Medizinrecht

Untersagung einer sich fortbewegenden Versammlung

Aktenzeichen  M 13 E 20.4261

Datum:
11.9.2020
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2020, 24838
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
BayVersG Art. 15 Abs. 1, Art. 24 Abs. 2, Art. 25
6. BayIfSMV § 7 Abs. 1
VwGO § 80 Abs. 5 S. 1

 

Leitsatz

Tenor

I. Der Antrag wird abgelehnt.
II. Der Antragsteller trägt die Kosten des Verfahrens.
III. Der Streitwert wird auf 2.500 Euro festgesetzt.

Gründe

I.
Der Antragsteller wendet sich gegen die Untersagung einer für den 12. September 2020 angezeigten Versammlung im Stadtgebiet der Landeshauptstadt München.
Der Antragsteller zeigte am 11. August 2020 eine sich fortbewegende Versammlung für den 12. September 2020 mit dem Thema „Frieden, Freiheit und Gesundheit“ mit Start und Ende am Odeonsplatz bzw. der Ludwig straße in München von 12:00 bis 15:30 Uhr an. Die Anzahl der gleichzeitig teilnehmenden Personen wurde mit 500 Personen angegeben. Die Kooperationsgespräche zwischen Antragsteller und Antragsgegnerin zu einer Änderung der angezeigten Route scheiterten.
Die Antragsgegnerin bat das Polizeipräsidium München, die Münchner Verkehrsgesellschaft, den Fachbereich Verkehr des Kreisverwaltungsreferats, die Branddirektion und das Referat für Gesundheit und Umwelt um Stellungnahmen zur Gefahrenprognose und zur infektionsschutzrechtlichen Vertretbarkeit der angezeigten Versammlung. Das Polizeipräsidium verwies auf die Erfahrungen bei vergangenen Versammlungen sog. „Corona-Gegner“, unter anderem am 15. August 2020 in München und am 29. August 2020 in Berlin. Die für den 12. September 2020 in München angezeigten Versammlungen würden aus polizeilicher Sicht von derselben Organisationsstruktur durchgeführt und zögen voraussichtlich weitgehend denselben Teilnehmerkreis an. Aufgrund der Beobachtungen bei der Versammlung am 15. August 2020 sei zu befürchten, dass es zu einer Überschreitung der angegebenen Teilnehmerzahl kommen werde. Bei einer sich fortbewegenden Versammlung im Innenstadtbereich könne nicht verhindert werden, dass sich Personen, etwa aus Seitenstraßen der Altstadt und aus dem Fußgängerbereich heraus, dem Aufzug anschlössen. Angesichts der beengten räumlichen Verhältnisse insbesondere am Karlsplatz und in der Frauen straße am Viktualienmarkt bestehe bei Berücksichtigung des zu erwartenden Aufkommens von Passanten und Touristen die Gefahr, dass es zu einer Unterschreitung infektionsschutzrechtlicher Mindestabstände kommen würde. Die Münchner Verkehrsgesellschaft wies darauf hin, dass bei der vorgesehenen Routenführung der Versammlung erhebliche Beeinträchtigungen des öffentlichen Nahverkehrs auftreten würden; unter anderem käme es bei sieben Straßenbahnlinien zu Betriebsunterbrechungen. Das Kreisverwaltungsreferat führte aus, dass am Tag der Versammlung mit einem hohen Verkehrsaufkommen in der Innenstadt zu rechnen sei. Würde der angezeigte Demonstrationszug durchgeführt, käme es zu erhebliche Stauungen bis hin zum Erliegen des gesamten Innenstadtverkehrs. Nach der Stellungnahme der Branddirektion wären dadurch auch Fahrzeuge von Feuerwehr und Rettungsdienst betroffen, daher sehe man jedenfalls eine Erhöhung der Teilnehmerzahl auf 1500 Personen kritisch. Das Referat für Gesundheit und Umwelt schlug vor, die Teilnehmerzahl auf 1.000 Personen zu beschränken. Die aktuelle Infektionslage sei in München sehr volatil. In den vergangenen zwei Wochen sei der Schwellenwert von 35 Neuinfektionen pro 100.000 Einwohnern mehrfach überschritten worden. Eine Teilnehmerzahl von 1.000 Personen überschreite den nach der 6. BayIfSMV in der Regel unbedenklichen Rahmen bereits um das Fünffache.
Mit Bescheid vom 10. September untersagte die Antragsgegnerin die angezeigte Versammlung. Zur Begründung nahm die Antragsgegnerin Bezug auf die Gefahrenprognosen der Münchner Verkehrsgesellschaft, des Kreisverwaltungsreferats, der Branddirektion, des Referats für Gesundheit und Umwelt sowie des Polizeipräsidiums Bezug und machte sich diese zu eigen. Bei einer sich fortbewegenden Versammlung komme es häufig zu unerwarteten Stockungen und Verschiebungen in der Gruppe der Versammlungsteilnehmer. Bei einer Teilnehmerzahl von 500 Personen an einem Demonstrationszug sei schon deshalb zu befürchten, dass es zu vielfachen Verstößen gegen das Abstandsgebot käme. Hinzu komme, dass sich bei einem durch die Innenstadt führenden Aufzug spontan weitere Teilnehmer anschließen könnten. Die Einhaltung einer höchstzulässigen Teilnehmerzahl sicherzustellen sei bei der geplanten beweglichen Versammlung nicht möglich. Nach Erfahrungen mit thematisch vergleichbaren Versammlungen müsse insoweit auch damit gerechnet werden, dass Veranstalter und Teilnehmer der Versammlung infektionsschutzrechtliche Beschränkungen erneut bewusst missachten würden. Bei einer vergleichbaren sich fortbewegenden Versammlung am 15. August 2020 in München hätten statt der angezeigten 200 Teilnehmer bis zu 1.200 Personen teilgenommen. Die Veranstalterin dieser Versammlung, die ebenfalls Mitglied des Netzwerks „Querdenken089“ sei, für das auch der Antragsteller auftrete, hätte keine Bemühungen unternommen, die Teilnehmerzahl auf das zulässige Maß zu beschränken. Polizeiliche Ermahnungen seien ignoriert worden. Vor dem Hintergrund des Versammlungsgeschehens in Berlin am 29. August 2020 sei zu befürchten, dass es in München zu vergleichbaren Ereignissen komme. Im Fall eines „Sturms“ auf symbolträchtige Einrichtungen oder Orte würden durch die erforderlichen polizeilichen Maßnahmen zusätzliche Infektionsrisiken geschaffen. Ferner sei fraglich, ob der Antragsteller die nach seinem Sicherheitskonzept vorgesehenen Ordner rechtzeitig gewinnen und schulen könne. Die nach allem erforderliche Untersagung der Versammlung habe auch keine unzumutbaren Nachteile für den Antragsteller zur Folge. Es sei ohnehin geplant gewesen, dass der Demonstrationszug in einer ortsfesten Versammlung am Odeonsplatz aufgehe. Die ortsfeste Versammlung dürfe jedoch am gewünschten Datum – örtlich verlegt – auf der Theresienwiese stattfinden, sodass bei der gebotenen einheitlichen Betrachtungsweise kein Totalverbot ausgesprochen werde.
Mit Schriftsatz vom 10. September 2020 beantragt der Antragsteller:
Die aufschiebende Wirkung gegen den Bescheid vom 10. September 2020 wird angeordnet.
Die Berufung auf eine abstrakte Gefahr sei nicht ausreichend. Eine versammlungsrechtliche Beschränkung könne nur aufgrund einer konkreten Gefahr gerechtfertigt sein. Die Antragsgegnerin habe jedoch nicht dargelegt, inwieweit die Versammlung Auswirkungen auf die Inzidenz von Infektionen mit dem Coronavirus haben werde. Auch die Berücksichtigung von Erfahrungen mit vergleichbaren Versammlungen sei nicht tragfähig. Der Antragsteller habe ein Hygienekonzept vorgelegt, das die Einhaltung von Sicherheitsabständen gewährleiste. Zudem sei nicht berücksichtigt worden, dass kurzfristige Unterschreitungen des Mindestabstands von 1,5 m nach § 1 Satz 2 6. BayIfSMV grundsätzlich hinzunehmen seien. Die vom Verordnungsgeber nunmehr vorgesehene Anordnung einer „Maskenpflicht“ genüge, um den Infektionsrisiken von größeren Versammlungen begegnen. Mit dem „Sturm“ auf den Reichstag bei am 29. August 2020 in Berlin habe das Netzwerk „Querdenken“ nichts zu tun gehabt. Die Antragsgegnerin gehe schließlich selbst davon aus, dass eine Änderung der angezeigten Route als milderes Mittel gegenüber der Untersagung der Versammlung infrage käme.
Die Antragsgegnerin beantragt,
den Antrag abzulehnen.
Zur Begründung verweist sie im Wesentlichen auf die Begründung des Bescheids. Mit Schriftsatz vom 11. September 2020 wurde darüber hinaus vorgetragen, dass die Möglichkeit zur Anordnung einer Maskenpflicht in der aktuellen Fassung der 6. BayIfSMV unabhängig von der Verpflichtung zur Einhaltung der Mindestabstände sei. Eine geänderte Streckenführung der angezeigten Versammlung komme nicht in Betracht, da auf eine Alternativroute im Innenstadtbereich die prognostizierten Gefahren ebenfalls zuträfen. Zudem seien zahlreiche weitere Versammlungen angemeldet.
Hierauf hat der Antragsteller mit Schriftsatz vom gleichen Tage erwidert, die Antragsgegnerin hätte hinsichtlich der Alternativroute im Kooperationsgespräch eine einvernehmliche Lösung anstreben oder Auflagen erlassen müssen. Das Tragen einer Maske habe keinen medizinischen Nutzen.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichts- und Behördenakten verwiesen.
II.
Der Antrag hat keinen Erfolg.
Entfaltet ein Rechtsbehelf – wie hier nach § 80 Abs. 2 Nr. 3 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) i.V.m. Art. 25 Bayerisches Versammlungsgesetz (BayVersG) – keine aufschiebende Wirkung, kann das Gericht der Hauptsache auf Antrag die aufschiebende Wirkung gem. § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO anordnen, wenn ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angegriffenen Verwaltungsaktes bestehen. Bei der vom Gericht im Rahmen des einstweiligen Rechtsschutzverfahrens zu treffenden Interessenabwägung zwischen dem öffentlichen Interesse an der sofortigen Vollziehung des Bescheids und dem Interesse des Antragstellers an der aufschiebenden Wirkung seines Rechtsbehelfs sind auch die Erfolgsaussichten des Hauptsacheverfahrens zu berücksichtigen, die ein wesentliches, wenn auch nicht das alleinige Indiz für bzw. gegen die Begründetheit des Begehrens im einstweiligen Rechtsschutz sind. Zum Schutz von Versammlungen, die auf einen einmaligen Anlass bezogen sind, ist schon im Eilverfahren durch eine intensivere Prüfung dem Umstand Rechnung zu tragen, dass der Sofortvollzug der umstrittenen Maßnahme in der Regel zur endgültigen Verhinderung der Versammlung in der beabsichtigten Form führt (BVerfG, B.v. 12.5.2010 – 1 BvR 2636/04 – juris Rn. 18 m.w.N.). Soweit möglich, ist als Grundlage der gebotenen Interessenabwägung die Rechtmäßigkeit der Maßnahme daher in rechtlicher und tatsächlicher Hinsicht nicht nur summarisch zu prüfen (BVerfG, aaO, u. B.v. 20.12.2012 – 1 BvR 2794/10 – juris Rn. 18).
Vorliegend ergibt die nach § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO unter Berücksichtigung der Erfolgsaussichten einer noch zu erhebenden Klage zu treffende Abwägungsentscheidung, dass das öffentliche Interesse der Antragsgegnerin an der sofortigen Vollziehung des angefochtenen Bescheids das private Suspensivinteresse des Antragstellers überwiegt. Die angegriffene Untersagung der Versammlung ist nach der im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes allein möglichen und gebotenen summarischen Prüfung voraussichtlich rechtmäßig.
Nach Art. 15 Abs. 1 BayVersG kann die zuständige Behörde eine Versammlung beschränken oder verbieten, wenn nach den zur Zeit des Erlasses der Verfügung erkennbaren Umständen die öffentliche Sicherheit oder Ordnung bei Durchführung der Versammlung unmittelbar gefährdet ist, d.h. wenn bei ungehindertem Geschehensablauf mit hoher Wahrscheinlichkeit mit einem Schaden für die der Versammlungsfreiheit entgegenstehenden Rechtsgüter zu rechnen ist (BVerfG, B. v. 19. 12 2007 – 1 BvR 2793/04 – juris Rn 20 m.w.N.), oder ein Fall des Art. 12 Abs. 1 vorliegt. Die Versammlungsfreiheit hat nur dann zurückzutreten, wenn eine Abwägung unter Berücksichtigung der Bedeutung des Freiheitsrechts ergibt, dass dies zum Schutz anderer, mindestens gleichwertige Rechtsgüter, notwendig ist (BVerfG, B.v. 14.5.1985 – 1 BvR 233/81 – juris).
Zu den anerkannten Schutzgütern der öffentlichen Sicherheit zählt neben Leben, Gesundheit, Ehre, Freiheit und Vermögen auch im Versammlungsrecht nach traditionellem polizeirechtlichen Verständnis die Unversehrtheit der Rechtsordnung (einschließlich der Vorschriften über die Sicherheit und Leichtigkeit des Straßenverkehrs) und der staatlichen Einrichtungen (vgl. BVerwG, U. v. 21.4.1989 – 7 C 50.88 – juris Rn. 15 m.w.N; BVerfG, B. v. 14.5.1985 – 1 BvR 233/81, 1 BvR 341/81 – juris Rn. 77). Eine Gefährdung der öffentlichen Sicherheit wird in der Regel angenommen, wenn eine strafbare Verletzung dieser Schutzgüter droht (BVerfG, B. v. 14.5.1985 – 1 BvR 233/81, 1 BvR 341/81 – juris Rn. 77). Eine unmittelbare Gefährdung der öffentlichen Sicherheit setzt eine konkrete Sachlage voraus, die bei ungehindertem Geschehensablauf mit hoher Wahrscheinlichkeit zu einem Schaden für die der Versammlungsfreiheit entgegenstehenden Rechtsgüter führt; zwischen der Gefährdung der öffentlichen Sicherheit und der Durchführung der Versammlung muss ein hinreichend bestimmter Kausalzusammenhang bestehen (vgl. BVerfG, B. v. 21.04.1998 – 1 BvR 2311/94 – juris Rn. 27). Zur Rechtfertigung einer versammlungsrechtlichen Untersagung bedarf es daher einer Gefahrenprognose, die bei verständiger Würdigung der Umstände die hinreichende Wahrscheinlichkeit eines Gefahreneintritts erkennen lässt (vgl. SächsOVG, U. v. 31.05.2018 – 3 A 199/18 – juris Rn. 23). Wegen der herausragenden Bedeutung der Versammlungsfreiheit dürfen die Versammlungsbehörden keine zu geringen Anforderungen an die Gefahrenprognose stellen. Als Grundlage der Gefahrenprognose sind konkrete und nachvollziehbare tatsächliche Anhaltspunkte erforderlich, die bei verständiger Würdigung eine hinreichende Wahrscheinlichkeit des Gefahreneintritts ergeben; bloße Verdachtsmomente oder Vermutungen reichen für sich alleine nicht aus (vgl. BVerfG, B. v. 04.09.2009 – 1 BvR 2147/09 – juris Rn. 9, m.w.N; vgl. BVerfG, B. v. 12.05.2010 – 1 BvR 2636/04 – juris Rn. 17 m.w.N.; vgl. BVerfG, B. v. 19.12.2007 – 1 BvR 2793/04 – juris Rn. 20 m.w.N.; vgl. BayVGH, U. v. 10.07.2018 – 10 B 17.1996 – juris Rn. 26). Die Darlegungs- und Beweislast für das Vorliegen von Gründen für ein Verbot oder eine Auflage liegt grundsätzlich bei der Behörde (vgl. BVerfG, B. v. 12.05.2010 – 1 BvR 2636/04 – juris Rn. 19 m.w.N.; vgl. SächsOVG, U. v. 31.05.2018 – 3 A 199/18 – juris Rn. 23). Gibt es neben Anhaltspunkten für die von der Behörde und den Gerichten zugrunde gelegte Gefahrenprognose auch Gegenindizien, haben sich die Behörde und die Gerichte auch mit diesen in einer den Grundrechtsschutz des Art. 8 GG hinreichend berücksichtigen Weise auseinanderzusetzen. Die Prüfung der Voraussetzungen eines Versammlungsverbots hat dabei grundsätzlich von den Angaben der Anmeldung auszugehen (vgl. OVG NRW, B.v. 24.05.2020 – 15 B 755/20, juris Rn. 9 f. m.w.N.).
Ereignisse im Zusammenhang mit früheren Versammlungen können im Rahmen der Gefahrenprognose als Indiz für das Gefahrenpotenzial herangezogenen werden, soweit diese bezüglich des Mottos, des Ortes, des Datums sowie des Teilnehmer- und Organisatorenkreises Ähnlichkeiten zu der geplanten Versammlung aufweisen (vgl. BVerfG, B. v. 12.05.2010 – 1 BvR 2636/04 – juris Rn. 17 m.w.N.; vgl. BVerfG, B. v. 04.09.2009 – 1 BvR 2147/09 – juris Rn. 13; vgl. BayVGH, B. v. 12.04.2013 – 10 CS 13.787 – juris Rn. 8). Haben sich bei Veranstaltungen an anderen Orten mit anderen Beteiligten Gefahren verwirklicht, so müssen besondere, von der Behörde bezeichnete Umstände die Annahme rechtfertigen, dass ihre Verwirklichung ebenfalls bei der nunmehr geplanten Versammlung zu befürchten sei (vgl. BVerfG, B. v. 04.09.2009 – 1 BvR 2147/09 – juris Rn. 13 m.w.N.).
Nach diesen Maßstäben liegen bei summarischer Prüfung die Tatbestandsvoraussetzungen des Art. 15 Abs. 1 BayVersG i. V. m. § 7 Abs. 1 Satz 4 der Sechsten Bayerischen Infektionsschutzmaßnahmenverordnung (6. BayIfSMV) vom 19. Juni 2020 (BayMBl. Nr. 348), zuletzt geändert durch Verordnung vom 08. September 2020, BayMBl. Nr. 507) vor.
Bei Durchführung der angemeldeten sich fortbewegenden Versammlung liegt eine unmittelbare Gefährdung der öffentlichen Sicherheit vor, da es nach den zutreffenden Ausführungen der Antragsgegnerin dann mit großer Wahrscheinlichkeit zu Verstößen gegen den in § 7 Abs. 1 der 6. BayIfSMV statuierten Mindestabstand kommen würde.
Die Antragsgegnerin hat glaubhaft eine Gefahrenprognose erstellt, die das Verbot der Versammlung gemäß Art. 15 Abs. 1 BayVersG rechtfertigen. Hierbei wird die Gefahrenprognose definiert als die Einschätzung der Gefahrenlage einer zukünftigen Entwicklung anhand der vorhandenen Situation und auf der Grundlage der konkreten Tatsachen, Erkenntnisse, zeitnahen Erfahrungen und vergleichbaren Ereignissen (Dürig-Friedl/Enders,VersammlG, 2016, § 15 Rn. 60).
Nach § 7 Abs. 1 Satz 1 der 6. BayIfSMV muss bei öffentlichen Versammlungen unter freiem Himmel im Sinne des Bayerischen Versammlungsgesetzes zwischen allen Teilnehmern ein Mindestabstand von 1,5 m gewahrt und jeder Körperkontakt mit anderen Versammlungsteilnehmern oder Dritten vermieden werden. Die nach Art. 24 Abs. 2 BayVersG zuständigen Behörden haben, soweit dies im Einzelfall erforderlich ist, durch entsprechende Beschränkungen nach Art. 15 BayVersG sicherzustellen, dass die Bestimmungen nach Satz 1 eingehalten werden und die von der Versammlung ausgehenden Infektionsgefahren auch im Übrigen auf ein infektionsschutzrechtlich vertretbares Maß beschränkt bleiben; davon ist in der Regel auszugehen, wenn die Versammlung nicht mehr als 200 Teilnehmer hat und ortsfest stattfindet (§ 7 Abs. 1 Satz 2 der 6. BayIfSMV). Nach Art. 7 Abs. 1 Satz 3 der 6. BayIfSMV ist jedenfalls ab einer Teilnehmerzahl von 200 Personen in der Regel Maskenpflicht anzuordnen. Sofern die Anforderungen nach Satz 2 auch durch Beschränkungen nicht sichergestellt werden können, ist die Versammlung gemäß Art. 7 Abs. 1 Satz 4 der 6. BayIfSMV zu verbieten.
Nach den Wertungen des Verordnungsgebers ist von einer infektionsschutzrechtlichen Vertretbarkeit einer ortsfest stattfindenden Versammlung auszugehen, wenn diese nicht mehr als 200 Teilnehmer hat. Die angemeldete Versammlung entspricht dieser Regelvermutung jedoch weder hinsichtlich ihrer Form als sich fortbewegende Versammlung, noch hinsichtlich der Anzahl ihrer Teilnehmer (500 Teilnehmer). Wie die Antragsgegnerin zutreffend ausgeführt hat, ist gerade bei einer sich fortbewegenden Versammlung die Einhaltung des in Art. 7 Abs. 1 Satz 1 der 6. BayIfSMV statuierten Mindestabstands aufgrund des dynamischen Geschehens der Versammlung mit regelmäßigen (unerwarteten) Stockungen, Beschleunigungen und Verschiebungen innerhalb der Versammlungsgruppe und an Engstellen nicht hinreichend sichergestellt (vgl. hierzu auch OVG NRW, B.v. 24.05.2020 – 15 B 755/20, juris Rn. 23). Aus dem Regelungsgehalt des § 7 Abs. 1 Satz 1, Satz 2 Nr. 1 und Satz 4 der 6. BayIfSMV ist klar ersichtlich, dass der Verordnungsgeber die ununterbrochene Einhaltung des Mindestabstands während der gesamten Versammlung als unabdingbare Voraussetzung angesehen hat. Ausnahmen für etwaige kurzfristige Unterschreitungen enthält die Regelung nicht. Insofern überzeugt das Vorbringen des Antragstellers, das Abstandsgebot sei eine Empfehlung, welches immer da „wo möglich“ einzuhalten ist, nicht. Denn der Verordnungsgeber hat mit § 7 der 6. BayIfSMV eine Spezialregelung für Versammlungen im Sinne des Bayerischen Versammlungsgesetzes geschaffen, in der die zitierte Einschränkung des § 1 Abs. 1 Satz 2 der 6. BayIfSMV gerade nicht enthalten ist. Etwas anderes ergibt sich auch nicht durch den im Zuge der Änderungsverordnung vom 9.September 2020 eingeführten Satz 3, wonach jedenfalls ab einer Teilnehmerzahl von 200 Personen in der Regel eine Maskenpflicht anzuordnen ist. Denn dieser Regelung kann nicht entnommen werden, dass bei der Einhaltung der Maskenpflicht eine Unterschreitung des Mindestabstands zulässig wäre. Vielmehr lässt sie den Schluss zu, dass nach den Wertungen des Verordnungsgebers von Versammlungen mit mehr als 200 Teilnehmern ein deutlich größeres infektionsschutzrechtliches Gefahrenpotenzial ausgeht, so dass er die zusätzliche Anordnung einer Maskenpflicht für regelmäßig erforderlich erachtet.
Diese konkrete Gefahr der Nichteinhaltung des Mindestabstands wird durch die mit großer Wahrscheinlichkeit weit höhere Teilnehmerzahl als die angemeldeten 500 Teilnehmer noch potenziert. Die Gefahrenprognose stützt sich maßgeblich auf Gefahrenlagen aus vergleichbaren Versammlungskonstellationen in der Vergangenheit, namentlich der Versammlung am 9. Mai 2020 auf dem Marienplatz, der sich fortbewegenden Versammlung mit Abschlusskundgebung auf dem Geschwister Scholl Platz am 15. August 2020 und das Versammlungsgeschehen von „Querdenken“ 29. August 2020 in Berlin. Diese Versammlungen durften als Referenzfälle für die streitgegenständliche Gefahreneinschätzung herangezogen werden. Diese Veranstaltungen wurden unter einem ähnlichen Motto abgehalten, zum anderen ist davon auszugehen, dass es sich jedenfalls bei den Veranstaltungen in München um einen weitgehend identischen Teilnehmerkreis handelt. Hierfür spricht, dass die Veranstalterin der Versammlung vom 15. August 2020 ebenso wie der Antragsteller dem Netzwerk „Querdenken 089“ und damit demselben Organisatorenkreis angehören; diese Veranstalterin hat ebenfalls für den 12. September 2020 in unmittelbarem Anschluss an die streitgegenständliche Versammlung eine Versammlung zum gleichen Thema am Odeonsplatz mit 5.000 Teilnehmern angezeigt. Der gemeinsame Spendenaufruf für die Versammlungen in Berlin am 29. August 2020 und die streitgegenständliche Versammlung, in dem für beide Versammlungen lediglich ein einziges Konto angegeben wurde, zeigt die gemeinsamen Organisationsstrukturen deutlich. Zudem wurde auf der Versammlung in Berlin für die Teilnahme an der Versammlung am 12. September 2020 mobilisiert. Die sich fortbewegende Versammlung am 15. August 2020 hat gezeigt, dass die Auflagen hinsichtlich der Teilnehmerzahl nicht eingehalten wurden und werden konnten. Daher kann aufgrund der Referenzveranstaltungen die Schlussfolgerung gezogen werden, dass die angemeldete Zahl von 500 Teilnehmern voraussichtlich weit überschritten wird, insbesondere auch im Zusammenspiel mit der im Anschluss geplanten ortsfesten Versammlung mit 5.000 Teilnehmern. Denn es ist sehr wahrscheinlich, dass die Teilnehmer an beiden Veranstaltungen teilnehmen werden. Wie dem Protokoll über das gemeinsame Kooperationsgespräch vom 25. August 2020 entnommen werden kann, sollten die Versammlungen als jeweils eigenständige Versammlungen angezeigt werden, um im Falle der Auflösung einer Versammlung die andere dennoch durchführen zu können. Sofern der Antragsteller dort ausgeführt hat, viele Teilnehmer würden erst später anreisen, ist dies nicht überzeugend. Schließlich ist auch damit zu rechnen, dass sich weitere (unbeteiligte) Personen dem angemeldeten Aufzug anschließen, so dass es auch deshalb voraussichtlich zu einer Erhöhung der Teilnehmerzahl kommen wird. Darüber hinaus kann sich die Problematik des Mindestabstands durch Interaktionen der Versammlungsteilnehmer mit unbeteiligten Passanten zusätzlich verschärfen (vgl. auch OVG NRW, B.v. 24.05.2020 – 15 B 755/20, juris Rn. 23).
Geeignete Auflagen, mit denen die Einhaltung des Mindestabstands nach § 7 Abs. 1 Satz 1 der 6. BayIfSMV gewährleistet werden kann, um ein Verbot der Versammlung als ultima ratio zu verhindern, sind nicht ersichtlich. Auch die vom Antragsteller vorgeschlagene Verlegung der Aufzugstrecke würde an der dargestellten Gefahreneinschätzung hinsichtlich des Mindestabstands bei einer sich fortbewegenden Versammlung nichts ändern. Zum einen kommt nach den Ausführungen der Antragsgegnerin diese Alternativroute aufgrund zahlreicher weiterer Anmeldungen nicht in Betracht. Zum anderen wären auch bei einer anderen Route aufgrund dynamischen Geschehens der sich fortbewegenden Versammlung mit regelmäßigen (unerwarteten) Stockungen, Beschleunigungen und Verschiebungen innerhalb der Versammlungsgruppe zu rechnen (vgl. auch OVG NRW, B.v. 24.05.2020 – 15 B 755/20, juris Rn. 26). Gleiches gilt für eine etwaige Erhöhung der Zahl der Ordner. Zwar hat der Antragsteller eidesstattlich versichert, dass er unproblematisch auf einen Pool von 150 Ordner zugreifen könne, wie diese allerdings konkret die mit einer sich fortbewegenden Versammlung typischerweise einhergehenden Stauungen und den Zustrom weiterer Teilnehmer verhindern sollen, wurde jedoch nicht dargelegt.
Ermessensfehler sind nicht ersichtlich. Die Antragsgegnerin hat die in Frage kommenden Beschränkungen abgewogen. Im Übrigen ist durch die Regelung des § 7 Abs. 1 Satz 4 der 6. BayIfSMV, wonach dann, wenn – wie hier – die Einhaltung des Mindestabstandes durch den Erlass von Beschränkungen nicht sichergestellt werden kann, die Versammlung zu verbieten ist, das Entschließungsermessen auf Null reduziert.
Das Verbot der Versammlung nach summarischer Prüfung auch verhältnismäßig.
Mildere, gleichgeeignete Mittel sind, wie gezeigt, nicht ersichtlich. Im Rahmen der Angemessenheit sind hier maßgeblich die besonderen Gesamtumstände zu berücksichtigen, in die die gegenständliche Versammlung eingebettet ist. Wie bereits dargestellt, findet sie in engem zeitlichen und örtlichen Bezug zu der anschließenden stationären Versammlung am Odeonsplatz statt, beide Versammlungen haben auch dasselbe Motto. Auch in dem Spendenaufruf wird nicht zwischen den beiden Versammlungen differenziert. Das im Internet unter https://querdenken-089.de/ veröffentlichte „Plakat“ erweckt ebenfalls den Eindruck einer einheitlichen Versammlung mit lediglich verschiedenen Programmpunkten. Aus Sicht der potenziellen Teilnehmer sind beide Versammlungen daher als einheitliche Versammlung zu bewerten. Eine Trennung beider Versammlungen wurde im Kooperationsgespräch vielmehr mit „formellen“ Erwägungen begründet, nämlich im Falle der Auflösung der einen Versammlung die andere Versammlung durchführen zu können. Vor diesem Hintergrund kann das Verbot des Aufzuges in diesem Einzelfall nicht mit einem Totalverbot einer Versammlung in anderen Fällen, mit dem den Teilnehmern die Ausübung ihres Grundrechts aus Art. 8 Abs. 1 GG unmöglich gemacht wird, verglichen werden. Die Teilnehmer können ihr kommunikatives Anliegen ausreichend durch Teilnahme an dem „letzten“ Programmpunkt ausüben, dies ist nach Auffassung der Kammer auch zumutbar. Im Gegensatz hierzu überwiegt das widerstreitende öffentliche Interesse an der Verhinderung einer weiteren Ausbreitung und nicht nachverfolgbaren Verbreitung des neuen Coronavirus Sars-CoV-2 und damit der Wahrung der in Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG wurzelnden Schutzpflicht für dieses überragend wichtige Gemeinschaftsgut deutlich.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO, die Streitwertfestsetzung auf §§ 53 Abs. 2 Nr. 1, 52 Abs. 1 und 2 GKG i.V.m. Nr. 1.5. des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit.

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