Aktenzeichen 117/20
Art 28 Abs 1 GG
Art 80 Abs 1 S 2 GG
Art 100 Abs 1 GG
Art 103 Abs 2 GG
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Leitsatz
1. Die Bestimmungen der §§ 28, 28a IfSG in der Fassung vom 18. November 2020 sind mit dem Parlamentsvorbehalt des Grundgesetzes und den Bestimmtheitsgeboten nach Art. 80 Abs. 1 Satz 2 und Art. 103 Abs. 2 GG vereinbar.
2. Das Verbot des Ausschanks und Konsums von Alkohol im öffentlichen Raum nach § 3a der 3. ThürSARS-CoV-2-SonderEindmaßnVO in der Fassung vom 14. Dezember 2020 wahrte nicht die Anforderungen der gesetzlichen Ermächtigungsgrundlage und war daher wegen des Verstoßes gegen das Rechtsstaatsprinzip nach Art. 44 Abs. 1 Satz ThürVerf verfassungswidrig und nichtig.
3. Das nächtliche Ausgangsverbot nach § 3b Abs. 1 der 3. ThürSARS-CoV-2-SonderEindmaßnVO war nur nach Maßgabe der Gründe (Begriff der Wohnung, Begriff des Verlassens der Wohnung, Beweislast bei Verstößen) mit der Thüringer Verfassung vereinbar.
4. Zum Schutz des Grundrechts der körperlichen Bewegungsfreiheit kommen allgemeine Ausgangsbeschränkungen nur als ultima ratio in Betracht, wenn andere Schutzmaßnahmen nicht mehr ausreichen, um die Verbreitung einer Ansteckungskrankheit wirksam einzudämmen.
5. Die Ausnahmeregelungen aufgrund § 3b Abs. 2 der 3. ThürSARS-CoV-2-SonderEindmaßnVO waren durchweg verfassungsrechtlich zwingend geboten und dienten dem Schutz anderweitiger, dem Infektionsschutz gleichrangiger Rechtsgüter.
6. Nicht angemessen und insoweit verfassungswidrig war das nächtliche Ausgangsverbot, soweit es auch einzelnen Personen das Verlassen der Wohnung untersagte, um sich allein im Freien zu bewegen.
7. Die anlässlich Silvester 2020 bestehenden Verbote zum Verkauf und Abbrennen von Feuerwerkskörpern nach § 6a der 3. ThürSARS-CoV-2-SonderEindmaßnVO waren mit der Thüringer Verfassung vereinbar.
Verfahrensgang
vorgehend Thüringer Verfassungsgerichtshof, 28. Dezember 2020, 118/20, Beschluss
Tenor
1. § 3a der Dritten Thüringer Verordnung über außerordentliche Sondermaßnahmen zur Eindämmung einer sprunghaften Ausbreitung des Coronavirus SARS-CoV-2 vom 14. Dezember 2020 war nichtig.
2. Das Verbot des Ausschanks von Alkohol im öffentlichen Raum nach § 3a der Dritten Thüringer Verordnung über außerordentliche Sondermaßnahmen zur Eindämmung einer sprunghaften Ausbreitung des Coronavirus SARS-CoV-2 vom 14. Dezember 2020 in der Fassung der Thüringer Verordnung zur teilweisen weiteren Verschärfung außerordentlicher Sondermaßnahmen zur Eindämmung einer sprunghaften Ausbreitung des Coronavirus SARS-CoV-2 und gefährlicher Mutationen und zur Änderung der Zweiten Thüringer SARS-CoV-2-Infektionsschutz-Grundverordnung sowie der Fünften Thüringer Quarantäneverordnung vom 25. Januar 2021 war nichtig.
3. § 3b der Dritten Thüringer Verordnung über außerordentliche Sondermaßnahmen zur Eindämmung einer sprunghaften Ausbreitung des Coronavirus SARS-CoV-2 vom 14. Dezember 2020 war nichtig, soweit dieser das Verlassen der Wohnung oder Unterkunft zum Zweck der durch eine Person im Freien allein ausgeübten körperlichen Bewegung untersagte.
4. Im Übrigen wird der Normenkontrollantrag zurückgewiesen.
5. Der Freistaat Thüringen hat der Antragstellerin ein Drittel ihrer notwendigen Auslagen zu erstatten.
Gründe
A.
I. Die Antragstellerin ist die AfD-Fraktion im Thüringer Landtag. Sie hält §§ 3a, 3b und 6a der Dritten Thüringer Verordnung über außerordentliche Sondermaßnahmen zur Eindämmung einer sprunghaften Ausbreitung des Coronavirus SARS-CoV-2 vom 14. Dezember 2020 (Dritte Thüringer SARS-CoV-2-Sondereindämmungsmaßnahmenverordnung – 3. ThürSARS-CoV-2-SonderEindmaßnVO) wegen Unvereinbarkeit mit der Verfassung des Freistaats Thüringen für nichtig.
II. Am 14. Dezember 2020 erließen die Ministerin für Arbeit, Soziales, Gesundheit, Frauen und Familie sowie der Minister für Bildung, Jugend und Sport die Thüringer Verordnung zur Fortschreibung und Verschärfung außerordentlicher Sondermaßnahmen zur Eindämmung einer sprunghaften Ausbreitung des Coronavirus SARS-CoV-2 sowie zur Ergänzung der allgemeinen Infektionsschutzregeln. Diese Verordnung trat am 15. Dezember 2020 in Kraft und wurde am 18. Dezember 2020 im Gesetz- und Verordnungsblatt für den Freistaat Thüringen verkündet (GVBl. 2020, S. 631).
Art. 1 dieser Verordnung enthielt die Dritte Thüringer SARS-CoV-2-Sondereindämmungsmaßnahmenverordnung. Deren §§ 3a, 3b und 6a hatten folgenden Wortlaut:
§ 3a
Alkoholausschank und Alkoholkonsum
Ausschank und Konsum von Alkohol im öffentlichen Raum sind untersagt.
§ 3b
Ausgangsbeschränkung
(1) Das Verlassen der Wohnung oder Unterkunft ist mit Ablauf des 15. Dezember 2020 in der Zeit von 22 Uhr bis 5 Uhr des Folgetages ohne triftigen Grund untersagt.
(2) 1Triftige Gründe im Sinne des Absatzes 1 sind insbesondere:
1. die Abwendung einer Gefahr für Leib oder Leben, medizinische Notfälle, insbesondere bei akuter körperlicher oder seelisch-psychischer Erkrankung, bei Verletzung oder bei Niederkunft,
2. die notwendige Pflege und Unterstützung kranker oder hilfsbedürftiger Menschen sowie die notwendige Fürsorge für minderjährige Menschen,
3. die Begleitung sterbender Menschen und von Personen in akut lebensbedrohlichen Zuständen,
4. die Wahrnehmung eines Umgangs- oder Sorgerechts,
5. der Besuch von Ehe- und Lebenspartnern sowie Partnern einer nichtehelichen Lebensgemeinschaft
6. dienstliche, amtliche oder sonstige hoheitliche Tätigkeiten, insbesondere der Feuerwehren, der Rettungsdienste oder des Katastrophenschutzes, sowie die öffentlich-rechtliche Leistungserbringung,
7. die Ausübung beruflicher Tätigkeiten und kommunalpolitischer Funktionen einschließlich des hierfür erforderlichen Weges zur Notbetreuung nach § 10 Abs. 4 Satz 1 oder Abs. 5 Satz 3,
8. die Abwendung von Gefahren für Besitz und Eigentum,
9. die notwendige Versorgung von Tieren sowie veterinärmedizinischer Notfälle,
10. die Jagd zur Vorbeugung und Bekämpfung der Afrikanischen Schweinepest,
11. die Durchfahrt durch Thüringen im überregionalen öffentlichen Personenverkehr oder in Kraftfahrzeugen,
12. die Teilnahme an besonderen religiösen Zusammenkünften anlässlich hoher Feiertage,
13. der Schutz vor Gewalterfahrung sowie
14. weitere wichtige und unabweisbare Gründe.
2Absatz 1 gilt nicht im Zeitraum
1. vom 24. Dezember 2020 bis zum Ablauf des 26. Dezember 2020 sowie
2. von 22 Uhr des 31. Dezember 2020 bis einschließlich 3 Uhr des Folgetages.
(3) 1Wird der Inzidenzwert von 200 Neuinfektionen auf 100 000 Einwohner innerhalb von sieben Tagen in Thüringen an fünf aufeinanderfolgenden Tagen unterschritten, können die unteren Gesundheitsbehörden von den Ausgangsbeschränkungen abweichende Allgemeinverfügungen erlassen, wenn der Inzidenzwert von 200 Neuinfektionen auf 100 000 Einwohner innerhalb von sieben Tagen im Landkreis oder der kreisfreien Stadt an fünf aufeinanderfolgenden Tagen unterschritten wird und die Ausgangsbeschränkung nicht weiterhin zur Bekämpfung der COVID-19-Pandemie erforderlich ist. 2Maßgeblich für den Inzidenzwert nach Satz 1 sind die veröffentlichten Zahlen des tagesaktuellen Lageberichts des Robert Koch-Instituts.
§ 6a
Pyrotechnik, Jahreswechsel
(1) Der Verkauf von pyrotechnischen Gegenständen vor dem Jahreswechsel des Jahres 2020 zum Jahr 2021 ist verboten.
(2) Jeder Person wird empfohlen, in der Zeit vom 31. Dezember 2020 bis zum Ablauf des 1. Januar 2021 auf das Abbrennen von pyrotechnischen Gegenständen zu verzichten.
(3) In der Zeit vom 31. Dezember 2020 bis zum Ablauf des 1. Januar 2021 ist das Abbrennen pyrotechnischer Gegenstände im öffentlichen Raum in den nach § 5 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 und 3 festgelegten Bereichen unzulässig.
(4) Veranstaltungen im öffentlichen Raum zur Begehung des Jahreswechsels, insbesondere solche mit Vergnügungs- und Freizeitcharakter sowie solche, bei denen pyrotechnische Gegenstände abgebrannt werden sollen, sind untersagt.
Der in Bezug genommene § 5 hatte folgenden Wortlaut:
§ 5
Erweiterte Pflicht zur Verwendung einer Mund-Nasen-Bedeckung
(1) 1Ergänzend zu § 6 Abs. 1 und 2 2. ThürSARS-CoV-2-IfS-GrundVO gilt die Verpflichtung zur Verwendung einer Mund-Nasen-Bedeckung auch
1. in allen geschlossenen Räumen, die öffentlich zugänglich sind oder bei denen Besuchs- und Kundenverkehr (Publikumsverkehr) besteht,
2. an allen nach Satz 2 festgelegten und gekennzeichneten Orten mit Publikumsverkehr in Innenstädten und in der Öffentlichkeit unter freiem Himmel, an denen sich Personen entweder auf engem Raum oder nicht nur vorübergehend aufhalten,
3. vor Einzelhandelsgeschäften und auf Parkplätzen,
(…)
2Die zuständigen Behörden nach § 2 Abs. 3 ThürIfSGZustVO legen die Orte nach Satz 1 Nr. 2 fest und kennzeichnen diese. (…)
(2) § 6 Abs. 3 bis 5 2. ThürSARS-CoV-2-IfS-GrundVO gilt entsprechend.
Nach § 17 der 3. ThürSARS-CoV-2-SonderEindmaßnVO traten die Regelungen mit Ablauf des 10. Januar 2021 außer Kraft. Durch Art. 1 der Thüringer Verordnung zur nochmaligen Verschärfung außerordentlicher Sondermaßnahmen zur Eindämmung einer sprunghaften Ausbreitung des Coronavirus SARS-CoV-2, zur Verlängerung der allgemeinen Infektionsschutzregeln sowie zur Verlängerung und Änderung der Fünften Thüringer Quarantäneverordnung vom 9. Januar 2021 (GVBl. 2021, S. 1; im Folgenden: Verordnung vom 9. Januar 2021) wurde die Dritte Thüringer SARS-CoV-2-Sondereindämmungsmaßnahmenverordnung in Teilen geändert und ihre Geltungsdauer bis zum 31. Januar 2021 verlängert. Die Änderungen betrafen auch die Ausgangsbeschränkungen nach § 3b, während die Verbote zur Verwendung pyrotechnischer Gegenstände anlässlich des Jahreswechsels aufgehoben wurden. § 6a der 3. ThürSARS-CoV-2-SonderEindmaßnVO wurde vollständig neu gefasst und sah nunmehr Regelungen zum Infektionsschutz bei Versammlungen vor (vgl. Art. 1 Ziff. 4 und 8 der Verordnung vom 9. Januar 2021). Sie traten am 10. Januar 2021 in Kraft.
Eine neuerliche Verlängerung der Geltungsdauer dieser Maßnahmen bis zum 14. Februar 2021 erfolgte mit Art. 1 Ziffer 16 der Thüringer Verordnung zur teilweisen weiteren Verschärfung außerordentlicher Sondermaßnahmen zur Eindämmung einer sprunghaften Ausbreitung des Coronavirus SARS-CoV-2 und gefährlicher Mutationen und zur Änderung der Zweiten Thüringer SARS-CoV-2-Infektionsschutz-Grundverordnung sowie der Fünften Thüringer Quarantäneverordnung vom 25. Januar 2021 (GVBl. 2021, S. 57, im Folgenden: Verordnung vom 25. Januar 2021). Diese Verordnung, die nach ihrem Art. 4 am 26. Januar 2021 in Kraft trat, zog auch Änderungen der §§ 3a und 3b der 3. ThürSARS-CoV-2-SonderEindmaßnVO nach sich (vgl. Art. 1 Ziff. 3 und 4 der Verordnung vom 25. Januar 2021). Nunmehr lautete § 3a der Verordnung vom 25. Januar 2021:
“§ 3a Alkoholausschank und Alkoholkonsum
Der Ausschank von Alkohol im öffentlichen Raum ist untersagt. Der Konsum von Alkohol ist im öffentlichen Raum in den nach § 5 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 in Verbindung mit Satz 2 und § 5 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 festgelegten und gekennzeichneten Bereichen untersagt. Ergänzend können weitere Bereiche entsprechend der in § 5 Abs. 1 Satz 2 geregelten Art und Weise festgelegt und gekennzeichnet werden, in denen der Konsum von Alkohol untersagt ist.
Eine weitere Verlängerung der Maßnahmen bis zum 19. Februar 2021 erfolgte durch Art. 2 Ziffer 6 der Thüringer Verordnung zur weiteren Eindämmung einer sprunghaften Ausbreitung des Coronavirus SARS-CoV-2 sowie gefährlicher Mutationen vom 2. Februar 2021 (GVBl. 2021, S. 65).
Die nächtlichen Ausgangsbeschränkungen aufgrund des § 3b der 3. ThürSARS-CoV-2-SonderEindmaßnVO wurden mit Wirkung vom 19. Februar 2021 aufgehoben (vgl. Art. 1 Ziffer 2 i. V. m. Art. 4 der Thüringer Verordnung zur weiteren Eindämmung einer sprunghaften Ausbreitung des Coronavirus SARS-CoV-2 sowie gefährlicher Mutationen vom 18. Februar 2021, GVBl. 2021, S. 95).
Nach weiteren Verlängerungen endete die Geltung der 3. ThürSARS-CoV-2-SonderEindmaßnVO am 31. März 2021 (vgl. Art. 1 Ziffer 13 der Thüringer Verordnung zur Anpassung der Infektionsschutzmaßnahmen zur Eindämmung einer weiteren sprunghaften Ausbreitung des Coronavirus SARS-CoV-2 sowie gefährlicher Mutationen vom 12. März 2021).
III. Die verfahrensgegenständlichen Regelungen begründete der Verordnungsgeber auf seiner Internetseite wie folgt:
Begründung zur Thüringer Verordnung zur Fortschreibung und Verschärfung außerordentlicher Sondermaßnahmen zur Eindämmung einer sprunghaften Ausbreitung des Coronavirus SARS-CoV-2 sowie zur Ergänzung der allgemeinen Infektionsschutzregeln
Vom 14. Dezember 2020
A. Allgemeines
Der in den letzten Wochen zu verzeichnende Anstieg von Infektionen innerhalb Deutschlands aber auch insbesondere in Thüringen erfordern ein unverzügliches und konsequentes Handeln. In der 50. Kalenderwoche mit Stichtag 10. Dezember 2020 hat Thüringen bundesweit die zweithöchste landesweite 7-Tage Inzidenz (192,0 Fälle/ 100 000 Einwohner) hinter Sachsen. Damit wurde bereits im Landesdurchschnitt der Schwellenwert von 200 erreicht, die im Erlass des Thüringer Ministeriums für Arbeit, Soziales, Gesundheit, Familie und Frauen über die Arbeitsweise der unteren Gesundheitsbehörden und die Durchführung weitergehender infektionsschutzrechtlicher Maßnahmen, insbesondere Allgemeinverfügungen, zur Eindämmung örtlicher Brennpunkte und eines allgemein erhöhten Infektionsgeschehens (Thüringer Corona-Eindämmungserlass) vom 1. Dezember 2020 definiert ist. Dies ist zum einen geboten, um die zunehmenden schweren Krankheitsverläufe und die gestiegene Anzahl an Todesfällen durch Covid19 einzudämmen, zum anderen um einer Überlastung des Gesundheitssystems zuvorzukommen. Die Auslastung der Intensivbetten durch COVID-19 erkrankte Personen ist im Hinblick auf invasiv beatmete Patient*innen von 39,77% (Stichtag 2. Dezember 2020) auf 45,56% angestiegen. Gleichzeitig ist ein hoher genereller Belegungstand von Intensivbetten festzustellen. Zum genannten Stichtag waren 604 Intensivbetten im Freistaat belegt, nur noch 160 frei. Zahlreiche Krankenhäuser haben ihre Kapazitätsgrenzen erreicht, insbesondere im Bereich der regionalen Hotspots.
Ein massiver Personalmangel hat sich einerseits im Krankenhausbereich und in der Pflege, andererseits im Bereich des öffentlichen Gesundheitsdienstes abgezeichnet. Es ist aufgrund der hohen Inzidenzzahlen nicht mehr sichergestellt, dass die erforderlichen und für die Eindämmung wichtigen Kontaktnachverfolgungen durch die Gesundheitsbehörden durchgeführt werden können. In großem Umfang wurde praktisch in allen Landkreisen und kreisfreien Städten personelle Unterstützung von Soldat*innen der Bundeswehr angefordert.
Im Rahmen der Telefonschaltkonferenz der Bundeskanzlerin mit den Regierungschefinnen und Regierungschefs der Länder (MPK) am 13. Dezember 2020 wurden weitere, tiefgreifende Maßnahmen zur Kontaktbeschränkung vereinbart. Als Ziel wurde insbesondere angesehen, die Neuinfektionen so stark einzudämmen, dass eine Kontaktnachverfolgung zur Feststellung der Infektionsketten durch den öffentlichen Gesundheitsdienst wieder ermöglicht wird.
Die zunächst vorgesehenen Lockerungen für die Zeit der Feiertage sind im Hinblick darauf nicht bzw. in deutlich geringerem Umfang möglich. Grundsätzlich bleiben die Regelungen der seit der Konferenz von 2. Dezember 2020 geltenden Eindämmungsverordnung weiterhin bestehen.
Durch diese Verordnung wird erneut in erheblichem Umfang in Grundrechte der Bürger*innen eingegriffen.
Die Verordnung sieht erstmals eine landesweite Ausgangsbeschränkung zur Nachtzeit vor. Die gegenwärtige sehr hohe Inzidenz im Landesdurchschnitt rechtfertigt diese einschneidende Maßnahme, zumal regionale Einzelregelungen bei einem Rückgang der Inzidenz die Aufrechterhaltung dieser einschneidenden Maßnahme auf den absolut notwendigen Umfang begrenzt.
Besonders hervorzuheben ist ferner die Schließung zahlreicher Geschäfte, Gewerbebetriebe und bestimmter Dienstleistungen in weitaus größerem Maße als in der derzeit gültigen Verordnung. Demgegenüber steht allerdings der Schutz überragender Grundrechte von Leib und Leben einer unbestimmt großen Zahl von Personen, insbesondere vor dem Hintergrund der Aufrechterhaltung der Gesundheitssysteme des Landes. Dabei ist hinsichtlich der Verhältnismäßigkeit gebotenen Abwägung zu unterscheiden, ob bestimmte Schließungen einerseits erforderlich sind, andererseits die Schließung gegenüber anderen nicht geschlossenen Einrichtungen keine willkürliche Maßnahme darstellt.
Grundsätzlich sind aufgrund der bestehenden hohen Infektionszahlen und dem Gebot der Kontaktbeschränkungen Zusammenkünfte weitestgehend zu vermeiden und lediglich solche unter den gebotenen infektionsschutzrechtlichen Maßnahmen zuzulassen, die für die Versorgung der Bevölkerung essentiell notwendig sind. D.h., dass alle nicht hierfür notwendigen Aktivitäten untersagt werden. Die in dieser Folge eintretenden Eingriffe und Beschränkungen von Rechtspositionen von Gewerbetreibenden, Veranstalter*innen und letztlich auch aller Bürger*innen müssen hingenommen werden, um die weit überragenden, grundrechtlich geschützten Positionen der öffentlichen Gesundheit und des Infektionsschutzes zu gewährleisten.
In den Bereichen Bildung und Jugend werden im Rahmen des landesweiten Lockdowns Schullandheime, Einrichtungen der Erwachsenenbildung, Einrichtungen der Kinder- und Jugendhilfe mit Beherbergungsbetrieb, Schulen, Kindertageseinrichtungen und Kindertagespflege geschlossen.
Alle Schüler*innen in Thüringen werden vom 16. bis 22. Dezember 2020 und vom 4. bis 8 Januar 2021 im häuslichen Lernen unterrichtet. Dabei sind die Vorgaben des Thüringer Ministeriums für Bildung, Jugend und Sport in der Handreichung Häusliches Lernen vom 15. September 2020 zu beachten. Der Präsenzunterricht wird für diese Zeit ausgesetzt. Unaufschiebbare Leistungsnachweise im Hinblick auf die im Schuljahr 2020/21 angestrebten Schulabschlüsse, können unter Einhaltung der Hygienebestimmungen in Präsenzform erbracht werden.
Für Schüler*innen der Klassenstufen 1 bis 6 und der Förderschulen sowie in der Kindertagesbetreuung wird bei Bedarf eine Notbetreuung unter Beachtung der Hygiene- und Infektionsschutzkonzepte angeboten. Die Notbetreuung steht Kindern offen, deren Eltern selbst keine anderweitige Betreuung sicherstellen können. Dies gilt unabhängig vom ausgeübten Beruf der Eltern. Die Notbetreuung findet an den Tagen statt, an denen Schulhort, Schule oder Kindertageseinrichtung jeweils geöffnet gewesen wären. Zur Kontaktminimierung gilt der Grundsatz, dass die Kinder wann immer möglich zu Hause betreut werden. Der Anspruch der Kinder und Schüler*innen auf Betreuung nach § 2 Abs. 1 Satz 1 und 2 sowie Abs. 2 ThürKigaG und § 10 Abs. 2 ThürSchulG wird dabei eingeschränkt.
Nichtschulische Bildungsveranstaltungen in Präsenzform an Musik- und Jugendkunstschulen, Volkshochschulen und anderen Einrichtungen der Erwachsenenbildung sind ebenfalls zunächst bis zum 10. Januar 2021 untersagt.
Im Sportbereich wird der organisierte Vereins- und Breitensport einschließlich des Kinder- und Jugendsports untersagt. Möglich bleibt weiterhin der Individualsport im Freien, der Profisport sowie das Training für Kaderathleten. Geplante Veranstaltungen des Winterleistungssports und andere Sportveranstaltungen können ohne Zuschauer und unter Einhaltung strenger Hygienekonzepte stattfinden.
Artikel 1 regelt die neuen zur Bekämpfung der Pandemie notwendigen Bestimmungen, durch eine neue komplett überarbeitete und verschärfte Sondereindämmungsverordnung. Im Rahmen von Art. 1 wird der Teil der Verordnung in Abschnitt 2 – Allgemeine Sondereindämmungsmaßnahmen – von dem Ministerium für Arbeit, Soziales, Gesundheit, Frauen und Familie erlassen, Abschnitt 3 – Sondereindämmungsmaßnahmen für die Bereiche Bildung, Jugend und Sport – hingegen von dem Ministerium für Bildung, Jugend und Sport. Der Vierte Abschnitt – Ordnungswidrigkeiten – ist von dem Ministerium erlassen, um dessen Ge- oder Verbotsnorm aus dem jeweiligen Abschnitt es geht. Der Erste und Fünfte Abschnitt werden von dem jeweils zuständigen Ministerium erlassen (vgl. z.B. § 1 Abs. 1 und § 14 der Verordnung „jeweils die Bestimmungen“ und „ihrer jeweiligen Zuständigkeit“).
Artikel 2 sieht Änderungen bzw. Ergänzungen der Zweiten Thüringer SARS CoV-2 Infektionsschutz Grundverordnung vom 7. Juli 2020, geändert am 18. August und 20. Oktober 2020 (im Folgenden GrundVO genannt) durch die Einführung neuer elektronischer Möglichkeiten der Kontaktnachverfolgung vor.
Artikel 3 verlängert die Geltungsdauer der Fünften Thüringer Quarantäneverordnung
Die Geltungsdauer orientiert sich an § 28a Abs. 5 Satz 2 IfSG, wobei im Hinblick auf die Intensität der Beschränkungen eine ständige Kontrolle der Erforderlichkeit besteht.
B. Zu den einzelnen Bestimmungen
Zu Artikel 1
Dritte Thüringer Verordnung über außerordentliche Sondermaßnahmen zur Eindämmung einer sprunghaften Ausbreitung des Coronavirus SARS-CoV-2 (Dritte Thüringer SARS-CoV-2-Sondereindämmungsmaßnahmenverordnung -3. ThürSARS-CoV-2-SonderEindmaßnVO-)
(…)
Zu § 3a
Alkoholkonsum fördert zum einen eine unerwünschte oder verbotene Gruppenbildung, insbesondere im öffentlichen Raum. Mit zunehmendem Alkoholgenuss sinkt die Bereitschaft, sich verantwortungsvoll zu verhalten und notwendige Kontakt- und Abstandsregeln einzuhalten. Gerade während der arbeitsfreien Feiertage besteht die Gefahr einer alkoholbedingten Gruppenbildung. Um dies zu vermeiden verbietet § 3a sowohl den Ausschank als auch den Genuss bzw. Konsum alkoholhaltiger Getränke oder Waren.
Zu § 3b
Zur Eindämmung und Bekämpfung der sprunghaften Ausbreitung des SARS-CoV-2-Virus, aber mittelbar auch als wichtiger Beitrag zur Aufrechterhaltung der Funktionsfähigkeit des Gesundheitswesens, insbesondere der Intensivpflege und der Beatmungsmöglichkeiten in Thüringen, aber auch bei bundesweiter Betrachtung, wird in die Verordnung eine nächtliche Ausgangsbeschränkung als weitere wichtige Schutzmaßnahme zur Durchsetzung einer wirksamen Kontaktreduzierung für eine Vielzahl von Menschen neu aufgenommen. Wie eingangs ausgeführt, sind die 7-Tage-Inzidenzen in Thüringen, aber ebenso in den benachbarten Bundesländern, insbesondere in Sachsen und Bayern, besorgniserregend hoch. Der bereits intensiv angelaufene Vorweihnachtsbetrieb mit seinen üblicherweise äußerst geselligen, d.h. kontaktintensiven privaten, vereinsmäßigen und betrieblichen Weihnachtsfeiern, adventlichen und kirchlichen Zusammenkünften, auch mit Gesang, übervollen Innenstädten und überfüllten Einzelhandelsgeschäften jeglicher Art erweist sich in der Gesamtschau als der Infektionstreiber schlechthin.
Dazu kommt die brisante aktuelle Lage des Infektionsgeschehens in Thüringen. Die Inzidenzen liegen aktuell im landesweiten Durchschnitt (Stand 13. Dezember 2020) bei 234,7 Neuinfektionen pro 100.000 Einwohner in sieben Tagen. Regional erreichen die Inzidenzen in Thüringen nach dem Lagebericht des Robert Koch-Instituts vom 13. Dezember 2020 zu den 7-Tage-Inzidenzen in den Landkreisen sowie nach dem Bericht („Linelist“) des Thüringer Landesamtes für Verbraucherschutz zu den aktuellen Infektionszahlen und Inzidenzen Stand 14. Dezember 2020 in mehreren Landkreisen und kreisfreien Städten extreme Werte bei den Neuinfektionen, die ein sprunghaftes und kaum noch kontrollierbares Infektionsgeschehen belegen. Beispielsweise liegt die 7-Tage-Inzidenz in dem derzeit am schlimmsten betroffenen Landkreis Altenburger Land bei 446 Neuinfektionen pro 100.000 Einwohner, im Landkreis Hildburghausen bei 427, im Landkreis Sonneberg bei 381, im Saale-Orla-Kreis bei 368, im Unstrut-Hainich-Kreis bei 316, im Landkreis Saalfeld-Rudolstadt bei 307 und im Landkreis Greiz bei 257, außerdem in den kreisfreien Städten Suhl bei 380,5 und Gera bei 309, aber auch in Jena bei immerhin noch 213 Neuinfektionen. Diese extremen Werte in der 7-Tage-Inzidenz lassen derzeit keine nennenswerte Tendenz zu sinkenden Infektionszahlen oder gar einer Trendumkehr erkennen.
Im Übrigen lassen die Belegungszahlen im stationären und Intensivbereich, aber auch bei den Beatmungsplätzen bereits derzeit die beunruhigende Tendenz erkennen, dass die noch freien Kapazitäten sich zumindest regional bereits der voraussichtlichen Grenze der personellen und kapazitätsmäßigen Auslastung nähern. Rechnet man noch einen epidemiologischen „Bremsweg“ der aktuell erlassenen Schutzmaßnahmen von 10 bis 14 Tagen hinzu, dann besteht schon zum gegenwärtigen Zeitpunkt die begründete Besorgnis, dass die Intensivkapazitäten bei weiterhin starker Ausbreitung der SARS-CoV-2-Infektionszahlen ohne deutliche verschärfte Maßnahmen wie u.a. die Ausgangsbeschränkung nach § 3b durch schwer kranke Coronavirus-19-Patienten deutlich überfordert werden und die ordnungsgemäße Behandlung einer Vielzahl von kranken Menschen offensichtlich nicht mehr sachgerecht gewährleistet ist bis hin zur drohenden Notwendigkeit einer Triage von erkrankten Personen. Vor diesem Hintergrund ist der Zusammenbruch des öffentlichen Gesundheitssystems binnen Wochen und sehr konkret zu befürchten.
In der Gesamtabwägung zwischen erforderlicher Eindämmung und Bekämpfung der weiteren sprunghaften und exponentiellen Ausbreitung des SARS-CoV-2-Virus zum Schutz von Leben und Gesundheit einer Vielzahl von Menschen mit den gegenläufigen verfassungsmäßigen Freiheits- und Grundrechten von Bürger*innen und Wirtschaft, die ebenfalls großes Gewicht besitzen, zumal mit Blick auf die bisherige Gesamtdauer von ganz unterschiedlichen Corona-Schutzmaßnahmen, im Rahmen der Grundsätze praktischer Konkordanz erscheint derzeit die Ausgangsbeschränkung nach § 3b in der wertenden Gesamtschau geeignet, erforderlich und auch verhältnismäßig, um die unmittelbar drohenden ganz außerordentlichen Infektionsgefahren wirksam abzuwehren und zu bekämpfen.
Zu Absatz 1:
Absatz 1 führt eine nächtliche Ausgangsbeschränkung für die Zeit von 22.00 Uhr bis 5.00 Uhr ein. Ohne „triftigen Grund“ ist das Verlassen der Wohnung oder Unterkunft verboten. Diese Ausgangsbeschränkung unterscheidet sich aber von der strengeren Ausgangssperre dadurch, dass die Gründe, die ein Verlassen des eigenen Bereichs rechtfertigen, im Zeitpunkt des aktuellen Infektionsgeschehens noch den betroffenen Menschen zumindest gewisse Spielräume belassen, die so bei einer Ausgangssperre regelmäßig nicht mehr gegeben wären. Die „triftigen Gründe“ werden in Absatz 2 im Einzelnen bestimmt (dazu im Einzelnen unten).
Der Begriff der „Wohnung“ knüpft unmittelbar an den verfassungsrechtlichen Schutzbereich des Art. 13 Abs. 1 GG, Art. 8 Abs. 1 der Verfassung des Freistaats Thüringen an, ist aber, wie die Ergänzung „Unterkunft“ zeigt, enger konzipiert. Beispielsweise sind auch Betriebs- und Geschäftsräume, die an sich auch in den Schutzbereich der vorgenannten Grundrechte fallen, nach Sinn und Zweck des Absatzes 1 ausgenommen. Tatbestandlich geht es vorrangig um die Festschreibung der „eigenen Häuslichkeit“ bzw. um die „eigenen vier Wände“, also um den Kernbereich privaten Lebens und höchstpersönlicher Lebensgestaltung. Dabei dient die Formulierung „Unterkunft“ der redaktionellen Klarstellung, dass auch besondere Wohnformen wie Studentenwohnheime, Migrationsunterkünfte, Aufnahmestellen, betreutes Wohnen, Zimmer in Altenpflegeheimen, Unterkünfte in Kasernen und Obdachlosenheime ebenfalls zur „Wohnung“ im Sinne von § 3b Abs. 1 gehören. Auch sonstige besondere Unterbringungslagen können „Wohnung“ oder „Unterkunft“ sein, beispielsweise eine Geschäftsreisende mit ausländischer Staatsangehörigkeit, die sich z.B. infolge von Quarantänemaßnahmen oder aus anderen Gründen in einem Beherbergungsbetrieb aufhält bzw. aufhalten muss. Dadurch ist klargestellt, dass es sich bei der Regelung in Absatz 1 um ein Verbot des Aufenthalts im öffentlichen Raum bzw. in der Öffentlichkeit mit den zahlreichen, nicht kontrollierbaren Ansteckungsgefahren handelt. Der Aufenthalt muss nicht zwingend stets in der eigenen Wohnung erfolgen. Ein Aufenthalt ist auch in anderen Wohnungen zulässig unter der Voraussetzung, dass die allgemeinen Vorgaben nach § 3 Abs. 1 eingehalten werden. Beispielsweise ist das Übernachten bei einem nicht im gemeinsamen Haushalt lebenden Lebensgefährten nicht untersagt.
Aus infektionsschutzrechtlicher Sicht ist entscheidend, dass die Menschen ihren „Privatbereich“ nächtlich nicht verlassen, um die infektionsgefährlichen Kontakte durch abendliche Zusammenkünften und Besuche bei Freunde*innen, Kollegen*innen, Nachbar*innen, Verwandten usw. auf das absolute Minimum zu verringern. Durch diese Reduktion gesellschaftlicher Mobilität ist ein entscheidender Beitrag zur Eindämmung des Infektionsgeschehens zu erwarten.
Zu Absatz 2:
Absatz 2 führt die triftigen Gründe auf, die ausnahmsweise zum Verlassen der Wohnung oder Unterkunft berechtigen. Die Formulierung „insbesondere“ zeigt, dass diese Gründe nicht abschließend sind. Vorsorglich enthält Nummer 14 zusätzlich einen Auffangtatbestand für in den Nummern 1 bis 13 nicht ausdrücklich genannte triftige Gründe, um so etwaige unbillige und verfassungsrechtlich bedenkliche Härten zu vermeiden. Solche „Gründe“ orientieren sich in ihrer Wertigkeit an den explizit normierten triftigen Gründen.
In der praktischen Rechtsanwendung ist auch zu berücksichtigen, dass „triftige Gründe“ nach allgemeinen Grundsätzen von der Person, die sich auf das Vorliegen eines triftigen Grundes beruft, diesen Grund im Zweifel gegenüber der zuständigen Behörde (Ordnungsamt, Gesundheitsamt, Polizei) nachweisen muss. Die Verordnung lässt, anders als etwa in § 5 bei der Verpflichtung zur Verwendung von Mund-Nasen-Bedeckungen, keine bloße Glaubhaftmachung im Sinne einer nur überwiegenden Wahrscheinlichkeit des Vorliegens geltend gemachter Gründe zu. Aus infektionsschutzrechtlichen Erwägungen ist § 3b Abs. 2 also strenger konzipiert. Ein fehlgeschlagener Nachweis eines „triftigen Grundes“ geht zu Lasten der Bürgerin und des Bürgers und kann dann entsprechend durch Bußgelder empfindlich sanktioniert werden.
Nummer 1 enthält eine Notfallklausel. Die Ausgangsbeschränkung wird nicht um jeden Preis durchgesetzt. Konkrete Lebens- oder Gesundheitsgefahren nach Art. 2 Abs. 2 GG bei medizinischen Notfällen wiegen schwerer als die allgemeine Ansteckungsgefahr. Entsprechendes gilt für die weiteren Fallgruppen.
Nummer 2 lässt vor dem Hintergrund der verfassungsrechtlichen Wertungen der Art. 2 Abs. 2 Satz 1, Art. 6 GG und unter Kinder- und Jugendschutzgesichtspunkten eine Ausnahme zu. „Notwendige Pflege und Unterstützung“ umfasst z.B. die Lebensmittelversorgung oder Beschaffung und Verabreichung von Medikamenten für lebensältere, ggf. gebrechliche Menschen, aber auch haushaltsbezogene Tätigkeiten, etwa die Reinigungsarbeiten oder Wäschemachen.
Nummer 3 schützt Menschenwürde, Persönlichkeitsrecht und die Familie. Es geht um die Anwesenheit bei einem sterbenden Menschen „in der letzten Stunde“. Erforderlich ist eine hinreichende Todesnähe, ohne dass im Rahmen dieser Verordnung ein abschließender Kriterienkatalog oder konkrete Sterbesituationen benannt werden können. In der Praxis ist davon auszugehen und erforderlich, dass die zuständigen Behörden hier das gebotene Einfühlungsvermögen und Mitgefühl erkennen lassen.
Nummer 4 gewährleistet den verfassungsrechtlichen Schutz der Familie gerade auch bei den heutzutage oftmals anzutreffenden, aufgefächerten Familienmodellen.
Nummer 5 hat eine der Nummer 4 vergleichbare Ausrichtung für weitere höchstpersönliche und familiäre Beziehungen.
Nummer 6 dient der unverzichtbaren Aufrechterhaltung und Durchsetzung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung im öffentlichen Raum bzw. in der Öffentlichkeit und schafft für die Verwaltungstätigkeit des Staates und der Kommunen sowie der sonstigen hoheitlich handelnden Stellen und Einrichtungen den notwendigen Freiraum. Öffentlich-rechtliche Leistungserbringung ist die überwiegend kommunale Tätigkeit im Rahmen der Daseinsfür- und -vorsorge, z. B. die Aufrechterhaltung der Trinkwasser- und Stromversorgung oder der Abwasserentsorgung.
Nummer 7 sichert die berufliche Existenz der berufstätigen Bevölkerung und den wirtschaftlichen Fortbestand der Wirtschaftsbetriebe und der gewerblichen und sonstigen Einrichtungen und beruflichen Stellen in Thüringen. Insoweit wird insbesondere der Weg von und zur Arbeit von der Ausgangsbeschränkung ausgenommen, etwa bei Schichtarbeiter*innen oder Arbeitnehmer*innen in Kaufhallen, die bis in die Abendstunden geöffnet haben. Nummer 7 lässt Ausnahmen unmittelbar für die jeweilige berufliche Tätigkeit zu. Zu nennen wäre der nächtliche Lieferverkehr, Müllabfuhr, Gesundheits- und Rettungswesen, soweit nicht schon von Nummer 6 erfasst, Bäckereien, Tankstellen sowie sonstige Tätigkeiten im öffentlichen Interesse, die ohne Ausnahme nicht mehr möglich wären.
Nummer 8 eröffnet im Rahmen praktischer Konkordanz zum Eigentumsrecht die Möglichkeit, während der nächtlichen Ausgangsbeschränkung etwa bei einem Wasserrohrbruch nachts Instandsetzungs- und Sicherungsmaßnahmen durchzuführen oder ein offenstehendes Fenster in einem verantworteten Gebäude bei Unwetter oder Frost zu verschließen.
Nummer 9 sichert die Fütterung und die veterinärmedizinische Versorgung von Tieren. Inbegriffen ist hier die praktisch wichtige Möglichkeit, mit dem eigene Hund „Gassi“ zu gehen.
Nummer 10 trägt dem hohen öffentlichen Interesse an der Durchführung der Jagd auf Wildschweine zur Vorbeugung und Bekämpfung der Afrikanischen Schweinepest Rechnung. Die Bejagung leistet einen wichtigen Beitrag, die Tierbestände zu verringern und so der Ausbreitung dieser gefährlichen Tierseuche entgegenzuwirken. Üblicherweise werden Wildschweine in den Nachstunden bejagt.
Nummer 11 ermöglicht die infektionsschutzrechtlich unbedenkliche reine Durchfahrt durch das Hoheitsgebiet des Freistaats Thüringen für den überregionalen öffentlichen Personenverkehr sowie für den reinen Durchgangsverkehr in Kraftfahrzeugen auf überregionalen Strecken von Bundesstraßen und Bundesautobahnen. Andernfalls müsste jeder ICE an der Landesgrenze von Thüringen anhalten bzw. dürfte nicht oder nicht ohne Überprüfung durch Ordnungskräfte bzw. die Polizei durch Thüringen fahren. Entsprechendes würde an den Bundesautobahnen gelten. Zu berücksichtigen ist, dass für ein- oder durchreisende Personen ohne triftigen Grund nach Absatz 2 ein Ausstieg oder Halt innerhalb von Thüringen während der Zeit der nächtlichen Ausgangsbeschränkung strikt verboten ist.
Nummer 12 gewährleistet die weitest mögliche Ausübung der Religionsfreiheit nach Art. 4 GG, Art. 39 der Verfassung des Freistaats Thüringen unter den aktuell sehr ernsten Pandemiebedingungen. Der Freiraum betrifft den „Kirchgang“ der christlichen Kirchen anlässlich der Weihnachtsfeiertage ebenso wie das Weihnachtsfest der christlich-orthodoxen Glaubensgemeinschaft Anfang Januar, das Lichterfest (Chanukkah, Hanukkah) der jüdischen Gemeinschaft vom 10. bis 18. Dezember 2020 sowie Gottesdienste bzw. gleichstehende religiöse Zusammenkünfte einer jeden Glaubensgemeinschaft, namentlich der muslimischen Gemeinschaften, sei es aus Anlass hoher Feiertage, sei es im Rahmen der glaubensmäßig üblichen oder allgemein vorgegebenen religiösen Abläufe, Gepflogenheiten und Zusammenkünfte. Bei der Ausübung religiöser Rechte sind die allgemeinen Infektionsschutzregeln nach den §§ 3 bis 5 der Zweiten Thüringer SARS-CoV-2-Infektionsschutz-Grundverordnung und insbesondere die Einschränkung des Gemeindegesangs nach § 6 Abs. 3 dieser Verordnung zu beachten.
Nummer 13 gewährt Ausnahmen der Ausgangsbeschränkung zum Schutz vor Gewalterfahrungen.
Nummer 14 enthält den eingangs angesprochenen Auffangtatbestand, zu unabweisbaren Gründen zählen etwa Wohnungs- und Obdachlosigkeit.
Die Ausnahmen nach Satz 2 betreffen den Jahreswechsel und die Weihnachtsfeiertage, an denen die Ausgangsbeschränkung nicht gilt.
Zu Absatz 3:
Absatz 3 gewährleistet aus verfassungsrechtlichen Gründen, insbesondere im Interesse der rechtsstaatlichen Verhältnismäßigkeit, eine schnelle, flexible, an örtliche Besonderheiten angepasste vollständige oder teilweise, ggf. auf Teile des Zuständigkeitsbereichs beschränkte Lockerung der Ausgangsbeschränkung nach § 3b Abs. 1. Zu diesem Zweck können Landkreise und kreisfreie Städte als zuständige Infektionsschutzbehörden nach § 2 Abs. 3 ThürIfSGZustVO abweichende Allgemeinverfügungen erlassen. Diese Verfügungen tragen örtlichen Besonderheiten übergangsweise besser Rechnung als es durch Verordnung möglich ist. Sofern hinreichend umfängliche, nicht nur örtlich eingeschränkte Verbesserungen im Infektionsgeschehen erkennbar werden, bleibt es unbeschadet der neuen Option nach Absatz 3 ständige verfassungsrechtliche Verpflichtung des Verordnungsgebers, das Infektionsgeschehen zu beobachten, die schwerwiegenden Schutzmaßnahmen dieser Verordnung auf ihre fortdauernde Notwendigkeit und Verhältnismäßigkeit laufend zu überprüfen und ggf. unverzüglich Schutzmaßnahmen aufzuheben oder an geänderte Umstände anzupassen.
(…)
Zu § 6a
Zu Absatz 1:
Das Abbrennen von Pyrotechnik in der Silvester-/Neujahrsnacht führt erfahrungsgemäß zu Zusammenkünften von Menschen, die sich gegenseitig Neujahrsgrüße übermitteln, das Feuerwerk beobachten oder gemeinsam abbrennen. Bei vorherigem Alkoholgenuss führt dies zu nicht übersehbaren Kontakten. Aus diesem Grunde wurde der Verkauf von Pyrotechnik in diesem Jahr untersagt. Gleichzeitig führt dies zu einer geringeren Belastung von Geschäften in den Tagen vor Silvester.
Die Definitionen und Einteilung pyrotechnischer Gegenstände ergibt sich direkt aus § 3a Sprengstoffgesetz (SprengG). Die Feuerwerkskörper werden demnach u. a. in vier Kategorien (Kategorien F1 bis F4) eingeteilt. Feuerwerkskörper der Kategorie F1 dürfen ab dem Alter von 12 Jahren verwendet werden und zwar ganzjährig (kleines Tischfeuerwerk). Pyrotechnische Gegenstände der Kategorien F3 und gefährlicher dürfen ohnehin nur Personen mit spezieller Erlaubnis, die mit diesen Gegenständen umgehen dürfen, überlassen werden. Die Kategorien F1, F3 und gefährlicher sind vom Verbot daher nicht umfasst.
Regelungsinhalt ist vielmehr das Verbot des Verkaufs von Feuerwerkskörpern der Kategorie F2. Darunter versteht man Feuerwerkskörper, von denen eine geringe Gefahr ausgeht, die einen geringen Lärmpegel besitzen und zur Verwendung in abgegrenzten Bereichen im Freien vorgesehen sind. Nach § 22 Absatz 1 der 1. SprengV dürfen pyrotechnische Gegenstände der Kategorie F2 dem „gewöhnlichen“ Verbraucher in der Regel nur in der Zeit vom 29. bis 31. Dezember überlassen werden. Diese Überlassung ist in diesem Jahr verboten.
Nicht erfasst sind zudem Schusswaffen mit denen pyrotechnische Munition abgefeuert werden kann wie bestimmte Gas- und Signalwaffen. Die Aufnahme ist allerdings nicht erforderlich, da das Abschießen von Signalmunition außerhalb befriedeten Besitztums ohnehin nur nach den Voraussetzungen von § 12 Abs. 4 bzw. mit Genehmigung der zuständigen Behörde nach Abs. 5 WaffG zulässig ist und Verstöße bereits durch – erheblich strengere – waffenrechtliche Sanktionen geahndet werden können
Zu Absatz 2:
Absatz 2 appelliert, grundsätzlich auf das Abbrennen von Feuerwerk aus den Gründen zu Absatz 1 zu verzichten. Zwar ist der Verkauf in diesem Jahr untersagt, Feuerwerk, welches in der Vergangenheit erworben wurde, kann jedoch grundsätzlich in der Zeit vom 31. Dezember 2020 bis 1. Januar 2021 verwendet werden. Andere Bestimmungen dieser Verordnung (Ausgangsbeschränkungen) bleiben unberührt.
Zu Absatz 3:
In den nach § 5 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 und 3 festgelegten Bereichen, nämlich von den zuständigen Behörden gekennzeichneten Orten mit Publikumsverkehr oder Orten in der Öffentlichkeit, an denen sich Personen auf engem Raum oder nicht nur vorübergehend aufhalten, sowie vor Einzelhandelsgeschäften und Parkplätzen ist das Abbrennen von Pyrotechnik untersagt.
Zu Absatz 4:
Die Bestimmung stellt noch einmal klar, dass Veranstaltungen im öffentlichen Raum im Zusammenhang mit dem Jahreswechsel untersagt sind. Darüber hinaus sind solche Veranstaltungen auch über § 6 Abs. 1 erfasst.
(…)
IV. Die bundesrechtliche Ermächtigungsgrundlage des § 32 i. V. m. §§ 28 und 28a des Gesetzes zur Verhütung und Bekämpfung von Infektionskrankheiten beim Menschen (Infektionsschutzgesetz – IfSG) lautete zum Zeitpunkt des Erlasses der 3. ThürSARS-CoV-2-SonderEindmaßnVO wie folgt:
§ 28 Schutzmaßnahmen
(1) 1Werden Kranke, Krankheitsverdächtige, Ansteckungsverdächtige oder Ausscheider festgestellt oder ergibt sich, dass ein Verstorbener krank, krankheitsverdächtig oder Ausscheider war, so trifft die zuständige Behörde die notwendigen Schutzmaßnahmen, insbesondere die in § 28a Absatz 1 und in den §§ 29 bis 31 genannten, soweit und solange es zur Verhinderung der Verbreitung übertragbarer Krankheiten erforderlich ist; sie kann insbesondere Personen verpflichten, den Ort, an dem sie sich befinden, nicht oder nur unter bestimmten Bedingungen zu verlassen oder von ihr bestimmte Orte oder öffentliche Orte nicht oder nur unter bestimmten Bedingungen zu betreten. 2Unter den Voraussetzungen von Satz 1 kann die zuständige Behörde Veranstaltungen oder sonstige Ansammlungen von Menschen beschränken oder verbieten und Badeanstalten oder in § 33 genannte Gemeinschaftseinrichtungen oder Teile davon schließen. 3Eine Heilbehandlung darf nicht angeordnet werden. 4Die Grundrechte der körperlichen Unversehrtheit (Artikel 2 Absatz 2 Satz 1 des Grundgesetzes), der Freiheit der Person (Artikel 2 Absatz 2 Satz 2 des Grundgesetzes), der Versammlungsfreiheit (Artikel 8 des Grundgesetzes), der Freizügigkeit (Artikel 11 Absatz 1 des Grundgesetzes) und der Unverletzlichkeit der Wohnung (Artikel 13 Absatz 1 des Grundgesetzes) werden insoweit eingeschränkt.
(2) Wird festgestellt, dass eine Person in einer Gemeinschaftseinrichtung an Masern erkrankt, dessen verdächtig oder ansteckungsverdächtig ist, kann die zuständige Behörde Personen, die weder einen Impfschutz, der den Empfehlungen der Ständigen Impfkommission entspricht, noch eine Immunität gegen Masern durch ärztliches Zeugnis nachweisen können, die in § 34 Absatz 1 Satz 1 und 2 genannten Verbote erteilen, bis eine Weiterverbreitung der Krankheit in der Gemeinschaftseinrichtung nicht mehr zu befürchten ist.
(3) Für Maßnahmen nach den Absätzen 1 und 2 gilt § 16 Abs. 5 bis 8, für ihre Überwachung außerdem § 16 Abs. 2 entsprechend.
§ 28a Besondere Schutzmaßnahmen zur Verhinderung der Verbreitung der Coronavirus-Krankheit-2019 (COVID-19)
(1) Notwendige Schutzmaßnahmen im Sinne des § 28 Absatz 1 Satz 1 und 2 zur Verhinderung der Verbreitung der Coronavirus-Krankheit-2019 (COVID-19) können für die Dauer der Feststellung einer epidemischen Lage von nationaler Tragweite nach § 5 Absatz 1 Satz 1 durch den Deutschen Bundestag insbesondere sein
1. Anordnung eines Abstandsgebots im öffentlichen Raum,
2. Verpflichtung zum Tragen einer Mund-Nasen-Bedeckung (Maskenpflicht),
3. Ausgangs- oder Kontaktbeschränkungen im privaten sowie im öffentlichen Raum,
4. Verpflichtung zur Erstellung und Anwendung von Hygienekonzepten für Betriebe, Einrichtungen oder Angebote mit Publikumsverkehr,
5. Untersagung oder Beschränkung von Freizeitveranstaltungen und ähnlichen Veranstaltungen,
6. Untersagung oder Beschränkung des Betriebs von Einrichtungen, die der Freizeitgestaltung zuzurechnen sind,
7. Untersagung oder Beschränkung von Kulturveranstaltungen oder des Betriebs von Kultureinrichtungen,
8. Untersagung oder Beschränkung von Sportveranstaltungen und der Sportausübung,
9. umfassendes oder auf bestimmte Zeiten beschränktes Verbot der Alkoholabgabe oder des Alkoholkonsums auf bestimmten öffentlichen Plätzen oder in bestimmten öffentlich zugänglichen Einrichtungen,
10. Untersagung von oder Erteilung von Auflagen für das Abhalten von Veranstaltungen, Ansammlungen, Aufzügen, Versammlungen sowie religiösen oder weltanschaulichen Zusammenkünften,
11. Untersagung oder Beschränkung von Reisen; dies gilt insbesondere für touristische Reisen,
12. Untersagung oder Beschränkung von Übernachtungsangeboten,
13. Untersagung oder Beschränkung des Betriebs von gastronomischen Einrichtungen,
14. Schließung oder Beschränkung von Betrieben, Gewerben, Einzel- oder Großhandel,
15. Untersagung oder Beschränkung des Betretens oder des Besuchs von Einrichtungen des Gesundheits- oder Sozialwesens,
16. Schließung von Gemeinschaftseinrichtungen im Sinne von § 33, Hochschulen, außerschulischen Einrichtungen der Erwachsenenbildung oder ähnlichen Einrichtungen oder Erteilung von Auflagen für die Fortführung ihres Betriebs oder
17. Anordnung der Verarbeitung der Kontaktdaten von Kunden, Gästen oder Veranstaltungsteilnehmern, um nach Auftreten einer Infektion mit dem Coronavirus SARS-CoV-2 mögliche Infektionsketten nachverfolgen und unterbrechen zu können.
(2) 1Die Anordnung der folgenden Schutzmaßnahmen nach Absatz 1 in Verbindung mit § 28 Absatz 1 ist nur zulässig, soweit auch bei Berücksichtigung aller bisher getroffenen anderen Schutzmaßnahmen eine wirksame Eindämmung der Verbreitung der Coronavirus-Krankheit-2019 (COVID-19) erheblich gefährdet wäre:
1. Untersagung von Versammlungen oder Aufzügen im Sinne von Artikel 8 des Grundgesetzes und von religiösen oder weltanschaulichen Zusammenkünften nach Absatz 1 Nummer 10,
2. Anordnung einer Ausgangsbeschränkung nach Absatz 1 Nummer 3, nach der das Verlassen des privaten Wohnbereichs nur zu bestimmten Zeiten oder zu bestimmten Zwecken zulässig ist, und
3. Untersagung des Betretens oder des Besuchs von Einrichtungen im Sinne von Absatz 1 Nummer 15, wie zum Beispiel Alten- oder Pflegeheimen, Einrichtungen der Behindertenhilfe, Entbindungseinrichtungen oder Krankenhäusern für enge Angehörige von dort behandelten, gepflegten oder betreuten Personen.
2Schutzmaßnahmen nach Absatz 1 Nummer 15 dürfen nicht zur vollständigen Isolation von einzelnen Personen oder Gruppen führen; ein Mindestmaß an sozialen Kontakten muss gewährleistet bleiben.
(3) 1Entscheidungen über Schutzmaßnahmen zur Verhinderung der Verbreitung der Coronavirus-Krankheit-2019 (COVID-19) nach Absatz 1 in Verbindung mit § 28 Absatz 1, nach § 28 Absatz 1 Satz 1 und 2 und den §§ 29 bis 32 sind insbesondere an dem Schutz von Leben und Gesundheit und der Funktionsfähigkeit des Gesundheitssystems auszurichten. 2Die Schutzmaßnahmen sollen unter Berücksichtigung des jeweiligen Infektionsgeschehens regional bezogen auf die Ebene der Landkreise, Bezirke oder kreisfreien Städte an den Schwellenwerten nach Maßgabe der Sätze 4 bis 12 ausgerichtet werden, soweit Infektionsgeschehen innerhalb eines Landes nicht regional übergreifend oder gleichgelagert sind. 3Die Länder Berlin und die Freie und Hansestadt Hamburg gelten als kreisfreie Städte im Sinne des Satzes 2. 4Maßstab für die zu ergreifenden Schutzmaßnahmen ist insbesondere die Anzahl der Neuinfektionen mit dem Coronavirus SARS-CoV-2 je 100 000 Einwohnern innerhalb von sieben Tagen. 5Bei Überschreitung eines Schwellenwertes von über 50 Neuinfektionen je 100 000 Einwohner innerhalb von sieben Tagen sind umfassende Schutzmaßnahmen zu ergreifen, die eine effektive Eindämmung des Infektionsgeschehens erwarten lassen. 6Bei Überschreitung eines Schwellenwertes von über 35 Neuinfektionen je 100 000 Einwohner innerhalb von sieben Tagen sind breit angelegte Schutzmaßnahmen zu ergreifen, die eine schnelle Abschwächung des Infektionsgeschehens erwarten lassen. 7Unterhalb eines Schwellenwertes von 35 Neuinfektionen je 100 000 Einwohner innerhalb von sieben Tagen kommen insbesondere Schutzmaßnahmen in Betracht, die die Kontrolle des Infektionsgeschehens unterstützen. 8Vor dem Überschreiten eines Schwellenwertes sind die in Bezug auf den jeweiligen Schwellenwert genannten Schutzmaßnahmen insbesondere bereits dann angezeigt, wenn die Infektionsdynamik eine Überschreitung des jeweiligen Schwellenwertes in absehbarer Zeit wahrscheinlich macht. 9Bei einer bundesweiten Überschreitung eines Schwellenwertes von über 50 Neuinfektionen je 100 000 Einwohner innerhalb von sieben Tagen sind bundesweit abgestimmte umfassende, auf eine effektive Eindämmung des Infektionsgeschehens abzielende Schutzmaßnahmen anzustreben. 10Bei einer landesweiten Überschreitung eines Schwellenwertes von über 50 Neuinfektionen je 100 000 Einwohner innerhalb von sieben Tagen sind landesweit abgestimmte umfassende, auf eine effektive Eindämmung des Infektionsgeschehens abzielende Schutzmaßnahmen anzustreben. 11Nach Unterschreitung eines in den Sätzen 5 und 6 genannten Schwellenwertes können die in Bezug auf den jeweiligen Schwellenwert genannten Schutzmaßnahmen aufrechterhalten werden, soweit und solange dies zur Verhinderung der Verbreitung der Coronavirus-Krankheit-2019 (COVID-19) erforderlich ist. 12Die in den Landkreisen, Bezirken oder kreisfreien Städten auftretenden Inzidenzen werden zur Bestimmung des nach diesem Absatz jeweils maßgeblichen Schwellenwertes durch das Robert Koch-Institut im Rahmen der laufenden Fallzahlenberichterstattung auf dem RKI-Dashboard unter der Adresse http://corona.rki.de im Internet veröffentlicht.
(4) 1Im Rahmen der Kontaktdatenerhebung nach Absatz 1 Nummer 17 dürfen von den Verantwortlichen nur personenbezogene Angaben sowie Angaben zum Zeitraum und zum Ort des Aufenthaltes erhoben und verarbeitet werden, soweit dies zur Nachverfolgung von Kontaktpersonen zwingend notwendig ist. 2Die Verantwortlichen haben sicherzustellen, dass eine Kenntnisnahme der erfassten Daten durch Unbefugte ausgeschlossen ist. 3Die Daten dürfen nicht zu einem anderen Zweck als der Aushändigung auf Anforderung an die nach Landesrecht für die Erhebung der Daten zuständigen Stellen verwendet werden und sind vier Wochen nach Erhebung zu löschen. 4Die zuständigen Stellen nach Satz 3 sind berechtigt, die erhobenen Daten anzufordern, soweit dies zur Kontaktnachverfolgung nach § 25 Absatz 1 erforderlich ist. 5Die Verantwortlichen nach Satz 1 sind in diesen Fällen verpflichtet, den zuständigen Stellen nach Satz 3 die erhobenen Daten zu übermitteln. 6Eine Weitergabe der übermittelten Daten durch die zuständigen Stellen nach Satz 3 oder eine Weiterverwendung durch diese zu anderen Zwecken als der Kontaktnachverfolgung ist ausgeschlossen. 7Die den zuständigen Stellen nach Satz 3 übermittelten Daten sind von diesen unverzüglich irreversibel zu löschen, sobald die Daten für die Kontaktnachverfolgung nicht mehr benötigt werden.
(5) 1Rechtsverordnungen, die nach § 32 in Verbindung mit § 28 Absatz 1 und § 28a Absatz 1 erlassen werden, sind mit einer allgemeinen Begründung zu versehen und zeitlich zu befristen. 2Die Geltungsdauer beträgt grundsätzlich vier Wochen; sie kann verlängert werden.
(6) 1Schutzmaßnahmen nach Absatz 1 in Verbindung mit § 28 Absatz 1, nach § 28 Absatz 1 Satz 1 und 2 und nach den §§ 29 bis 31 können auch kumulativ angeordnet werden, soweit und solange es für eine wirksame Verhinderung der Verbreitung der Coronavirus-Krankheit-2019 (COVID-19) erforderlich ist. 2Bei Entscheidungen über Schutzmaßnahmen zur Verhinderung der Verbreitung der Coronavirus-Krankheit-2019 (COVID-19) sind soziale, gesellschaftliche und wirtschaftliche Auswirkungen auf den Einzelnen und die Allgemeinheit einzubeziehen und zu berücksichtigen, soweit dies mit dem Ziel einer wirksamen Verhinderung der Verbreitung der Coronavirus-Krankheit-2019 (COVID-19) vereinbar ist. 3Einzelne soziale, gesellschaftliche oder wirtschaftliche Bereiche, die für die Allgemeinheit von besonderer Bedeutung sind, können von den Schutzmaßnahmen ausgenommen werden, soweit ihre Einbeziehung zur Verhinderung der Verbreitung der Coronavirus-Krankheit-2019 (COVID-19) nicht zwingend erforderlich ist.
(7) Nach dem Ende einer durch den Deutschen Bundestag nach § 5 Absatz 1 Satz 1 festgestellten epidemischen Lage von nationaler Tragweite können die Absätze 1 bis 6 auch angewendet werden, soweit und solange sich die Coronavirus-Krankheit-2019 (COVID-19) nur in einzelnen Ländern ausbreitet und das Parlament in einem betroffenen Land die Anwendbarkeit der Absätze 1 bis 6 dort feststellt.
(…)
§ 32 Erlass von Rechtsverordnungen
1Die Landesregierungen werden ermächtigt, unter den Voraussetzungen, die für Maßnahmen nach den §§ 28 bis 31 maßgebend sind, auch durch Rechtsverordnungen entsprechende Gebote und Verbote zur Bekämpfung übertragbarer Krankheiten zu erlassen. 2Die Landesregierungen können die Ermächtigung durch Rechtsverordnung auf andere Stellen übertragen. 3Die Grundrechte der Freiheit der Person (Artikel 2 Abs. 2 Satz 2 Grundgesetz), der Freizügigkeit (Artikel 11 Abs. 1 Grundgesetz), der Versammlungsfreiheit (Artikel 8 Grundgesetz), der Unverletzlichkeit der Wohnung (Artikel 13 Abs. 1 Grundgesetz) und des Brief- und Postgeheimnisses (Artikel 10 Grundgesetz) können insoweit eingeschränkt werden.
V. In den Täglichen Lageberichten des Robert-Koch-Instituts (RKI) zur Corona-Virus-Krankheit-2019 zeichnete sich seit dem 4. Dezember 2020 ein starker Anstieg der Fallzahlen ab. Im Täglichen Lagebericht des RKI vom 11. Dezember 2020 hieß es, die Inzidenz der letzten 7 Tage liege deutschlandweit bei 156 Fällen pro 100.000 Einwohner. In Sachsen liege sie sehr deutlich, in Bayern, Berlin und Thüringen deutlich, im Saarland und in Baden-Württemberg etwas darüber. Seit Anfang September nehme der Anteil älterer Personen unter den COVID-19-Fällen wieder zu. Die 7-Tage-Inzidenz bei Personen über 60 Jahre liege bei aktuell 143 Fällen/100.000 Einwohner. Die hohen bundesweiten Fallzahlen würden verursacht durch zumeist diffuse Geschehen, mit zahlreichen Häufungen insbesondere in Haushalten und Alten- und Pflegeheimen, aber auch in beruflichen Settings, in Gemeinschaftseinrichtungen und ausgehend von religiösen Veranstaltungen. Für einen großen Anteil der Fälle könne das Infektionsumfeld nicht ermittelt werden. Die Anzahl der intensivmedizinisch behandelten COVID-19-Fälle sei mit 4.432 Fällen weiterhin ansteigend. Am 10. Dezember 2020 wären im Vergleich zum Vortag 29.875 neue Fälle, der höchste Wert seit Beginn der Pandemie, und 598 neue Todesfälle übermittelt worden. Vor diesem Hintergrund wurde die Risikobewertung des RKI angepasst. Das RKI schätzte nunmehr die Gefährdung für die Gesundheit der Bevölkerung in Deutschland insgesamt als sehr hoch ein.
Am 14. Dezember 2020 lag die Inzidenz der letzten 7 Tage deutschlandweit bei 176 Fällen pro 100.000 Einwohner, in Thüringen bei 235 Fällen pro 100.000 Einwohner (vgl. Täglicher Lagebericht des RKI zur Corona-Virus-Krankheit-2019 vom 14. Dezember 2020). Diese Inzidenz stieg in Thüringen am 20. Dezember 2020 auf 283 und am 24. Dezember 2020 auf 328 an (vgl. Tägliche Lageberichte des RKI zur Corona-Virus-Krankheit-2019 vom 20. und vom 24. Dezember 2020).
VI. Die Antragsschrift der Antragstellerin ging am 22. Dezember 2020 beim Thüringer Verfassungsgerichtshof ein. Als Anlage legte die Antragstellerin einen Fraktionsbeschluss vom 16. Dezember 2020 zum Normenkontrollantrag vor. Sie begründet die Verfassungswidrigkeit der verfahrensgegenständlichen Normen wie folgt:
1. Die 7-Tage-Inzidenz allein könne nach dem, was zwischenzeitlich über die Zahl der Infizierten und vor allem den Nachweis der Infektion und der Infektiosität, die Zahl der daraus überhaupt Erkrankten, der schwer und behandlungsbedürftig Erkrankten wie die Zahl der Intensivbehandlungsbedürftigen und am Ende der Verstorbenen bekannt sei, nicht Grundlage für schwere bis schwerste Grundrechtseinschränkungen sein.
Eine wissenschaftliche Untersuchung der Ludwig-Maximilians-Universität München komme zu folgenden Schlussfolgerungen: Angepasst auf die Einwohnerzahl zeige sich keine ausgeprägte Übersterblichkeit. Die bisherigen Corona-Maßnahmen verfehlten den notwendigen Schutz der Ältesten. Nach dem aktuellen Lockdown gebe es keinen deutlichen Rückgang der Pandemie. Seit der dritten Oktoberwoche 2020 gebe es insgesamt einen stabilen Verlauf. Die Statistiker hätten insbesondere ermittelt, dass die Infektionszahlen bei den Hochbetagten stiegen, während diese bei den Jungen stagnierten oder rückläufig seien. Der Landesregierung selbst sei bekannt, dass die meisten Toten hochbetagte Menschen aus Alten- und Pflegeheimen seien.
Der neu eingeführte § 28a IfSG genüge den Anforderungen des Parlamentsvorbehalts und des Bestimmtheitsgrundsatzes nicht. Die Norm lasse keine Abwägung der betroffenen Interessen erkennen. Der Gesetzgeber hätte das Ziel bestimmen müssen, damit die Behörden ihre Maßnahme daran ausrichten und die Verwaltungsgerichte diese überprüfen könnten. Zudem hätten die verfassungsrechtlichen Grenzen für die Exekutive aufgezeigt werden müssen.
Die Informationen über Infektionszahlen, Zeit, Ort und Wege der Infektionen seien nicht oder kaum nachvollziehbar. Fest stehe aber, dass die gefährdetste Gruppe diejenigen umfasse, die auf Grund ihres Alters oder schwerer Vorerkrankungen besonders anfällig seien. Diese Gruppe sei von den Regelungen kaum betroffen.
2. Die Antragstellerin macht hinsichtlich der von ihr angegriffenen Regelungen Folgendes geltend:
a) Das Verbot des Ausschanks und Konsums von Alkohol im öffentlichen Raum nach § 3a der 3. ThürSARS-CoV-2-SonderEindmaßnVO greife zu Lasten der Konsumenten in den Schutzbereich des Art. 3 Abs. 2 der Verfassung des Freistaats Thüringen (Thüringer Verfassung – ThürVerf) und zu Lasten der Ausschenkenden in den Schutzbereich des Art. 35 Abs. 1 ThürVerf ein.
Das Verbot des Ausschanks unterbinde die Möglichkeit, Einnahmen zur Sicherung des Lebensunterhalts zu erzielen, wobei gerade die Vorweihnachtszeit für viele Gastwirte die umsatzreichste Zeit des Jahres sei. Bereits die Geeignetheit der Regelung, das Gesundheitssystem vor Überlastung durch zu viele Infizierte und Erkrankte zu schützen, dürfe bezweifelt werden. Zum einen sei die Möglichkeit der Infektion im Freien verschwindend gering und zum anderen seien die Betroffenen dieser Maßnahme in aller Regel jüngere bis mittelalte, jedenfalls kaum den Altersschnitt der Hauptgefährdeten abbildende Personen. Der Schutz der Zielgruppe werde durch diese Maßnahme nicht erreicht. Zum anderen gäbe es keine belastbaren Tatsachenfeststellungen dazu, dass, wie die zuständige Ministerin angegeben habe, jegliches Glühweintrinken zwangsläufig in Verletzungen der Hygienebestimmungen ausarte. Das Risiko bestehe zwar, es handle sich aber um keine Gefahr im eingriffsrechtlichen Sinn. Zudem betreffe das Risiko wiederum meist junge, weniger anfällige Menschen.
Aus diesem Grunde sei die Regelung auch nicht erforderlich, weil der Schutz der wirklich gefährdeten Personen einfacher, besser und zielgerichteter dort einsetzen müsste, wo diese Personen Gefahren ausgesetzt seien und zwar in den Einrichtungen für Alte und Pflegebedürftige. Hier müssten Pfleger, Reinigungskräfte und Besucher kontrolliert werden, damit keine Infektionen übertragen würden. Daraus resultiere auch, dass das Verbot nicht verhältnismäßig sein könne.
b) Die Ausgangsbeschränkung nach § 3b der 3. ThürSARS-CoV-2-SonderEindmaßnVO greife in bislang nie dagewesenem Umfang in das Grundrecht aus Art. 3 Abs. 1 Satz 2, Abs. 2 ThürVerf ein.
Selbst die zuständige Ministerin gestehe ein, dass die Regelung nur symbolisch den Ernst der Lage verdeutlichen solle. Eine nur symbolische Regel könne niemals eine Rechtfertigung für einen Eingriff in ein Freiheitsrecht sein, weil es bereits an einem legitimen Zweck fehle. Die Ausnahmeregeln in § 3 Abs. 2 der 3. ThürSARS-CoV-2-SonderEindmaßnVO entkernten die Ausgangssperre zwar weitestgehend selbst, könnten aber dennoch keine Rechtfertigung für den Bestand einer solchen Regel bieten. Denn zu begründen sei nicht die Ausnahme eines Freiheitsrechts, sondern der Eingriff. Die Offenhaltung des Tatbestands durch dessen Formulierung böte die Gewähr, dass die angetroffenen Personen die abenteuerlichsten Begründungen angäben. Denn was „triftig“ und „wichtig und unabweisbar“ sei, unterliege nach dem Wortlaut der Norm keinen weiteren objektiven Grenzen und sei auch dem Schutzzweck der Norm nicht zu entnehmen. Letztlich laufe die Regelung darauf hinaus, dass nächtliche Zusammenkünfte im Freien unterbunden werden sollten, weil von diesen ein erhöhtes Infektionsrisiko ausgehen solle und damit eine Überlastungssituation für das Gesundheitssystem erwartet werde. Hier seien jedoch sämtliche Aufenthalte im Freien, wo die Ansteckungsgefahr überhaupt denkbar gering sei, auch allein oder zusammen mit anderen, wobei ein Abstand durchaus gewährleistet sein könne, umfasst. Aufzuheben sei die Regelung allerdings auch deswegen, weil ein Verstoß mit einem Bußgeld von bis zu 25.000 Euro bewehrt sei. Auch die Lockerungsmöglichkeiten nach § 3b Abs. 3 der 3. ThürSARS-CoV-2-SonderEindmaßnVO führten nicht zur Verhältnismäßigkeit. Die Aufhebung der Beschränkung ab einem Inzidenzwert von 200 auf 100.000Einwohner bedeute, dass erst unterhalb der Schwelle von zwei auf 1.000 Einwohner eine Aufhebung gestattet sei. Angesichts einer Falsch-Positiv-Rate der gängigen PCR-Tests von bis zu zwei Prozent könne die Vorschrift praktisch nie zur Anwendung kommen.
c) Die Regelung des § 6a der 3. ThürSARS-CoV-2-SonderEindmaßnVO verstoße gegen Art. 3 Abs. 2, Art. 35 Abs. 1 ThürVerf. Bereits das legitime Ziel des Feuerwerksverbots sei nicht mit dem Ziel der Verordnung in Einklang zu bringen. Das Abbrennen pyrotechnischer Gegenstände könne nicht zu Infektionen führen. Selbst die Annahme, während des Abbrennens kämen sich Personen infektionsgefährdend näher, sei bei lebensnaher Betrachtung absurd. In Bereichen, in denen aufgrund der tatsächlichen Umstände eine größere Anzahl Personen gleichzeitig Pyrotechnik abbrennten, wie etwa im Straßenraum, dürfte allein aufgrund der Gefährdung durch die Pyrotechnik selbst ein ausreichender Abstand zwischen den Personen gewährleistet sein. Es bestehe der Verdacht, dass das Feuerwerksverbot auf völlig anderen Erwägungen als den in der Verordnung beschriebenen beruhe. Ein solches Verbot sei seit einigen Jahren immer wieder politisches Ziel verschiedener Gruppierungen. Zu berücksichtigen sei auch, dass das Abbrennen von Feuerwerk eine Tradition sei, die dem Brauchtumsbegriff des Art. 30 ThürVerf unterfalle und daher als Staatsziel in ihrem Bestand zu erhalten bzw. zumindest nicht zu behindern sei. Die gebotene Abwägung mit anderen Grundrechten, wie auch dem auf Leben und Gesundheit von gefährdeten Personen, ergebe kein Überwiegen der letzteren. Das Verkaufsverbot im Inland habe lediglich Ausweicheffekte zur Folge. Es würden Feuerwerksartikel aus Nachbarstaaten importiert und verwendet werden, die ihrerseits eine Gefährdung für die Nutzer darstellten und zusätzliche Kapazitäten der öffentlichen Gesundheitsfürsorge binden könnten. Die wirtschaftlichen Folgen des Verbots seien im Falle eines der großen inländischen Hersteller offenbar bereits gravierend, denn es drohe hier die Insolvenz. Bei der ausgelieferten Ware handele es sich um Kommissionsware. Das Risiko des Nichtverkaufs liege damit beim Hersteller. Zudem müsste die Lagerung für ein Jahr finanziert werden.
Nach Antragstellung seien Daten bekannt geworden, wonach die von der Landesregierung angeführten Infektionszahlen und die Zahl der schwerwiegenden bis tödlichen Verläufe und besonders die Überlastung des Gesundheitssystems zu keinem Zeitpunkt gedroht hätten. Ebenso habe es keine Übersterblichkeit auf Grund von COVID-19 gegeben. Eine Mehrzahl von Verstorbenen im Dezember 2020 und Januar 2021 korrespondiere mit einem deutlichen Rückgang von Todesfällen im März 2021. Auch wenn endgültige Daten erst nach Erlass der Verordnung vollständig vorgelegen hätten, seien der Landesregierung die grundlegenden Annahmen dafür bekannt gewesen oder hätten jedenfalls beschafft werden können und müssen.
Die Antragstellerin hat unter gleichzeitiger Beantragung des Erlasses einer einstweiligen Anordnung, die auf vorläufige Außervollzugsetzung von §§ 3a, 3b und 6a der 3. ThürSARS-CoV-2-SonderEindmaßnVO gerichtet war, beantragt:
1. Die §§ 3a, 3b und 6a der Thüringer Verordnung zur Fortschreibung und Verschärfung außerordentlicher Sondermaßnahmen zur Eindämmung einer sprunghaften Ausbreitung des Coronavirus SARS-CoV-2 sowie zur Ergänzung der allgemeinen Infektionsschutzregeln vom 14. Dezember 2020 sind mit den Artikeln 2 Abs. 1, Artikel 3 Abs. 1 Satz 2 und Abs. 2, Artikel 5 Abs. 1 und 2, Artikel 35 Abs. 1 der Verfassung des Freistaats Thüringen (ThürVerf) unvereinbar und werden im Wege der einstweiligen Anordnung nach § 26 Abs. 1 ThürVerf vorläufig außer Vollzug gesetzt.
2. Der Freistaat Thüringen hat der Antragstellerin die notwendigen Auslagen zu erstatten.
VII. Der Thüringer Landtag hat keine Stellungnahme zum Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung und zum Normenkontrollantrag abgegeben.
VIII. Demgegenüber hat die Thüringer Landesregierung zum Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung Stellung genommen.
1. Die §§ 3a, 3b und 6a der 3. ThürSARS-CoV-2-SonderEindmaßnVO dienten der Abwehr erheblicher gesundheitlicher Risiken für jeden Einzelnen, der Eindämmung der gestiegenen Anzahl an Todesfällen durch COVID-19 sowie der Verhinderung einer Überlastung des Gesundheitssystems.
Die Maßnahmen des Alkoholverbots im öffentlichen Raum, der Ausgangsbeschränkungen und des Pyrotechnikverbots trügen dazu bei, Kontakte zu beschränken und damit die Wahrscheinlichkeit von Infektionsübertragungen einzudämmen, sowie in der Folge die Erkrankungshäufigkeit und damit auch die Möglichkeit schwerer Verläufe zu minimieren.
Es handele sich um keine unmittelbaren Infektionsschutzmaßnahmen. Die Maßnahmen trügen mittelbar dazu bei, die Wahrscheinlichkeit von Kontakten einzuschränken, die Entwicklung von Gruppendynamiken zu verhindern und lieferten gemeinsam mit weiteren Maßnahmen der Verordnung einen wichtigen Beitrag, Infektionsübertragungen zu reduzieren.
Das Argument, dass die Folgen der Krankheit auf ältere Menschen bzw. vulnerable Gruppen begrenzt seien, greife zu kurz. Denn zum einen würden immer mehr Fälle von schweren Krankheitsverläufen auch bei jüngeren Menschen bekannt. Zum anderen sei aufgrund der hohen Inzidenz davon auszugehen, dass im Gegensatz zum Frühjahr 2020 mittlerweile erheblich mehr Menschen infiziert seien und den Virus weiter übertragen könnten. Es sei weiterhin davon auszugehen, dass die Infektionsgeschehen in die besonders betroffenen Pflegeeinrichtungen von außen eingetragen würden. Die in Thüringen hinsichtlich des Infektionsgeschehens anteilsmäßig am meisten betroffene Gruppe seien Personen zwischen dem 30. und 59. Lebensjahr, die gleichzeitig auch die größte Arbeitnehmergruppe darstellten, die in Einrichtungen mit vulnerablen Personen tätig sei. Somit führten alle Maßnahmen, die geeignet sein, dass Infektionsgeschehen bei den 30- bis 59-jährigen zu minimieren, mittelbar zu einer Eindämmung der Eintragung von Infektionen in die Einrichtungen mit den besonders vulnerablen Personengruppen.
Für den Erlass der Verordnungen werde immer das Gesamtgeschehen in Thüringen berücksichtigt. Dabei sei die Inzidenz ein wichtiger Parameter, der die Fallzahl pro 100.000 Einwohner angebe. Thüringen habe seit dem 8. Dezember 2020 bundesweit die zweithöchste Inzidenz. Die Fallzahlen und die Inzidenz stiegen in Thüringen weiter an. Erste Auswirkungen des Lockdowns auf die Infektionszahlen seien unter anderem bedingt durch die Inkubationszeit noch nicht zu erwarten. Neben der Inzidenz würden auch der Anteil Erkrankter von etwa 80 Prozent der Infizierten, bei denen Angaben dazu vorlägen, der Anteil der Hospitalisierten von etwa 10 Prozent der Fälle, bei denen Angaben dazu vorlägen, der Anteil von Personen auf den Intensivstationen von 7,6 Prozent aller hospitalisierten Fälle und der Anteil Verstorbener von etwa 2 Prozent der Infizierten mit Angaben dazu sowie die Altersverteilung berücksichtigt. Insgesamt nähmen die Fallzahlen seit Oktober 2020 deutlich zu. Die Anteile der erkrankten, hospitalisierten und verstorbenen Personen seien gleichgeblieben. Dies entspreche einem Nettoanstieg der Fallzahlen.
Auch die Behauptung, es liege keine Übersterblichkeit auf Grund des Coronavirus SARS-CoV-2 vor, halte einer Überprüfung nicht stand. Daten zur Übersterblichkeit im Jahre 2020 liefere das Statistische Bundesamt. Die Zahl der Todesfälle von Personen, die zuvor laborbestätigt an COVID-19 erkrankt gewesen seien, steige von Woche zu Woche an. Insgesamt sei es nach wie vor zwingend erforderlich, die Kontakte auf das essentiell Notwendige zu beschränken, um die Verbreitung des Coronavirus SARS-CoV-2 innerhalb der Bevölkerung einzudämmen. Denn der Eintritt einer flächendeckenden Überlastung der Gesundheitssysteme und der Gefährdung einer unbekannten Zahl von Menschenleben sei hinreichend konkret.
2. Zur Abwehr dieser Gefahren leisteten die Maßnahmen einen wichtigen Beitrag.
a) Dies gelte zunächst für das Verbot des Ausschanks und Konsums von Alkohol im öffentlichen Raum. Es sei aus infektionsschutzrechtlicher Sicht richtig, dass im Freien die Wahrscheinlichkeit der Infektionsübertragung als erheblich geringer eingeschätzt werden müsse. Allerdings sinke unter Alkoholeinfluss die Bereitschaft, sich verantwortungsvoll zu verhalten und notwendige Kontakt- und Abstandsregeln einzuhalten. Ferner könne beim Alkoholkonsum nicht dauerhaft eine Mund-Nasen-Bedeckung getragen werden, wie es bei Nichteinhaltung bzw. Einschränkung der Kontakt- und Abstandsregeln zu fordern wäre. Außerdem sei bei Menschen unter Alkoholeinfluss mit einem erhöhten und lauteren Redefluss zu rechnen. Mithin werde die Aerosolfreisetzung erhöht, was die Wahrscheinlichkeit einer Infektionsübertragung auch im Freien trotz Einhaltens des Mindestabstands von 1,5 m erheblich steigern könne. Im Übrigen betreffe das Verbot lediglich den Ausschank und Genuss im öffentlichen Raum, nicht jedoch den Verkauf im Ganzen und den Genuss im Privaten. Die Beeinträchtigungen seien daher als verhältnismäßig anzusehen.
b) Die Ausgangsbeschränkungen seien aus mehreren Gründen verhältnismäßig. Sie beeinträchtigten die Bewegungsfreiheit der Bürger nur in einem absolut notwendigen Umfang, was insbesondere der Vergleich mit anderen Bundesländern mit deutlich niedrigerer Inzidenz als Thüringen zeige. Das Verlassen der Wohnung sei nur in der Nachtzeit von 22 bis 5 Uhr des Folgetags beschränkt. In § 3b Abs. 2 Satz 1 der 3. ThürSARS-CoV-2-SonderEindmaßnVO sei ein umfangreicher Ausnahmekatalog enthalten, der die verschiedenen unterschiedlichen Bedürfnisse und Lebensverhältnisse der Bevölkerung erschöpfend abbilde. In Abs. 2 Satz 2 dieser Vorschrift seien zahlreiche Ausnahmen vom Anwendungsbereich für die Weihnachtsfeiertage und die Silvesternacht vorgesehen.
c) Das Verbot des Abbrennens von Pyrotechnik in der Silvesternacht sei zum einen im Hinblick auf die gebotene Kontaktminimierung zu betrachten. Die Behauptung, die Gefährlichkeit von Pyrotechnik verhindere ein Zusammenkommen von Personen, liege jenseits aller Lebenswirklichkeit. Gerade bei Alkoholgenuss komme es regelmäßig zu einer Unterschätzung der Gefahren von Pyrotechnik. Im Übrigen stelle das Abbrennen zumeist einen Anziehungspunkt dar, der ein Zusammenkommen von Menschen auch außerhalb des Gefahrenbereichs auslöse. Die Regelung trage im Übrigen auch dazu bei, dass bei einer deutlichen Reduzierung des Feuerwerks die Gefahr von regelmäßig vorkommenden schweren Verletzungen zumindest reduziert werde, die anderenfalls ebenfalls Behandlungsbedarf verursachten.
IX. Mit Beschluss vom 28. Dezember 2020 hat der Verfassungsgerichtshof den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung unter dem Aktenzeichen VerfGH 118/20 abgelehnt.
X. Auf Nachfrage haben die Antragstellerin sowie der Thüringer Landtag und die Thüringer Landesregierung erklärt, für das Hauptsacheverfahren auf die Durchführung einer mündlichen Verhandlung zu verzichten.
B.
I. Das Mitglied des Thüringer Verfassungsgerichtshofs Prof. Dr. Baldus ist verhindert und wird nach § 8 Abs. 1 Satz 1 des Gesetzes über den Thüringer Verfassungsgerichtshof (Thüringer Verfassungsgerichtshofsgesetz – ThürVerfGHG) durch das stellvertretende Mitglied Reiser-Uhlenbruch vertreten.
Das Mitglied Dr. von der Weiden wird durch das stellvertretende Mitglied O vertreten. Der durch das Mitglied Dr. von der Weiden bereits mit Erklärung vom 18. Juni 2020 angezeigte Sachverhalt begründet die Besorgnis der Befangenheit. Es wird insoweit inhaltlich vollumfänglich auf die Ausführungen im Beschluss vom 24. Juni 2020 Bezug genommen (ThürVerfGH, Beschluss vom 24. Juni 2020 – VerfGH 17/20 -, juris Rn. 8 ff.; so auch: ThürVerfGH, Beschluss vom 17. März 2021 – VerfGH 110/20 -).
II. Der Thüringer Verfassungsgerichtshof durfte nach § 20 Abs. 1 ThürVerfGHG ohne mündliche Verhandlung durch Beschluss entscheiden, weil die Beteiligten ausdrücklich hierauf verzichteten.
C.
Der Normenkontrollantrag ist zulässig.
I. Nach Art. 80 Abs. 1 Nr. 4 ThürVerf, § 11 Nr. 4, § 42 ThürVerfGHG entscheidet der Verfassungsgerichtshof bei Meinungsverschiedenheiten oder Zweifeln über die förmliche oder sachliche Vereinbarkeit von Landesrecht mit der Thüringer Verfassung auf Antrag eines Fünftels der Mitglieder des Landtags, einer Landtagsfraktion oder der Landesregierung. Die Antragstellerin ist in diesem Sinne antragsberechtigt.
II. Die Bestimmungen der §§ 3a, 3b und 6a der 3. ThürSARS-CoV-2-SonderEindmaßnVO sind als Teile einer Rechtsverordnung, die zum Landesrecht gehört, taugliche Antragsgegenstände (vgl. ThürVerfGH, Urteil vom 9. Juni 2017 – VerfGH 61/16 -, LVerfGE 28, 499 [521] = juris Rn. 110; zuletzt: ThürVerfGH, Urteil vom 1. März 2021 – VerfGH 18/20 -, juris Rn. 395 f.).
III. Die Antragstellerin hält die angegriffenen Regelungen für nichtig, so dass zugleich Zweifel an ihrer Vereinbarkeit mit der Verfassung im Sinne von Art. 80 Abs. 1 Nr. 4 ThürVerf i. V. m. § 11 Nr. 4 ThürVerfGHG bestehen. Der Antrag wird auch den Begründungsanforderungen nach § 18 Abs. 1 Satz 1 ThürVerfGHG gerecht. Die Falschbezeichnung der Verordnung im Antrag ist unschädlich, da sich aus den weiteren Ausführungen ergibt, dass nicht §§ 3a, 3b und 6a der Thüringer Verordnung zur Fortschreibung und Verschärfung außerordentlicher Sondermaßnahmen zur Eindämmung einer sprunghaften Ausbreitung des Coronavirus SARS-CoV-2 sowie zur Ergänzung der allgemeinen Infektionsschutzregeln vom 14. Dezember 2020, sondern §§ 3a, 3b und 6a der Dritten Thüringer Verordnung über außerordentliche Sondermaßnahmen zur Eindämmung einer sprunghaften Ausbreitung des Coronavirus SARS-CoV-2 vom 14. Dezember 2020 Antragsgegenstände sein sollen.
IV. Schließlich ist das objektive Klarstellungsinteresse gegeben, das grundsätzlich durch die Stellung des Antrags indiziert ist (ThürVerfGH, Urteil vom 9. Juni 2017 – VerfGH 61/16 -, LVerfGE 28, 499 [521] = juris Rn. 111; zuletzt Urteil vom 1. März 2021 – VerfGH 18/20 -, juris Rn. 397 ff., Beschluss vom 19. Mai 2021 – VerfGH 110/20 -, juris Rn. 25). Dass §§ 3a, 3b und 6a der 3. ThürSARS-CoV-2-SonderEindmaßnVO nicht mehr in Kraft sind, ändert daran nichts, weil diese Vorschriften weiter Außenwirkung entfalten können (vgl. BVerfG, Beschluss vom 12. Oktober 2010 – 2 BvF 1/07 -, BVerfGE 127, 293 [319] = juris Rn. 100; ThürVerfGH, Urteil vom 19. Juni 1998 – VerfGH 10/96 -, LVerfGE 8, 337 [347] = juris Rn. 61). Es ist nichts dafür ersichtlich, dass von ihnen unter keinem denkbaren Gesichtspunkt mehr Rechtswirkungen ausgehen können (BVerfG, Beschluss vom 18. Juli 2005 – 2 BvF 2/01 -, BVerfGE 113, 167 [193] = juris Rn. 77; Beschluss vom 15. Januar 2008 – 2 BvF 4/05 -, BVerfGE 119, 394 [410] = juris Rn. 48). Vielmehr ist etwa denkbar, dass diese Vorschriften noch für laufende Ordnungswidrigkeitenverfahren von Bedeutung sein können.
Das objektive Klarstellungsinteresse des Antrags ist auch insoweit gegeben, als sich dieser gegen § 6a Abs. 1 der 3. ThürSARS-CoV-2-SonderEindmaßnVO richtet (anders für das Eilverfahren: ThürVerfGH, Beschluss vom 28. Dezember 2020 – VerfGH 118/20 , juris Rn. 53). Zwar trat am 22. Dezember 2020 § 22 Abs. 1 der 1. Verordnung zum Sprengstoffgesetz des Bundes (SprengV) in Kraft, wonach Verbrauchern pyrotechnische Gegenstände der Kategorie F2 im Jahr 2020 nicht überlassen werden durften. Ohnehin dürfen pyrotechnische Gegenstände höherer Kategorien nach § 22 Abs. 2 SprengV nicht an Verbraucher abgegeben werden. Soweit aber nicht ausgeschlossen werden kann, dass § 6a Abs. 1 der 3. ThürSARS-CoV-2-SonderEindmaßnVO einen eigenständigen infektionsschutzrechtlichen Regelungsgehalt neben § 22 SprengV aufweist, ist das objektive Klarstellungsinteresse zu bejahen.
Mit Blick auf den objektiven Charakter des Normenkontrollverfahrens besteht für den Antrag auch ein Entscheidungsinteresse über den Zeitraum der rechtlichen Wirkung von §§ 3a, 3b und 6a der 3. ThürSARS-CoV-2-SonderEindmaßnVO hinaus. Denn aufgrund der begrenzten zeitlichen Geltung der Corona-Verordnungen besteht die Möglichkeit, dass die mit dem Normenkontrollantrag zur Prüfung gestellten und als verfassungswidrig erachteten Regelungen in weiteren Verordnungen erneut erlassen werden. Diese könnten anderenfalls kaum jemals überprüft werden, was mit dem Zweck des Normenkontrollverfahrens nach Art. 80 Abs. 1 Nr. 4 ThürVerf nicht zu vereinbaren wäre (vgl. hierzu ThürVerfGH, Urteil vom 2. November 2011 – VerfGH 13/10 – LVerfGE 22, 547 [558] = juris Rn. 71; zuletzt ausdrücklich ThürVerfGH, Urteil vom 1. März 2021 – VerfGH 18/20 -, juris Rn. 399; Beschluss vom 19. Mai 2021 – VerfGH 110/20 -, juris Rn. 25).
V. Vom Antrag umfasst ist auch § 3a Satz 1 in der Fassung der Verordnung vom 25. Januar 2021, wonach der Ausschank von Alkohol im öffentlichen Raum untersagt ist. Die Änderung ist, da der Regelungsgehalt gegenüber der ursprünglichen Fassung des § 3a gleich blieb, als nicht wesentlich anzusehen (vgl. zu diesem Kriterium BVerfG, Beschluss vom 3. März 2004 – 1 BvF 1/93 -, BVerfGE 110, 33 [44 f.] = juris Rn. 68 und 70). Etwas anderes gilt für die Einfügung von Satz 2 in die Vorschrift des § 3a aufgrund der Fassung der Verordnung vom 25. Januar 2021. Hier sah die geänderte Bestimmung vor, dass der Konsum von Alkohol in den von zuständigen Verwaltungsbehörden festgelegten und gekennzeichneten Bereichen verboten ist. Diese Änderung ist gegenüber der ursprünglichen Fassung als wesentlich anzusehen, so dass der Antrag der Antragstellerin sich hierauf nicht mehr erstreckt.
D.
Der Antrag ist – wie aus der Entscheidungsformel ersichtlich – nur teilweise begründet.
I. Die Prüfkompetenz des Verfassungsgerichtshofs ist im Rahmen eines abstrakten Normenkontrollverfahrens umfassend. Prüfungsmaßstab ist nach Art. 80 Abs. 1 Nr. 4 ThürVerf, § 11 Nr. 4, § 42 Nr. 1 ThürVerfGHG die Thüringer Verfassung (ThürVerfGH, Urteil vom 25. September 2018 – VerfGH 24/17 -, LVerfGE 29, 276 [296] = juris Rn. 144; Urteil vom 1. März 2021 – VerfGH 18/20 -, juris Rn. 365). Zusätzlicher Prüfungsmaßstab kann sog. hineinwirkendes Bundesverfassungsrecht sein, das als ungeschriebener Bestandteil des Landesverfassungsrechts gilt, wie es etwa für Art. 21 Abs. 1 GG anerkannt ist (vgl. ThürVerfGH, Urteil vom 18. Juli 2006 – VerfGH 8/05 -, LVerfGE 17, 511 [515] = juris Rn. 23; Urteil vom 1. März 2021 – VerfGH 18/20 -, juris Rn. 368).
Soweit die Landesverfassung die Vorgaben der Homogenitätsklausel des Art. 28 Abs. 1 GG übernimmt, bilden außerdem die darin enthaltenen Verfassungsgebote einen vom Verfassungsgerichtshof zu beachtenden Prüfungsmaßstab (ThürVerfGH, LVerfGE 29, 276 [296] = juris Rn. 147; Beschluss vom 19. Mai 2021 – VerfGH 110/20 -, juris Rn. 78). Zwar handelt es sich bei Art. 28 Abs. 1 GG um eine bundesverfassungsrechtliche Verpflichtung, die für die Länder, aber nicht in den Ländern gilt. Die Thüringer Verfassung lässt indes eine Auslegung zu, die dem Homogenitätsgebot des Grundgesetzes in konsistenter Weise Rechnung trägt. Dies erfolgt für die Anforderungen des Art. 28 Abs. 1 Satz 1 GG über die Auslegung von Art. 44 Abs. 1 Satz 2, Art. 45 und Art. 47 Abs. 4 ThürVerf (ThürVerfGH, LVerfGE 29, 276 [296] = juris Rn. 147; Urteil vom 1. März 2021 – VerfGH 18/20 -, juris Rn. 368; Beschluss vom 19. Mai 2021 – VerfGH 110/20 -, juris Rn. 78).
Der aus dem Rechtsstaatsprinzip nach Art. 44 Abs. 1 Satz 2 ThürVerf folgende Vorbehalt des Gesetzes, der der Prüfungskompetenz des Thüringer Verfassungsgerichtshofs unterliegt, untersagt dem Verordnungsgeber landesverfassungsrechtlich, eine Rechtsverordnung zu erlassen, ohne hierzu befugt zu sein. Eine Befugnis zum Erlass einer Rechtsverordnung setzt jedoch voraus, dass die gesetzliche Ermächtigung ihrerseits gültig ist und die Rechtsverordnung ihrem Inhalt nach den durch die Ermächtigungsnorm gesetzten Rahmen wahrt (vgl. ThürVerfGH, Urteil vom 1. März 2021 – VerfGH 18/20 -, juris Rn. 368 m. w. N., Beschluss vom 19. Mai 2021 – VerfGH 110/20 -, juris Rn. 25).
Bei der Überprüfung exekutiver Landesnormen, die – wie im vorliegenden Fall – auf einer bundesrechtlichen Ermächtigungsgrundlage beruhen, ist über das landesverfassungsrechtliche Rechtsstaatsprinzip sowohl die Möglichkeit eröffnet, die bundesrechtliche Ermächtigungsnorm am Maßstab des Bundesverfassungsrechts zu prüfen als auch die landesrechtliche Verordnung daraufhin zu überprüfen, ob sie sich im Rahmen der bundesrechtlichen Ermächtigungsgrundlage hält und mit sonstigem Bundesrecht einschließlich Bundesverfassungsrecht vereinbar ist (vgl. ThürVerfGH, Urteil vom 1. März 2021 – VerfGH 18/20 -, juris Rn. 368; Beschluss vom 19. Mai 2021 – VerfGH 110/20 – juris Rn. 79).
Der Verfassungsgerichtshof prüft die Vereinbarkeit der gesetzlichen Ermächtigung mit dem Grundgesetz sowie die Übereinstimmung der Rechtsverordnung mit der gesetzlichen Ermächtigung als Vorfrage. Kommt er dabei zu dem Ergebnis, dass er ein formelles Bundesgesetz, auf dessen Gültigkeit es bei der Entscheidung ankommt, für bundesverfassungswidrig erachtet, ist er nach Art. 100 Abs. 1 Satz 1 GG zu einer Vorlage an das Bundesverfassungsgericht verpflichtet. Soweit er dagegen zu dem Ergebnis gelangt, dass zwar eine gültige Ermächtigungsgrundlage vorliegt, aber die Verordnung oder einzelne ihrer Regelungen in Widerspruch zur erteilten Ermächtigung und damit zu Bundesrecht stehen, so besteht keine Vorlagepflicht. Denn der überschießende Wortlaut „Landesrecht“ in Art. 100 Abs. 1 Satz 2 Alt. 1 GG ist dahin gehend teleologisch zu reduzieren, dass die Vorlagepflicht allein hinsichtlich formeller Landesgesetze besteht. Daher kann der Verfassungsgerichtshof eigenständig und abschließend prüfen, ob ein Verstoß gegen bundesrechtliche Ermächtigungsvorschriften und damit zugleich ein Verstoß gegen die Thüringer Landesverfassung vorliegt (vgl. ThürVerfGH, Urteil vom 1. März 2021 – VerfGH 18/20 -, juris Rn. 370 ff.; Beschluss vom 19. Mai 2021 – VerfGH 110/20 -, juris Rn. 82).
II. Rechtsgrundlage der 3. ThürSARS-CoV-2-SonderEindmaßnVO ist § 32 Satz 1 i. V. m. §§ 28, 28a, 29, 30 Abs. 1 Satz 2 und § 31 IfSG vom 20. Juli 2000 (BGBl. I S. 1045), geändert durch Artikel 1 des Dritten Gesetzes zum Schutz der Bevölkerung vor einer epidemischen Lage von nationaler Tragweite vom 18. November 2020 (BGBl. I S. 2397).
a) Die Regelungen der §§ 28, 28a IfSG, auf die § 32 IfSG verweist, sind mit dem Rechtsstaatsprinzip nach Art. 44 Abs. 1 Satz 2, Art. 47 Abs. 4 ThürVerf vereinbar. Sie entsprechen den Anforderungen des aus dem Rechtsstaats- und Demokratieprinzip des Grundgesetzes abzuleitenden Parlamentsvorbehalts einschließlich des grundrechtlichen Wesentlichkeitsvorbehalts und dem Bestimmtheitsgrundsatz nach Art. 80 Abs. 1 Satz 2 GG.
b) Die Vorschrift des § 28a wurde durch Gesetz vom 18. November 2020 mit Wirkung zum 19. November 2020 in das Infektionsschutzgesetz eingefügt (BGBl. I S. 2397). Dabei enthält § 28a Abs. 1 IfSG eine konkretisierende Aufzählung möglicher notwendiger Schutzmaßnahmen im Sinne von § 28 Abs. 1 Satz 1 und 2 IfSG zur Verhinderung der Verbreitung von COVID-19 für die Dauer der Feststellung einer epidemischen Lage von nationaler Tragweite nach § 5 Abs. 1 Satz 1 IfSG durch den Deutschen Bundestag. Absatz 2 der Vorschrift regelt die erhöhten Anforderungen an die Untersagung von Versammlungen und religiösen und weltanschaulichen Zusammenkünften, die Anordnung von Ausgangsbeschränkungen und die Untersagung des Betretens oder des Besuchs von Einrichtungen des Gesundheits- und Sozialwesens. In § 28a Abs. 3 IfSG werden die vom Verordnungsgeber zu verfolgenden Zielsetzungen und die regional bezogenen 7-Tage-Inzidenzwerte, d.h. die Zahl der Neuinfektionen je 100.000 Einwohner innerhalb von sieben Tagen, als Maßstab der Zulässigkeit von Schutzmaßnahmen geregelt. Die für die Bestimmung der Inzidenzwerte relevanten Fallzahlen veröffentlicht das Robert Koch-Institut im Internet. Die Vorschrift verknüpft ferner einzelne Inzidenzwerte (35 und 50) mit allgemeinen Anforderungen an die Art der zu ergreifenden Maßnahmen und die Pflicht zu ihrer bundesweiten bzw. landesweiten Abstimmung. Damit hat der Bundesgesetzgeber die Grundentscheidung getroffen, dass bei dem Erlass und der Aufhebung von Schutzmaßnahmen zur Bekämpfung der Corona-Pandemie grundsätzlich ein differenziertes, gestuftes Vorgehen geboten ist, das sich an dem regionalen Infektionsgeschehen orientieren soll (vgl. BayVGH, Beschluss vom 2. Juni 2021 – 20 NE 21.1383 -, juris Rn. 12). Absatz 4 regelt datenschutzrechtliche Anforderungen an die sog. Kontaktdatenerhebung und Absatz 5 verpflichtet die Landesverordnungsgeber zur Begründung und Befristung ihrer Maßnahmen. Schließlich regelt Absatz 6 das Recht zur Kumulation von Maßnahmen sowie ein allgemeines Abwägungsgebot. Absatz 7 enthält Vorgaben für den Fall, dass die Pandemie sich nicht mehr national, sondern nur noch in einzelnen Ländern ausbreitet.
Ausweislich der Gesetzesbegründung wollte der Bundesgesetzgeber mit der Schaffung von § 28a IfSG auf die in der Öffentlichkeit und von Gerichten geäußerte Kritik an der Vereinbarkeit der bisherigen Generalklausel des § 28 IfSG mit dem Parlamentsvorbehalt und der Wesentlichkeitstheorie reagieren. Ausdrücklich heißt es: „Mit der Benennung nicht abschließender Regelbeispiele etwaiger Schutzmaßnahmen gibt der Gesetzgeber in Ausübung seiner Beobachtungs- und Korrekturpflicht Reichweite und Grenzen exekutiven Handelns vor“ (BTDrucks 19/23944, S. 22).
c) Für eine formelle Verfassungswidrigkeit von §§ 28, 28a IfSG am Maßstab von Art. 74 Abs. 1 Nr. 19 und Art. 76 ff. GG und damit für einen Verstoß gegen das Rechtsstaatsprinzip der Thüringer Verfassung bestehen keine Anhaltspunkte.
d) Die §§ 28, 28a IfSG sind auch materiell verfassungsgemäß.
aa) Es ergeben sich keine durchgreifenden Anhaltspunkte, dass die §§ 28, 28a IfSG die verfassungsrechtlichen Anforderungen an den Parlamentsvorbehalt und das Wesentlichkeitsprinzip nicht wahren (ebenso VGH BW, Beschluss vom 5. Februar 2021 – 1 S 321/21 -, juris Rn. 29; VerfGH Sachsen-Anhalt, Urteil vom 26. März 2021 – 4/21 -, juris Rn. 92; vgl. zu § 28 IfSG auch ThürVerfGH, Beschluss vom 1. März 2021 – VerfGH 18/20 -, juris Rn. 385 ff.).
(1) Der im Rechtsstaatsprinzip und im Demokratiegebot des Grundgesetzes wurzelnde Parlamentsvorbehalt gebietet, dass in grundlegenden normativen Bereichen, insbesondere im Bereich der Grundrechtsausübung, die wesentlichen Entscheidungen vom Gesetzgeber selbst getroffen werden. Wann es einer Regelung durch den parlamentarischen Gesetzgeber bedarf, lässt sich nur mit Blick auf den jeweiligen Sachbereich und die Eigenart des betroffenen Regelungsgegenstandes beurteilen. Die verfassungsrechtlichen Wertungskriterien sind dabei den tragenden Prinzipien des Grundgesetzes, insbesondere den dort verbürgten Grundrechten zu entnehmen (vgl. BVerfG, Urteil vom 24. September 2003 – 2 BvR 1436/02 -, juris Rn. 67 f.; Beschluss vom 1. April 2014 – 2 BvF 1/12 -, juris Rn. 101 ff.).
(2) Der Vorbehalt des Gesetzes erschöpft sich nicht in der Forderung nach einer gesetzlichen Grundlage für Grundrechtseingriffe. Er verlangt vielmehr auch, dass alle wesentlichen Fragen vom Gesetzgeber selbst entschieden und nicht anderen Normgebern überlassen werden, soweit sie gesetzlicher Regelung zugänglich sind. Wie weit der Gesetzgeber die für den jeweils geschützten Lebensbereich wesentlichen Leitlinien selbst bestimmen muss, lässt sich dabei nur mit Blick auf den Sachbereich und die Eigenart des Regelungsgegenstandes beurteilen. Aus der Zusammenschau mit dem Bestimmtheitsgrundsatz ergibt sich, dass die gesetzliche Regelung desto detaillierter ausfallen muss, je intensiver die Auswirkungen auf die Grundrechtsausübung der Betroffenen sind. Die erforderlichen Vorgaben müssen sich dabei nicht ohne weiteres aus dem Wortlaut des Gesetzes ergeben; vielmehr genügt es, dass sie sich mit Hilfe allgemeiner Auslegungsgrundsätze erschließen lassen, insbesondere aus dem Zweck, dem Sinnzusammenhang und der Vorgeschichte der Regelung (vgl. BVerfG, Beschluss vom 7. März 2017 – 1 BvR 1314/12 u.a. -, BVerfGE 145, 20 [91] = juris Rn. 182 m. w. N.).
(3) Vor allem im Bereich des Gefahrenabwehrrechts, zu dem das Infektionsschutzrecht gehört, das mit schwerwiegenden Grundrechtseingriffen einhergeht, gebieten es das Rechtsstaatsprinzip sowie die Grundrechte darüber hinaus, dass der Gesetzgeber die ihm zugänglichen Erkenntnisquellen ausschöpft, um sich die Kenntnis von der zur Zeit des Erlasses des Gesetzes bestehenden tatsächlichen Ausgangslage in korrekter und ausreichender Weise zu verschaffen. Ziel ist es hierbei, zu einer realitätsgerechten Einschätzung der Gefahrenlage zu kommen. Bei einer sich dynamisch verändernden Entwicklung kommt dem Gesetzgeber zudem eine kontinuierliche Beobachtungs- und Überprüfungspflicht zu, ob und inwieweit er seine bisherigen Einschätzungen beibehält oder anpasst. Die Anforderungen an die Sachverhaltsermittlung durch den Gesetzgeber variieren allerdings nach Maßgabe der objektiv bestehenden Erkenntnismöglichkeiten zum Zeitpunkt des Erlasses eines Gesetzes, dem Gewicht der bei einem Nichthandeln nachteilig betroffenen Rechtsgüter und der zeitlichen Dringlichkeit, Maßnahmen zur Gefahrenabwehr zu treffen. Bezogen hierauf variieren auch die Anforderungen aus dem Parlamentsvorbehalt an den Gesetzgeber, welche abstrakt-generellen Maßstäbe er zur Gefahrenbeurteilung für den Verordnungserlass durch die Behörden oder bei einem Handeln im konkreten Einzelfall aufstellt. Insbesondere in neuartigen oder komplexen Entscheidungssituationen, wie es bei der Corona-Pandemie der Fall ist, verfügt der Gesetzgeber über eine Einschätzungsprärogative, die der Verfassungsgerichtshof entsprechend zu beachten hat. Sie geht mit weiten Einschätzungs- und Gestaltungsspielräumen einher (vgl. ThürVerfGH, Urteil vom 1. März 2021 – VerfGH 18/20 -, juris Rn. 431 f.).
(4) Nach diesen Maßstäben begegnet es keinen durchgreifenden rechtlichen Bedenken, dass die Regelung des § 28 Abs. 1 i. V. m. § 28a IfSG in ihrer Gesamtheit dem Verordnungsgeber einen weiten Beurteilungs- und Gestaltungsspielraum überträgt und ihn zu tief einschneidenden Grundrechteingriffen ermächtigt.
(5) § 28a Abs. 3 IfSG regelt, abgesehen von den regional bezogenen, gestuften 7-Tage-Inzidenzwerten keine detaillierten Tatbestandsvoraussetzungen für den Erlass von Schutzmaßnahmen zur Verhinderung einer weiteren Verbreitung von COVID-19. Der damit dem Verordnungsgeber übertragene weite Entscheidungsspielraum findet jedoch seine Rechtfertigung in dem dynamischen Charakter der Pandemie und den schwerwiegenden Folgen von COVID-19 für einige Personengruppen. Jedenfalls im November und Dezember 2020 bestanden zudem noch wissenschaftliche Unsicherheiten über die detaillierten Zusammenhänge bei der Virusübertragung in den verschiedenen sozialen Situationen. Schließlich fehlten in diesem Zeitraum allgemein verfügbare Impfstoffe, um weite Bevölkerungskreise vor einer Infektion zu schützen.
(6) Angesichts des weiten Einschätzungs- und Gestaltungsspielraums des Gesetzgebers war die Heranziehung anderer bzw. weiterer Indikatoren neben den 7-Tage-Inzidenzwerten zum damaligen Zeitpunkt verfassungsrechtlich nicht zwingend geboten, um zu einer realitätsnahen Einschätzung der Gefahrensituation zu kommen. Zwar stellen die Inzidenzwerte, die auf der Meldung der Neuinfektionen durch die Gesundheitsämter an das RKI beruhen, einen Parameter dar, dessen Aussagekraft u.a. von der Zahl der Getesteten, dem Testverfahren und Meldeverzögerungen abhängig ist. In Ermangelung von – auch nach fachwissenschaftlichen Maßstäben – offensichtlich besser geeigneten Instrumenten bildeten sie jedoch eine hinreichende Grundlage für die Bestimmung der tatsächlichen Risikosituation und die daraus zu schließende Krankheitslast in der Bevölkerung (vgl. BVerfG, Beschluss vom 19. November 2021 – 1 BvR 781/21 – Rn. 198; BayVerfGH, Entscheidung vom 30. Dezember 2020 – Vf. 96-VII-20 -, juris Rn. 28).
Dagegen wäre etwa die Zahl der Neuaufnahmen in Krankenhäusern und auf Intensivstationen als Hauptindikator der Pandemie-Aktivität im Zeitraum vom Jahresende 2020 bis zum Jahresanfang 2021 nicht offensichtlich besser geeignet gewesen. Die 7-Tage-Inzidenzwerte wiesen in diesem Zeitraum, als Impfmöglichkeiten zum Schutz gegen COVID-19 noch nicht allgemein zur Verfügung standen, eine hinreichend enge Korrelation mit der Hospitalisierungsquote und der Belegung von Intensivstationen auf, so dass sie als frühzeitige, aussagekräftige Beurteilungsgrundlage für den Erlass von Schutzmaßnahmen dienen konnten. Sowohl der Wert an sich als auch seine Veränderung ließ fachlich begründete Aussagen über die aus den Neuinfektionen abzuleitenden Folgen für die Belastung des Gesundheitswesens zu (vgl. BVerfG, Beschluss vom 5. Mai 2021 – 1 BvR 781/21 -, juris Rn. 40; Beschluss vom 19. November 2021 – 1 BvR 781/21 – Rn. 199). Anders als das Abstellen auf die Zahl der Neuaufnahmen in Krankenhäusern und Intensivstationen erlaubten sie den Behörden einen zeitlichen Vorlauf von knapp zwei Wochen, den diese benötigten, um Änderungen an den bisherigen Schutzmaßnahmen zu prüfen und ggf. umzusetzen. Im Übrigen hätte sich die Datenlage durch das Abstellen auf die Zahl der hospitalisierten Personen und die verbleibenden medizinischen Behandlungskapazitäten nicht verbessert, da auch hier mit Meldeverzögerungen und Meldefehlern zu rechnen gewesen wäre. Erst recht hätte die Bezugnahme auf die Zahl der Todesfälle durch COVID-19 keine aussagefähige Entscheidungsgrundlage ergeben, da dadurch nicht vorausschauend zu ermitteln gewesen wäre, in welchem Maße und in welcher Geschwindigkeit es zu einer Erschöpfung der Behandlungskapazitäten der Krankenhäuser kommen würde.
bb) Es bestehen keine Bedenken hinsichtlich der Verhältnismäßigkeit der Regelungen in §§ 28, 28a IfSG.
(1) Die in § 28a Abs. 1 IfSG typisierten Schutzmaßnahmen sind nach Wortlaut, Zweck, Systematik und Entstehungsgeschichte als Regelungen erkennbar, die an die Allgemeinheit gerichtet sind und damit auch die Inanspruchnahme Nichtverantwortlicher umfassen (LVerfG Sachsen-Anhalt, Beschluss vom 2. Februar 2021 – LVG 4/21 -, juris Rn. 54). Wie die Vorschrift des § 28a Abs. 6 Satz 1 IfSG verdeutlicht, können, sofern der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz gewahrt ist, alle erforderlichen Schutzmaßnahmen bis hin zu einem vollständigen Herunterfahren des öffentlichen Lebens und zu weitreichenden Einschränkungen des Privatlebens angeordnet werden. Damit wird klargestellt, dass nicht nur einzelne, begrenzte Maßnahmen, sondern auch weitreichende und langandauernde Maßnahmen zur Bekämpfung übertragbarer Krankheiten vom Willen des Gesetzgebers getragen sind (vgl. BTDrucks 19/24334, S. 74).
Regelungsziel ist es damit, wie bereits nach § 32 Satz 1 i. V. m. § 28 Abs. 1 Satz 1 IfSG, dem Verordnungsgeber ein möglichst breites Spektrum an geeigneten Schutzmaßnahmen zu eröffnen. Denn die Bandbreite an Schutzmaßnahmen, die bei Auftreten einer übertragbaren Krankheit in Frage kommen können, lässt sich im Vorfeld nicht abschließend bestimmen. Der Sinn derartiger, weit gefasster Ermächtigungen besteht gerade darin, auf kaum bzw. schwer vorhersehbare – in diesem Sinne atypische, weil nicht abschließend in typisierenden Standardbefugnissen abbildbare – Gefahrenlagen reagieren zu können (vgl. HambOVG, Beschluss vom 7. Mai 2021 – 1 Bs 73/21 -, juris Rn. 52 f.; ähnlich ThürOVG, Beschluss vom 14. April 2021 – 3 EN 195/21 -, juris Rn. 81).
(2) Demgegenüber muss berücksichtigt werden, dass diese Ermächtigungen dadurch beschränkt werden, dass es sich um „notwendige“ Schutzmaßnahmen handeln muss, nämlich Maßnahmen, die zur Verhinderung der (Weiter-)Verbreitung der Krankheit geboten sind. Sie sind allein auf das Ereignis der Corona-Pandemie zugeschnitten und dürfen nur für die Dauer der Feststellung einer epidemischen Lage von nationaler Tragweite nach § 5 Abs. 1 Satz 1 IfSG durch den Deutschen Bundestag ausgeübt werden. Dadurch bringt der Bundestag eine eigene Gefährdungseinschätzung der Corona-Pandemie zum Ausdruck, welche – dem Grundsatz nach – auch einschneidende Maßnahmen rechtfertigen kann (vgl. BayVGH, Beschluss vom 8. Dezember 2020 – 20 NE 20.2461 -, juris Rn. 24). Die epidemische Lage von nationaler Tragweite nach § 28a IfSG stellte der Deutschen Bundestag erstmals am 25. März 2020 fest. Die Feststellung wurde am 18. November 2020 verlängert.
Das in § 28a Abs. 6 Satz 1 IfSG ausdrücklich verkörperte, allgemeine Verhältnismäßigkeitsprinzip, die besonderen Verhältnismäßigkeitserwägungen nach § 28a Abs. 2 IfSG sowie die Pflicht zur Abwägung der infektiologischen Erfordernisse mit sozialen, gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Auswirkungen auf den Einzelnen und die Allgemeinheit nach § 28a Abs. 6 Satz 2 IfSG begrenzen die Ermächtigung des § 32 Satz 1 i. V. m. § 28 Abs. 1, § 28a Abs. 1 IfSG (vgl. BayVGH, Beschluss vom 8. Dezember 2020 – 20 NE 20.2461 -, juris Rn. 25). Überdies stellt § 28a Abs. 6 Satz 3 IfSG klar, dass einzelne soziale, gesellschaftliche oder wirtschaftliche Bereiche, die für die Allgemeinheit von besonderer Bedeutung sind, von Schutzmaßnahmen ausgenommen werden können, soweit ihre Einbeziehung zur Verhinderung der Verbreitung von COVID-19 nicht zwingend erforderlich ist.
(3) Durch die zeitliche Befristung der Rechtsverordnungen nach § 28a Abs. 5 Satz 1 IfSG erfolgt eine regelmäßige Kontrolle der Maßnahmen und die Prüfung, ob ihr Fortbestand im Hinblick auf die jeweils bestehende Gefahrenlage und den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit weiterhin gerechtfertigt werden kann (vgl. BTDrucks 19/24334, S. 74). Ohnehin kommt dem Verordnungsgeber aufgrund der dynamischen Entwicklung der Pandemie eine fortwährende Beobachtungs- und Überprüfungspflicht zu, ob und inwieweit er an Einschränkungen festhält, sie aufrechterhält oder auch verschärft (ThürOVG, Beschluss vom 14. April 2021 – 3 EN 195/21 -, juris Rn. 82). Die Begründungspflicht nach § 28a Abs. 5 Satz 1 IfSG dient schließlich der Selbstkontrolle der Verwaltung. Sie fördert die Rationalität des Verfahrens, sichert Legitimation und gewährleistet als prozedurale Anforderung den Grundrechtsschutz durch Verfahren (vgl. BTDrucks 19/24334, S. 74).
cc) Es bestehen keine Zweifel, dass die §§ 28, 28a IfSG das Bestimmtheitsgebot nach Art. 80 Abs. 1 Satz 2 GG hinreichend wahren.
(1) Nach Art. 80 Abs. 1 Satz 2 GG müssen Gesetze, die zum Erlass von Rechtsverordnungen ermächtigen, Inhalt, Zweck und Ausmaß der erteilten Ermächtigung bestimmen. Danach soll sich das Parlament seiner Verantwortung als gesetzgebende Körperschaft nicht dadurch entäußern können, dass es einen Teil der Gesetzgebungsmacht der Exekutive überträgt, ohne die Grenzen dieser Kompetenzen bedacht und diese nach Tendenz und Programm so genau umrissen zu haben, dass der Bürger schon aus der gesetzlichen Ermächtigung erkennen und vorhersehen kann, was ihm gegenüber zulässig sein soll und welchen möglichen Inhalt die aufgrund der Ermächtigung erlassenen Verordnungen haben können (st. Rspr., vgl. zuletzt BVerfG, Beschluss vom 11. März 2020 – 2 BvL 5/17 -, BVerfGE 153, 310 [353 f.] = juris Rn. 100; ThürVerfGH, Urteil vom 1. März 2021 – VerfGH 18/20 -, juris Rn. 386).
Die Ermächtigungsnorm muss in ihrem Wortlaut nicht so genau wie irgend möglich gefasst sein; sie hat von Verfassungs wegen nur hinreichend bestimmt zu sein. Dazu genügt es, dass sich die gesetzlichen Vorgaben mit Hilfe allgemeiner Auslegungsregeln erschließen lassen, insbesondere aus dem Zweck, dem Sinnzusammenhang und der Entstehungsgeschichte der Norm. Welche Anforderungen an das Maß der erforderlichen Bestimmtheit im Einzelnen zu stellen sind, lässt sich somit nicht allgemein festlegen. Zum einen kommt es auf die Intensität der Auswirkungen der Regelung für die Betroffenen an. So muss die Bestimmtheit der Ermächtigungsnorm der Grundrechtsrelevanz der Regelung entsprechen, zu der ermächtigt wird. Greift die Regelung erheblich in die Rechtsstellung des Betroffenen ein, sind höhere Anforderungen an den Grad der Bestimmtheit der Ermächtigung zu stellen, als wenn es sich um einen Regelungsbereich handelt, der die Grundrechtsausübung weniger tangiert (BVerfGE 153, 310 [354] = juris Rn. 101 f.).
Zum anderen hängen die Anforderungen an Inhalt, Zweck und Ausmaß der gesetzlichen Determinierung von der Eigenart des zu regelnden Sachverhalts ab, insbesondere davon, in welchem Umfang dieser einer genaueren begrifflichen Umschreibung überhaupt zugänglich ist. Dies kann es auch nahelegen, von einer detaillierten gesetzlichen Regelung abzusehen und die nähere Ausgestaltung des zu regelnden Sachbereichs dem Verordnungsgeber zu überlassen, der die Regelungen rascher und einfacher auf dem neuesten Stand zu halten vermag als der Gesetzgeber (vgl. BVerfGE 153, 310 [354] = juris Rn. 103).
(2) Die Vorschrift regelt den Inhalt der vom Verordnungsgeber zu treffenden Maßnahmen durch den Katalog in § 28a Abs. 1 Nr. 1 bis 17 IfSG, die Bezugnahme auf eine wirksame Verhinderung der Verbreitung von COVID-19 in Absatz 6 Satz 1 sowie die Pflicht zur Abstufung der Maßnahmen nach Maßgabe von Absatz 3. Der Zweck der Schutzmaßnahmen ist nach § 28a Abs. 3 IfSG enger als nach § 28 Abs. 1 Satz 1 IfSG und durch die Verhinderung der Verbreitung von COVID-19 und insoweit den Schutz von Leben und Gesundheit und der Funktionsfähigkeit des Gesundheitssystems hinreichend bestimmt festgelegt. In ihrer Gesamtheit verdeutlicht die Vorschrift zudem das Ausmaß der damit verbundenen, schwerwiegenden Grundrechtseingriffe.
Dass dabei die näheren Voraussetzungen, unter denen der Verordnungsgeber konkrete Vorgaben treffen kann, nur im Hinblick auf die 7-Tage-Inzidenzwerte geregelt werden, erweist sich im Ergebnis als verfassungskonform. Einer genaueren Regelung stand – jedenfalls im Dezember 2020 – entgegen, dass der Regelungsgegenstand weder unter gefahrenabwehrrechtlichen noch unter fachwissenschaftlichen Aspekten mit abschließender Sicherheit zu erfassen war. Das ergibt sich aus der hohen Infektiosität des Virus, dem Auftreten von Virus-Varianten, der schwierigen Nachvollziehbarkeit der Ansteckungswege und der mitunter schwerwiegenden Folgen einer Erkrankung. Darüber hinaus zeichnete sich bereits im November 2020 ein massiver Anstieg der Fallzahlen und der damit verbundenen Risiken für die Gesundheit der Bevölkerung und das öffentliche Gesundheitswesen ab, deren Höhe und Dynamik weit über diejenigen während der ersten Welle im März und April 2020 hinausgingen. Diese Faktoren rechtfertigten die Entscheidung des Gesetzgebers, dem Verordnungsgeber weiterhin große Entscheidungsspielräume einzuräumen, um rasch auf die sich dynamisch verändernde Lage reagieren zu können. Im Übrigen fehlte es zu diesem Zeitpunkt noch an einem für die Breite der Bevölkerung erreichbaren und geeigneten Impfstoff, dessen Schutzwirkung auf normativer Ebene ggf. ein stärker abgestuftes Regelungsmodell zugelassen hätte.
(3) Es bestehen im Lichte des Bestimmtheitsgebots auch keine Bedenken, dass der Gesetzgeber in § 28a Abs. 1 Nr. 3 IfSG die Exekutive zum Erlass von Rechtsverordnungen ermächtigt, in deren Folge es zu Ausgangsbeschränkungen und damit zu Beschränkungen des Grundrechts der körperlichen Bewegungsfreiheit nach Art. 104 Abs. 1 GG kommt. Zwar sieht Art. 2 Abs. 2 Satz 3 GG vor, dass in dieses Recht nur auf Grund eines Gesetzes eingegriffen werden kann. Art. 104 Abs. 1 Satz 1 GG verlangt insoweit ein „förmliches“ Gesetz. Das Schrifttum leitet daraus keine Delegationssperre ab, solange die Rechtsverordnung eng an das Gesetz gebunden ist (Starck, in: v. Mangold/Klein/Starck, GG, 7. Aufl. 2018, Art. 2 Abs. 2 Rn. 198) bzw. die Anforderungen entsprechend des Art. 103 Abs. 2 GG gewahrt sind (Degenhart, in: Sachs, GG, 9. Aufl. 2021, Art. 104 Rn. 10; Schulze-Fielitz, in: Dreier, GG, Bd. III, 3. Aufl. 2018, Art. 104 Rn. 30). Auch das Bundesverfassungsgericht hat es im Hinblick auf Freiheitsstrafen unter dem Aspekt des Art. 104 Abs. 1 Satz 1 GG den Erlass von Rechtsverordnungen als zulässig angesehen, solange dem Verordnungsgeber lediglich gewisse Spezifizierungen des Tatbestandes überlassen bleiben (vgl. BVerfG, Beschluss vom 22. Juni 1988 – 2 BvR 234/87, 1154/86 -, BVerfGE 78, 374 [383] = juris Rn. 28; BVerfG, Beschluss vom 21. September 2016 – 2 BvL 1/15 -, BVerfGE 143, 38 [57] = Rn. 47); ebenso Jarass, in: Jarass/Pieroth, GG, 16. Aufl. 2021, Art. 104 Rn. 4, 16; ähnlich Kunig/Saliger, in: v. Münch/Kunig, GG, 7. Aufl. 2021, Art. 104 Rn. 13 f.).
Damit bestehen keine Zweifel, dass der Gesetzgeber eine den Anforderungen des Art. 80 Abs.1 Satz 2 GG genügende Ermächtigung geschaffen hat (ebenso LVerfG Sachsen-Anhalt, Beschluss vom 2. Februar 2021 – LVG 4/21 -, juris Rn. 53; ThürOVG, Beschluss vom 25. November 2020 – 3 EN 746/20 -, juris Rn. 40).
dd) Da die Vorschrift nunmehr den Inhalt der vom Verordnungsgeber zu treffenden Maßnahmen durch den Katalog in § 28a Abs. 1 Nr. 1 bis 17 IfSG, die Bezugnahme auf eine wirksame Verhinderung der Verbreitung von COVID-19 in Absatz 6 Satz 1 sowie die Pflicht zur Abstufung der Maßnahmen nach Maßgabe von Absatz 3 detailliert regelt, bestehen auch mit Blick auf eine Bußgeldbewährung der Ge- und Verbote keine Bedenken bezüglich ihrer Vereinbarkeit mit dem aus Art. 44 Abs. 1 Satz 2 ThürVerf i. V. m. Art. 103 Abs. 2 GG folgenden besonderen Bestimmtheitsgebot (anders als hinsichtlich der Generalklausel des § 28 Abs. 1 Satz 1 IfSG, vgl. ThürVerfGH, Urteil vom 1. März 2021 – VerfGH 18/20 -, juris Rn. 593 ff. und Beschluss vom 19. Mai 2021 – VerfGH 110/20 -, juris Rn. 85 ff.).
III. Die 3. ThürSARS-CoV-2-SonderEindmaßnVO ist formell verfassungsgemäß.
1. § 32 Satz 1 IfSG ermächtigt die Landesregierungen, unter den Voraussetzungen, die für Maßnahmen nach den §§ 28, 28a und 29 bis 31 IfSG maßgebend sind, durch Rechtsverordnungen entsprechende Gebote und Verbote zur Bekämpfung übertragbarer Krankheiten zu erlassen. In § 32 Satz 2 IfSG werden die Landesregierungen ermächtigt, die Ermächtigung durch Rechtsverordnung auf andere Stellen zu übertragen.
Von der Ermächtigung zur Subdelegation machte die Thüringer Landesregierung mit § 7 Abs. 1 und 2 der Thüringer Verordnung zur Regelung von Zuständigkeiten und zur Übertragung von Ermächtigungen nach dem Infektionsschutzgesetz (ThürIfSGZustVO) vom 2. März 2016 (GVBl. 2016, S. 155), zuletzt geändert durch Artikel 3 der Verordnung vom 21. September 2020 (GVBl. 2020, S. 501), Gebrauch. Die Thüringer Verordnung zur Neuordnung der erforderlichen Maßnahmen zur Eindämmung der Ausbreitung des Coronavirus SARS-CoV-2 sowie zur Verbesserung der infektionsschutzrechtlichen Handlungsmöglichkeiten vom 9. Juni 2020 (GVBl. 2020, S. 269) führt in ihrer Eingangsformel explizit § 32 Satz 2 IfSG auf und enthält in Art. 2 Ziffer 4 die Neufassung des § 7 ThürIfSGZustVO. Die 3. ThürSARS-CoV-2-SonderEindmaßnVO wurde insoweit durch das zuständige Ministerium für Arbeit, Soziales, Gesundheit, Frauen und Familie sowie das Ministerium für Bildung, Jugend und Sport im Einvernehmen mit dem Ministerium für Arbeit, Soziales, Gesundheit, Frauen und Familie erlassen.
2. Es bestehen keine Anhaltspunkte dafür, dass das Verfahren der Verordnungsgebung nicht ordnungsgemäß erfolgte.
3. Die 3. ThürSARS-CoV-2-SonderEindmaßnVO wird auch dem Zitiergebot gerecht (vgl. ThürVerfGH, Urteil vom 1. März 2021 – VerfGH 18/20 -, juris Rn. 535 ff.). In der Präambel der Rahmenverordnung (Thüringer Verordnung zur Fortschreibung und Verschärfung außerordentlicher Sondermaßnahmen zur Eindämmung einer sprunghaften Ausbreitung des Coronavirus SARS-CoV-2 sowie zur Ergänzung der allgemeinen Infektionsschutzregeln vom 14. Dezember 2020) werden im Hinblick auf das Ministerium für Arbeit, Soziales etc. § 32 Satz 1 in Verbindung mit den §§ 28, 28a, 29, 30 Abs. 1 Satz 2 und § 31 IfSG sowie § 7 Abs. 1 ThürIfSGZustVO und im Hinblick auf das Ministerium für Bildung, Jugend und Sport § 32 Satz 1 IfSG in Verbindung mit § 7 Abs. 2 ThürIfSGZustVO genannt.
4. Auch der Begründungspflicht nach § 28a Abs. 5 Satz 1 IfSG wurde genüge getan. Die Regelungen der §§ 3a, 3b, 6a der 3. ThürSARS-CoV-2-SonderEindmaßnVO wurden schriftlich begründet und die Begründung im Internet veröffentlicht.
5. Die Verordnung wurde nach § 9 des Thüringer Verkündungsgesetzes ordnungsgemäß verkündet. Die Verkündung erfolgte zunächst im Wege der Notveröffentlichung im Internet. Zudem wurde die Verordnung unverzüglich nachträglich im Thüringer Gesetz- und Verordnungsblatt bekannt gemacht (GVBl. 2020, S. 631).
IV. Die Vorschrift des § 3a der 3. ThürSARS-CoV-2-SonderEindmaßnVO in der Fassung vom 14. Dezember 2020 wahrte nicht die Anforderungen der gesetzlichen Ermächtigungsgrundlage und war daher wegen des Verstoßes gegen das Rechtsstaatsprinzip nach Art. 44 Abs. 1 Satz 2 ThürVerf verfassungswidrig und nichtig. Die Ermächtigung wurde auch durch die Änderung des § 3a aufgrund der Verordnung vom 25. Januar 2021 missachtet, soweit der Ausschank von Alkohol im öffentlichen Raum betroffen war.
1. Für das Verbot von Alkoholausschank und Alkoholkonsum in § 3a der 3. ThürSARS-CoV-2-SonderEindmaßnVO findet sich eine Konkretisierung der Ermächtigungsgrundlage in § 32 i. V. m. § 28a Abs. 1 Nr. 9 IfSG. Der Wortlaut dieser Vorschrift sieht zwar ein Verbot der Abgabe und des Konsums von Alkohol vor, aber nur, soweit dieses räumlich auf bestimmte öffentliche Plätze oder bestimmte öffentlich zugängliche Einrichtungen beschränkt ist. Im Gegensatz dazu ordnete § 3a der 3. ThürSARS-CoV-2-SonderEindmaßnVO ein räumlich unbeschränktes Verbot der Abgabe und des Konsums von Alkohol an.
Insoweit schließt sich der Thüringer Verfassungsgerichtshof der weit überwiegenden Rechtsprechung an, wonach § 28a Abs. 1 Nr. 9 IfSG kein in örtlicher Hinsicht umfassendes Verbot des Konsums von Alkohol im gesamten Geltungsbereich einer Landesrechtsverordnung gestattet und den Verordnungsgeber damit zum Erlass solcher Regelung nicht ermächtigt (BayVGH, Beschluss vom 19. Januar 2021 – 20 NE 21.76 -, juris Rn. 26; ThürOVG, Beschluss vom 1. Februar 2021 – 3 N 852/20 -, juris Rn. 4; OVG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 5. Februar 2021 – OVG 11 S 10/21 -, juris Rn. 13 ff., LVerfG Sachsen-Anhalt, Urteil vom 26. März 2021 – 4/21 – juris, Rn. 133). Soweit in § 28a Abs. 1 Nr. 9 IfSG das Wort „umfassend“ verwendet wird, bezieht es sich auf die zeitliche Dimension derartiger Verbote, nicht aber zugleich auf ihre räumliche Anwendung.
2. Auch ein Rückgriff auf die Generalklausel des § 28 Abs. 1 Satz 1 IfSG scheidet vorliegend aus, weil die im Katalog des § 28a Abs. 1 genannten Schutzmaßnahmen bei der Eindämmung der Corona-Pandemie als gegenüber der Generalklausel speziellere Ermächtigungen ausgestaltet sind. Dem steht nicht entgegen, dass es in § 28a Abs. 1 IfSG einleitend heißt, notwendige Schutzmaßnahmen im Sinne des § 28 Abs. 1 S. 1 und 2 IfSG könnten „insbesondere“ die nachfolgenden sein. Die Bestimmungen des § 28a Abs. 1 IfSG haben nicht nur klarstellenden Charakter und beschränken sich nicht in der Nennung von Regelbeispielen. Denn der Gesetzgeber hat § 28a in das Infektionsschutzgesetz eingefügt, um dem verfassungsrechtlichen Parlamentsvorbehalt Rechnung zu tragen und damit den Beurteilungs- und Gestaltungsspielraum der Exekutive zu begrenzen. Anderenfalls liefen die Regelungen in § 28a Abs. 1 IfSG leer, die in Verbindung mit § 28 Abs. 1 IfSG nicht nur eine hinreichende Ermächtigungsgrundlage für grundrechtsrelevante Eingriffe zur Verhinderung der Verbreitung von COVID-19 schaffen, sondern gleichzeitig die Regelungsbefugnisse des Verordnungsgebers determinieren sollen. Damit hat der Bundesgesetzgeber für die hier in Rede stehenden Alkoholverbote Inhalt, Zweck und Ausmaß der Verordnungsermächtigung nach § 32 IfSG abschließend bestimmt (vgl. BayVGH, Beschluss vom 19. Januar 2021 – 20 NE 21.76 -, juris Rn. 31; OVG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 5. Februar 2021 – OVG 11 S 10/21 -, juris Rn. 17).
Angesichts der Spezialität des § 28a Abs. 1 IfSG ist ein Rückgriff auf die Rechtsgrundlage des § 28 Abs. 1 Satz 1 IfSG lediglich für solche Schutzmaßnahmen eröffnet, die entweder hinter der Eingriffstiefe und -breite der im Katalog des § 28a Abs. 1 IfSG aufgeführten Maßnahmen zurückbleiben (Minus-Maßnahmen) oder an ungeschriebene, gleichwertig qualifizierte Tatbestände gebunden sind. Einem Alkoholverbot, das sich unter Missachtung der Grenzen des Ermächtigungstatbestands in § 28a Abs. 1 Nr. 9 IfSG nicht auf „bestimmte“ Plätze oder Einrichtungen bezieht, vermag das nicht zu der fehlenden gesetzlichen Grundlage zu verhelfen (vgl. LVerfG Sachsen-Anhalt, Urteil vom 26. März 2021 – LVG 4/21 -, juris Rn. 134).
3. Auch das Verbot des Ausschanks von Alkohol im öffentlichen Raum nach § 3a in der Fassung der Verordnung vom 25. Januar 2021 ist aus den oben genannten Gründen mangels hinreichender Ermächtigungsgrundlage verfassungswidrig.
V. § 3b Abs. 1 der 3. ThürSARS-CoV-2-SonderEindmaßnVO war bei verfassungskonformer Auslegung und nach Maßgabe der folgenden Gründe mit der Thüringer Verfassung vereinbar.
1. Mit § 3b Abs. 1 der 3. ThürSARS-CoV-2-SonderEindmaßnVO wurde nach dem Wortlaut das Verlassen der Wohnung oder Unterkunft ohne triftigen Grund mit Ablauf des 15. Dezember 2020 in der Zeit von 22 Uhr bis 5 Uhr des Folgetages untersagt.
Nach dem Wortlaut war es dagegen nicht untersagt, einen bereits nach Ende und vor Beginn der nächtlichen Ausgangsbeschränkung begonnenen Aufenthalt außerhalb der eigenen Unterkunft bzw. des eigenen Grundstücks fortzusetzen. Ebenso wenig waren – ausweislich des Wortlauts – Personen, die zur eigenen Wohnung zurückkehrten, von dem Verbot betroffen. Gemessen hieran waren die genannten Aufenthalte in der Öffentlichkeit oder in fremden Wohnungen innerhalb des Rahmens der Kontaktbeschränkung nach § 3 der 3. ThürSARS-CoV-2-SonderEindmaßnVO bereits ohne Berücksichtigung des nicht abschließenden Katalogs der triftigen Gründe in umfangreichem Maße auch weiterhin innerhalb des Zeitfensters von 22 Uhr abends bis 5 Uhr morgens zulässig (vgl. OVG M-V, Beschluss vom 23. April 2021 – 1 KM 221/21 OVG -, juris Rn. 33).
Dies ändert sich nicht dadurch, dass es sich nach dem Regelungswillen des Verordnungsgebers bei der Regelung um ein „Verbot des Aufenthalts im öffentlichen Raum bzw. in der Öffentlichkeit mit den zahlreichen, nicht kontrollierbaren Ansteckungsgefahren handel[n]“ sollte. Der eindeutige Wortlaut der Norm („Verlassen der Wohnung“) ist enger gefasst und trägt von daher ein sachlich weitergehendes Aufenthaltsverbot nicht. Einer extensiven Auslegung unter dem Gesichtspunkt der Normgenese oder des Schutzzwecks stehen verfassungsrechtliche Schranken entgegen. Ein den klaren Wortlaut übersteigendes Verständnis als Aufenthaltsverbot und die Durchsetzung mit den Mitteln des Ordnungswidrigkeitenrechtes aufgrund von § 12 Abs. 3 Nr. 3 3. ThürSARS-CoV-2-SonderEindmaßnVO verstieße gegen das verfassungsrechtliche Bestimmtheitsgebot nach Art. 44 Abs. 1 Satz 2 ThürVerf in Verbindung mit Art. 103 Abs. 2 GG.
Dass zwischen dem „Verlassen einer Wohnung“ und dem „Aufenthalt außerhalb einer Wohnung“ unterschieden werden kann, belegt auch § 28b Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 IfSG, der ausdrücklich die zweite Variante erfasst. Noch deutlicher tritt der Unterschied hervor, vergleicht man das streitgegenständliche Verbot mit ähnlichen Vorschriften anderer Länder. So enthielt § 2 der Elften Bayerischen Infektionsschutzmaßnahmenverordnung vom 15. Dezember 2020 (1. BayIfSMV; BayMBl. 2020 Nr. 737) eine allgemeine Ausgangsbeschränkung und in § 3 ein Verbot des Aufenthalts außerhalb einer Wohnung in der Zeit von 21 bis 5 Uhr.
2. Die Vorschrift ist schließlich verfassungskonform dahin gehend auszulegen, dass sie auch den Aufenthalt auf dem zur Wohnung bzw. Unterkunft gehörenden, umfriedeten Besitztum zuließ.
Diese Auslegung ergibt sich aus dem verfassungsrechtlichen Begriff der Wohnung in Art. 13 Abs. 1 GG, der dem in Art. 8 Abs. 1 ThürVerf entspricht. Sinn dieser Garantie ist Abschirmung der Privatsphäre in räumlicher Hinsicht (vgl. BVerfG, Urteil vom 17. Februar 1998 – 1 BvF 1/91 -, BVerfGE 97, 228 [265] = juris Rn. 134). Ein entgegengesetztes Verständnis des § 3b der 3. ThürSARS-CoV-2-SonderEindmaßnVO stünde nicht nur im Widerspruch zum verfassungsrechtlichen Schutz der Wohnung, sondern hätte auch die Unangemessenheit der Regelung zur Folge. Diese Auslegung ist schließlich mit dem Regelungszweck des § 3b der 3. ThürSARS-CoV-2-SonderEindmaßnVO vereinbar, der darauf zielt, nächtliche Aufenthalte im öffentlichen Raum zu beschränken, wie sich auch aus der Begründung der Verordnung ergibt. Die Wohnung im Sinne des Art. 13 Abs. 1 GG und des Art. 8 Abs. 1 ThürVerf ist vom öffentlichen Raum strikt zu unterscheiden, solange nicht der Verfügungsberechtigte aus eigenem Entschluss seine Räumlichkeiten der Öffentlichkeit zugänglich gemacht hat.
3. Welche Anforderungen an den Nachweis der triftigen Gründe im Sinne von § 3b Abs. 3 der 3. ThürSARS-CoV-2-SonderEindmaßnVO zu stellen sind, regelte die Verordnung nicht. Nur in der Begründung hieß es:
„Die Verordnung lässt, anders als etwa in § 5 bei der Verpflichtung zur Verwendung von Mund-Nasen-Bedeckungen, keine bloße Glaubhaftmachung im Sinne einer nur überwiegenden Wahrscheinlichkeit des Vorliegens geltend gemachter Gründe zu.“
Derartige erhöhte Nachweispflichten sind indes nicht durch den Wortlaut der Vorschrift gedeckt und würden, sollte es zur Durchsetzung des Verbots mit den Mitteln des Bußgeldrechts kommen, in Widerspruch zum verfassungsrechtlichen Bestimmtheitsgebot stehen (vgl. auch SaarlVerfGH, Beschluss vom 28. April 2020 – Lv 7/20 -, juris Rn. 51, der bereits das Erfordernis der Glaubhaftmachung als unzumutbar betrachtete). Schließlich sind erhöhte Nachweispflichten auch nicht aus Gründen der effektiven Gefahrenabwehr zwingend geboten. Dies belegt der Vergleich mit der bundesrechtlichen Vorschrift des § 28b Abs. 1 Nr. 2 IfSG, bei der der Gesetzgeber hinsichtlich der triftigen Gründe ein Glaubhaftmachen für ausreichend hielt (BTDrucks 19/28444, S. 12). Für mögliche Bußgeldverfahren ist überdies zu beachten, dass der Landesverordnungsgeber nicht von den gesetzlichen Vorgaben in § 46 Abs. 1 OwiG i. V. m. § 160 Abs. 2 StPO abweichen kann, wonach die Verwaltungsbehörde umfassend ermittlungspflichtig ist und für die Erhebung der Beweise Sorge zu tragen hat.
4. Die – wie oben zu verstehende – Ausgangsbeschränkung nach § 3b der 3. ThürSARS-CoV-2-SonderEindmaßnVO war mit den Grundrechten der Thüringer Verfassung nur teilweise vereinbar.
a) Die Maßnahme griff in das Grundrecht der körperlichen Bewegungsfreiheit nach Art. 2 Abs. 2 Satz 2 GG ein, der in Thüringen Art. 3 Abs. 1 Satz 2 ThürVerf entspricht (aa). Sie bewirkte eine Freiheitsbeschränkung im Sinne von Art. 4 Abs. 1 ThürVerf (Art. 104 Abs. 1 GG), nicht aber eine Freiheitsentziehung nach Art. 4 Abs. 3 ThürVerf (Art. 104 Abs. 2 GG) (bb).
aa) Art. 3 Abs. 1 Satz 2 ThürVerf schützt – im Rahmen der geltenden allgemeinen Rechtsordnung – die tatsächliche körperliche Bewegungsfreiheit vor staatlichen Eingriffen. Das Grundrecht gewährleistet allerdings von vornherein nicht die Befugnis, sich unbegrenzt und überall hin bewegen zu können. Die Fortbewegungsfreiheit setzt damit in objektiver Hinsicht die Möglichkeit voraus, von ihr tatsächlich und rechtlich Gebrauch machen zu können. Subjektiv genügt ein darauf bezogener natürlicher Wille. Wie sich aus der Bezeichnung des Rechts als „unverletzlich“ und aus seinen Schranken in Art. 3 Abs. 1 Satz 3 ThürVerf sowie Art. 4 Abs. 1 ThürVerf und den Verfahrensgarantien des Art. 4 Abs. 2 bis 5 ThürVerf ergibt, handelt es sich um ein Grundrecht von hohem Rang, in das lediglich aus wichtigen Gründen eingegriffen werden darf (vgl. ThürVerfGH, Beschluss vom 7. November 2018 – VerfGH 4/18 -, juris Rn. 46; BVerfG, Beschluss vom 19. November 2021 – 1 BvR 781/21 -, juris Rn. 241 m. w. N.).
Da der Schutzbereich auf die im Rahmen der geltenden allgemeinen Rechtsordnung gegebene tatsächliche körperliche Bewegungsfreiheit begrenzt ist, liegt ein Eingriff erst dann vor, wenn die betroffene Person durch die öffentliche Gewalt gegen ihren Willen daran gehindert wird, einen Ort oder Raum, der ihr an sich tatsächlich und rechtlich zugänglich ist, aufzusuchen, sich dort aufzuhalten oder diesen zu verlassen. Das ist jedenfalls bei staatlichen Eingriffen durch Verhaftung, Festnahme und ähnliche Maßnahmen des unmittelbaren Zwangs der Fall (vgl. BVerfG, Beschluss vom 19. November 2021 – 1 BvR 781/21 -, juris Rn. 243).
Ein Eingriff in Art. 3 Abs. 1 Satz 2 ThürVerf liegt jedoch nicht allein dann vor, wenn der staatliche Akt selbst mit der Anwendung unmittelbaren, also körperlich wirkenden Zwangs einhergeht, wie etwa bei der Verhaftung. In notwendiger Abgrenzung zur allgemeinen Handlungsfreiheit nach Art. 3 Abs. 2 ThürVerf (Art. 2 Abs. 1 GG) können auch staatliche Maßnahmen in die Fortbewegungsfreiheit eingreifen, die auf den Willen des Betroffenen zur Ausübung der Fortbewegungsfreiheit in vergleichbarer Weise wirken wie bei unmittelbarem Zwang. Dementsprechend kann in die Fortbewegungsfreiheit auch durch allein psychisch vermittelten Zwang eingegriffen werden. Um einen gegen den Willen auf Ausübung der Fortbewegungsfreiheit gerichteten staatlichen Eingriffsakt annehmen zu können, bedarf es einer von ihm ausgehenden Zwangswirkung, die nach Art und Ausmaß einem unmittelbar wirkenden physischen Zwang vergleichbar ist. Ob eine vergleichbare Zwangswirkung gegeben ist, richtet sich nach den konkreten tatsächlichen und rechtlichen Umständen. Für einen Eingriff können staatlich angeordnete Verbote genügen, einen bestimmten Ort oder Bereich nicht ohne Erlaubnis zu verlassen (vgl. BVerfG, Beschluss vom 19. November 2021 – 1 BvR 781/21 -, juris Rn. 244 ff. m. w. N.).
Bei einer Gesamtbetrachtung der rechtlichen und tatsächlichen Umstände bedeutet das, dass das Verbot nach § 3b Abs. 1 der 3. ThürSARS-CoV-2-SonderEindmaßnVO in das Grundrecht der körperlichen Fortbewegungsfreiheit eingriff. Den von dem Verbot betroffenen Bürgern war (und ist) das Bundesgebiet rechtlich wie tatsächlich grundsätzlich zugänglich. Nach Wortlaut und Regelungszweck zielte es ausdrücklich darauf, ihre körperliche Bewegungsfreiheit auf den räumlichen Bereich der Wohnung oder der Unterkunft zu beschränken. Für einen Zeitraum von sieben Stunden am Tag und damit weit über die Schwelle nur kurzfristiger und geringfügiger Beeinträchtigung hinaus untersagte es das Verlassen der Wohnung. Dass das Verbot nur die Nachtstunden und damit Zeiten regelmäßig geringerer Mobilität betraf, hat Bedeutung für das Gewicht des Eingriffs, nicht aber für sein Vorliegen als solches. Damit ging außerdem eine einfach zu bewerkstelligende Kontrolle der Einhaltung des Verbots einher, was für das Ausmaß der vom Verbot ausgehenden psychisch vermittelten Zwangswirkung von Bedeutung ist. Denn jeder Bürger musste damit rechnen, dass das Verbot auch polizeilich durchgesetzt werden würde (vgl. BVerfG, Beschluss vom 19. November 2021 – 1 BvR 781/21 -, juris Rn. 249).
Die Ausgangsbeschränkung war schließlich nicht nur mittelbare Folge einer anderweitigen gesetzlichen Verhaltenspflicht (wie etwa der Schulpflicht oder der Wehrpflicht), sondern galt eigenständig und trat daher neben die Kontaktbeschränkungen nach § 3 der 3. ThürSARS-CoV-2-SonderEindmaßnVO. Das zeigte sich etwa daran, dass ein Verlassen der Wohnung auch dann verboten war, wenn die Person alleine im Freien spazieren gehen oder Sport treiben wollte. Zweck der Regelung war es zudem, nicht erst die Freizügigkeit im Sinne von Art. 5 Abs. 1 ThürVerf (Art. 11 Abs. 1 GG) zu beschränken, d.h. den Ortswechsel im Landes- und Bundesgebiet, sondern bereits das Betreten der Straße vor dem Haus oder dem Grundstück. Auch weitere Grundrechtsausübungen außerhalb der eigenen Wohnung wurden hierdurch ausgeschlossen.
Dahingestellt bleiben kann demgegenüber, mit welchen Mitteln der polizeilichen Gefahrenabwehr ein Verstoß gegen § 3b Abs. 1 der 3. ThürSARS-CoV-2-SonderEindmaßnVO unterbunden werden konnte, insbesondere, ob die Voraussetzungen für eine Ingewahrsamnahme nach § 19 des Polizeiaufgabengesetzes (PAG) in jedem Fall vorlagen (vgl. BVerfG, Beschluss vom 19. November 2021 – 1 BvR 781/21 – Rn. 248). Die Vorschrift des § 19 PAG lässt nicht bereits bei jeglichem Verstoß gegen gesetzliche Verhaltenspflichten, sondern nur unter den in Absatz 1 bis 3 genannten engen Voraussetzungen eine solche Maßnahme zu.
bb) Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts umfasst der Schutzbereich des Grundrechts der körperlichen Bewegungsfreiheit sowohl freiheitsbeschränkende (Art. 104 Abs. 1 GG) als auch freiheitsentziehende Maßnahmen (Art. 104 Abs. 2 GG), die das Bundesverfassungsgericht nach der Intensität des Eingriffs voneinander abgrenzt. Diese Unterscheidung entspricht der Rechtslage nach Art. 4 ThürVerf. Eine Freiheitsbeschränkung nach Art. 4 Abs. 1 ThürVerf liegt vor, wenn jemand durch die öffentliche Gewalt gegen seinen Willen daran gehindert wird, einen Ort aufzusuchen oder sich dort aufzuhalten, der ihm an sich (tatsächlich und rechtlich) zugänglich wäre. Die Freiheitsentziehung (Art. 4 Abs. 3 ThürVerf) als schwerste Form der Freiheitsbeschränkung liegt dann vor, wenn die – tatsächlich und rechtlich an sich gegebene – Bewegungsfreiheit nach jeder Richtung hin aufgehoben wird. Sie setzt eine besondere Eingriffsintensität und eine nicht nur kurzfristige Dauer der Maßnahme voraus (vgl. BVerfG, Urteil vom 24. Juli 2018 – 2 BvR 309/15 u.a. -, BVerfGE 149, 293 [319] = juris Rn. 67 m. w. N).
Bei der nächtlichen Ausgangsbeschränkung aufgrund von § 3b der 3. ThürSARS-CoV-2-SonderEindmaßnVO lag eine Freiheitsentziehung im Sinne von Art. 4 Abs. 3 ThürVerf unzweifelhaft nicht vor. Den Bürgern wurde die körperliche Bewegungsfreiheit nicht vollständig genommen. Das Verbot galt nur in der Nachtzeit von 22 bis 5 Uhr und wurde durch umfassende Ausnahmen in Gestalt der triftigen Gründe nach § 3b Abs. 2 der 3. ThürSARS-CoV-2-SonderEindmaßnVO durchbrochen. Im Rahmen der Kontaktbeschränkungen (§ 3 der 3. ThürSARS-CoV-2-SonderEindmaßnVO) durfte sich eine Person auch in einer fremden Wohnung oder Unterkunft aufhalten. Die Maßnahme stellte aber eine Freiheitsbeschränkung nach Art. 4 Abs. 1 ThürVerf dar (vgl. BVerfG, Beschluss vom 19. November 2021 – 1 BvR 781/21 -, juris Rn. 250).
b) Anders als im Falle des Ausgangsverbots nach § 28b Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 IfSG (hierzu BVerfG, Beschluss vom 19. November 2021 – 1 BvR 781/21 – Rn. 251) griff § 3b der 3. ThürSARS-CoV-2-SonderEindmaßnVO nicht in das Ehegrundrecht aus Art. 17 Abs. 1 ThürVerf ein. Ausdrücklich erklärte die Vorschrift in Abs. 2 Nr. 5 den Besuch von Ehe- und Lebenspartnern sowie Partnern einer nichtehelichen Lebensgemeinschaft für zulässig. Nicht betroffen war auch das elterliche Sorgerecht nach Art. 18 Abs. 1 ThürVerf, da § 3b Abs. 2 Nr. 4 der 3. ThürSARS-CoV-2-SonderEindmaßnVO eine entsprechende Ausnahme vorsah.
c) Der Eingriff in das Grundrecht der körperlichen Bewegungsfreiheit war verfassungsrechtlich gerechtfertigt. Dies gilt nicht, soweit die Vorschrift auch einzelnen Personen das Verlassen der Wohnung untersagte, die sich allein im Freien aufhielten, um sich körperlich zu bewegen.
aa) Für die Ausgangsbeschränkung in § 3b der 3. ThürSARS-CoV-2-SonderEindmaßnVO findet sich eine hinreichende Verordnungsermächtigung in § 32 i. V. m. § 28a Abs. 1 Nr. 3 IfSG, wonach Ausgangs- und Kontaktbeschränkungen im privaten sowie im öffentlichen Raum als Schutzmaßnahmen in Betracht kommen.
bb) Mit der Ausgangsbeschränkung verfolgte der Verordnungsgeber ein legitimes Ziel.
Der Verordnungsgeber begründete die Ausgangsbeschränkung mit dem Infektionsgeschehen und der Besorgnis, dass die Intensivkapazitäten in den Krankenhäusern deutlich überfordert würden. Es drohte eine Entwicklung, in der die ordnungsgemäße Behandlung einer Vielzahl von kranken Menschen nicht mehr sachgerecht gewährleistet sei, bis hin zur drohenden Notwendigkeit einer Triage von erkrankten Personen. Es sei aus infektionsschutzrechtlicher Sicht entscheidend, dass die Menschen ihren Privatbereich nächtlich nicht verließen, um die infektionsgefährlichen Kontakte durch abendliche Zusammenkünfte und Besuche bei Freunden, Kollegen, Nachbarn, Verwandten usw. auf das absolute Minimum zu verringern. Durch diese Reduktion gesellschaftlicher Mobilität sei ein entscheidender Beitrag zur Eindämmung des Infektionsgeschehens zu erwarten. Die Begründung entspricht weitgehend derjenigen zu § 28a Abs. 1 Nr. 3 IfSG, die lautet:
„Die Ausgangsbeschränkung soll der Kontrolle und Beförderung der Einhaltung der allgemeinen Kontaktregeln dienen und die Entstehung unzulässiger Kontakte und neuer Infektionsketten verhindern. Hierdurch sollen die Mobilität in den Abendstunden (siehe https://www.covid-19-mobility.org/reports/mobility-curfew/) und bisher stattfindende private Zusammenkünfte im öffentlichen wie auch privaten Raum, denen ein erhebliches Infektionsrisiko zukommt, begrenzt werden.“ (BTDrucks. 19/28444, S. 12).
Insoweit verfolgte der Verordnungsgeber in Erfüllung seiner verfassungsrechtlichen Schutzpflicht das Ziel, Leben und Gesundheit zu schützen sowie die Funktionsfähigkeit des Gesundheitssystems als überragend gewichtige Gemeingüter sicherzustellen. Dazu bedurfte es Maßnahmen, um ein exponentielles Wachstum der COVID-19 Fallzahlen zu verhindern. Dieses Ziel sollte durch effektive Maßnahmen zur Reduzierung von zwischenmenschlichen Kontakten erreicht werden. Das Mittel der Ausgangsbeschränkung ergänzte und förderte die Einhaltung der allgemeinen Kontaktbeschränkungen. Die Regelung diente damit einem grundsätzlich legitimen Zweck (vgl. zu § 28b IfSG BVerfG, Beschluss vom 5. Mai 2021 – 1 BvR 781/21 -, juris Rn. 34; Beschluss vom 19. November 2021 – 1 BvR 781/21 -, juris Rn. 275; vgl. ferner NdsOVG, Beschluss vom 6. April 2021 – 13 ME 166/21 -, juris Rn. 19).
cc) Das Verbot war geeignet.
Zwar ist fachwissenschaftlich umstritten, ob nächtliche Ausgangsbeschränkungen geeignet sind, Infektionen mit dem Virus und damit das Risiko einer exponentielle Ausbreitung von COVID-19 zu verhindern (vgl. etwa die Darstellung von verschiedenen ausländischen Untersuchungen durch den Wissenschaftlichen Dienst des Deutschen Bundestags, Wirksamkeit von nächtlichen Ausgangssperren zur Eindämmung der Verbreitung von SARSCoV-2, Aktuelle Studien, WD 9 – 3000 – 044/21, 19. April 2021; ferner Gesellschaft für Aerosolforschung e.V., Stellungnahme vom 15. April 2021 an den Deutschen Bundestag, Ausschuss für Gesundheit, Ausschussdrucksache 19(14)323(7), S. 2).
Aus verfassungsrechtlicher Sicht ist ihre fehlende Eignung jedoch nicht evident. Zum einen ist es grundsätzlich nicht in jedem Fall erforderlich, dass der Gesetzgeber – wie auch der Verordnungsgeber – seine Einschätzung auf wissenschaftliche Studien stützen kann. Eine selbständige, von den Anforderungen an die materielle Verfassungsmäßigkeit eines Gesetzes oder einer Verordnung unabhängige Aufklärungspflicht zur Eignung einer Maßnahme folgt weder aus dem Grundgesetz noch aus der Thüringer Verfassung (vgl. BVerfG, Urteil vom 6. Dezember 2016 – 1 BvR 2821/11 u.a. -, BVerfGE 143, 246 [343] = juris Rn. 273; Beschluss vom 5. Mai 2021 – 1 BvR 781/21 -, juris Rn. 36).
Zum anderen ist zu berücksichtigen, dass der Verordnungsgeber in der Beurteilung der Eignung einer Regelung über eine Einschätzungsprärogative verfügt, die sich sowohl auf die Einschätzung und Bewertung der tatsächlichen Verhältnisse erstreckt als auch auf die etwa erforderliche Prognose und die Wahl der Mittel, um seine Ziele zu erreichen. Für die Eignung reicht bereits die Möglichkeit der Zweckerreichung aus (vgl. BVerfG, Beschluss vom 5. Mai 2021 – 1 BvR 781/21 -, juris Rn. 36; zuletzt zur Einschätzungsprärogative: ThürVerfGH, Urteil vom 1. März 2021 – VerfGH 18/20 -, juris Rn. 431).
Der Verordnungsgeber konnte sich im Falle von COVID-19 zumindest auf hinreichende fachwissenschaftliche Untersuchungen stützen, wonach nächtliche Ausgangsbeschränkungen aufgrund der Minimierung sozialer Kontakte auch die Ansteckungsrisiken mit dem Corona-Virus senken (vgl. zur bundesrechtlichen Regelung des § 28b Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 IfSG: BVerfG, Beschluss vom 5. Mai 2021 – 1 BvR 781/21 -, juris Rn. 37; Beschluss vom 19. November 2021 – 1 BvR 781/21 – Rn. 277 ff.). Auch Erfahrungswerte aus anderen Staaten belegen diese Wirkung (vgl. Haug/Geyrhofer/Londei u.a., Ranking the effectiveness of worldwide COVID-19 government interventions, Nature Human Behaviour, vol. 4, December 2020, S. 1303 – 1312). Dies gilt selbst dann noch, wenn sie während der Nachtzeit deutlich weniger Menschen betreffen (aus der fachwissenschaftlichen Literatur vgl. etwa MODUS-COVID Bericht vom 19.03.2021, S. 4). Die Erwartung des Verordnungsgebers, damit vor allem besonders infektionsgefährdende gesellige Zusammenkünfte zu unterbinden, war insbesondere im Hinblick auf den möglichen Beitrag privater Feiern zum Infektionsgeschehen in der Vorweihnachtszeit und den Tagen vor Silvester plausibel (vgl. BayVGH, Beschluss vom 12. Januar 2021 – 20 NE 20.2933 -, juris Rn. 46). Insgesamt verschärften die Ausgangsbeschränkungen die bestehenden Kontaktbeschränkungen und reduzierten damit die Begegnung von Personen aus fremden Haushalten (vgl. NdsOVG, Beschluss vom 6. April 2021 – 13 ME 166/21 -, juris Rn. 22).
dd) Die Maßnahme war auch erforderlich.
(1) Soweit der Bundesgesetzgeber mit § 28a Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 IfSG vorgesehen hat, dass Ausgangsbeschränkungen nur zulässig sind, soweit auch bei Berücksichtigung aller bisher getroffenen Schutzmaßnahmen eine wirksame Eindämmung der Verbreitung von Coronavirus-Krankheit-2019 erheblich gefährdet wäre, waren diese Voraussetzungen bei Erlass von § 3b der 3. ThürSARS-CoV-2-SonderEindmaßnVO erfüllt.
(2) Bei der gesetzlichen Regelung handelt sich um eine besondere Betonung des – bereits grundrechtlich geforderten – Gebots der Erforderlichkeit der Maßnahme (vgl. BayVGH, Beschluss vom 12. Januar 2021 – 20 NE 20.2933 -, juris Rn. 40; SächsOVG, Beschluss vom 4. März 2021 – 3 B 26/21 -, juris Rn. 47; NdsOVG, Beschluss vom 6. April 2021 – 13 ME 166/21 -, juris Rn. 28; OVG M-V, Beschluss vom 23. April 2021 – 1 KM 221/21 OVG -, juris Rn. 36). Ausgangsbeschränkungen stellen mithin eine „ultima ratio“ dar, so dass diese nur dann in Betracht zu ziehen sind, wenn andere Maßnahmen nach § 28a Abs. 1 IfSG voraussichtlich nicht mehr greifen (NdsOVG, Beschluss vom 6. April 2021 – 13 ME 166/21 -, juris Rn. 28; OVG M-V, Beschluss vom 23. April 2021 – 1 KM 221/21 OVG -, juris Rn. 36). Auch im Hinblick auf das Grundrecht der körperlichen Bewegungsfreiheit kommen allgemeine Ausgangsbeschränkungen nur als ultima ratio in Betracht, wenn andere Schutzmaßnahmen nicht mehr ausreichen, um die Verbreitung einer Ansteckungskrankheit wirksam einzudämmen.
(3) Die Frage, ob eine wirksame Eindämmung der Verbreitung von COVID-19 ohne die Ausgangsbeschränkungen erheblich gefährdet wäre, verlangt eine auf die jeweilige Pandemiesituation abstellende Gefährdungsprognose des Verordnungsgebers, der eine ex-ante Betrachtung zugrunde liegt (BayVGH, Beschluss vom 12. Januar 2021 – 20 NE 20.2933 -, juris Rn. 42; ebenso VGH BW, Beschluss vom 5. Februar 2021 – 1 S 321/21 -, juris Rn. 38; OVG M-V, Beschluss vom 23. April 2021 – 1 KM 221/21 OVG -, juris Rn. 37).
(4) Maßgeblich für die verfassungsrechtliche Beurteilung ist mithin die Gefährdungsprognose zum Zeitpunkt des Erlasses der Verordnung, d.h. in der Zeit unmittelbar vor dem 14. Dezember 2020. In der Begründung der Verordnung hieß es insoweit:
Der bereits intensiv angelaufene Vorweihnachtsbetrieb mit seinen üblicherweise äußerst geselligen, d.h. kontaktintensiven privaten, vereinsmäßigen und betrieblichen Weihnachtsfeiern, adventlichen und kirchlichen Zusammenkünften, auch mit Gesang, übervollen Innenstädten und überfüllten Einzelhandelsgeschäften jeglicher Art erweist sich in der Gesamtschau als der Infektionstreiber schlechthin.
Dazu kommt die brisante aktuelle Lage des Infektionsgeschehens in Thüringen. Die Inzidenzen liegen aktuell im landesweiten Durchschnitt (Stand 13. Dezember 2020) bei 234,7 Neuinfektionen pro 100.000 Einwohner in sieben Tagen. Regional erreichen die Inzidenzen in Thüringen nach dem Lagebericht des Robert Koch-Instituts vom 13. Dezember 2020 zu den 7-Tage-Inzidenzen in den Landkreisen sowie nach dem Bericht („Linelist“) des Thüringer Landesamtes für Verbraucherschutz zu den aktuellen Infektionszahlen und Inzidenzen Stand 14. Dezember 2020 in mehreren Landkreisen und kreisfreien Städten extreme Werte bei den Neuinfektionen, die ein sprunghaftes und kaum noch kontrollierbares Infektionsgeschehen belegen.
Anhaltspunkte, dass diese Gefährdungsprognose aus Sicht ex-ante offensichtlich fehlerhaft war, ergeben sich nicht. Anders als im Fall der sog. Bundesnotbremse nach § 28b Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 IfSG, bei deren Anwendung der 7-Tage-Inzidenzwert von 100 genügte, lagen die Werte in Thüringen im fraglichen Zeitpunkt um das fast Zweieinhalbfache höher.
(5) Somit kam es unter dem Gesichtspunkt der Erforderlichkeit auf die Frage an, ob die bislang getroffenen anderen Schutzmaßnahmen nicht mehr ausreichten, um den Anstieg der Infektionszahlen wirksam einzudämmen. Diese Frage ist zu bejahen.
Seit dem 31. Oktober 2020 bestand die Thüringer Verordnung über außerordentliche Sondermaßnahmen zur Eindämmung einer sprunghaften Ausbreitung des Coronavirus SARS-CoV-2, die in §§ 5 ff. über die bisherige Rechtslage hinaus verschiedene Maßnahmen zur Begrenzung der Mobilität enthielt (Schließung von Angeboten und Veranstaltungen der Freizeitgestaltung; Schließung touristischer Übernachtungsangebote; Schließung von Gaststätten). Weitere Einschränkungen erfolgten durch die Thüringer Verordnung zur Fortschreibung und Anpassung außerordentlicher Sondermaßnahmen zur Eindämmung einer sprunghaften Ausbreitung des Coronavirus SARS-CoV-2 vom 29. November 2020. Unter anderem verschärfte sie die Kontaktbeschränkungen im öffentlichen Raum und erweiterte die Pflicht zur Verwendung einer Mund-Nasen-Bedeckung.
Gleichwohl stieg die Zahl der Neuinfektionen in Thüringen in den folgenden Tagen weiter an und erreichten Mitte Dezember eine starke Dynamik, die besonders in einzelnen Landkreisen den exponentiellen Charakter solcher Entwicklungen verdeutlichte. Vor diesem Hintergrund durfte der Verordnungsgeber davon ausgehen, dass die bisherigen Maßnahmen nicht genügten, um die weitere Verbreitung von COVID-19 wirksam einzudämmen, wie es § 28a Abs. 2 Satz 1 IfSG verlangt.
Der Verordnungsgeber war auch nicht verpflichtet, noch weiter zuzuwarten, bis die bestehenden Maßnahmen griffen und die Dynamik der Infektionszahlen sich abschwächte. Zwar unterliegt der Verordnungsgeber von Verfassungs wegen einer fortlaufenden Beobachtungs- und Bewertungspflicht, um realitätsnah einzuschätzen, wie einerseits diese Maßnahmen auf die Veränderung der Infektionsraten wirken und andererseits die Risiken für die Funktionsfähigkeit des institutionellen Gesundheitswesens sich entwickeln. Besondere die Bewertung der Kausalität einzelner Maßnahmen oder auch von Maßnahmenbündeln (ebenso wie ihre Rücknahme) geht jedoch mit einem Beurteilungsspielraum einher. Er betrifft die Frage nach der Wirkung solcher Beschränkungen in räumlicher, personeller und zeitlicher Hinsicht. Dass der Verordnungsgeber diesen Beurteilungsspielraum durch ein übereiltes Handeln verletzt hat, ist nicht offensichtlich erkennbar.
(6) Andere Mittel, die eine effektive Kontrolle vorhandener Kontaktbeschränkungen und darüber eine Reduktion der Ansteckungsrate ebenso wirksam gewährleisteten, aber weniger intensiv in Grundrechte eingriffen, lagen nicht auf der Hand. So dürfte etwa die Kontrolle von Beschränkungen privater Kontakte unmittelbar im privaten Raum kaum weniger eingriffsintensiv sein als eine nächtliche Ausgangsbeschränkung (vgl. BVerfG, Beschluss vom 5. Mai 2021 – 1 BvR 781/21 -, juris Rn. 38; Beschluss vom 19. November 2021 – 1 BvR 781/21 – Rn. 285).
Auch regionale Differenzierungen waren nach Lage der Dinge im Dezember 2020 nicht geboten (hierzu vgl. etwa BayVGH, Beschluss vom 4. Oktober 2021 – 20 N 20.767 -, Rn. 80 des amtlichen Umdrucks; VG Hamburg, Beschluss vom 4. Mai 2021 – 13 E 1718/21 -, S. 9 des amtlichen Umdrucks). Zwar lag die 7-Tage-Inzidenz in einigen Thüringer Landkreisen z.T. doppelt so hoch wie im Landesdurchschnitt. Angesichts der sehr starken und landesweiten Dynamik der Infektionen und der daher zu erwartenden Auslastung von Krankenhäusern in ganz Thüringen durfte der Verordnungsgeber von der Erforderlichkeit einer einheitlichen Regelung ausgehen. Möglichkeiten der regionalen Differenzierung unterhalb eines Inzidenzwertes von 200 eröffnete im Übrigen § 3b Abs. 3 der 3. ThürSARS-CoV-2-SonderEindmaßnVO.
ee) Die Ausgangsbeschränkung war – grundsätzlich – auch angemessen.
(1) Selbst die auf die Nachtzeit begrenzte Ausgangsbeschränkung griff tief in die Lebensverhältnisse der Menschen ein. Ihre Wirkungen schränkten nicht allein die Möglichkeiten ein, sich nach den eigenen Vorstellungen grundsätzlich jederzeit außerhalb einer Wohnung oder Unterkunft aufzuhalten und im öffentlichen Raum unterschiedlichsten Aktivitäten nachzugehen. Die Folgen der Ausgangsbeschränkung wirkten sich vor allem auf nahezu sämtliche Bereiche sozialer Kontakte aus. Wollten Betroffene unter den Bedingungen einer nächtlichen Ausgangsbeschränkung in dem bisherigen Umfang neben den aus einem Beruf, Amt oder familiärer Pflichten resultierenden zeitlichen Bindungen diese Kontakte aufrechterhalten, ging dies mit nicht unerheblichen Belastungen einher. Bei – etwa wegen Alter oder Erkrankung – ohnehin besonders verletzlichen Personen konnte die Ausgangsbeschränkung vorhandene Beeinträchtigungen mit nicht unerheblichen Auswirkungen auf die psychische und physische Gesundheit weiter verstärken, weil soziale Kontakte wegen der Ausgangsbeschränkung nicht mehr in dem bisherigen Umfang möglich waren (vgl. BVerfG, Beschluss vom 5. Mai 2021 – 1 BvR 781/21 -, juris Rn. 44; Beschluss vom 19. November 2021 – 1 BvR 781/21 -, Rn. 292).
(2) Solche Konsequenzen milderte die Verordnung allerdings durch die Ausnahmeregelungen aufgrund der in § 3b Abs. 2 der 3. ThürSARS-CoV-2-SonderEindmaßnVO genannten triftigen Gründe ab. Sie waren durchweg verfassungsrechtlich zwingend geboten und dienten dem Schutz anderweitiger, dem Infektionsschutz gleichrangiger Rechtsgüter. Dazu zählten jedenfalls in Nr. 1 der Vorschrift die Abwehr einer Gefahr für Leib und Leben sowie medizinische Notfälle, in Nr. 2 die Pflege und Unterstützung kranker oder hilfsbedürftiger Menschen, in Nr. 3 die Begleitung sterbender Menschen, in Nr. 4 die Wahrnehmung eines Umgangs- und Sorgerechts und nach Nr. 5 der Besuch von Ehe- und Lebenspartnern sowie Partnern einer nicht-ehelichen Lebensgemeinschaft. Die ausführliche weitere Liste der triftigen Gründe, die dem Schutz sonstiger Grundrechte wie auch der Funktionsfähigkeit staatlicher Einrichtungen diente, wurde durch eine generalklauselartige Ausnahme zugunsten weiterer wichtiger und unabweisbarer Gründe (Nr. 14) ergänzt. Schließlich galt das Verbot während der Weihnachtstage nicht und in der Neujahrsnacht erst ab 3 Uhr.
(3) Die Einschränkungen privater Lebensgestaltung durch die Ausgangsbeschränkung außerhalb der Ausnahmetatbestände reichten dennoch weit. Sie bezogen selbst das Verlassen der eigenen Wohnung zur Wahrnehmung familiärer und freundschaftlicher Kontakte ein, soweit nicht eine Ausnahmeregelung griff. Die mit der Ausgangsbeschränkung unmittelbar oder mittelbar verbundenen Beschränkungen der Ausübung unterschiedlicher Grundrechte konnten von den Betroffenen nicht außerhalb des von der Beschränkung erfassten Zeitraums oder nach dem Ende der Geltungsdauer der angegriffenen Regelung kompensiert werden. Die Möglichkeit der Wahrnehmung von Freiheiten während der Geltung der Ausgangsbeschränkung war insofern unwiederbringlich verloren (vgl. BVerfG, Beschluss vom 5. Mai 2021 – 1 BvR 781/21 -, juris Rn. 47; Beschluss vom 19. November 2021 – 1 BvR 781/21 -, juris Rn. 293).
(4) Bei Abwägung mit den vom Verordnungsgeber verfolgten Zielen erweist sich das Verbot gleichwohl als – grundsätzlich – angemessen. Das gilt auch im Hinblick auf die kumulative Wirkung aller weiteren im Zusammenhang mit der Bekämpfung der Pandemie vom Verordnungsgeber erlassenen Maßnahmen (vgl. BVerfG, Beschluss vom 19. November 2021 – 1 BvR 781/21 -, juris Rn. 290 und 295).
So ist vor allem der von der Ausgangsbeschränkung erfasste Zeitraum von 22 Uhr bis 5 Uhr des Folgetags bei der Beurteilung der grundrechtlichen Belastungen in den Blick zu nehmen. Die Ausgangsbeschränkung fiel in einen Zeitraum, in dem typischerweise die regelmäßigen Ruhens- und Schlafenszeiten liegen (BVerfG, Beschluss vom 5. Mai 2021 – 1 BvR 781/21 -, juris Rn. 48; Beschluss vom 19. November 2021 – 1 BvR 781/21 -, juris Rn. 301). Das verminderte die Belastungswirkung erheblich. Nicht verpflichtet war der Verordnungsgeber demgegenüber, die Ausgangsbeschränkungen nur auf stark frequentierte Lokalitäten zu beziehen, weil Veranstaltungen an diesen Orten als Haupttreiber des Infektionsgeschehens anzusehen waren (vgl. dagegen BayVGH, Beschluss vom 4. Oktober 2021 – 20 N 20.767 -, juris Rn. 80). Angesichts der stark zunehmenden Inzidenzwerte im Dezember 2020 und der konkret drohenden Überlastung des Gesundheitssystems überwog das öffentliche Interesse, die Zahl der sozialen Kontakte insgesamt deutlich zu verringern. Im Übrigen erfolgte diese Maßnahme nur zeitlich befristet (vgl. BVerfG; Beschluss vom 19. November 2021 – 1 BvR 781/21 -, juris Rn. 302). Diese Vorgabe ergab sich aus § 28a Abs. 5 IfSG, der es auch zulässt, dass über einen Zeitraum von vier Wochen hinaus die Geltungsdauer verlängert werden kann. Im vorliegenden Fall endete die Geltung der Ausgangsbeschränkung am 19. Februar 2021 und damit nach knapp über zwei Monaten. Zu diesem Zeitpunkt betrug die 7-Tage-Inzidenz in Thüringen 117 und lag damit mehr als doppelt so hoch wie der Wert im Bundesdurchschnitt (57) (vgl. Täglicher Lagebericht des RKI zur Coronavirus-Krankheit-2019 vom 19. Februar 2021). Anhaltspunkte, dass die Ausgangsbeschränkungen hätten zu einem früheren Zeitpunkt aufgehoben werden müssen, drängten sich nicht auf. Vielmehr sah die Verordnung selbst in § 3b Abs. 3 einen Schwellenwert von 200 vor, bei dessen Unterschreiten über einen Zeitraum von fünf Tagen die unteren Gesundheitsbehörden regional abgestufte Abweichungen vorsehen konnten.
(5) Nicht angemessen und insoweit verfassungswidrig war die Regelung jedoch, soweit sie auch einzelnen Personen das Verlassen der Wohnung untersagte, um sich allein im Freien körperlich zu bewegen. Bei Aufenthalten im Freien besteht – in der Regel – ein geringeres Risiko der Übertragung des Virus als in Innenräumen. In geschlossenen Räumen kann die Übertragung des Virus sowohl über direkten Kontakt mit einem infizierten Menschen durch infektiöse Partikel (sogenannte Tröpfcheninfektionen) als auch indirekt durch in der Luft befindliche akkumulierte infektiöse Partikel (Infektion über Aerosole) erfolgen. Bei Aufenthalten im Freien besteht zwar bei der längeren Begegnung von zwei Personen aufgrund des direkten Kontakts ebenfalls das Risiko einer Übertragung. Infektionen über Aerosole sind im Freien dagegen deutlich unwahrscheinlicher (vgl. hierzu BVerfG, Beschluss vom 19. November 2021 – 1 BvR 781/21- Rn. 193 f.). Hält sich eine Person allein im Freien auf, um sich lediglich körperlich zu bewegen, so ist das Risiko entsprechend gering, dass sie sich selbst ansteckt oder den Virus auf andere Menschen überträgt. Maßgeblich ist dabei, dass die körperliche Bewegung ausschließlich in Abwesenheit anderer Personen erfolgt. Aus der Begründung der Landesregierung zur Verordnung ergeben sich keine sachlichen Anhaltspunkte, dass gleichwohl auch für solche Personen ein Ausgangsverbot unabweisbar war. Daher war insoweit die Regelung des § 3b der 3. ThürSARS-CoV-2-SonderEindmaßnVO unangemessen.
VI. Schließlich waren auch § 6a Abs. 1 bis 4 der 3. ThürSARS-CoV-2-SonderEindmaßnVO mit der Thüringer Verfassung vereinbar.
1. Die ersten drei Absätze des § 6 der 3. ThürSARS-CoV-2-SonderEindmaßnVO sind dahin gehend auszulegen, dass darunter nicht sämtliche pyrotechnischen Gegenstände, sondern nur Feuerwerkskörper der Kategorie F2 fallen.
Aus der Begründung der Verordnung ergibt sich, dass der Verordnungsgeber nur solche Feuerwerkskörper erfassen wollte. Dort heißt es:
Die Definitionen und Einteilung pyrotechnischer Gegenstände ergibt sich direkt aus § 3a Sprengstoffgesetz (SprengG). Die Feuerwerkskörper werden demnach u. a. in vier Kategorien (Kategorien F1 bis F4) eingeteilt. Feuerwerkskörper der Kategorie F1 dürfen ab dem Alter von 12 Jahren verwendet werden und zwar ganzjährig (kleines Tischfeuerwerk). Pyrotechnische Gegenstände der Kategorien F3 und gefährlicher dürfen ohnehin nur Personen mit spezieller Erlaubnis, die mit diesen Gegenständen umgehen dürfen, überlassen werden. Die Kategorien F1, F3 und gefährlicher sind vom Verbot daher nicht umfasst.
Regelungsinhalt ist vielmehr das Verbot des Verkaufs von Feuerwerkskörpern der Kategorie F2. Darunter versteht man Feuerwerkskörper, von denen eine geringe Gefahr ausgeht, die einen geringen Lärmpegel besitzen und zur Verwendung in abgegrenzten Bereichen im Freien vorgesehen sind. Nach § 22 Absatz 1 der 1. SprengV dürfen pyrotechnische Gegenstände der Kategorie F2 dem „gewöhnlichen“ Verbraucher in der Regel nur in der Zeit vom 29. bis 31. Dezember überlassen werden. Diese Überlassung ist in diesem Jahr verboten.
Dass dies vom Verordnungsgeber nicht entsprechend der gesetzlichen Begriffe und deren Systematik umgesetzt wurde, indem der Verordnungsgeber keine Regelung lediglich für Feuerwerkskörper, sondern für sämtliche pyrotechnischen Gegenstände schuf, ist unschädlich. Die rechtliche Bedeutung der Regelung kann im Wege der Auslegung ohne weiteres ermittelt werden (vgl. ThürVerfGH, Urteil vom 18. Dezember 1997 – VerfGH 11/95 -, LVerfGE 7, 392 [403] = juris Rn. 76).
2. Für die Maßnahmen nach § 6a Abs. 1 bis 3 der 3. ThürSARS-CoV-2-SonderEindmaßnVO findet sich in § 32 i. V. m. § 28 Abs. 1 Satz 1 IfSG eine Rechtsgrundlage.
a) Da derartige Maßnahmen in § 28a IfSG nicht geregelt sind, ergibt sich, anders als hinsichtlich § 3a der 3. ThürSARS-CoV-2-SonderEindmaßnVO, keine Sperrwirkung für einen Rückgriff auf § 28 Abs. 1 Satz 1 IfSG. Die weit zu verstehende Vorschrift des § 28 Abs. 1 Satz 1 IfSG lässt indes nur solche Maßnahmen zu, die zur Erreichung infektionsschutzrechtlich legitimer Ziele objektiv notwendig sind. Für die Verbote nach § 6a Abs. 1 bis 3 der 3. ThürSARS-CoV-2-SonderEindmaßnVO ist dieser Bezug, wenngleich mittelbar, noch gegeben (für vergleichbare Fälle bejaht: OVG Bremen, Beschluss vom 30. Dezember 2020 – 1 B 467/20 -, juris Rn. 22 ff.; zweifelnd NdsOVG, Beschluss vom 18. Dezember 2020 – 13 MN 568/20 -, juris Rn. 37 ff., infektionsschutzrechtliches Ziel aber teilweise bejaht in Rn. 42). Aus der Begründung des Verordnungsgebers ergibt sich noch hinreichend, dass die Verbote in ihrem Zusammenwirken der Vermeidung von Personenkontakten anlässlich des Silvesterfestes und damit der Eindämmung von Infektionsgefahren dienten.
Zwar begründet das Abbrennen der von den Verboten erfassten Feuerwerkskörper primär Gefahren für die körperliche Unversehrtheit und Gesundheit von Menschen auf Grund unsachgemäßer Handhabung, worauf die Landesregierung in ihrer Stellungnahme auch hingewiesen hat. Der Verordnungsgeber sah in der amtlichen Begründung aber auch voraus, dass das Abbrennen von Feuerwerkskörpern an Silvester gerade „bei vorherigem Alkoholgenuss (…) zu nicht übersehbaren Kontakten“ führe, die er generell reduzieren oder vermeiden wollte. Angesichts der in der Silvesternacht üblichen geselligen Feiern war diese Einschätzung nicht offensichtlich fehlsam.
Nur wenn es dem Verordnungsgeber ausschließlich um die Verhinderung der aus der Verwendung pyrotechnischer Gegenstände unmittelbar resultierenden Gefahren für die körperliche Unversehrtheit gegangen wäre, hätte er Regelungen getroffen, die der Gesetzgebungskompetenz des Bundes gemäß Art. 73 Abs. 1 Nr. 12 Alt. 2 GG unterliegen. Die ausschließliche Zuständigkeit des Bundes entfaltet dann Sperrwirkung gegenüber derartigen landesrechtlichen Regelungen (vgl. BayVGH, Beschluss vom 29. Dezember 2020 – 20 CS 20.3139 – juris Rn. 13; NdsOVG, Beschluss vom 18. Dezember 2020 – 13 MN 568/20 -, juris Rn. 40). Die Bundeskompetenz ist umfassend zu verstehen und erfasst alle Fragen des Umgangs mit explosionsfähigen und -gefährlichen Stoffen (SächsOVG, Beschluss vom 30. Dezember 2020 – 3 B 450/20 -, juris Rn. 15).
b) Auch für die Empfehlung in § 6a Abs. 2 der 3. ThürSARS-CoV-2-SonderEindmaßnVO bedurfte es einer gesetzlichen Ermächtigungsgrundlage. Empfehlungen der Exekutive entfalten zwar keine rechtsverbindliche Wirkung und begründen entsprechend keine Verhaltenspflicht. Insofern gehören sie dem Bereich des staatlichen Informationshandelns an. Wählt die Exekutive allerdings hierfür die Rechtsform der Verordnung, ist sie auch an die verfassungsrechtlichen Vorgaben für ihren Erlass gebunden. Insofern bedurfte es nach Art. 80 Abs. 1 Satz 1 GG einer nach Inhalt, Zweck und Ausmaß hinreichenden gesetzlichen Ermächtigungsgrundlage, die hier wiederum in § 32 i. V. m. § 28 Abs. 1 Satz 1 IfSG gegeben ist.
3. Für das Verbot von Veranstaltungen im öffentlichen Raum nach § 6a Abs. 4 der 3. ThürSARS-CoV-2-SonderEindmaßnVO findet sich eine Rechtsgrundlage in § 32 i. V. m. § 28a Abs. 1 Nr. 5 und 7 IfSG. Sie bezieht sich zwar nicht spezifisch auf das Abbrennen pyrotechnischer Gegenstände. Das bleibt aber schadlos, da die landesrechtliche Vorschrift sich vorrangig auf den Zeitpunkt des Jahreswechsels bezog, während das Merkmal des Abbrennens pyrotechnischer Gegenstände nur beispielhaften Charakter hat („insbesondere“). Insoweit war die Vorschrift lex specialis gegenüber dem allgemeinen Veranstaltungsverbot nach § 6 Abs. 1 der 3. ThürSARS-CoV-2-SonderEindmaßnVO. Ausdrücklich heißt es in der Begründung, dass „die Bestimmung noch einmal klarstellt, dass Veranstaltungen im öffentlichen Raum im Zusammenhang mit dem Jahreswechsel untersagt sind“ und „darüber hinaus (…) solche Veranstaltungen auch über § 6 Abs. 1 erfasst“ sind.
4. Die Verbote in § 6a der 3. ThürSARS-CoV-2-SonderEindmaßnVO waren materiell verfassungsgemäß.
a) Zwar führten diese zu Eingriffen in Grundrechte:
aa) Das Verbot des Verkaufs von pyrotechnischen Gegenständen in § 6a Abs. 1 der 3. ThürSARS-CoV-2-SonderEindmaßnVO griff in die Berufsfreiheit nach Art. 35 Abs. 1 ThürVerf der Endverkäufer und Zwischenhändler sowie mittelbar auch der Hersteller ein. Es griff zudem in die allgemeine Handlungsfreiheit nach Art. 3 Abs. 2 ThürVerf derjenigen natürlichen und juristischen Personen nach Art. 42 Abs. 2 ThürVerf ein, die solche Gegenstände kaufen wollten.
bb) Die Empfehlung nach § 6a Abs. 2 der 3. ThürSARS-CoV-2-SonderEindmaßnVO löste keinen Grundrechtseingriff aus. Sie hatte zwar nach der Intention des Verordnungsgebers steuernden Charakter, erreichte damit aber nicht die Schwelle, die funktional der Wirkung einer Regelung auch bei einem weiten Verständnis der Eingriffsqualität von staatlichen Maßnahmen zukommen muss.
cc) Das Verbot des Abbrennens von pyrotechnischen Gegenständen im öffentlichen Raum in § 6a Abs. 3 der 3. ThürSARS-CoV-2-SonderEindmaßnVO griff in die allgemeine Handlungsfreiheit nach Art. 3 Abs. 2 ThürVerf derjenigen Personen ein, die an den genannten Orten und in dem genannten Zeitraum solche Gegenstände abbrennen wollten.
dd) Die Untersagung von Veranstaltungen im öffentlichen Raum zur Begehung des Jahreswechsels, bei denen pyrotechnische Gegenstände abgebrannt werden sollen, in § 6a Abs. 4 der 3. ThürSARS-CoV-2-SonderEindmaßnVO griff in die Berufsfreiheit kommerzieller Veranstalter nach Art. 35 Abs. 1 ThürVerf sowie in die allgemeine Handlungsfreiheit nach Art. 3 Abs. 2 ThürVerf der natürlichen und juristischen Personen nach Art. 42 Abs. 2 ThürVerf ein, die solche Veranstaltungen aus nicht-beruflichen Gründen durchführen oder daran teilnehmen wollten. Nicht betroffen war das Grundrecht der Versammlungsfreiheit nach Art. 8 Abs. 1 GG i. V. m. Art. 10 Abs. 1 ThürVerf, da der in § 6a Abs. 4 der 3. ThürSARS-CoV-2-SonderEindmaßnVO verwendete Begriff der Veranstaltungen identisch war mit demjenigen in § 6 Abs. 1 der Verordnung, der sich wiederum aus § 7 2. ThürSARS-CoV-2-IfS-GrundVO ergab. Aus diesem systematischen Zusammenhang ergibt sich, dass er keine Versammlungen umfasste.
b) Die Eingriffe waren aber verfassungsrechtlich gerechtfertigt.
aa) Der Verordnungsgeber verfolgte mit den spezifischen Regelungen zur Kontaktbeschränkung anlässlich des Jahreswechsels, der üblicherweise auch mit zahlreichen öffentlichen Veranstaltungen einhergeht, ein legitimes Ziel. Die Maßnahmen dienten dem legitimen Ziel des Schutzes von Leben und Gesundheit der Bevölkerung und dem Schutz des Gesundheitssystems.
bb) Die Regelungen waren auch geeignet, dieses Ziel zu erreichen, da sie sich auf den Silvestertag und Neujahr und damit auf Situationen bezogen, in denen zahlreiche gesellige Kontakte und damit auch die zu vermeidenden Ansteckungen möglich und wahrscheinlich waren.
cc) Die Verbote waren zudem erforderlich. Zwar gab es, soweit es um § 6a Abs. 3 und Abs. 4 der 3. ThürSARS-CoV-2-SonderEindmaßnVO geht, aufgrund des Kontaktverbots nach § 3 der Verordnung bereits eine dem Regelungszweck nach vergleichbare Bestimmung. Die Kontaktbeschränkungen waren aber nicht gleich geeignet. § 6a der 3. ThürSARS-CoV-2-SonderEindmaßnVO sollte insgesamt anlässlich der Silvesternacht gesellige Treffen und Veranstaltungen im öffentlichen Raum verhindern. Speziell beim Abbrennen und Betrachten von Feuerwerk steigt die Verweildauer vor Ort an. Gleichzeitig sinkt durch den Genuss von Alkohol die Wahrscheinlichkeit, dass durchgängig Mindestabstände eingehalten und Mund-Nasen-Bedeckungen getragen werden. Insofern waren die Verbote erforderlich, die erhöhten Ansteckungsgefahren, die bei solchen Silvesterfeiern bestehen, zu reduzieren. Ausgangsbeschränkungen nach § 3b der Verordnung galten demgegenüber in der Silvesternacht nicht und wären auch grundrechtlich erheblich einschneidender gewesen.
dd) Schließlich handelte es sich um angemessene Regelungen.
(1) Vor dem Hintergrund der überragenden Wichtigkeit der Eindämmung von COVID-19 war das Verbot nach § 6a Abs. 1 der 3. ThürSARS-CoV-2-SonderEindmaßnVO angemessen. Die gewerblichen Hersteller von Feuerwerk konnten im Rahmen der staatlichen Überbrückungshilfe III die reguläre finanzielle Unterstützung, aber auch Unterstützung bei den Fixkosten bzw. Lager- und Transportkosten beantragen, was die Umsatzeinbußen erheblich abmilderte (vgl. die Hinweise unter https://www.ueberbrueckungshilfe-unternehmen.de/UBH/Redaktion/DE/FAQ/FAQ-Ueberbrueckungshilfe-lll/anhang-3-1.html, abgerufen am 14. Dezember 2021). Ob das auch bei einem wiederholten Verbot zutreffen würde, kann für dieses Verfahren dahinstehen. Für die Verbraucher handelte es sich um eine zumutbare Beschränkung, da das persönliche Interesse am Abbrennen von Feuerwerk nur ein geringes grundrechtliches Gewicht besitzt. Zudem bestand für sie die Möglichkeit, auf Feuerwerkskörper der Kategorie F1 auszuweichen. Auch die staatliche Pflicht nach Art. 30 Abs. 1 ThürVerf, das Brauchtum zu schützen, führt zu keiner anderen Bewertung. Unabhängig von der Frage, ob das Abbrennen von Feuerwerk der Kategorie F2 an Silvester unter den Brauchtumsbegriff der Verfassung fällt, wird auch diese Schutzpflicht des Landes durch kollidierende Verfassungsgüter eingeschränkt. Dem öffentlichen Gesundheitsschutz kommt ein besonders hoher Rang zu, der sich angesichts der spezifischen Gefahrensituation im Dezember 2020 gegenüber dem Interesse an dem Abbrennen von Feuerwerk der Kategorie F2 durchsetzte.
(2) Das Verbot nach § 6a Abs. 3 der 3. ThürSARS-CoV-2-SonderEindmaßnVO war auf bestimmte Orte begrenzt. Damit blieb das Abbrennen von Silvesterfeuerwerk weiterhin auf privaten Grundstücken und denjenigen öffentlichen Straßen und Plätzen möglich, die von den zuständigen Behörden nicht als Verbotsbereiche festgelegt worden waren.
(3) Auch das Verbot in § 6a Abs. 4 der 3. ThürSARS-CoV-2-SonderEindmaßnVO war angemessen. Veranstaltungen an Silvester spielen aufgrund der Zäsurwirkung dieses Tages im sozialen Leben zwar eine wichtige Rolle, da sie den Blick zurück auf das alte Jahr ermöglichen und Ausdruck der Hoffnung auf ein gutes Neues Jahr sind. Sich dieser Aspekte zu versichern, blieb jedoch zu Silvester des Jahres 2020 im privaten Lebensbereich und im Rahmen zulässiger Zusammenkünfte von zwei Haushalten nach § 3 der 3. ThürSARS-CoV-2-SonderEindmaßnVO möglich. Demgegenüber hätten gerade Veranstaltungen im öffentlichen Raum das Risiko einer verstärkten Verbreitung von COVID-19 erheblich erhöht.
E.
Das Verfahren ist nach § 28 Abs. 1 ThürVerfGHG kostenfrei. Die Entscheidung über die Erstattung der notwendigen Auslagen beruht auf § 29 Abs. 1 Satz 2 ThürVerfGHG und entspricht dem Umfang der teilweisen Begründetheit und teilweisen Unbegründetheit des Normenkontrollantrags.
F.
Die Entscheidung ergeht hinsichtlich Ziff. 3 des Tenors mit 7 zu 2 Stimmen und im Übrigen einstimmig.