Aktenzeichen W 6 K 18.1184
StGB § 316
Leitsatz
1. Weigert sich der Betroffene, sich untersuchen zu lassen oder bringt er der Fahrerlaubnisbehörde das von ihr geforderte Gutachten nicht fristgerecht bei, darf sie bei ihrer Entscheidung auf die Nichteignung des Betroffenen nur dann schließen (§ 11 Abs. 8 Satz 1 FeV), wenn der Betroffene bei der Anordnung auf diese Rechtsfolge gemäß § 11 Abs. 8 Satz 2 FeV hingewiesen worden und die Anordnung, ein Gutachten beizubringen, auch sonst rechtmäßig ist. (Rn. 29) (redaktioneller Leitsatz)
Tenor
I. Der Bescheid des Landratsamts … vom 9. August 2018 wird aufgehoben.
II. Der Beklagte hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
III. Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der Beklagte kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe der zu vollstreckenden Kosten abwenden, wenn nicht die Klägerin vorher in gleicher Höhe Sicherheit leistet.
Gründe
Die Klage ist zulässig und begründet.
Der Bescheid des Landratsamts … vom 9. August 2018 ist rechtswidrig und verletzt die Klägerin in ihren Rechten (§ 113 Abs. 1 VwGO). Die Voraussetzungen für die Untersagung, Fahrräder und Mofas im öffentlichen Straßenverkehr zu führen, liegen nicht vor. Der Beklagte durfte nicht davon ausgehen, dass die Klägerin zum Führen fahrerlaubnisfreier Fahrzeuge ungeeignet ist. Der Schluss auf die Nichteignung nach § 11 Abs. 8 Satz 1 FeV war wegen der Rechtswidrigkeit der Anordnung zur Beibringung eines medizinisch-psychologischen Gutachtens nicht möglich.
1.
Erweist sich jemand als ungeeignet oder nur noch bedingt geeignet zum Führen von (fahrerlaubnisfreien) Fahrzeugen, wozu auch Fahrräder zählen (vgl. § 2 Abs. 4 StVO), hat die Fahrerlaubnisbehörde ihm das Führen zu untersagen, zu beschränken oder die erforderlichen Auflagen anzuordnen (§ 3 Abs. 1 Satz 1 FeV). Rechtfertigen Tatsachen die Annahme, dass der Führer eines Fahrzeugs zum Führen ungeeignet oder nur noch bedingt geeignet ist, finden (ebenfalls) die Vorschriften der §§ 11 bis 14 FeV entsprechend Anwendung (§ 3 Abs. 2 FeV). Beim Vorliegen von Eignungszweifeln kann die Beibringung eines ärztlichen bzw. medizinisch-psychologischen Gutachtens angeordnet werden. Hat der Betreffende etwa ein Fahrzeug im Straßenverkehr bei einer Blutalkoholkonzentration von 1,6 Promille oder mehr oder einer Atemalkoholkonzentration von 0,8 mg/l oder mehr geführt, ordnet die Fahrerlaubnisbehörde zur Vorbereitung ihrer Entscheidung(en) an, dass ein medizinisch-psychologisches Gutachten beizubringen ist (§ 13 Satz 1 Nr. 2 Buchst. c FeV).
Nach § 11 Abs. 6 Satz 1 FeV legt die Fahrerlaubnisbehörde unter Berücksichtigung der Besonderheiten des Einzelfalls und unter Beachtung der Anlagen 4 und 5 in der Anordnung zur Beibringung des Gutachtens fest, welche Fragen im Hinblick auf die Eignung des Betroffenen zum Führen von Kraftfahrzeugen zu klären sind. Die Behörde teilt dem Betroffenen unter Darlegung der Gründe für die Zweifel an seiner Eignung und unter Angabe der für die Untersuchung in Betracht kommenden Stelle oder Stellen mit, dass er sich innerhalb einer von ihr festzulegenden Frist auf seine Kosten der Untersuchung zu unterziehen und das Gutachten beizubringen hat; sie teilt ihm außerdem mit, dass er die zu übersendenden Unterlagen einsehen kann (§ 11 Abs. 6 Satz 2 FeV). Der Betroffene hat die Fahrerlaubnisbehörde darüber zu unterrichten, welche Stelle er mit der Untersuchung beauftragt hat (§ 11 Abs. 6 Satz 3 FeV). Die Fahrerlaubnisbehörde teilt der untersuchenden Stelle mit, welche Fragen im Hinblick auf die Eignung des Betroffenen zum Führen von Kraftfahrzeugen zu klären sind, und übersendet ihr die vollständigen Unterlagen, soweit sie unter Beachtung der gesetzlichen Verwertungsverbote verwendet werden dürfen (§ 11 Abs. 6 Satz 4 FeV). Die Untersuchung erfolgt aufgrund eines Auftrages durch den Betroffenen (§ 11 Abs. 6 Satz 5 FeV).
Weigert sich der Betroffene, sich untersuchen zu lassen oder bringt er der Fahrerlaubnisbehörde das von ihr geforderte Gutachten nicht fristgerecht bei, darf sie bei ihrer Entscheidung auf die Nichteignung des Betroffenen schließen (§ 11 Abs. 8 Satz 1 FeV). Der Schluss auf die Nichteignung nach § 11 Abs. 8 Satz 1 FeV ist aber nur zulässig, wenn der Betroffene bei der Anordnung auf diese Rechtsfolge gemäß § 11 Abs. 8 Satz 2 FeV hingewiesen worden und die Anordnung, ein Gutachten beizubringen, auch sonst rechtmäßig ist.
1.1
Die Anordnung zur Beibringung eines medizinisch-psychologischen Gutachtens vom 18. April 2018 war rechtswidrig, denn die Voraussetzungen des § 13 Satz 1 Nr. 2 Buchst. c FeV lagen nicht vor. Es steht nicht fest, dass die Klägerin ein Fahrzeug bei einer Blutalkoholkonzentration von 1,6 Promille oder mehr im Straßenverkehr geführt hat.
Der Begriff Straßenverkehr bezieht sich dabei auf Vorgänge im öffentlichen Straßenraum (Dauer in: Hentschel/König/Dauer, Straßenverkehrsrecht, 45. Aufl. 2018, § 13 FeV Rn. 23). Dem öffentlichen Verkehr dienen dabei alle Flächen, die der Allgemeinheit zur Verkehrszwecken offenstehen. Die Voraussetzung für das Vorliegen eines öffentlichen Verkehrsraums ist damit die ausdrückliche oder stillschweigende Freigabe durch den Berechtigten zur allgemeinen Verkehrsbenutzung und Benutzung in dieser Weise. Eigentumsverhältnisse sind dabei unerheblich. Maßgebend ist allein, dass der Raum der Allgemeinheit tatsächlich zu Verfügung steht (Dauer in: Hentschel/König/Dauer, Straßenverkehrsrecht, 45. Aufl. 2018, § 1 StVO Rn. 14). Nicht zum öffentlichen Straßenraum gehören dagegen Flächen, die nicht dem öffentlichen Verkehr dienen, wie etwa ein Straßengraben, ein von der Fahrbahn getrennter Grünstreifen zum Gehsteig hin oder ein Grünstreifen, der durch Anlagen oder Bewuchs offensichtlich von der Verkehrsbenutzung ausgeschlossen ist (Dauer in: Hentschel/König/Dauer, Straßenverkehrsrecht, 45. Aufl. 2018, § 1 StVO Rn. 16).
Die Klägerin ist vorliegend zwar unstreitig am 6. September 2017 im alkoholisierten Zustand zwischen 22:00 Uhr und 22:30 Uhr mit ihrem Fahrrad im Bereich des Bolzplatzes in W. gefahren. Allerdings gibt es keine gesicherten Erkenntnisse dafür, dass die Klägerin mit ihrem Fahrrad tatsächlich im öffentlichen Straßenraum gefahren ist.
1.1.1 Zunächst liefert der Inhalt der Behördenakte keine Hinweise für eine Fahrt der Klägerin im öffentlichen Straßenraum (vgl. dazu BayVGH B.v. 21.2.2019 – 11 CS 18.2277 – Rn. 18). Insbesondere die protokollierten Aussagen der Klägerin und der Zeugen Oskar S. und Andre R. gegenüber der Polizei bieten keinen Anhalt dafür. Den jeweiligen Angaben kann der Start- und Endpunkt der Fahrt der Klägerin mit ihrem Fahrrad nicht entnommen werden. Die Aussagen beschränken sich auf eine allgemeine Beschreibung der Fahrt der Klägerin mit dem Fahrrad, ohne dass dabei Angaben zur konkreten Örtlichkeit gemacht wurden. Es ist auch nicht ersichtlich, dass die Klägerin oder die vernommenen Zeugen zu dieser Frage befragt wurden. In diesem Zusammenhang ist zu erwähnen, dass der Zeuge Oskar S. in der mündlichen Verhandlung angegeben hat, die Fahrt der Klägerin mit ihrem Fahrrad nicht beobachtet zu haben. Ausweislich seiner Angaben beruhte die Aussage gegenüber der Polizei auf Erzählungen anderer Personen. Die Angaben von Oskar S. können damit keinen Aufschluss über das Tatgeschehen geben.
Auch die Feststellungen der Polizeiinspektion M. in der Sachverhaltsdarstellungen vom 1. November 2017 geben keinen Aufschluss darüber, wo die Klägerin mit ihrem Fahrrad gefahren ist. Diesen ist zwar zu entnehmen, die Klägerin sei mit ihrem Fahrrad „ein Stück auf einer öffentlichen Straße“ in einem Wohngebiet gefahren. In diesem Zusammenhang ist anzumerken, dass es im Regelfall keinen Grund gibt, an Angaben von Polizeibeamten zu zweifeln. Allerdings kommt den polizeilichen Feststellungen im vorliegenden Falle nur ein eingeschränkter Aussagewert zu, da nicht ersichtlich ist, wie die Polizeibeamten zu der Feststellung hinsichtlich der Tatörtlichkeit gelangt sind. Eine eigene Wahrnehmung des Vorfalls durch die Polizeibeamten kann jedenfalls nicht Grundlage des Berichts sein, da diese erst 30 bis 45 Minuten nach dem Vorfall an der Tatörtlichkeit eingetroffen sind. Auch die von den Polizeibeamten vorgefunden Situation, die durch in der Ermittlungsakte der Staatsanwaltschaft Würzburg (Az. 623 Js 24354/17) befindliche Lichtbilder dokumentiert wurde, spricht nicht zwingend dafür, dass das Fahrrad auf einer öffentlichen Straße bewegt wurde. Die Bilder zeigen nur eine Straße und ein in einer Wiese liegendes Fahrrad. Aufschluss darüber, wo die Fahrt mit dem Fahrrad stattgefunden hat und wie das Fahrrad in die Wiese gelangt ist, kann die vorgefundene Situation nicht geben. Wie bereits dargelegt, lässt sich auch den im Ermittlungsverfahren getätigten Aussagen nichts dazu entnehmen, wo genau die Klägerin mit dem Fahrrad gefahren ist.
1.1.2
Die Befragung der Klägerin und die Beweisaufnahme in der mündlichen Verhandlung haben ebenfalls nicht ergeben, dass die Klägerin am 6. September 2017 mit dem Fahrrad im öffentlichen Verkehrsraum gefahren ist. Weder die Angaben der Klägerin noch die der anderen Zeugen bieten hinreichend gesicherten Beweis dafür.
Die Klägerin selbst gab in der mündlichen Verhandlung an, auf einem Grünstreifen an der Straßenecke W.weg/R.straße auf Höhe des Anwesens W.weg 4 neben der Fahrbahn gefahren zu sein. Sie sei unter Abstützung am dort befindlichen Zaun auf das Fahrrad aufgestiegen, jedoch nach wenigen Metern wieder vom Fahrrad gestürzt. Eine Fahrt nach Hause sei auch deshalb nicht mehr möglich gewesen, da jemand Luft aus den Rädern ihres Fahrrads gelassen habe. Der Zeuge K. P. schilderte bei seiner Zeugenvernehmung einen im Wesentlichen übereinstimmenden Sachverhalt; die Klägerin sei an der Ecke W.weg/R.straße ein kurzes Stück, ca. 2 Meter, auf einem Grünstreifen neben der Fahrbahn gefahren. Der Zeuge K. P. erklärte schon im Rahmen seiner eidesstattlichen Versicherung vom 10. Dezember 2018, dass die Klägerin ihr Fahrrad nur ein kurzes Stück auf einer Wiese und nicht auf der Straße bewegt habe. Die Zeugin Anna S. gab an, dass die Klägerin auf einer Wiese neben der Straße auf das Fahrrad gestiegen und dort auch wieder heruntergefallen sei. Dieser Grünstreifen liege nördlich der R.straße unterhalb des Feuerwehrhauses. Die Zeugin S. bestätigte auch, dass die Luft aus den Rädern des Fahrrads der Klägerin gelassen worden war. Der Zeuge Andre R. schilderte, die Klägerin habe versucht „vor dem Bolzplatz“ auf das Fahrrad aufzusteigen. Er könne aber nicht sagen, ob sich das auf der Straße oder auf einem Grünstreifen neben der Straße abgespielt habe. Er und Oskar S. hätten versucht, die Klägerin vom Fahrrad herunterzubringen. Dies hätte sich alles im nördlichen Bereich des Bolzplatzes hinter dem ersten Tor abgespielt. Die Zeugen L. S. und Oskar S. gaben zudem an, den Vorfall nicht beobachtet zu haben. Was mit dem Fahrrad der Klägerin unmittelbar nach dem Sturz passierte, insbesondere ob dieses – entsprechend der Aussage der Klägerin im Ermittlungsverfahren – nach dem Sturz von anderen Personen bewegt wurde, konnte durch die Beweiserhebung nicht aufgeklärt werden. Keiner der vernommen Zeugen konnte aus eigener Wahrnehmung davon berichten.
Die in der mündlichen Verhandlung gemachten Angaben zum Hergang des Vorfalls vom 6. September 2017, weichen zwar – insbesondere im Hinblick auf die konkrete Örtlichkeit der Fahrt der Klägerin mit ihrem Fahrrad – erheblich voneinander ab. Die Aussagen der Personen, die angegeben haben, die Fahrt der Klägerin beobachtet zu haben, stimmen aber insoweit überein, dass von niemandem wahrgenommen wurde, dass die Klägerin mit ihrem Fahrrad auf einer öffentlichen Straße gefahren ist. Vielmehr gaben alle Zeugen an, die Klägerin sei auf einer Wiese bzw. einem Grünstreifen abseits der Straße gefahren.
Zusammenfassend ist unter Auswertung aller dem Gericht zur Verfügung stehenden Erkenntnisse festzustellen, dass nicht hinreichend sicher feststellbar ist, dass die Klägerin ihr Fahrrad im öffentlichen Straßenverkehr bewegt hat. Es kann damit nicht ausgeschlossen werden, dass die Klägerin mit ihrem Fahrrad ausschließlich auf einen Grünstreifen bzw. einer Wiese abseits der öffentlichen Straße gefahren ist und damit entsprechend des oben dargestellten Maßstabs keine Teilnahme am Straßenverkehr vorlag. Der vorliegend beweispflichtige Beklagte konnte daher nicht vom Vorliegen der Tatbestandvoraussetzungen des § 13 Satz 1 Nr. 2 Buchst. c FeV ausgehen, sodass die Anordnung zur Beibringung eines Gutachtens ohne Rechtsgrundlage erfolgte.
1.2
Aufgrund der Rechtswidrigkeit der Anordnung zur Beibringung des medizinisch-psychologischen Gutachtens durfte der Beklagte nicht nach § 11 Abs. 8 FeV auf die fehlende Eignung der Klägerin zum Führen fahrerlaubnisfreier Fahrzeuge schließen. Da die fehlende Eignung der Klägerin zum Führen fahrerlaubnisfreier Fahrzeuge nicht feststand, durfte der Klägerin nicht untersagt werden, Fahrräder und Mofas im Straßenverkehr zu führen. Der Bescheid des Landratsamtes vom 8. August 2018 war daher aufzuheben.
2.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO.
3.
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit ergibt sich aus § 167 VwGO i.V.m. § 708 Nr. 11, § 711 ZPO.