Medizinrecht

Vergütung für Krankenhausbehandlung, wenn kein Platz in einer stationären Reha-Einrichtung zur Verfügung steht

Aktenzeichen  S 12 KR 553/14

Datum:
16.2.2017
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2017, 155718
Gerichtsart:
SG
Gerichtsort:
Augsburg
Rechtsweg:
Sozialgerichtsbarkeit
Normen:
SGB V § 39 S. 2, § 109 Abs. 4 S. 3, § 112 Abs. 2 S. 1 Nr. 1

 

Leitsatz

Wenn eine Entlassung in eine stationäre Anschlussheilbehandlung möglich wäre, jedoch ein Platz in einer Reha-Einrichtung nicht zur Verfügung steht, ist eine weitere stationäre Krankenhausbehandlung aus medizinischen Gründen erforderlich sofern der Patient auf die besonderen Mittel eines Krankenhauses im Hinblick auf die ärztliche Überwachung angewiesen ist. (Rn. 18) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 10.483,32 EUR zu zahlen nebst Zinsen hieraus von 4 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz ab 18. Dezember 2010.
II. Die Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens.
III. Der Streitwert wird auf 10.483,32 EUR festgesetzt.

Gründe

Das angerufene Gericht ist gemäß §§ 57 Abs. 1, 51 Abs. 1, 8 Sozialgerichtsgesetz (SGG) zur Entscheidung des Rechtsstreits örtlich und sachlich zuständig. Die formgerecht erhobene Leistungsklage ist zulässig und auch begründet.
Die Klägerin hat Anspruch auf Zahlung einer Vergütung für Krankenhausbehandlung aus einer nur teilweise beglichenen Sammelrechnung in Höhe von noch 10.483,32 EUR zuzüglich Zinsen hieraus in Höhe von 4% über dem Basiszinssatz ab 18.12.2010, da die Forderung in dieser Höhe nicht durch Aufrechnung erloschen ist.
Rechtsgrundlage des Vergütungsanspruches eines zugelassenen Krankenhauses für die stationäre Behandlung ist § 109 Abs. 4 Satz 3 Fünftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB V) i. V. m. der Pflegesatzvereinbarung, da wegen der Vertragskündigung für Bayern ein Vertrag gemäß § 112 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 SGB V zur Regelung der allgemeinen Bedingungen der Krankenhausbehandlung einschließlich Aufnahme und Entlassung der Versicherten, Kostenübernahme, Abrechnung der Entgelte, Berichte und Bescheinigungen in den Jahren 2009/2010 nicht existent war. Die Sammelabrechnung/Zahlungsavis der Beklagten vom 17.12.2010 erfolgte für Krankenhausleistungen der Klägerin im Sinne von § 39 SGB V. Zwischen den Beteiligten sind Höhe und Berechtigung der Sammelrechnung an sich nicht streitig. Fälligkeit und Verzinsung ergeben sich aus der Pflegesatzvereinbarung 2010 und sind ebenfalls nicht streitig. Streitig ist zwischen den Beteiligten allein, ob die Forderung aus der Sammelrechnung in Höhe von letztlich noch 10.483,32 EUR durch Aufrechnung einer Rückforderung im Fall des Patienten D. erloschen ist. Rechtsgrundlage der von der Beklagten geltend gemachten Forderung ist dabei ein öffentlich-rechtlicher Erstattungsanspruch (BSG vom 12.07.2012 – B 3 KR 15/11 R – m. w. N.).
Der Klage war stattzugeben, da die Voraussetzungen für eine Aufrechnung nicht erfüllt sind.
Die Aufrechnung ist im Verhältnis zwischen Krankenhaus und Krankenkasse grundsätzlich zulässig. Sie richtet sich gemäß § 69 Satz 3 SGB V nach den Vorschriften der §§ 387 ff. Bürgerliches Gesetzbuch (BGB). Sie scheiterte auch im vorliegenden Einzelfall weder an Problemen der Fälligkeit noch an einem Aufrechnungsverbot, das sich aus der Pflegesatzvereinbarung 2009 ableiten würde. Ebenso entsprach die Durchführung der Aufrechnung mittels Zahlungsavis den Anforderungen an eine Bestimmtheit der Aufrechnungserklärung (siehe dazu BSG vom 25.10.2016 – B 1 KR 7/16 R und B 1 KR 9/16 R).
Jedoch steht der Beklagten der mit der Aufrechnung geltend gemachte öffentlich-rechtliche Erstattungsanspruch in Höhe von 10.483,32 EUR nicht zu.
Gemäß § 39 Satz 2 SGB V (Fassung bis 31.12.2016) haben Versicherte Anspruch auf vollstationäre Behandlung in einem zugelassenen Krankenhaus (§ 108 SGB V), wenn die Aufnahme nach Prüfung durch das Krankenhaus erforderlich ist, weil das Behandlungsziel nicht durch teilstationäre, vor- und nachstationäre oder ambulante Behandlung einschließlich häuslicher Krankenpflege erreicht werden kann. Welche Leistungen eine Krankenhausbehandlung umfassen muss, ist dabei gesetzlich nicht ausdrücklich geregelt. § 107 Abs. 1 SGB V umschreibt lediglich in organisatorischer Hinsicht die Krankenhäuser als Einrichtungen, die im Unterschied zu Rehabilitationseinrichtungen (§ 107 Abs. 2 SGB V) der Krankenhausbehandlung oder Geburtshilfe dienen, fachlich-medizinisch unter ständiger ärztlicher Leitung stehen, über ausreichende, ihrem Versorgungsauftrag entsprechende diagnostische und therapeutische Möglichkeiten verfügen und nach wissenschaftlich anerkannten Methoden arbeiten sowie mit Hilfe von jederzeit verfügbarem ärztlichen, Pflege-, Funktions- und medizinisch-technischem Personal darauf eingerichtet sind, vorwiegend durch ärztliche und pflegerische Hilfeleistung Krankheiten der Patienten zu erkennen, zu heilen, ihre Verschlimmerung zu verhüten, Krankheitsbeschwerden zu lindern oder Geburtshilfe zu leisten, und in denen Patienten untergebracht und verpflegt werden können.
Grundsätzlich entsteht die Zahlungspflicht der Krankenkasse, wie das BSG in ständiger Rechtsprechung entschieden hat, unabhängig von einer Kostenzusage der Krankenkasse unmittelbar mit Inanspruchnahme der Leistung durch den Versicherten. Über die Erforderlichkeit der Krankenhausbehandlung entscheidet dabei zunächst der Krankenhausarzt bei Aufnahme. Dabei hat das BSG im Beschluss des Großen Senats vom 25.09.2007 (GS 1/06) klargestellt, dass die Entscheidung darüber, ob dem Versicherten ein Anspruch auf Gewährung vollstationärer Krankenhausbehandlung als Sachleistung zusteht und darin eingeschlossen die Entscheidung, ob eine stationäre Behandlung aus medizinischen Gründen notwendig ist, nicht dem Krankenhaus sondern der Krankenkasse unterliegt. Im Streitfall hat das Gericht grundsätzlich uneingeschränkt zu überprüfen, ob eine stationäre Krankenhausbehandlung bei Aufnahme bzw. auch im weiteren Verlauf aus medizinischen Gründen notwendig war.
Ob einem Versicherten vollstationäre Krankenhausbehandlung zu gewähren ist, richtet sich allein nach den medizinischen Erfordernissen. Ermöglicht es der Gesundheitszustand des Patienten, das Behandlungsziel durch andere Maßnahmen, insbesondere durch ambulante Behandlung einschließlich häuslicher Krankenpflege, zu erreichen, so besteht kein Anspruch auf stationäre Behandlung. Dies gilt, wie das BSG in der oben genannten Entscheidung des Großen Senats vom 25.09.2007 (GS 1/16 Rz. 15 und 16) dargelegt hat, auch dann, wenn der Versicherte zur Sicherstellung der ambulanten Behandlung einer Betreuung durch medizinische Hilfskräfte in geschützter Umgebung bedarf und eine dafür geeignete Einrichtung außerhalb des Krankenhauses nicht zur Verfügung steht. Der Aufenthalt im Krankenhaus muss einem Behandlungszweck dienen und die Krankenkasse ist deshalb nicht leistungspflichtig, wenn der Patient aktuell keiner ärztlichen Behandlung (mehr) bedarf, sondern aus anderen Gründen, etwa wegen Hilflosigkeit, Pflegebedürftigkeit, zur Verwahrung oder zum Schutz der Öffentlichkeit, im Krankenhaus behalten oder dort untergebracht wird.
Für den Krankenhausaufenthalt des Patienten D. ist zwischen den Beteiligten unstreitig, dass bereits vor Ende der OGVD (= 16.01.2017) eine Entlassung des Versicherten in eine stationäre Anschlussheilbehandlung möglich gewesen wäre, jedoch nur in eine spezialisierte pulmologische Fachklinik. Eine ambulante Behandlung anstelle der Krankenhausbehandlung wäre dagegen nicht in Betracht gekommen. Der MDK-Gutachter Dr. G. hat ausdrücklich eine Entlassung aus dem Krankenhaus nach Hause ausgeschlossen. Damit aber scheidet auch eine Entlassung in eine Kurzzeitpflegeeinrichtung aus, die ja nur hinsichtlich der Möglichkeiten der Grundpflege eine umfassendere Versorgung bietet, als dies bei einer Entlassung nach Hause auch unter Berücksichtigung häuslicher Krankenpflege möglich wäre. Denn es fehlt eine entsprechende laufend verfügbare ärztliche Betreuung, wie sie in einer spezialisierten pulmologischen Rehabilitationsfachklinik gegeben ist. Da eine ambulante Behandlung also nicht ausreichend war und ein Platz in einer Reha-Einrichtung vor dem 27.01.2010 nicht zur Verfügung stand, war eine stationäre Krankenhausbehandlung zur Überzeugung des Gerichts noch tatsächlich aus medizinischen Gründen erforderlich. Denn der Patient war auf die besonderen Mittel eines Krankenhauses im Hinblick auf die ärztliche Überwachung angewiesen.
Soweit sich die Beklagte darauf beruft, dass eine Unterbringung in einer anderen Einrichtung als im Krankenhaus geboten gewesen wäre und deshalb stationäre Krankenhausbehandlungsbedürftigkeit nicht vorlag, handelt es sich um eine andere Fallgestaltung als in der o. g. Entscheidung des Großen Senats vom 25.09.2007. Dort war eine Entlassung nach Hause nicht möglich, weil wegen der Anforderungen der Erkrankung/Behinderung eine spezielle Form des Wohnens und der ambulanten (auch sozialen) Betreuung erforderlich war. Dies aber gehörte nicht zum Leistungsumfang der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV). Dagegen geht es im vorliegenden Streitfall um eine stationäre Rehabilitationsmaßnahme anstelle von Krankenhausbehandlung, einer Alternative, die zum Leistungskatalog der GKV zählt. Dabei liegt es auch in der Verantwortung der GKV, durch Abschluss entsprechender Versorgungsverträge eine ausreichende Versorgung ihrer Versicherten sicherzustellen.
Der Klinik kann auch nicht vorgehalten werden, dass sie sich unzureichend um die Verlegung des Versicherten in eine AHB-Einrichtung gekümmert hätte und daher eine unwirtschaftliche Verlängerung der Verweildauer vorliege (vgl. BSG vom 21.04.2015 – B 1 KR 6/15 R – zu einer verspäteten Verlegung in ein anderes Krankenhaus zur weiterführenden Diagnostik). Denn von ihr wurde bereits frühzeitig am 30.12.2009 der Antrag auf eine AHB-Maßnahme veranlasst. Dass erst zum 27.01.2010 eine Aufnahme zur AHB erfolgen konnte, liegt im Verhalten der Beklagten und der Aufnahmekapazität der AHB-Fachklinik begründet. Da die Beklagte ausdrücklich anlässlich der Bewilligung einer AHB-Maßnahme mit Bescheid vom 07.01.2010 mitgeteilt hatte, dass die Fachklinik um Mitteilung gebeten worden sei, wann eine Aufnahme erfolgen könne, und dass die Klinik unaufgefordert über den möglichen Aufnahmetermin verständigt werde, musste die Klinik von sich aus nichts Weiteres mehr veranlassen. Ihr kann keine „Verschleppung“ vorgeworfen werden.
Der Beklagten steht der geltend gemachte Erstattungsanspruch wegen Überschreitung der OGVD daher nicht zu. Der Klage war stattzugeben. Beginn und Höhe der Verzinsung ergeben sich aus § 12 Abs. 1 der Pflegesatzvereinbarung 2010. Der Verzinsungsbeginn am 18.12.2010 ist unstreitig. Ein späterer Verzinsungsbeginn wäre nur nachweisbar, wenn von der Beklagten unter Bezug auf die Sammelrechnung der Zeitpunkt des jeweiligen Rechnungseinganges der darin erfassten Einzelrechnungen dargelegt würde, worauf sie in anderen Klageverfahren aus Vereinfachungsgründen verzichtet hat, und was ja im Einzelfall auch nicht mehr möglich ist, da sie die Sammelrechnung nicht mehr vorlegen kann.
II.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 197a SGG i. V. m. §§ 161 Abs. 1, 154 Abs. 1 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO).
III.
Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 197a SGG i. V. m. dem Gerichtskostengesetz (GKG). Da der Klagantrag auf eine bezifferte Geldleistung gerichtet war, ist deren Höhe maßgeblich (§ 52 Abs. 3 GKG). Die zurückgenommene Eventualwiderklage wirkt sich nicht streitwerterhöhend aus (§ 45 Abs. 1 Satz 2 GKG).

Jetzt teilen:

Ähnliche Artikel