Medizinrecht

Verbot von Parolen auf Versammlung

Aktenzeichen  10 B 17.1996

Datum:
10.7.2018
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BayVBl – 2019, 163
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
VwGO § 113 Abs. 1 S. 4, § 114 S. 1, 2
BayVwVfG Art. 35 S. 1, Art. 40, Art. 45
BayVersG Art. 15 Abs. 1 S. 1
GG Art. 8

 

Leitsatz

1. Maßgeblich für die gerichtliche Prüfung der Rechtswidrigkeit eines erledigten versammlungsrechtlichen Verwaltungsakts (hier: Beschränkung) ist die zum Zeitpunkt der Erledigung des Verwaltungsakts bestehende Sach- und Rechtslage. (Rn. 23)
2. Die Frage, ob bei der (allgemein) im Gefahrenabwehrrecht gebotenen ex-ante-Betrachtung im Zeitpunkt der Maßnahme konkrete Tatsachen vorlagen, die die Annahme einer unmittelbaren Gefährdung der öffentlichen Sicherheit oder Ordnung bei Durchführung der Versammlung begründeten, unterliegt voller gerichtlicher Nachprüfung. (Rn. 26)
3. Ein Nachschieben von Gründen im Verwaltungsprozess im Sinne einer Nachholung oder Ergänzung der materiell-rechtlich relevanten Begründung – hier der Gefahrenprognose gemäß Art. 15 Abs. 1 Satz 1 BayVersG – ist bei einer Fortsetzungsfeststellungsklage (§ 113 Abs. 1 Satz 4 VwGO analog) aus prozessualen Gründen und vor allem Gründen des materiellen Rechts nicht möglich. (Rn. 33 – 35)
4. Zur Möglichkeit einer nachträglichen Ergänzung der Ermessenserwägungen mit heilender Rückwirkung (hier: verneint). (Rn. 44 – 47)

Verfahrensgang

M 13 K 16.2066 2017-04-25 Urt VGMUENCHEN VG München

Tenor

I. Unter Abänderung des Urteils des Verwaltungsgerichts München vom 25. April 2017 wird festgestellt, dass (auch) die Beschränkung Nr. 1.6 im Bescheid des Beklagten vom 8. April 2016 bezüglich der Passage „… sind alle Äußerungen verboten, die das NS-Regime sowie dessen Organisationen … sowie verbotene Parteien und Vereine einschließlich deren Nachfolge- und Ersatzorganisationen billigen, verherrlichen, rechtfertigen oder verharmlosen … untersagt sind … die Parolen ‚Wir sind wieder da!‘“ rechtswidrig war.
II. Der Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens in beiden Rechtszügen.
III. Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar. Der Beklagte darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Kläger vorher Sicherheit in Höhe des jeweils zu vollstreckenden Betrages leisten.
IV. Die Revision wird nicht zugelassen.

Gründe

Die zulässige Berufung der Kläger hat in der Sache Erfolg. Ihre auf Feststellung der Rechtswidrigkeit (auch) der Beschränkung 1.6 im Bescheid des Beklagten vom 8. April 2016 (bezüglich der noch streitbefangenen Passage) gerichtete Klage ist begründet, weil diese durch Zeitablauf erledigte versammlungsrechtliche Beschränkung rechtswidrig war und die Kläger dadurch in ihren Rechten verletzt wurden (§ 113 Abs. 1 Satz 4 VwGO analog). Demgemäß war das Urteil des Verwaltungsgerichts München vom 25. April 2017 insoweit abzuändern und die begehrte Feststellung zu treffen.
1. Maßgeblich für die gerichtliche Prüfung der Rechtswidrigkeit des erledigten Verwaltungsaktes (Art. 35 Satz 1 BayVwVfG) – hier der durch Zeitablauf erledigten (s. Art. 43 Abs. 2 BayVwVfG) versammlungsrechtlichen Beschränkung gemäß Art. 15 BayVersG (zum Rechtscharakter derartiger Maßnahmen vgl. BayVGH, U.v. 22.9.2015 – 10 B 14.2246 – juris Rn. 33) – ist grundsätzlich der Zeitpunkt der Erledigung des Verwaltungsakts und die zu diesem Zeitpunkt bestehende Sach- und Rechtslage (Decker in BeckOK VwGO, Posser/Wolff, Stand: 1.4.2018, § 113 Rn. 88; H. A. Wolff in Sodan/Ziekow, Verwaltungsgerichtsordnung, 4. Aufl. 2014, § 113 Rn. 299; Riese in Schoch/Schneider/Bier, Verwaltungsgerichtsordnung, Stand: Juni 2017, § 113 Rn. 152 jeweils m.w.N.; BayVGH, U.v. 22.9.2015 – 10 B 14.2246 – juris Rn. 44).
2. Im maßgeblichen Zeitpunkt der Erledigung war die streitbefangene Beschränkung der am 9. April 2016 in P. durchgeführten Versammlung der Kläger rechtswidrig. Bereits die tatbestandlichen Voraussetzungen der im Bescheid des Beklagten vom 8. April 2016 herangezogenen Rechtsgrundlage des Art. 15 Abs. 1 Satz 1 BayVersG waren nicht erfüllt, weil nach den zur Zeit des Erlasses der Verfügung erkennbaren Umständen hinreichend konkrete und nachvollziehbare tatsächliche Anhaltspunkte für eine tragfähige Prognose hinsichtlich einer unmittelbaren Gefährdung der öffentlichen Sicherheit oder Ordnung bei Durchführung der Versammlung nicht vorlagen (2.1.) und ein „Nachschieben“ von Gründen in einer verfahrensrechtlichen Konstellation wie der vorliegenden diesen Mangel nicht zu heilen vermag (2.2.). Zudem lag hinsichtlich der streitbefangenen Beschränkung jedenfalls ein der gerichtlichen Überprüfung gemäß § 114 Satz 1 VwGO unterliegender Ermessensfehlgebrauch der Versammlungsbehörde vor (2.3.), der durch die im Gerichtsverfahren nachträglich angestellten bzw. ergänzten Ermessenserwägungen nicht (mehr) beseitigt bzw. geheilt werden konnte (2.4.).
2.1. Die vom Beklagten für diese Beschränkung der Versammlung – Verbot bestimmter Parolen – im zugrunde liegenden Bescheid herangezogene Rechtsgrundlage des Art. 15 Abs. 1 Satz 1 BayVersG trägt die angegriffene Verfügung nicht.
Nach dieser Bestimmung kann die zuständige Behörde eine Versammlung beschränken oder verbieten, wenn nach den zur Zeit des Erlasses der Verfügung erkennbaren Umständen die öffentliche Sicherheit oder Ordnung bei Durchführung der Versammlung unmittelbar gefährdet ist. Unter Berücksichtigung der Bedeutung der Versammlungsfreiheit (Art. 8 Abs. 1 GG) darf die Behörde allerdings auch bei dem Erlass von Auflagen (Beschränkungen) keine zu geringen Anforderungen an die Gefahrenprognose stellen. Als Grundlage der Gefahrenprognose sind konkrete und nachvollziehbare tatsächliche Anhaltspunkte erforderlich; bloße Verdachtsmomente oder Vermutungen reichen hierzu nicht aus. Die Darlegungs- und Beweislast für das Vorliegen von Gründen für ein Verbot oder eine Auflage liegt grundsätzlich bei der Behörde (stRspr, vgl. BVerfG, B.v. 20.12.2012 – 1 BvR 2794/10 – juris Rn. 17; B.v. 12.5.2010 – 1 BvR 2636/04 – juris Rn. 17 jeweils m.w.N.; BayVGH, B.v. 19.12.2017 – 10 C 17.2156 – juris Rn. 16). Aufgabe der Gerichte ist es zu prüfen, ob die (von der Versammlungsbehörde) für die Beurteilung der Gefahrenlage herangezogenen Tatsachen unter Berücksichtigung des Schutzgehalts des Art. 8 GG in nachvollziehbarer Weise auf eine unmittelbare Gefahr hindeuten (stRspr, vgl. BVerfG, B.v. 7.11.2008 – 1 BvQ 43/08 – juris Rn. 20). Die Frage, ob bei der (allgemein) im Gefahrenabwehrrecht gebotenen ex-ante-Betrachtung im Zeitpunkt der Maßnahme konkrete Tatsachen vorlagen, die die Annahme einer unmittelbaren Gefährdung der öffentlichen Sicherheit oder Ordnung bei Durchführung der Versammlung begründeten, unterliegt voller gerichtlicher Nachprüfung; die darin enthaltenen prognostischen Elemente rechtfertigen keine Kontrollbeschränkung der Gerichte (stRspr, vgl. BVerfG, B.v. 20.4.2017 – 2 BvR 1754/14 – juris Rn. 46).
Gemessen daran ergeben sich entgegen der Bewertung des Verwaltungsgerichts hinreichend tragfähige Gesichtspunkte und Erwägungen für die Gefahrenprognose bezüglich der streitbefangenen Beschränkung weder unmittelbar aus der Begründung des Bescheids des Beklagten vom 8. April 2016 noch (ergänzend) aus den vorgelegten Behördenakten oder sonstigen zum Zeitpunkt des Erlasses der Verfügung erkennbaren Umständen bzw. zur Verfügung stehenden Erkenntnismöglichkeiten.
In den Gründen des Bescheids des Beklagten vom 8. April 2016 ist vorweg lediglich formelhaft ausgeführt, dass die tatbestandlichen Voraussetzungen des Art. 15 Abs. 1 BayVersG erfüllt seien; es liege eine Sachlage vor, die bei ungehindertem Geschehensablauf mit hoher Wahrscheinlichkeit zu einem Schaden für die der Versammlungsfreiheit entgegenstehenden Interessen der öffentlichen Sicherheit und/oder Ordnung führe. Unter Nr. 3.6 dieses Bescheids ist zur streitbefangenen Beschränkung ergänzend ausgeführt, das lautstarke Skandieren der in dieser Beschränkung aufgezählten Parolen erwecke einen paramilitärischen Eindruck, der Eindruck der Gewalt- und Kampfbereitschaft könne unbefangene Beobachter verängstigen, Versammlungen, die ein solches militantes Gepräge mit der damit verbundenen Gewaltmetaphorik aufwiesen, liefen dem Friedlichkeitsgebot von Art. 8 Abs. 1 GG und Art. 113 der (Bayerischen) Verfassung zuwider; „Wir sind wieder da!“ sei eine Parole der 1972 im Ausland gegründeten NSDAP/AO.
Konkrete und nachvollziehbare tatsächliche Anhaltspunkte für eine unmittelbare Gefährdung der Schutzgüter der angeführten Rechtsgrundlage bei Durchführung gerade der vorliegenden Versammlung ergeben sich daraus aber nicht. Vielmehr fehlt insoweit der erforderliche konkrete Fallbezug. Zum einen wird schon nicht deutlich, ob und gegebenenfalls welche Anhalts- oder Gesichtspunkte die Versammlungsbehörde für ihre Gefahreneinschätzung bzw. -prognose herangezogen hat, zum anderen fehlt aber vor allem jeder nachvollziehbare Bezug zu der konkret geplanten Versammlung. Beides ergibt sich auch nicht aus dem in der Behördenakte (Bl. 32 ff.) befindlichen Vermerk zur Gefahrenprognose bezüglich der streitbefangenen Versammlung der Kläger am 9. April 2016. Unabhängig davon, dass dieser Vermerk mit Datum 9. April 2016, also einem Tag nach der Erstellung des streitbefangenen Bescheids versehen ist, im ersten Absatz des Vermerks aber noch den nachträglich handschriftlich korrigierten ursprünglichen Termin des „stattgefundenen Kooperationsgesprächs“ (8.4.2016) enthält, was auf eine deutlich frühere Erstellung dieses Vermerks hindeutet, finden sich auch darin lediglich formelhafte Ausführungen: Im Rahmen des Kooperationsgesprächs sei deutlich geworden, dass die tatbestandlichen Voraussetzungen des Art. 15 Abs. 1 BayVersG für die Festsetzung von Beschränkungen erfüllt seien; es liege eine Sachlage vor, die bei ungehindertem Geschehensablauf mit hoher Wahrscheinlichkeit zu einem Schaden für die der Versammlungsfreiheit entgegenstehenden Interessen der öffentlichen Sicherheit und/oder Ordnung führe. Nach den polizeilichen Erkenntnissen, insbesondere hinsichtlich der örtlichen und sachlichen Gegebenheiten am Tag der Kundgebung, seien die beschränkenden Verfügungen geeignet, erforderlich und verhältnismäßig, um einen störungsfreien Ablauf der Versammlung sicherzustellen. Bezüglich des Verbots von Parolen enthält dieser Vermerk unter Nr. 6. lediglich die Bewertung, wie sie praktisch wortgleich in den streitbefangenen Bescheid Eingang gefunden hat. Irgendwelche konkreten tatsächlichen Anhalts- oder Gesichtspunkte für die diesbezügliche Gefahreneinschätzung und der erforderliche nachvollziehbare Bezug zur konkreten Versammlung fehlen auch hier.
Auch die in der mündlichen Verhandlung vor dem Verwaltungsgerichtshof abgegebene Erklärung der Vertreter des Beklagten, die Erwägungen zur Gefahrenprognose seien vor allem mündlich im Kooperationsgespräch zur angemeldeten Versammlung am 7. April 2016 erörtert worden, und Anhaltspunkte und Erkenntnismittel seien zudem die Selbstaussage der Klägerin zu 1 über ihre Aktivitäten und Ziele sowie die konkrete Bewerbung dieser Veranstaltung im Internet gewesen, vermag letztlich nicht zu überzeugen. Weder der Vermerk über dieses Kooperationsgespräch in der Behördenakte (Bl. 27 ff.) noch etwa der ebenfalls bei den Akten befindliche Bericht der KPI Ingolstadt zu den Veranstaltungen der Klägerin zu 1 am Samstag, 9. April 2016, in Bayern enthalten diesbezüglich konkrete tatsächliche Anhaltspunkte oder wenigstens Hinweise darauf. Vielmehr liegt im vorliegenden Fall gerade auch mit Blick auf ein bei der Behördenakte befindliches E-Mail der Regierung von Oberbayern vom 21. April 2016 (Bl. 103) nahe, dass die Versammlungsbehörde eine Auflage aus einem Muster-Bescheid der Regierung in den streitbefangenen Bescheid ohne hinreichend tragfähige Gefährdungsprognose und ohne konkreten Bezug zu der von den Klägern geplanten Veranstaltung und deren Begleitumständen aufgenommen hat.
Für letzteres spricht im Übrigen auch, dass eine im Verlauf des vorliegenden Rechtsstreits durch die Versammlungsbehörde am 20. September 2016 per E-Mail erfolgte konkrete Anfrage, ob zum Zeitpunkt der Gefahreinschätzung vor der Versammlung am 9. April 2016 zu erwarten gewesen sei, dass durch die Art und Weise der Meinungsäußerungen (aggressives und provozierendes Skandieren von Parolen … etc.) eine Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung entstehen könnte, und ob bei bisherigen anderen Kundgebungen der Klägerin zu 1 eine solche Art und Weise der Meinungsäußerung schon erfolgt sei, vom zuständigen Beamten der KPI Ingolstadt dahingehend beantwortet wurde, dass bezüglich beider Fragen im Vorfeld keine Erkenntnisse vorlagen, das Skandieren von provozierenden Parolen allerdings im Vorfeld „nie ausgeschlossen werden“ könne (vgl. beiliegende nicht paginierte Prozessakte des Landratsamts).
Auch wenn man – ohne dafür irgendwelche Anhaltspunkte in den Behördenakten zu finden – zu den zur Zeit des Erlasses der Verfügung erkennbaren Umständen im Sinne des Art. 15 Abs. 1 Satz 1 BayVersG die Erkenntnisse und Bewertungen der Verfassungsschutzbehörden des Bundes und Bayerns über die Klägerin zu 1 in den jeweiligen Verfassungsschutzberichten 2014 zählt und demgemäß für die Gefahrenprognose heranzieht, reicht das allein aus der gebotenen ex-ante-Betrachtung für eine tragfähige Gefahrenprognose der Versammlungsbehörde nicht aus. Der Beklagte hat im verwaltungsgerichtlichen Verfahren zwar zu Recht darauf hingewiesen, dass es sich nach diesen Erkenntnissen bei der Klägerin zu 1 um eine derzeit prägende neonazistische (Kleinst-)Partei mit völkisch-biologistischem Menschen- und Gesellschaftsbild handelt, deren Ziel unter anderem die Förderung einer Atmosphäre der Angst und Einschüchterung durch aggressives und provokantes Auftreten ist. Darüber hinausgehende tragfähige Anhaltspunkte mit hinreichend konkretem Bezug zur geplanten Veranstaltung der Kläger, woraus sich der von der Versammlungsbehörde angenommene bzw. unterstellte Eindruck der Gewalt- und Kampfbereitschaft, das militante Gepräge mit der damit verbundenen Gewaltmetaphorik und die paramilitärischen oder sonstigen einschüchternden Begleitumstände der geplanten Versammlung nachvollziehbar ableiten oder folgern ließen, fehlen hier jedoch.
2.2. Ein Nachschieben von Gründen im Verwaltungsprozess im Sinne einer Nachholung oder Ergänzung der materiell-rechtlich relevanten Begründung (zum Begriff vgl. z.B. Schemmer in BeckOK VwVfG, Bader/Ronellenfitsch, Stand: 1.7.2018, § 45 Rn. 34) – hier der Gefahrenprognose gemäß Art. 15 Abs. 1 Satz 1 BayVersG – ist entgegen der Auffassung des Beklagten in der vorliegenden Konstellation aus prozessualen Gründen und vor allem Gründen des materiellen Rechts nicht möglich.
In prozessualer Hinsicht spricht dagegen, dass bei einer Fortsetzungsfeststellungsklage (§ 113 Abs. 1 Satz 4 VwGO analog) Gegenstand der gerichtlichen Prüfung allein die Rechtswidrigkeit der durch Zeitablauf (hier: Durchführung der Versammlung am 9. April 2016) erledigten, d.h. unwirksam gewordenen, Beschränkung ist. Maßgeblich dabei ist – wie bereits oben ausgeführt – grundsätzlich der Zeitpunkt der Erledigung des Verwaltungsakts und die zu diesem Zeitpunkt bestehende Sach- und Rechtslage. Die (rückwirkende) Nachbesserung oder sogar Nachholung einer materiell-rechtlich relevanten Begründung nach diesem Zeitpunkt wäre insoweit geradezu systemwidrig, weil nach dem Ende der äußeren und inneren Wirksamkeit des Verwaltungsakts (vgl. dazu Schemmer in BeckOK VwVfG, Bader/Ronellenfitsch, Stand: 1.7.2018, § 43 Rn. 46) Streitgegenstand und Sachlage durch die Behörde noch einseitig beeinflusst werden könnten. Ebenso wenig wie die Heilung eines Verfahrens- oder Formfehlers nach der Erledigung des Verwaltungsakts gemäß Art. 45 BayVwVfG in Betracht kommt, der einen wirksamen Verwaltungsakt voraussetzt, kann deshalb nach Auffassung des Senats ein Nachschieben von Gründen im oben genannten Sinn im Rahmen der vorliegenden Fortsetzungsfeststellungsklage (§ 113 Abs. 1 Satz 4 VwGO analog) zulässig sein.
Auch materiell-rechtliche Gründe sprechen für dieses Ergebnis. Art. 15 Abs. 1 Satz 1 BayVersG lässt mit Rücksicht auf die verfassungsrechtliche Gewährleistung der Versammlungsfreiheit (Art. 8 Abs. 1 GG) Beschränkungen (oder ein Verbot) einer Versammlung nur für den Fall zu, dass die öffentliche Sicherheit oder Ordnung nach den zur Zeit des Erlasses der Verfügung erkennbaren Umständen bei Durchführung der Versammlung unmittelbar gefährdet ist (vgl. z.B. BVerfG, B.v. 12.5.2010 – 1 BvR 2636/04 – juris Rn. 17 m.w.N.). Dadurch ist klargestellt, dass Grundlage der Gefahrenprognose und damit der Entscheidung der Versammlungsbehörde nur zum Zeitpunkt der behördlichen Verfügung erkennbare tatsächliche Anhaltspunkte sein können. Demgemäß kommt es für die Rechtmäßigkeit der Gefahrenprognose auf die zu diesem Zeitpunkt der Versammlungsbehörde zur Verfügung stehenden Erkenntnisse an (vgl. Dürig-Friedl in Dürig-Friedl/Enders, Versammlungsrecht, Kommentar, VersammlG § 15 Rn. 60; Hettich, Versammlungsrecht in der Praxis, 2. Aufl. 2018, Rn. 149; BayVGH, B.v. 26.11.1992 – 21 B 92.1672 – juris Rn. 34). Danach ist es aber auch mit Blick auf die nach Art. 15 Abs. 1 Satz 1 BayVersG gebotene Ausübung pflichtgemäßen Ermessens nach Auffassung des Verwaltungsgerichtshofs nicht zulässig, wenn die Versammlungsbehörde die von ihr diesbezüglich zu fordernden Bemühungen um Sachaufklärung (vgl. Dürig-Friedl, a.a.O.; zu den auch bei dem Erlass von Auflagen/Beschränkungen nicht zu geringen Anforderungen an die Gefahrenprognose vgl. BVerfG, B.v. 12.5.2010 – 1 BvR 2636/04 – juris Rn. 17) nicht zum Zeitpunkt ihrer Verfügung, sondern erst nachträglich im Verwaltungsstreitverfahren unternimmt und mit den nachgeschobenen Gründen – selbst bei unveränderter Sachlage – die getroffene Entscheidung nach deren Unwirksamwerden zu rechtfertigen versucht. Dies würde zudem der Bedeutung des Grundrechts der Versammlungsfreiheit (Art. 8 Abs. 1 GG) nicht gerecht und dem Recht auf effektiven Rechtsschutz (Art. 19 Abs. 4 GG) des Betroffenen zuwiderlaufen.
Selbst wenn man aber entsprechend den in der Rechtsprechung nach dem allgemeinen Verwaltungsverfahrensrecht gebildeten Grundsätzen neue Gründe für einen Verwaltungsakt – hier die erledigte streitbefangene Beschränkung – dann zuließe, wenn sie schon bei Erlass des Verwaltungsakts vorlagen, dieser nicht in seinem Wesen verändert und der Betroffene nicht in seiner Rechtsverteidigung beeinträchtigt wird (vgl. BVerwG, U.v. 20.6.2013 – 8 C 46.12 – juris Rn. 32 m.w.N., allerdings ausdrücklich offen gelassen für den Fall einer rückwirkenden Änderung bei einem endgültig erledigten Dauerverwaltungsakt), würde das an der Rechtswidrigkeit der angegriffenen Beschränkung nichts ändern. Denn ein Nachschieben in diesem Sinne könnte allenfalls eine Ergänzung, Präzisierung oder Vertiefung jedenfalls im Ansatz bereits vorhandener tragender Erwägungen zur Begründung einer unmittelbaren Gefährdung im Sinne des Art. 15 Abs. 1 Satz 1 BayVersG, nicht aber die Nachholung einer (nahezu) vollständig fehlenden Gefahrenprognose bedeuten. Wird wie im vorliegenden Fall ursprünglich praktisch nur der Gesetzestext wiederholt und mit formelhaften Ausführungen ohne hinreichenden konkreten Fallbezug ergänzt, kommt ein Nachschieben von Gründen im Sinne der angeführten Rechtsprechung jedenfalls nicht (mehr) in Betracht (vgl. Riese in Schoch/Schneider/Bier, Verwaltungsgerichtsordnung, Stand: Juni 2017, § 113 Rn. 35).
Aus den genannten Gründen ist es – ungeachtet der Frage des Vorliegens der tatbestandlichen Voraussetzungen und der diesbezüglich erforderlichen Gefahrenprognose – dem Beklagten auch verwehrt, die streitbefangene Beschränkung nunmehr nachträglich (vgl. Nr. 7. der Berufungserwiderung vom 15.1.2018, Bl. 30 ff. der VGH-Akte) auf Art. 15 Abs. 2 Nr. 2 BayVersG als Rechtsgrundlage zu stützen.
2.3. Hinsichtlich der streitbefangenen Beschränkung lag im maßgeblichen Zeitpunkt der Erledigung jedenfalls auch ein der gerichtlichen Überprüfung gemäß § 114 Satz 1 VwGO unterliegender Ermessensfehlgebrauch der Versammlungsbehörde vor.
Art. 15 Abs. 1 Satz 1 BayVersG sieht auf der Rechtsfolgenseite Ermessen der Versammlungsbehörde vor, das heißt (auch) bei Vorliegen der tatbestandlichen Voraussetzungen dieser Rechtsgrundlage steht die Anordnung von Beschränkungen der Versammlung im Ermessen der Behörde, das diese im Rahmen des Art. 40 BayVwVfG unter Berücksichtigung des Grundrechts der Versammlungsfreiheit (Art. 8 GG) und Beachtung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes auszuüben hat. Insoweit ist die Ermessensausübung der Versammlungsbehörde durch die Gerichte nach § 114 Satz 1 VwGO überprüfbar.
Ein danach gerichtlich zu beanstandender Ermessensfehlgebrauch der Versammlungsbehörde lag im maßgeblichen Zeitpunkt schon deshalb vor, weil die entsprechend dem Zweck der gesetzlichen Ermächtigung (s. Art. 40 BayVwVfG) anzustellende Prüfung bzw. Prognose, ob und in welchem Umfang bei der Durchführung der angemeldeten Versammlung eine unmittelbare Gefährdung der Schutzgüter der öffentlichen Sicherheit und Ordnung gemäß Art. 15 Abs. 1 Satz 1 BayVersG zu erwarten ist, von der Behörde nicht in der gebotenen Weise durchgeführt bzw. angestellt worden ist; auf die Ausführungen unter 2.1. kann hier Bezug genommen werden.
In den Gründen des Bescheids des Beklagten vom 8. April 2016 (Nr. II. 2.) finden sich zum Ermessen lediglich die formelhaften Ausführungen, „Bei Vorliegen der tatbestandlichen Voraussetzungen des Art. 15 Abs. 1 BayVersG entscheidet die zuständige Behörde über die Festsetzung von beschränkenden Verfügungen nach pflichtgemäßem Ermessen.“ und „Nach den polizeilichen Erkenntnissen, insbesondere hinsichtlich der örtlichen und sachlichen Gegebenheiten am Tag der Kundgebung sind die beschränkenden Verfügungen geeignet, erforderlich und verhältnismäßig, um einen störungsfreien Ablauf der Versammlung sicherzustellen.“. Unter II. 3.6 wird diesbezüglich lediglich ausgeführt, „Da auch in Musikstücken diese Parolen enthalten sein können, ist eine entsprechende Regelung auch für die ausgestrahlte Musik erforderlich.“
Soweit der Beklagte noch auf umfangreichere Erwägungen zur Verhältnismäßigkeit unter II. 5. des Bescheids verweist, beziehen sich diese offensichtlich und eindeutig ausschließlich auf die unter Nr. 1.5 des Bescheids verfügte Beschränkung der Kundgebungsmittel; einen auch nur ansatzweisen Bezug zur streitbefangenen Verfügung bezüglich der Parolen vermag der Senat darin nicht zu erkennen. Demgemäß fehlt insoweit auch die im Hinblick auf das Grundrecht der Versammlungsfreiheit erforderliche Güterabwägung.
Nicht durchzugreifen vermag schließlich der Einwand des Beklagten, die Angabe weiterer Einzelheiten und Erwägungen sowohl bezüglich der Gefahrenprognose als auch der darauf beruhenden Ermessensausübung im Ausgangsbescheid sei schon deshalb entbehrlich, weil der beim Kooperationsgespräch anwesende Vertreter der Klägerin zu 1 nach kurzer Erläuterung der beabsichtigten Beschränkungen erklärt habe, „dies sei ihm bekannt, da dies nicht die erste Versammlung des III. Wegs sei“ (vgl. Vermerk über das Kooperationsgespräch am 7.4.2016, Bl. 30 der Behördenakte). Denn daraus konnte weder ein Einverständnis der Klägerin zu 1 mit der streitbefangenen Verfügung noch etwa ein Verzicht auf eine Begründung oder die pflichtgemäße Ermessensentscheidung abgeleitet werden.
2.4. Durch die im Gerichtsverfahren nachträglich angestellten bzw. ergänzten Ermessenserwägungen konnte der gerichtlich zu beanstandende Ermessensfehlgebrauch nicht (mehr) beseitigt bzw. geheilt werden.
Die Zulässigkeit eines Nachschiebens oder einer Ergänzung von Ermessenserwägungen bestimmt sich nach ganz herrschender Meinung nach dem materiellen Recht und dem Verwaltungsverfahrensrecht; § 114 Satz 2 VwGO ermöglicht dagegen allein keine Mängelheilung, sondern bestimmt lediglich, dass einem danach zulässigen Nachholen von Ermessenserwägungen prozessuale Hindernisse unter den in dieser Bestimmung genannten Voraussetzungen nicht entgegenstehen (stRspr des BVerwG, vgl. z.B. U.v. 20.6.2013 – 8 C 46.12 – juris Rn. 31; Decker in BeckOK VwGO, Posser/Wolff, Stand: 1.4.2018, § 114 Rn. 38; Riese in Schoch/Schneider/Bier, Verwaltungsgerichtsordnung, Stand: Juni 2017, § 113 Rn. 45; H. A. Wolff in Sodan/Ziekow, Verwaltungsgerichtsordnung, 4. Aufl. 2014, § 114 Rn. 205; Rennert in Eyermann, VwGO, 14. Aufl. 2014, § 114 Rn. 85 f.; Schemmer in BeckOK VwVfG, Bader/Ronellenfitsch, Stand: 1. 4. 2018, § 45 Rn. 35, 37 jeweils m.w.N.).
Nicht abschließend entschieden werden muss im vorliegenden Fall, ob nicht bereits aus prozessualen Gründen eine Ergänzung der Ermessenserwägungen der Versammlungsbehörde in der Situation einer Fortsetzungsfeststellungsklage gemäß § 113 Abs. 1 Satz 4 VwGO analog ausscheidet. Zwar geht – soweit ersichtlich – die herrschende Meinung und Rechtsprechung von der Anwendbarkeit des § 114 Satz 2 VwGO auch in den Fällen der Fortsetzungsfeststellungsklage aus (vgl. BVerwG, B.v. 15.3.2000 – 2 B 98.99 – NVwZ 2000, 1186; Decker in BeckOK VwGO, a.a.O., § 114 Rn. 1; Gerhardt in Schoch/Schneider/Bier, a.a.O., § 114 Rn. 12d; H. A. Wolff in Sodan/Ziekow, a.a.O., § 114 Rn. 34; Rennert in Eyermann, a.a.O., § 114 Rn. 6). Das dafür angeführte Wortlautargument „hinsichtlich des Verwaltungsakts“ erscheint dem Senat allerdings aus den bereits oben unter 2.2. dargelegten Gründen gerade in der vorliegenden prozessualen Konstellation wenig überzeugend (im Ergebnis so auch OVG NW, B.v. 20.2.2001 – 18 A 1520/92 – NVwZ 2001,1424). Unabhängig davon stellt das im Berufungsverfahren mit Schriftsatz des Beklagten vom 15. Januar 2018 vorgenommene Nachschieben von Ermessenserwägungen auch keine bloße „Ergänzung“ im Sinne dieser prozessualen Bestimmung dar, sondern entspricht vielmehr einer erstmaligen Begründung der Ermessensentscheidung.
Einer Ergänzung der Ermessenserwägungen mit heilender Rückwirkung (ex tunc) nach Erledigung des versammlungsrechtlichen Verwaltungsakts (hier: der angefochtenen Beschränkung) stehen jedenfalls die bereits oben angeführten materiell-rechtlichen Gründe entgegen (im Ergebnis so auch OVG NW, a.a.O.; zweifelnd: Rennert in Eyermann, a.a.O., § 114 Rn. 88; offen gelassen: BVerwG, U.v. 20.6.2013 – 8 C 46.12 – juris Rn. 32 im Fall eines für einen bereits abgelaufenen Zeitraum erledigten Dauerverwaltungsakts), auf die zur Vermeidung von Wiederholungen ebenfalls Bezug genommen wird.
Auf die weiteren im Verwaltungsstreitverfahren ausführlich erörterten materiellen Fragen insbesondere zur Bestimmtheit der streitbefangenen Beschränkung kommt es nach alledem nicht mehr entscheidungserheblich an.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO.
Der Ausspruch über die vorläufige Vollstreckbarkeit stützt sich auf § 167 VwGO in Verbindung mit §§ 708 ff. ZPO.
Die Revision ist nicht zuzulassen, weil die Voraussetzungen des § 132 Abs. 2 VwGO nicht vorliegen.

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