeitgebers vor allem hinsichtlich Zeit, Dauer, Ort und Art der Arbeitsausführung.
Anhaltspunkte für selbständige Tätigkeit sind hingegen eine Tätigkeit im Rahmen einer selbst vorgegebenen Arbeitsorganisation, fehlendes Weisungsrecht, Verfügungsmöglichkeit über die eigene Arbeitskraft und ein eigenes Unternehmerrisiko.
Um festzustellen, in welchem sozialversicherungsrechtlichen Status eine Tätigkeit erfolgt, sind die Kriterien, die für Selbständigkeit sprechen, abzuwägen gegen die Kriterien, die für eine Beschäftigung sprechen. Welcher Status gegeben ist, richtet sich danach, welche Merkmale überwiegen. Auszugehen ist dabei vorliegend ausschließlich von den tatsächlichen Verhältnissen, da schriftliche Vereinbarungen nicht existieren.
Zur Überzeugung des Gerichts wäre schon bei Berücksichtigung dieser allgemeingültigen Grundsätze der Statusfeststellung von einer selbständigen Tätigkeit des Beigeladenen auszugehen. Es sprechen folgende gewichtige Aspekte für eine Selbständigkeit:
Der Beigeladene wird projektbezogen für die Klägerin tätig. Eine Rahmenvereinbarung im Sinne eines Dauerschuldverhältnisses besteht nicht. Auch sind zwischen Klägerin und Beigeladenem keine gleichbleibenden Konditionen für die Zusammenarbeit festgelegt, vielmehr wird die Bezahlung der Tätigkeit des Beigeladenen für jedes Projekt individuell ausgehandelt. Der Beigeladene ist völlig frei hinsichtlich der Frage, ob er ein Projekt übernehmen will oder nicht. Er stellt seine Arbeitskraft der Klägerin nicht umfassend zur Verfügung. Rechtliche Verpflichtungen gegenüber der Klägerin bestehen nur, wenn und soweit ein Auftrag angenommen wird.
Auch nach Auftragsannahme und innerhalb des jeweiligen Projekts überwiegen die Merkmale, die für Beschäftigung sprechen, nicht. Zum einen ist der Beigeladene gerade nicht in die betriebliche Organisation der Klägerin eigegliedert. Der Beigeladene hat bei der Klägerin keinerlei Arbeitsplatz, ihm wird der – für die Tätigkeit als Kameramann unerlässliche – große PKW Kombi nicht zur Verfügung gestellt. Auch hält die Klägerin für den Beigeladene keine Lichtanlage vor, die dieser für die Filmaufnahmen braucht. Vielmehr hat der Beigeladene die Lichtanlage, den PKW und eine komplette Filmkameraausrüstung selbst angeschafft, und dies in Ungewissheit, ob er entsprechende Aufträge bekommen würde, um diese Investitionen und einen Gewinn zu erwirtschaften.
Bei der Klägerin arbeiten auch keine Festangestellten mit dem gleichen Tätigkeitsspektrum wie der Beigeladene. Die Tätigkeit der angestellten Kameraassistenten ist nicht vergleichbar mit der Tätigkeit des Klägers – auch nicht die Tätigkeit des Kameraassistenten, der sich aktuell in der Weiterentwicklung zum Kameramann befindet. Denn dieser hat gerade nicht die gestalterischen Freiräume, die der Beigeladene hat, sondern er arbeitet weisungsgebunden.
Die Klägerin ist im Übrigen auf die Zusammenarbeit mit einer Vielzahl selbständiger Kameraleute angewiesen, da sie ihren Kunden eine breite Auswahl verschiedener Kameraleute anbieten muss, um ihr Geschäftsmodell umzusetzen. Dementsprechend hat die Klägerin auch selbst keinen Angestellten, der für den Beigeladenen bei kurzfristiger Verhinderung einspringen könnte. Vielmehr muss der Beigeladene seinen Ersatz selbst suchen.
Im Übrigen besteht auch keine persönliche Abhängigkeit des Beigeladenen gegenüber der Klägerin, die mit der Abhängigkeit eines Arbeitnehmers gegenüber seinem Arbeitgeber vergleichbar wäre. Zum einen ist der Beigeladene gegenüber der Klägerin nicht wirtschaftlich abhängig, was schon aus der Tatsache ersichtlich ist, dass er seit Erlass des Statusbescheides kaum mehr Aufträge von der Klägerin angenommen hat, sondern nunmehr für andere Auftraggeber, vornehmlich in Österreich, tätig ist. Zum anderen ist die Tätigkeit des Beigeladenen als Kameramann nicht durch Vorgaben der Klägerin eingeschränkt, die einem Arbeitgeberdirektionsrecht gleichzusetzen wären. Die Klägerin nimmt keinerlei Einfluss auf die Bildgestaltung oder die technische Umsetzung der Ideen zur Bildgestaltung durch den Beigeladenen. Über die Bildgestaltung entscheidet der Beigeladene vielmehr eigenverantwortlich, in Absprache mit der Regie. Der Autor ist für den Inhalt eines Films verantwortlich, der Regisseur für die szenische Umsetzung, der Kameramann für die Frage, wie, mit welchem Licht, zum Teil auch, mit welchem Motiv oder Hintergrund die Szene bildlich eingefangen wird. Die Bildgestaltung umfasst dabei z.B. auch die Frage, mit welcher Blende gefilmt wird. Hier bringt der Beigeladene eigenes gestalterisches Fachwissen ein, über das kein anderes Mitglied des Filmteams verfügt.
Der Beigeladene wird im Übrigen in seiner Tätigkeit nicht von der Klägerin kontrolliert. Der Drehbericht, der am Ende des Drehtages zu erstellen ist, ist kein Arbeitgeber-Kontrollinstrument, sondern dient der Dokumentation der erbrachten Leistungen, wie ein im Werkvertragsrecht z.B. üblicher Regiebericht. Auch die Tatsache, dass am Projektende eine Abnahme stattfindet, ist keinesfalls ein Indiz für Beschäftigung – die Abnahme ist ganz im Gegenteil typisches Merkmal eines Werkvertrags. Auch die Übernahme von Spesen und Reisekosten durch die Klägerin ist kein Indiz für Beschäftigung, da dies auch im Bereich selbständiger Tätigkeiten durchaus üblich ist.
Es finden sich durchaus auch Indizien, die für Beschäftigung sprechen, jedoch überwiegen diese nicht:
Für Beschäftigung spricht vorliegend, dass der Beigeladene das Kamera- Equipment in der Regel nicht selbst stellt. Zwar hat er eine Kameraausrüstung, jedoch passt diese nicht immer zu den Anforderungen des filmischen Projekts. Passt seine Ausrüstung nicht, empfiehlt er im Rahmen seiner künstlerischen Gestaltungsfreiheit, welche Kamera zum Einsatz kommen soll. Die Anmietung erfolgt allerdings nicht durch ihn, sondern durch die Klägerin. Das heißt, insoweit trägt die Klägerin das finanzielle Risiko, und nicht der Beigeladene. Da er aber durchaus eigene Gerätschaften in nennenswertem Umfang stellt (Lichtanlage, Rig) und auch seinen eigenen PKW zum Einsatz bringt, gibt die Anmietung des Kamera- Equipments durch die Klägerin nicht den Ausschlag bei der Statusbeurteilung.
Dies gilt auch für die Tatsache, dass der Beigeladene nicht offen werbend am Markt auftritt, z.B. – noch – keine eigene Web- Site über seine Tätigkeit hat. Dies ist nämlich nicht darauf zurückzuführen, dass der Beigeladene nicht selbständig wäre, sondern darauf, dass er seine Aufträge ganz überwiegend aufgrund von Mundpropaganda erhält.
Schon bei der Abwägung der allgemeingültigen Kriterien der Statusbeurteilung ergibt sich vorliegend also das Bild einer selbständigen Tätigkeit.
Dass der Beigeladene als Kameramann selbständig tätig ist, ergibt sich darüber hinaus aus der Tatsache, dass er programmgestaltend tätig ist. Programmgestaltend ist bei einer Filmproduktion jeder, dessen Tätigkeit Einfluss darauf nimmt, wie das Endprodukt, also der Film, letztlich aussieht, indem er seine „eigene Auffassung zu künstlerischen (…) Fragen, seine Fachkenntnisse und Informationen sowie seine individuelle künstlerische Befähigung und Aussagekraft in die Sendung“ einbringt (…). „Überwiegt die gestalterische Freiheit und wird die Gesamttätigkeit vorwiegend durch den journalistischschöpferischen Eigenanteil bestimmt, ist eine selbständige Tätigkeit anzunehmen.“ (zitiert aus dem Abgrenzungskatalog für im Bereich Theater, Orchester, Rundfunkt- und Fernsehanbieter, Film- und Fernsehproduktionen tätige Personen, Bestandteil des gemeinsamen Rundschreibens der Spitzenorganisationen der Sozialversicherung vom 16.01.1996 zur Durchführung der Künstlersozialversicherung ab 01.01.1996, Ziffer 3.2). Dort heißt es weiter: „Die Selbständigkeit des programmgestaltenden Mitarbeiters wird nicht schon durch die Abhängigkeit vom technischen Apparat der Sendeanstalt und der Einbindung in das Produktionsteam ausgeschlossen. Die programmgestaltenden Mitarbeiter stehen jedoch dann in einem Beschäftigungsverhältnis, wenn die Sendanstalt innerhalb eines bestimmten zeitlichen Rahmens über die Arbeitsleistung verfügen kann. Dies ist anzunehmen, wenn ständige Dienstbereitschaft erwartet wird oder der Mitarbeiter in nicht unerheblichem Umfang ohne Abschluss entsprechender Vereinbarungen zur Arbeit herangezogen werden kann.“
Wendet man diese Grundsätze der Spitzenorganisationen der Sozialversicherung auf den vorliegenden Fall an, so ist eindeutig eine selbständige Tätigkeit gegeben. Dieses Ergebnis entspricht auch der bisherigen Rechtsprechung (LSG Berlin- Brandenburg vom 06.11.2015, Az.: L 1 KR 136/13, LSG Sachsen vom 17.09.2015, Az.: L 1 KR 10/11, LSG Baden- Württemberg vom 23.11.2011, Az.: L 5 R 5703/09).
Abweichende Entscheidungen insbesondere zu Kameraleuten, die z.B. bei Sportveranstaltungen in der Liveübertragung eingesetzt werden und Bildmaterial liefern, das aufgrund von Weisungen erstellt wird, die die Kameraleute über Kopfhörer erhalten, und deren Bildmaterial dann von der Regie zu einer Liveberichterstattung zusammengesetzt wird, stehen dem nicht entgegen, weil sie mit der vorliegend streitgegenständlichen, programmgestaltenden Tätigkeit des Beigeladenen nicht vergleichbar sind. Auch das Urteil des LSG NRW vom 28.03.2012, L 8 R 156/09, steht nicht entgegen: hier wurde die Beschäftigung eines Kameramannes festgestellt, der vollständig in einen Fernsehproduktionsbetrieb eingegliedert war, dem Weisungsrecht des Inhabers unterlag und keinerlei Unternehmerrisiko hatte. Dieser Sachverhalt ist dem hier streitgegenständlichen nicht vergleichbar.
Nach allem war der Klage in vollem Umfang stattzugeben.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 197 a SGG i.V.m. § 154 Abs. 1 VwGO.