Medizinrecht

Untersagung der Öffnung von Ladengeschäften des Einzelhandels

Aktenzeichen  AN 18 E 20.00818

Datum:
30.4.2020
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2020, 10412
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Ansbach
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
VwGO § 47 Abs. 6, § 123 Abs. 1 S. 2
2. BaylfSMV § 2 Abs. 4, Abs. 5
BayLStVG Art. 6, Art. 7 Abs. 2 Nr. 1
IfSG § 28

 

Leitsatz

1. Wird geltend gemacht, ein bestimmtes Ladengeschäft im Bereich eines Einkaufszentrums falle nicht unter die Schließungsregelung einer infektionsschutzrechtlichen Verordnung, ist eine Feststellungsklage statthaft.(Rn. 14) (redaktioneller Leitsatz)
2. Auch nicht der Grundversorgung dienende Ladengeschäfte waren nach dem im Frühjahr 2020 geltenden bayerischen Recht in Einkaufszentren zulässig, wenn die Höchstverkaufsfläche nicht erreicht oder überschritten wurde.  (Rn. 24 – 26) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

1. Es wird im Wege der einstweiligen Anordnung vorläufig festgestellt, dass § 2 Abs. 4 und 5 der Zweiten Bayerischen Infektionsschutzmaßnahmenverordnung vom 16. April 2020 in der Fassung des § 1 der Verordnung zur Änderung der Zweiten Bayerischen Infektionsschutzmaßnahmenverordnung vom 28. April 2020 der Öffnung und dem Betrieb des Textilhandelseinzelgeschäfts der Antragstellerin in … …, …, mit einer Verkaufsfläche von 431 m2 nicht entgegensteht.
2. Der Antragsgegner trägt die Kosten des Verfahrens.
3. Der Streitwert wird auf 5.000 EUR festgesetzt.

Gründe

I.
Die Antragstellerin begehrt im Wege des Eilrechtsschutzes die Feststellung, dass die Regelungen der Zweiten Bayerischen Infektionsschutzmaßnahmenverordnung der Öffnung ihres in einem Einkaufszentrum belegenen Ladengeschäfts nicht entgegenstehen.
Die Antragstellerin betreibt ein Ladengeschäft des textilen Einzelhandels im Einkaufspark und Gewerbegebiet „…“ in der Gemeinde … Das Geschäft befindet sich dort im Gebäudekomplex des Lebensmittelhandels „…“; dieser umfasst neben dem eigentlichen Lebensmittelgeschäft auch mehrere voneinander unabhängige Verkaufsstätten, in denen sich neben einer Bank, einem Imbiss, einer Bäckerei sowie einem weiteren Textilhandelsbetrieb auch das Ladengeschäft der Antragstellerin mit einer Verkaufsfläche von 431 m² befindet.
Der Antragsgegner hat am 16. April 2020 durch das Bayerische Staatsministerium für Gesundheit und Pflege die Zweite Bayerische Infektionsschutzmaßnahmenverordnung (2. BayIfSMV) erlassen, die zuletzt durch § 1 der Verordnung zur Änderung der Zweiten Bayerischen Infektionsschutzmaßnahmenverordnung vom 28. April 2020 (BayMBl. 2020 Nr. 225) geändert wurde. § 2 Abs. 4 Satz 1 2. BayIfSMV untersagt die Öffnung von Ladengeschäften des Einzelhandels jeder Art. Neben § 2 Abs. 4 Satz 2 und 4 2. BayIfSMV, der bestimmte Arten von Geschäften von dem vorstehenden Verbot ausnimmt, lässt § 2 Abs. 5 2. BayIfSMV auch die Öffnung von sonstigen Ladengeschäften, Einkaufszentren und Kaufhäusern des Einzelhandels zu, „wenn in ihnen höchstens eine Verkaufsfläche von 800 m² geöffnet wird.“
Am 30. April 2020 hat die Antragstellerin das Bayerische Verwaltungsgericht Ansbach um die Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes ersucht.
Die Antragstellerin trägt vor, den Betrieb ihres Ladengeschäfts am 27. April 2020 unter Ausnutzung der 800-m²-Regelung zunächst wieder aufgenommen zu haben. Am 29. April 2020 sei sie durch die Polizei zur Schließung ihres Ladens aufgefordert worden, was die Antragstellerin auch befolgt habe. Auf telefonische Nachfrage beim Landratsamt … sei ihr mitgeteilt worden, dass nach der geänderten Fassung der Verordnung alle Einkaufszentren mit einer Verkaufsfläche von mehr als 800 m² geschlossen bleiben müssten. Sie ist der Ansicht, die Rechtsauffassung des Antragsgegners, wonach der Betrieb von sonstigen Einzelhandelsgeschäften in Einkaufszentren generell untersagt sei, beeinträchtige sie in gleichheitswidriger Weise in ihrem Grundrecht auf Berufsausübungsfreiheit. Insoweit als diese Auslegung dazu führen würde, dass innerhalb von Einkaufszentren kein einziges sonstiges Ladengeschäft zur Öffnung berechtigt sei, widerspreche ein derartiges Verständnis ferner dem Text der Verordnung. Schließlich sei das von der Verordnung verfolgte Ziel, die Gesundheit der Bevölkerung zu schützen, in Einkaufszentren durch weniger einschneidende Maßnahmen ebenso effektiv zu gewährleisten. Es könnten dort namentlich dem Gesundheitsschutz dienende Infektionsschutzkonzepte deutlich einfacher und effektiver umgesetzt werden, als dies in belebten Innenstädten der Fall sei. Anders als dort sei es in Einkaufzentren etwa möglich, die Kundenströme durch Zugangsbeschränkungen zu regulieren und so den erforderlichen Mindestabstand von 1,5 m zwischen zwei Personen sicherzustellen.
Die Antragstellerin beantragt,
Es wird im Wege der einstweiligen Anordnung vorläufig festgestellt, dass § 2 Abs. 4 und 5 der Zweiten Bayerischen Infektionsschutzmaßnahmenverordnung (2. BayIfSMV) vom 16. April 2020 in den geänderten Fassungen vom 21./28. April 2020 dem Betrieb des Textileinzelhandelsgeschäfts der Antragstellerin im … in … … zu den jeweils geltenden Ladenöffnungszeiten für den Publikumsverkehr nicht entgegensteht, sofern die jeweils geltenden Vorgaben zur Zutrittssteuerung, zur Vermeidung von Warteschlangen und zum sonstigen örtlichen Infektionsschutz eingehalten werden.
Der Antragsgegner beantragt,
Der Antrag wird abgelehnt.
Zur Begründung wird auf die Auslegung der 2. BayIfSMV in den FAQ des Bayerischen Staatsministeriums für Gesundheit und Pflege, auf eine Stellungnahme der Regierung von Oberbayern vom 29. April 2020 sowie auf den Beschluss des Bayerischen Verwaltungsgerichts Ansbach vom 26. April 2020 (AN 30 S 20.00775) verwiesen.
Wegen der Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird ergänzend auf den Inhalt der Gerichtsakte Bezug genommen.
II.
Dem Antrag, der nach dem dahinter stehenden Rechtsschutzbegehren (§ 122 Abs. 1, § 88 VwGO) auf die vorläufige Feststellung gerichtet ist, dass die derzeit gültigen Regelungen des § 2 Abs. 4 und 5 2. BaylfSMV der Öffnung und dem Betrieb des von der Antragstellerin im Einkaufszentrum „…“ betriebenen Einzelhandelsgeschäfts nicht entgegenstehen, war in dem ausgesprochenen Umfang stattzugeben. Er erweist sich als zulässig und begründet.
1. Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung ist zulässig.
Das Ziel einer vorläufigen gerichtlichen Feststellung derjenigen konkreten Rechte und Pflichten, wie sie sich zwischen den Beteiligten aus dem durch die Regelungen des § 2 Abs. 4 und 5 2. BayIfSMV begründeten Rechtsverhältnis ergeben, kann die Antragstellerin gemäß § 123 Abs. 1 Satz 2 VwGO zulässigerweise zum Gegenstand eines auf den Erlass einer Regelungsanordnung gerichteten Eilrechtsschutzantrags machen. Die Frage nach der Zulässigkeit der Betriebsöffnung richtet sich unmittelbar nach § 2 Abs. 4 und 5 2. BayIfSMV, ohne dass es hierfür weiterer behördlicher Vollzugsakte bedürfte. Eine (vermeintlich) verbotswidrige Öffnung wäre für die Antragstellerin mit der unmittelbaren Gefahr eines sicherheitsrechtlichen Einschreitens durch den Antragsgegner verbunden; dies gilt umso mehr, als die Antragstellerin, nachdem sie ihren Laden am 27. April 2020 zunächst geöffnet hatte, am 29. April 2020 durch die Polizei zur Schließung aufgefordert wurde und ihr ein (angebliches) Öffnungsverbot auf entsprechende Nachfrage hin ferner durch das Landratsamt … bestätigt wurde.
Das für den Erlass einer derartigen Regelungsanordnung notwendige streitige Rechtsverhältnis besteht damit auch unmittelbar gegenüber dem Freistaat Bayern. Zwar käme bei entsprechenden Verstößen gegen die Vorgaben des § 2 Abs. 4 und 5 2. BayIfSMV, die durch § 7 Nr. 5 2. BayIfSMV in den Rang einer Ordnungswidrigkeit im Sinne des § 73 Abs. 1a Nr. 24 IfSG erhoben werden, grundsätzlich auch ein sicherheitsrechtliches Einschreiten auf der Grundlage des Art. 7 Abs. 2 Nr. 1 LStVG durch die hierfür gemäß Art. 6 LStVG zuständige Gemeinde … in Betracht. Dass der Antragstellerin konkrete ordnungsrechtliche Maßnahmen durch die Gemeinde unmittelbar bevorstehen würden, ist indessen weder vorgetragen noch anderweitig zu ersehen. Vielmehr muss in der hiesigen Fallkonstellation in erster Linie mit entsprechenden Maßnahmen des (staatlichen) Landratsamts gerechnet werden, welches nach der Mehrfachkompetenz des Art. 6 LStVG ebenfalls von der Rechtsgrundlage des Art. 7 Abs. 2 Nr. 1 LStVG Gebrauch machen könnte. Hierfür spricht jedenfalls das bisherige Verhalten des Landratsamts, das der Antragstellerin – möglicherweise vor dem Hintergrund der sich aus § 56 Satz 1 ZustV ergebenden Zuständigkeit zum Vollzug des Infektionsschutzgesetzes – ein (vermeintliches) Öffnungsverbot selbst bestätigt hat, anstatt insoweit auf die allgemeine sicherheitsrechtliche Kompetenz der Gemeinde zu verweisen. Ohnehin wäre eine derartige – durch eine Verbreitung des Virus durch die Besucher des Einkaufzentrums hervorgerufene – Gesundheitsgefahr wohl nicht auf das Gemeindegebiet beschränkt, so dass eine möglichst effektive Gefahrenabwehr wohl vorrangig durch ein Einschreiten des Landratsamts zu erreichen wäre.
Der so verstandene Antrag nach § 123 Abs. 1 Satz 2 VwGO wird schließlich nicht durch die Regelung des § 47 Abs. 6 VwGO verdrängt, welche den Erlass einstweiliger Anordnungen auch im Rahmen eines gegen die 2. BayIfSMV angestrengten Normenkontrollverfahrens ermöglichen würde. Während die Antragstellerin im hiesigen Verfahren die sich aus § 2 Abs. 4 und 5 2. Bay-IfSMV für die angedachte Öffnung ihres Einzelhandelsgeschäfts konkret ergebenden Rechtsfolgen einer gerichtlichen Klärung zuführen will, dient das Verfahren nach § 47 Abs. 6 VwGO vor allem der Geltendmachung von Einwänden, die sich – ohne die Beschränkung auf ein sich daraus konkret ergebendes Rechtsverhältnis – gegen die Gültigkeit der 2. BayIfSMV als solche richten.
2. Der Antrag ist auch in der Sache begründet.
Nach § 123 Abs. 1 Satz 2 VwGO kann das Gericht eine einstweilige Anordnung zur Regelung eines vorläufigen Zustands in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis treffen, wenn eine solche zur Abwendung wesentlicher Nachteile, zur Verhinderung drohender Gewalt oder aus anderen Gründen nötig erscheint. Die Antragstellerin hat dabei sowohl das Bestehen eines Anordnungsanspruchs, als auch das Bestehen eines Anordnungsgrundes glaubhaft zu machen, § 123 Abs. 3 VwGO, § 920 Abs. 2, § 294 ZPO.
Dem Wesen und Zweck der einstweiligen Anordnung entsprechend kann das Gericht regelmäßig nur vorläufige Entscheidungen treffen und der Antragstellerin noch nicht im vollen Umfang das gewähren, was sie nur in einem Hauptsacheverfahren erstreiten könnte. Im Hinblick auf die Garantie des effektiven Rechtsschutzes durch Art. 19 Abs. 4 GG gilt dieses Verbot der Vorwegnahme der Hauptsache jedoch nicht, wenn die sonst zu erwartenden Nachteile der Antragstellerin unzumutbar und in einem Hauptsacheverfahren nicht mehr zu beseitigen wären sowie ein hoher Wahrscheinlichkeitsgrad für einen Erfolg in der Hauptsache spricht, die Antragstellerin dort also schon aufgrund der im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes anzustellenden, bloß summarischen Prüfung des Sachverhalts erkennbar Erfolg haben würde (vgl. etwa BVerwG, B.v. 26.11.2013 – 6 VR 3.13 – juris Rn. 5, 7).
Diese Voraussetzungen sind hier erfüllt. Die Antragstellerin hat sowohl das Bestehen eines Anordnungsanspruchs – nämlich das Nichtbestehen eines Rechtverhältnisses zum Antragsgegner, aus welchem heraus sie zur Schließung ihres Ladengeschäfts verpflichtet wäre – als auch das Bestehen eines Anordnungsgrundes im Sinne einer besonderen Eilbedürftigkeit glaubhaft gemacht. Aufgrund der hohen Erfolgsaussichten des Antragsbegehrens und unter Berücksichtigung der sich für die Antragstellerin ohne die einstweilige Anordnung ergebenden unumkehrbaren Nachteile ist in der vorliegenden Fallkonstellation ausnahmsweise eine Vorwegnahme der Hauptsache zuzulassen.
a) Glaubhaft gemacht ist zunächst ein Anordnungsanspruch. Aus den Regelungen des § 2 Abs. 4 und 5 2. BayIfSMV ergibt sich für das Verhältnis der Beteiligten zueinander kein Rechtsverhältnis der Gestalt, dass die Antragstellerin daraus gegenüber dem Antragsgegner zu einer Schließung ihres im Gebäudekomplex des „…“ … belegenen Einzelhandelsgeschäfts verpflichtet wäre. Ebenso wenig wäre der Antragsgegner aufgrund dieses Rechtsverhältnisses dazu befugt, gegen eine von der Antragstellerin vollzogene Öffnung des Geschäfts sicherheitsrechtlich einzuschreiten.
Nach Auffassung der Kammer kann die von Seiten des Antragsgegners angestrebte Auslegung, nach welcher die Öffnung sonstiger, nicht von den Privilegierungen des § 2 Abs. 4 Satz 2 und 4 2. BayIfSMV erfasster Ladengeschäfte in Einkaufszentren generell ausgeschlossen sein soll, schon unter Berücksichtigung von Wortlaut und Regelungssystematik der Verordnung – und damit selbst im Fall einer unterstellten Gültigkeit der betreffenden Regelungen – keinen Bestand haben.
Nach § 2 Abs. 4 Satz 1 2. BayIfSMV ist die Öffnung von Ladengeschäften des Einzelhandels jeder Art grundsätzlich untersagt. Unter Aufweichung dieses generellen Verbots sind in § 2 Abs. 4 Satz 2 und 4 solche Betriebe aufgeführt, die – weil sie die notwendige Grundversorgung der Bevölkerung sicherstellen – von vorneherein nicht unter das Verbot des Satzes 1 fallen sollen. Die Öffnung von Einkaufszentren und Kaufhäusern lässt § 2 Abs. 4 Satz 5 2. BayIfSMV nur insoweit zu, als davon die Ausnahmen der Sätze 2 und 4 betroffen sind. Darüber hinausgehend bestimmt § 2 Abs. 5 2. BayIfSMV, dass in Abweichung von § 2 Abs. 4 Satz 1 und 5 2. BayIfSMV die Öffnung von sonstigen Ladengeschäften, Einkaufszentren und Kaufhäusern des Einzelhandels auch dann zulässig ist, wenn in ihnen höchstens eine Verkaufsfläche von 800 m² geöffnet wird.
Die Öffnungsmöglichkeit des § 2 Abs. 5 2. BayIfSMV steht damit im Ausgangspunkt auch der Antragstellerin offen, deren Verkaufsfläche 431 m2 beträgt. Zwar befindet sich ihr Ladengeschäft in einem Einkaufszentrum, wo nach dem Grundsatz des § 2 Abs. 4 Satz 5 2. BayIfSMV nur solche Betrieben öffnen dürfen, die unter die Ausnahmen des § 2 Abs. 4 Satz 2 und 4 2. BayIfSMV fallen. Indem der Wortlaut des § 2 Abs. 5 2. BayIfSMV neben dem grundsätzlichen Verbot des § 2 Abs. 4 Satz 1 2. BayIfSMV aber explizit an die Bestimmung des § 2 Abs. 4 Satz 5 2. BayIfSMV anknüpft, wird dadurch zugleich auch in Einkaufszentren die Möglichkeit zur Öffnung sonstiger Einzelhandelsbetriebe geschaffen. Soweit der Antragsgegner die betreffenden Regelungen gleichwohl so verstanden haben will, dass damit die Öffnung von Ladengeschäften des Einzelhandels in Einkaufszentren generell untersagt sein soll (so ausdrücklich Frage 2 der FAQ Corona-Krise und Wirtschaft des Bayerischen Staatsministeriums für Gesundheit und Pflege, abrufbar unter https://www.st..bayern.de/wp-content/uploads/2020/04/2020_04_29_faq_corona_wirtschaft.pdf), läuft ein solches Normverständnis dem Wortlaut der genannten Regelungen eindeutig zuwider und ist damit unter rechtlichen Gesichtspunkten nicht aufrechtzuerhalten.
Zwar wäre es innerhalb der durch den Wortlaut gesetzten Grenzen grundsätzlich denkbar, den Ausnahmetatbestand des § 2 Abs. 5 2. BayIfSMV so zu verstehen, dass dessen Anwendbarkeit auf diejenigen Fälle beschränkt wäre, in denen die in einem Einkaufszentrum geöffnete Verkaufsfläche die Grenze von 800 m² insgesamt – d.h. unter Einbeziehung der privilegierten und nach § 2 Abs. 4 Satz 5 2. BayIfSMV ohne flächenmäßige Beschränkung zulässigen Versorgungsbetriebe – nicht überschreitet. An einer solchen Auslegung sieht sich die Kammer jedoch durch die Systematik des § 2 2. BayIfSMV gehindert. Während in § 2 Abs. 4 2. BayIfSMV all diejenigen Betriebe zusammengefasst sind, deren Öffnung keinerlei räumlicher bzw. flächenmäßiger Beschränkung unterliegt, enthält § 2 Abs. 5 2. BayIfSMV eine Sonderregelung für die sonstigen, nicht privilegierten Betriebe, wobei deren Öffnung auf eine höchstzulässige Verkaufsfläche von 800 m² beschränkt wird. Unter Berücksichtigung dieser differenzierenden Regelungssystematik liegt es für die Kammer nahe, dass bei der Berechnung der für die Öffnung von sonstigen Einzelhandelsbetrieben in Einkaufszentren höchstens zulässigen Verkaufsfläche von 800 m² diejenigen Verkaufsflächen außer Betracht bleiben müssen, die auf die – einer solchen Einschränkung gerade nicht unterliegenden – privilegierten Betriebe entfallen. Stattdessen ist isoliert diejenige Verkaufsfläche zugrunde zu legen, die in dem jeweiligen Einkaufszentrum durch die sonstigen, nicht privilegierten Einzelhandelsbetriebe eingenommen wird. In dieser Auslegung sieht sich die Kammer nicht zuletzt dadurch bestätigt, dass in Bayern wohl kaum ein Einkaufszentrum existieren wird, in dem neben den hier relevanten sonstigen Einzelhandelsbetrieben nicht auch sog. Versorgungsbetriebe (Apotheken, Bäckereien, Drogerien, Lebensmittelhandel, Optiker usw.) angesiedelt sind. Dann aber könnten in Einkaufszentren ansässige Geschäfte des sonstigen Einzelhandels faktisch nie von der Ausnahme des § 2 Abs. 5
2. BayIfSMV Gebrauch machen, denn die hiernach zulässige Höchstverkaufsfläche von 800 m² würde nahezu ausnahmslos durch die dort ebenfalls angesiedelten privilegierten Betriebe aufgebraucht werden. Die Schaffung einer Vorschrift, für die rein faktisch (nahezu) keinerlei Anwendungsbereich verbleibt, kann dem Willen des Antragsgegners indessen kaum entsprochen haben. Es kann hierin insbesondere kein bloßes Redaktionsversehen des Verordnungsgebers erblickt werden, weil dieser durch die Aufnahme einer entsprechenden Verweisung nicht nur die strenge Geltung des § 2 Abs. 4 Satz 5 2. BayIfSMV relativiert, sondern darüber hinaus expressis verbis auch Einkaufszentren unter die Ausnahmeregelung des § 2 Abs. 4 Satz 5 2. BayIfSMV gefasst hat.
Auf die mit einem solchen Normverständnis einhergehende Folgeproblematik, welchem von mehreren öffnungswilligen Betrieben in demselben Einkaufszentrum im Streitfall der Vorzug zu gewähren wäre bzw. durch wen anhand welcher Kriterien („Windhundprinzip“, täglicher Wechsel etc.) hierüber zu entscheiden wäre, bedarf zumindest in der vorliegenden Fallkonstellation keiner näheren Erörterung. Da die Verordnung gemäß § 10 2. BayIfSMV mit Ablauf des 3. Mai 2020 außer Kraft tritt, vermag sich die hier getroffene Entscheidung ohnehin nur noch für Samstag, den 2. Mai 2020, auszuwirken. Dass an diesem Tag neben der Antragstellerin noch weitere sonstige Einzelhandelsbetriebe des betreffenden Einkaufszentrums – ungeachtet der von Seiten des Landratsamts und der Polizei geäußerten gegenteiligen Rechtsauffassung – ihre Geschäfte wiedereröffnen werden, ist von den Beteiligten weder vorgetragen noch in sonstiger Weise ersichtlich. Insbesondere unterfallen diese nicht der Wirkung der hier ergangenen Entscheidung, weil diese nur zwischen den Beteiligten („inter partes“) wirkt.
Vor dem Hintergrund der durch die Kammer gefundenen Auslegung des § 2 Abs. 4 und 5 2. BayIfSMV braucht schließlich die ebenfalls aufgeworfene Frage, inwieweit die Antragstellerin als Folge der vom Antragsgegner vertretenen Auslegung in Widerspruch zu den Vorgaben des Art. 3 Abs. 1 GG in ihrem Grundrecht auf Berufsausübungsfreiheit aus Art. 12 Abs. 1 i.V.m. Art. 19 Abs. 3 GG verletzt wird, nicht mehr entschieden zu werden. Das Gericht weist aber auf bestehende Zweifel hin, ob die Bestimmung des § 2 Abs. 5 2. BayIfSMV dem aus dem Rechtsstaatsprinzip des Art. 20 Abs. 3 GG abzuleitenden Gebot der Normenklarheit entspricht; für die Beschränkung von Grundrechten bedarf es danach einer Rechtsgrundlage, aus der sich die Voraussetzungen und der Umfang der Beschränkungen klar und für den Bürger erkennbar ergeben (vgl. dazu BVerfG, B.v. 12.4.2005 – 2 BvR 1027/02 – BVerfGE 113, 29/50; U.v. 2.3.2006 – 2 BvR 2099/04 – BVerfGE 115, 166/190). Die Regelung des § 2 Abs. 5 2. BayIfSMV vermag es wohl nicht, diesen Anforderungen gerecht zu werden. In Anbetracht des mehrdeutig formulierten Wortlauts und der damit einhergehenden Vielzahl von Interpretationsmöglichkeiten ist es für die betroffenen Ladeninhaber nicht in klarer Weise erkennbar, ob bzw. unter welchen Voraussetzungen auch solche Einzelhandelsbetriebe, die sich innerhalb eines Einkaufszentrums befinden, zulässigerweise geöffnet werden dürfen.
b) Glaubhaft gemacht ist ferner ein Anordnungsgrund im Sinne einer besonderen Eilbedürftigkeit. Diese ergibt sich aus den wirtschaftlichen Schäden der Antragstellerin, die bei einer fortdauernden Schließung ihres Einzelhandelsbetriebs drohen würden und umso gravierender erscheinen, als die Antragstellerin ihr Ladengeschäft nach den seinerzeit gültigen Regelungen der Allgemeinverfügung der Bayerischen Staatsministerien für Gesundheit und Pflege sowie für Familie, Arbeit und Soziales vom 16. März 2020 schon seit dem 18. März 2020 – und mithin seit über einem Monat – geschlossen halten muss. Darüber hinaus intensiviert sich mit jedem Tag einer fortdauernden Schließung des Geschäftsbetriebs die Gefährdung für den Fortbestand des Unternehmens an sich sowie der dort bestehenden Arbeitsplätze. Nicht zuletzt ist die besondere Eilbedürftigkeit auch dem Umstand geschuldet, dass die angegriffenen Regelungen gemäß § 10 2. BayIfSMV bereits am 3. Mai 2020 außer Kraft treten werden.
c) Es liegen schließlich die Voraussetzungen für eine Vorwegnahme der Hauptsache vor. Die der Antragstellerin ohne den Erlass der einstweiligen Anordnung drohende Gefahr unzumutbarer und in einem Hauptsacheverfahren nicht mehr zu beseitigender Nachteile ergibt sich hier jedenfalls im Hinblick auf das Außerkrafttreten der 2. BayIfSMV mit Ablauf des 3. Mai 2020. Da in Anbetracht der Kürze dieses Zeitraums die Durchführung eines solchen Hauptverfahrens nahezu ausgeschlossen scheint, steht der Antragstellerin zur Erzielung des durch Art. 19 Abs. 4 GG gewährleisteten effektiven Rechtsschutzes alleine das gerichtliche Eilverfahren zur Verfügung. Die daneben notwendigen hohen – schon bei der im Eilverfahren anzustellenden summarischen Prüfung erkennbaren – Erfolgsaussichten in der Hauptsache ergeben sich hier aus den Ausführungen unter Gliederungspunkt a).
3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO.
Die Festsetzung des Streitwerts beruht auf § 53 Abs. 2 Nr. 1, § 52 Abs. 2 GKG i.V.m. Nr. 1.5 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit 2013. Dabei macht das Gericht von der Möglichkeit Gebrauch, den Streitwert im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes bis zur Höhe des für das Hauptsacheverfahren anzunehmenden Streitwerts anzuheben, weil der Antrag im Hinblick auf das Außerkrafttreten der angegriffenen Verordnung am 3. Mai 2020 inhaltlich auf eine Vorwegnahme der Hauptsache abzielt.

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