Aktenzeichen L 4 KR 582/16
SGB V § 275 Abs. 1 c S. 2
Leitsatz
1. Vorliegend lag eine sog. Auffälligkeitsprüfung vor.
2. Da § 275 Abs. 1 c S. 2 SGB V somit auf den vorliegenden Fall anwendbar ist, ist bezüglich des zweiten Krankenhausaufenthalts die 6-Wochen-Frist einzuhalten gewesen.
3. Die Prüfanzeige für die gesamte Behandlung ist nicht aufgrund einer gesamtheitlichen Betrachtung (Fallzusammenführung) bezüglich des ersten und zweiten stationären Aufenthalts bereits durch die erste Anzeige in ausreichender Form erfolgt.
4. Die Frist bei der Überprüfung unterbliebener Fallzusammenführung beginnt erst bei Eingang der zweiten Abrechnung zu laufen. Die Anzeige des Prüfauftrags muss sich auf die Zusammenfassung beider stationärer Behandlungen zu einem Gesamtfall beziehen.
5. Lag kein Fall einer Fallzusammenführung vor, sind stets beide Vorgänge getrennt zu betrachten.
6. Kommt ein Fall einer Fallzusammenführung in Betracht bzw. ist eine diesbezügliche Überprüfung vorgesehen, beginnt die 6-Wochen-Frist erst bei Eingang der zweiten Abrechnung.
Verfahrensgang
S 2 KR 252/13 2015-01-19 Urt SGREGENSBURG SG Regensburg
Tenor
I. Die Berufung gegen das Urteil des Sozialgerichts Regensburg vom 19. Januar 2015 wird zurückgewiesen.
II. Die Beklagte trägt auch die Kosten des Berufungsverfahrens.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.
IV. Der Streitwert wird auf 1.726,72 EUR festgesetzt.
Gründe
Die form- und fristgerecht (§§ 143, 151 SGG) eingelegte Berufung der Beklagten ist zulässig, jedoch unbegründet. Aufgrund des vorliegenden Einverständnisses der Beteiligten kann der Senat ohne mündliche Verhandlung nach § 124 Abs. 2 SGG entscheiden.
Die Leistungsklage nach § 54 Abs. 5 SGG ist begründet. Die Beklagte konnte gegen den von der Klägerin geltend gemachten Zahlungsanspruch nicht rechtmäßig mit einem öffentlich-rechtlichen Erstattungsanspruch aufrechnen (§ 387 BGB analog). Gemäß § 153 Abs. 2 SGG verweist der Senat auf die Ausführungen des Sozialgerichts in dem angegriffenen Urteil. Ergänzend ist unter Berücksichtigung des Vorbringens der Beteiligten im Berufungsverfahren Folgendes auszuführen:
Der Erstattungsanspruch setzt u.a. voraus, dass der Berechtigte im Rahmen eines öffentlich-rechtlichen Rechtsverhältnisses Leistungen ohne Rechtsgrund erbracht hat.
Die Vergütung für Krankenhausbehandlungen des Versicherten bemisst sich nach vertraglichen Fallpauschalen auf gesetzlicher Grundlage. Die Fallpauschalenvergütung für Krankenhausbehandlung Versicherter in zugelassenen Einrichtungen ergibt sich aus
§ 109 Abs. 4 S. 3 SGB V i.V.m. § 7 Krankenhausentgeltgesetz (KHEntgG) und § 17 b KHG. Der Anspruch wird auf Bundesebene durch Normsetzungsverträge (Fallpauschalenvereinbarungen) konkretisiert. Der Spitzenverband Bund der Krankenkassen und der Verband der privaten Krankenversicherung gemeinsam vereinbaren nach § 9 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 KHEntgG mit der Deutschen Krankenhausgesellschaft als Vertragsparteien auf Bundesebene mit Wirkung für die Vertragsparteien nach § 11 KHEntgG einen Fallpauschalenkatalog einschließlich der Bewertungsrelationen sowie Regelungen zur Grenzverweildauer und der in Abhängigkeit von diesen zusätzlich zu zahlenden Entgelte oder vorzunehmenden Abschläge. Ferner vereinbaren sie insoweit Abrechnungsbestimmungen in den Fallpauschalenvereinbarungen auf der Grundlage des § 9 Abs. 1 S. 1 Nr. 3 KHEntgG.
Welche DRG-Position abzurechnen ist, ergibt sich rechtsverbindlich aus der Eingabe und Verarbeitung von Daten in einem automatischen Datenverarbeitungssystem, das auf einem zertifizierten Programm basiert. Die Anwendung der zwischen den Vertragspartnern auf Bundesebene beschlossenen Deutschen Kodierrichtlinien (DKR – hier Version 2009) und der Fallpauschalenabrechnungsbestimmungen einschließlich der OPS erfolgt eng am Wortlaut orientiert und unterstützt durch systematische Erwägungen; Bewertungen und Bewertungsrelationen bleiben außer Betracht. Nur dann kann eine Vergütungsregelung, die für die routinemäßige Abwicklung von zahlreichen Behandlungsfällen vorgesehen ist, ihren Zweck erfüllen. Da das DRGbasierte Vergütungssystem vom Gesetzgeber als jährlich weiter zu entwickelndes und damit lernendes System angelegt ist, sind bei zu Tage tretenden Unrichtigkeiten oder Fehlsteuerungen in erster Linie die Vertragsparteien berufen, diese mit Wirkung für die Zukunft zu beseitigen (st. Rspr. des BSG, vgl. Urteil vom 17.11.2015, B 1 KR 41/14 R). Nach Ansicht des BSG handelt es sich bei der konkreten Auslegung der DKR und Abrechnungsbestimmungen um eine rechtliche Prüfung (BSG, B 1 KR 97/15 B – juris Rn. 8).
Die Klägerin hat für die (zweite) stationäre Behandlung vom 28.11. bis 02.12.2009 eine entsprechende Groupierung durchgeführt und die DRG J67B (leichte bis moderate Hauterkrankung ohne CC oder Erkrankungen der Mamma außer bösartige Neubildung) zur Abrechnung gebracht (Schlussrechnung vom 14.12.2009).
Vorliegend ist streitig, ob die Klägerin hinsichtlich dieses zweiten stationären Aufenthalts vom 28.11. bis 02.12.2009 die Unterlagen hätte vorlegen müssen, damit eine von der Beklagten veranlasste Prüfung durch den SMD hätte durchgeführt werden können. Die Klägerin beruft sich insoweit aber zu Recht auf den Ablauf der sechswöchigen Frist nach § 275 Abs. 1 c S. 2 SGB V. Die Vorschrift des § 275 Abs. 1 c SGB V wurde mit Wirkung vom 01.04.2007 durch Art. 1 Nr. 185 GKV-WSG eingeführt, um eine zeitnahe Prüfung der Leistungspflicht der Krankenkasse durch Beauftragung des MDK bzw. des SMD innerhalb von sechs Wochen nach Eingang der Abrechnung zu gewährleisten. Auch nach der zum Zeitpunkt der stationären Behandlung (2009) und Einleitung der Prüfung geltenden Fassung des § 275 Abs. 1 c S. 2 SGB V galt somit bereits die Sechswochenfrist.
Es lag vorliegend auch eine sog. Auffälligkeitsprüfung vor, so dass – unabhängig von der hier streitigen Frage, ob die Unterscheidung zwischen Auffälligkeitsprüfungen und Prüfungen der sachlich-rechnerischen Richtigkeit (hierzu z.B.: BSG v. 23.06.2015, BSGE 119, 141) auch bereits für Fälle aus dem Jahre 2009 greift – § 275 Abs. 1 c S. 2 SGB V gilt. Das Vorliegen einer Auffälligkeitsprüfung ergibt sich aus dem Wortlaut der Prüfanzeige vom 06.01.2010, auf die sich die Beklagte bezieht, nach dem auf der Grundlage der übermittelten Behandlungsdaten die Dauer der Krankenhausbehandlung als nicht nachvollziehbar erschien. Darauf aufbauend erfolgte die zweite Prüfanzeige vom 11.03.2010.
Da § 275 Abs. 1 c S. 2 SGB V somit auf den vorliegenden Fall anwendbar ist, ist bezüglich des zweiten Krankenhausaufenthalts vom 28.11. bis 02.12.2009 die 6-Wochen-Frist des § 275 Abs. 1 c S. 2 SGB V nach Rechnungsstellung vom 14.12.2009 einzuhalten gewesen. Entgegen der Ansicht der Beklagten ist die Prüfanzeige für die gesamte Behandlung nicht aufgrund einer gesamtheitlichen Betrachtung (Fallzusammenführung) bezüglich des ersten und zweiten stationären Aufenthalts bereits durch die Anzeige vom 06.01.2010 in ausreichender Form erfolgt – unstreitig wurde allerdings die Frist hinsichtlich der Abrechnung des ersten Aufenthalts vom 23. bis 25.11.2009 nach Rechnungsstellung vom 11.12.2009 eingehalten.
Die Fallzusammenführung setzt nach § 2 Abs. 1 und Abs. 3 FPV 2007 jeweils voraus, dass ein Patient innerhalb der oberen Grenzverweildauer, bemessen nach der Zahl der Kalendertage ab dem Aufnahmedatum des ersten unter diese Vorschrift zur Zusammenfassung fallenden Krankenhausaufenthalts, wieder aufgenommen wird (BSG, Urt. v. 28.03.2017, B 1 KR 3/16 R – juris Rn. 14).
Mit seiner Entscheidung vom 23.06.2015 (BSG, B 1 KR 23/14 R – juris) – auf die sich auch die Beteiligten berufen – hat das BSG die vorangegangene Entscheidung des Landessozialgerichts Hamburg (Urt. v. 21.11.2013, L 1 KR 28/13 – juris, vor allem Rn. 45) aufgehoben. Im Einzelnen hat das BSG zur hier streitigen Frage Folgendes ausgeführt:
„Der jeweils von der Krankenkasse erteilte Prüfauftrag bestimmt, ob es um eine oder mehrere Abrechnungsprüfungen im engeren Sinne geht. Das folgt aus der sich im Gesetzeswortlaut widerspiegelnden Normstruktur (…), dem Regelungssystem (…) und dem Regelungszweck in Einklang mit der Entstehungsgeschichte (…).” (BSG, a.a.O., juris Rn. 14).
Weiter führt das BSG zur Auslegung, ob ein oder mehrere Prüfaufträge vorliegen, aus:
„Die Beklagte erteilte dem MDK lediglich einen einzigen Prüfauftrag iS von § 275 Abs. 1c SGB V. Ob eine Krankenkasse einen oder mehrere Prüfaufträge mit dem Ziel der Abrechnungsminderung erteilt, bemisst sich nach den allgemeinen Grundsätzen über die Auslegung von Willenserklärungen (§ 69 S. 4 SGB V idF durch Art. 1 Nr. 40a GKV-WSG vom 26.3.2007, BGBl I 378)” – (BSG, a.a.O., juris Rn. 18).
Und zum Beginn der Frist bei einer Fallzusammenführung:
„§ 275 Abs. 1c S. 2 SGB V sieht zudem die Einleitung der Prüfung einer Abrechnung nur innerhalb der Ausschlussfrist von sechs Wochen nach deren Eingang bei der Krankenkasse vor. Bei Überprüfung unterbliebener Fallzusammenführung sind mindestens zwei Abrechnungen betroffen, wobei die Frist erst bei Eingang der zweiten Abrechnung zu laufen beginnen kann. Andernfalls würden – ausgehend von der Rechtsauffassung des LSG – für die Einleitung des Prüfauftrags je nach Eingang der jeweiligen Abrechnung unterschiedliche Fristen gelten, obwohl nur ein einheitlicher Prüfauftrag mit einer Fragestellung erteilt wird. Dies hätte zur Konsequenz, dass für die zweite Abrechnung regelmäßig die Sechs-Wochen-Frist nicht ausgeschöpft werden könnte, um die Frist für die erste Abrechnung noch einhalten zu können. Ggf wäre die Frist zur Prüfung der ersten Abrechnung bei Eingang der zweiten Abrechnung sogar schon ganz abgelaufen. Damit würde kein Anreiz geschaffen, Einzelfallprüfungen zielorientierter und zügiger einzusetzen, sondern eine im Interesse des Wirtschaftlichkeitsgebots gebotene Prüfung ausgeschlossen.“ (BSG, a.a.O., juris Rn. 22).
Somit beginnt die Frist bei der Überprüfung unterbliebener Fallzusammenführung erst bei Eingang der zweiten Abrechnung zu laufen. Dies bedeutet:
a) Lag kein Fall einer Fallzusammenführung vor, sind stets beide Vorgänge getrennt zu betrachten: Hinsichtlich der zweiten stationären Behandlung war die Frist des § 275 Abs. 1 c S. 2 SGB V zum Zeitpunkt der Prüfanzeige vom 11.03.2010 bereits abgelaufen, da die Schlussrechnung vom 14.12.2009 stammte und die Anzeige der Prüfung erstmalig am 11.03.2010 erfolgte. Soweit die Beklagte nicht mehr von einer Fallzusammenführung ausgegangen sein sollte, ist die weitere Prüfanzeige vom 27.08.2010 nachvollziehbar die sich wiederum nur auf den zweiten Krankenhausaufenthalt vom 28.11. bis 02.12.2009 bezog. Hierfür war die Frist des § 275 Abs. 1 c S. 2 SGB V aber bei Weitem abgelaufen.
b) Kommt ein Fall einer Fallzusammenführung in Betracht bzw. ist eine diesbezügliche Überprüfung vorgesehen, beginnt die Sechswochenfrist gemäß der o.g. Entscheidung des BSG erst bei Eingang der zweiten Abrechnung, also der Rechnung vom 14.12.2009, übermittelt am 16.12.2009, zu laufen. Hierauf bezieht sich offensichtlich die Beklagte im Berufungsverfahren.
Diese Fallkonstellation liegt aber vorliegend nicht unmittelbar vor, da die Prüfanzeige vom 06.01.2010 zwar innerhalb der Sechswochenfrist nach der zweiten Schlussrechnung vom 14.12.2009 erfolgte, diese sich jedoch nur auf den ersten stationären Krankenhausaufenthalt bezog, nicht (auch) auf jenen zweiten. Das Schreiben der Beklagten vom 02.03.2010, das beide Krankenhausaufenthalte betraf, lag dann bereits deutlich über der 6-Wochen-Frist, ebenso die Anzeige des SMD-Verfahrens gemäß § 275 SGB V vom 11.03.2010 bezüglich der Abrechnung beider stationärer Aufenthalte.
Eine gebotene Auslegung der Anzeige vom 06.01.2010 ergibt, dass sich der Wortlaut der Bezugnahme eindeutig nur auf den stationären Aufenthalt „vom 23.11.2009 bis 25.11.2009 – Aufnahme-Nr. 00… “ bezieht. Zu diesem Zeitpunkt lagen der Beklagten aber bereits beide Schlussrechnungen vor. Auch der Dokumentationsbogen DRG vom 06.01.2010 betraf wohl nur diesen Aufenthalt. Allerdings wurden handschriftlich hierauf Hinweise auf eine „evtl. Fallzusammenführung 2 Aufenthalte 28.11.2009 bis 02.12.2009“ angebracht – eine Datumsangabe über den Vermerk findet sich in der Akte nicht. Jedenfalls fehlen diese Hinweise in der Anzeige an die Klägerin vom 06.01.2010 in Gänze.
Erst das Schreiben der Beklagten vom 02.03.2010 und die Anzeige des Prüfauftrags vom 11.03.2010 beziehen sich auf eine Zusammenfassung beider stationärer Behandlungen zu einem Gesamtfall.
Bereits die Auslegung ergibt daher, dass die Frist des § 275 Abs. 1 c S. 2 SGB V allein durch die Anzeige vom 06.01.2010 nicht eingehalten wurde und die Anzeige vom 02.03.2010 verfristet ist.
c) Soweit die Beklagte im Termin zur mündlichen Verhandlung vor dem Sozialgericht die allgemeine damalige Praxis bestätigte, sobald eine Fallzusammenführung in Betracht kommt, bei einer zweiten Rechnung immer auf den Prüfauftrag der ersten Rechnung abzustellen, ohne auf eine erneute sechswöchige Frist zu achten, entspricht diese Praxis nicht der Ansicht des BSG, wonach die Frist erst bei Eingang der zweiten Abrechnung zu laufen beginnt.
Neben dem Wortlaut der Regelung ist auf den Zweck der Regelung abzustellen. Maßgeblich stellt das BSG bei seiner Auffassung darauf ab, dass ein Anreiz geschaffen wird, Einzelfallprüfungen zielorientierter und zügiger einzusetzen; es soll eine im Interesse des Wirtschaftlichkeitsgebots gebotene Prüfung gewährleistet werden. Dabei sind nach Ansicht des Senats aber die Interessen beider Beteiligter zu berücksichtigen, also auch die der Klägerin an einer zeitnahen Überprüfung und Eintritt von Rechtssicherheit.
Da somit hinsichtlich der zweiten stationären Behandlung und der Frage, ob eine Fallzusammenführung anzunehmen ist, in Bezug auf die Sechswochenfrist des § 275 Abs. 1 c S. 2 SGB V auf die Übermittlung der Rechnung vom 14.12.2009 abzustellen ist und die Frist am 11.03.2010 somit abgelaufen war, war die Klägerin berechtigt, hierzu keine Unterlagen vorzulegen. Ob ein Fall der Fallzusammenführung vorlag, ist damit nicht beweisbar. Da jedenfalls eine Auffälligkeitsprüfung vorlag, greift wegen Verfristung der Prüfanzeige ein Beweisverwertungsverbot bezüglich der vorliegenden Patientenakte (BSG, Urt. v. 01.07.2014, BSGE 116, 165 ff – juris).
Die Beklagte durfte daher nicht mit der streitigen Forderung aufrechnen. Die Berufung war daher zurückzuweisen.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 197 a Abs. 1 Satz 1 SGG i.V.m. § 154 Abs. 1 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO).
Gründe für die Zulassung der Revision nach § 160 Abs. 2 SGG liegen nicht vor.
Die Festsetzung des Streitwerts beruht auf § 197 a Abs. 1 i.V.m. § 52 Abs. 1 und 3 Gerichtskostengesetz (GKG). Der Streitwert ist bezifferbar im Sinne des § 52 Abs. 3 S. 1 GKG und mit 1.726,72 EUR festzusetzen.