Aktenzeichen 12 O 4343/15
VVG § 115 Abs. 2 S. 3
StVG § 7, § 11, § 14
BGB § 195, § 199, § 842
Leitsatz
Teilt die zuständige gesetzliche Rentenversicherung dem Verursacher eines Verkehrsunfalles mit, dass der Geschädigte durch das Schadensereignis einen Beitragsschaden in der gesetzlichen Rentenversicherung erlitten habe und dass dieser Ersatzanspruch gemäß § 119 SGB X auf sie übergegangen sei, umfasst diese Anmeldung eines Schadens grundsätzlich alle in Betracht kommenden Ansprüche (hier: weitergehender Regressanspruches nach § 116 SGB X), die voraussehbar sind (anders nachfolgend OLG München BeckRS 2018, 22689). (redaktioneller Leitsatz)
Gründe
Die zulässige Klage ist begründet.
Beitragsschaden:
Die Klägerin hat einen Anspruch auf Zahlung von 4.419,39 € aus § 119 SGB X.
Die hundertprozentige Haftung der Beklagten für den Unfall des Geschädigten R3. vom 6.3.2009 gemäß §§ 7 Abs. 1, 11 StVG, § 115 Abs. 1 Ziff. 1 VVG ist zwischen den Parteien unstreitig. Die Klägerin ist gesetzliche Rentenversichererin. Der Geschädigte ist bei ihr rentenversichert. Die Ansprüche des Geschädigten sind gemäß § 119 SGB X auf die Klägerin übergegangen. Die Klägerin ist als gesetzliche Rentenversicherung (§ 1 SGB IV) Leistungsträger im Sinne der §§ 115 ff. SGB X.
Die Klägerin hat für den Zeitraum 1.5.2011 – 18.5.2014 einen Beitragsschaden in Höhe von 4.419,39 € erlitten.
Nachdem die Beklagte die zunächst von der Klägerin zugrundegelegte Berechnung des fiktiven Bruttoentgelts des Geschädigten bestritten hat, hat die Klägerin eine neue Berechnung erstellt und als Anlage K 16 vorgelegt. Die Berechnung wurde auf Grundlage der Verdienstbescheinigung des ehemaligen Arbeitgebers des Geschädigten, der Firma Siegl (Anlage K 17), erstellt und ergab einen Beitragsschaden von 4.419,39 €. Diese Berechnung ist nachvollziehbar und wurde auch von der Beklagten nicht mehr bestritten.
Anspruch aus §§ 116 Abs. 1, 119 Abs. 1 SGB X:
Die Klägerin hat einen Anspruch aus § 116 Abs. 1 SGB X auf Zahlung von 92.720,47.
Der Schadensersatzanspruch des Geschädigten R2. umfasst auch Nachteile, die der Unfall für den Erwerb und das Fortkommen des Geschädigten herbeigeführt hat (§ 842 BGB). Im Rahmen der Schadensersatzpflicht sind auch die Kosten einer beruflichen Umschulung oder Fortbildung zu ersetzen, wenn sie nach dem Grundsatz „Rehabilitation vor Rente“ im Zeitpunkt der Entschließung hierzu bei verständiger Beurteilung der Erfolgsaussicht und des Verhältnisses dieser Chance zum wirtschaftlichen Gewicht des andernfalls absehbaren Erwerbsschadens geeignet und sinnvoll erscheint.
Unter Berücksichtigung dieser Grundsätze hat die Beklagte auch die Kosten für die Berufsfindungs- und Arbeitserprobungsmaßnahmen, die Vorbereitungslehrganges die Weiterbildungslehrgänge sowie den Anpassung/Auffrischungslehrgang des Geschädigten zu begleichen.
Der Geschädigte konnte infolge des streitgegenständlichen Unfalls weder in seinem bis dahin ausgeübten Beruf als Kundendienstmonteur für Gabelstapler noch in dem erlernten Beruf als Kfz-Mechatroniker auf Dauer weiter tätig sein.
Hiervon ist das Gericht überzeugt aufgrund der widerspruchsfreien und nachvollziehbaren Ausführungen des Sachverständigen Dr. med. Keysser.
Dieser hat aufgrund seiner durchgeführten Untersuchungen des Geschädigten festgestellt, dass die Verletzungsfolgen des Unfalls vom 6.3.2009 dazu geführt haben, dass der Geschädigte sowohl in der Ausübung des Berufs als Stapler- und Baumaschinenmonteur als auch in der Ausübung des Berufs eines Kfz-Mechatronikers im üblichen Anforderungsprofil eingeschränkt ist und war.
Die Tatsache, dass der Geschädigte nach der Reha zunächst eine stufenweise Wiedereingliederung in seiner bisherigen Arbeitsstätte absolviert und bis zur Vollzeittätigkeit durchgeführt habe, bedeute nicht, dass diese Tätigkeit auf Dauer leidensgerecht gewesen wäre oder sei.
Aufgrund der aufwendigen Operationen im Bereich des linken Oberschenkels in Kniegelenksnähe seien Tätigkeiten mit besonderer Beanspruchung an die Standfestigkeit, an das Knien und an das Gehen auf Leitern und Gerüsten eingeschränkt gewesen und auch derzeit noch eingeschränkt. Insofern sei zum Unfallzeitpunkt bzw. in den Monaten danach auch anlässlich der Rehabilitationsmaßnahme aus orthopädisch-unfallchirurgischer und sozialmedizinischer Sicht zu attestieren, dass die damals ausgeübte Tätigkeit als Monteur für Gabelstapler und Baumaschinen im beschriebenen Anforderungsprofil nicht leidensgerecht gewesen sei. Diese Tätigkeit wäre maximal als teilweise leidensgerecht und 3 – 6 Stunden täglich zumutbar zu beurteilen gewesen.
Dagegen habe weder die Adipositas noch die Spreizfußkonfiguration nennenswerte Einschränkungen der Leistungsfähigkeit in den zur Diskussion stehenden Tätigkeiten hervorgerufen, auch nicht ein verheilter Schlüsselbeinbruch. Die Adipositas und die Spreizfußkonfiguration ergäben in dem hier vorliegenden Ausmaß keine relevanten Funktionseinschränkungen des Gehens, Stehens und Kniens oder des Besteigens von Leitern und Gerüsten.
Den Beruf als Monteur für Gabelstapler und Baumaschinen hätte der Geschädigte aufgrund der Unfallfolgen im Sinne von Gelenkverletzungen mit daraus resultierenden Schmerzen und Funktionseinschränkungen und der zu erwartenden Entstehung von Sekundärarthrosen auf Dauer nicht ausüben können, zumindest wäre diese Tätigkeit auf Dauer nicht leidensgerecht gewesen.
Unabhängig davon, dass der Geschädigte tatsächlich nach dem Unfall zunächst wieder in den alten Beruf zurückgekehrt ist, sei aus unfallchirurgischer und sozialmedizinischer Sicht schon ab der Wiederaufnahme der früheren Arbeitstätigkeit diese nicht mehr leidensgerecht gewesen. In der sozialmedizinischen Beurteilung sei nicht die maximal denkbare Leistung unter Inkaufnahme von Schmerzen und Folgeschäden zu beurteilen, sondern nur die Belastung, die gerade nicht solche Schmerzen und Schäden hervorruft.
Nach der Umschulung sei der Geschädigte vollschichtig einsatzfähig.
Der Sachverständige hat seinen Befund in Zusammenschau der objektiven Befunde (Bildgebung, klinische Befunde und vorliegende Berichte) mit den Angaben des Geschädigten getroffen. Dabei hat er zugrunde gelegt, dass der Geschädigte in seinem Beruf als Kundendienstmonteur für Gabelstapler und Baumaschinen 40 Stunden pro Woche mit zum Teil schweren körperlichen Belastungen zu erbringen hatte. Er habe überwiegend stehen und gehen müssen. Die Maschinen seien schwer und teilweise unhandlich gewesen, so dass häufig kniende Arbeitshaltungen nötig gewesen seien. Er habe häufiger Gewichte von bis zu 30 kg, gelegentlich auch 50 kg heben müssen, häufige Zwangshaltungen wie Hocken, Knien, Bücken, Arbeiten auf Leitern, Gerüsten und Hebebühnen seien erforderlich gewesen. Die Tätigkeit war in der Werkshalle, jedoch auch im Freien mit Belastung durch Witterungseinflüsse zu erbringen.
Das Gericht ist aufgrund der widerspruchsfreien nachvollziehbaren und plausiblen Aussage des Zeugen R2. davon überzeugt, dass die von dem Sachverständigen zugrunde gelegte Arbeitsplatzbeschreibung der von dem Geschädigten bei der Firma Siegel zu erbringenden Tätigkeit als Monteur für Gabelstapler und Baumaschinen entspricht.
Aufgrund des jungen Lebensalters des Geschädigten und der daraus resultierenden noch mehrere Jahrzehnte erforderlichen Berufstätigkeit war daher sowohl die Berufsfindung als auch die Weiterbildung des Geschädigten zum Maschinenbautechniker und Betriebswirt sowohl zum Zeitpunkt des Beginns dieser Maßnahmen als auch zum Zeitpunkt des erfolgreichen Abschlusses sinnvoll und angezeigt.
Die Klägerin hat als Anlagenkonvolut K 18 eine Kostenaufstellung nebst Rechnungen für die Leistungen zur medizinischen Rehabilitation des Geschädigten nebst bezahlter Übergangsgelder und an den Geschädigten gezahlter Fahrtkosten vorgelegt. Die Beklagte hat hiergegen weder Einwendungen erhoben noch konkrete Leistungs- bzw. Rechnungspositionen sowie deren Bezahlung bestritten.
Das Gericht ist daher davon überzeugt, dass die Klägerin die vorgetragenen Zahlungen erbracht hat und dass diese im Rahmen der Behandlung, Rehabilition, Berufsfindung und Weiterbildung nebst Anpassungslehrgang angefallen sind.
Der Anspruch des Geschädigten auf Ersatz dieser Kosten ist daher auf die Klägerin übergegangen.
Der Anspruch der Klägerin ist auch nicht verjährt.
Für diesen Anspruch gilt nach §§ 14 StVG, 115 Abs. 2 S. 1 VVG, 195 BGB die regelmäßige Verjährungsfrist von 3 Jahren. Diese begann gemäß § 199 Abs. 1 BGB spätestens am 15.6.2010 (Anlage K 15). Für den Beginn der Verjährungsfrist bei Ansprüchen der Sozialversicherungsträger kommt es auf die Kenntnis oder grob fahrlässige Unkenntnis der Mitarbeiter der für den Regress zuständigen Organisationseinheit an. Die Regressabteilung der Klägerin hatte spätestens zum Zeitpunkt des Bescheides vom 10.6.2015 Kenntnis vom Unfall des Geschädigten und der Haftung der Beklagten sowie dem Bestehen eines Beitragsschadens. Ohne Hemmungs- oder Neubeginnstatbestände wäre die Verjährungsfrist daher spätestens am 15.6. 2013 vollendet gewesen.
Durch das Schreiben der Klägerin vom 15.6.2010 (Anlage K 15) wurde die Verjährungsfrist jedoch auch bezüglich des Regressanspruches der Klägerin nach § 116 SGB X gemäß § 115 Abs. 2 S. 3 VVG gehemmt.
Die Klägerin hat mit dem Schreiben vom 15.6.2010 der Beklagten mitgeteilt, dass der Geschädigte durch das Schadensereignis vom 6.3.2009, an dem der Versicherungsnehmer der Beklagten beteiligt war, einen Beitragsschaden in der gesetzlichen Rentenversicherung erlitten hat und dass dieser Ersatzanspruch gemäß § 119 SGB X auf die Klägerin übergegangen ist. Die Klägerin hat zugleich einen Beitragsregress für die Zeit vom 17.4.2009 – 30.11.2009 in Höhe von 472,71 € und für die Zeit vom 20.3.2010 – 1.4.2010 in Höhe von 33,26 € abgerechnet.
Die Anmeldung eines Schadens umfasst grundsätzlich alle in Betracht kommenden Ansprüche, die voraussehbar sind, es sei denn die Anmeldung ist eindeutig auf bestimmte Ansprüche beschränkt.
Die Schadensanmeldung im Schreiben der Klägerin vom 15.6.2010 ist zwar mit der Geltendmachung eines Beitragsschadens für die Zeit vom 17.4.2009 – 30.11.2009 und für die Zeit vom 20.3.2010 – 1.4.2010 verknüpft. Sie führt jedoch nicht zu einer Beschränkung hierauf.
Eine Beschränkung auf einzelne Schadensersatzansprüche kann nur dann angenommen werden, wenn sich eine Beschränkung eindeutig aus dem Inhalt der Anmeldung ergibt, wofür es aber nicht allein ausreichend ist, dass einzelne Ansprüche beziffert werden (vgl. OLG Köln 19 U 19/14; OLG München, r +s 1997, 48; BGH NZV 1998, 108)
Vorliegend hat die Klägerin in ihrem Schreiben vom 10.6.2010 weder ausdrücklich noch konkludent erklärt, dass sie außer dem bezifferten Beitragsschaden keinen weiteren Schaden mehr geltend machen werde. Hiermit konnte die Beklagte angesichts der Schwere der Verletzung des Geschädigten auch nicht rechnen.
Die Hemmung dauerte bis zum Schreiben der Klägerin vom 10.6.2015, mit dem diese die streitgegenständlichen Ansprüche geltend gemacht hat, an, weil die Beklagte bis dahin nicht abschließend über die Anmeldung der Ansprüche der Klägerin entschieden hat. Die Beklagte hat nicht substantiiert vorgetragen, dass bis zu diesem Zeitpunkt eine eindeutige und endgültige Entscheidung der Beklagten über die Ansprüche der Klägerin dieser in Textform zugegangen ist.
Die Teilzahlung der Beklagten auf das Schreiben der Klägerin vom 10.6.2015 hin hat kein Ende der Hemmung herbeigeführt, denn § 115 Abs. 2 S. 3 VVG setzt eine Entscheidung in Textform, also eine schriftliche Erklärung, voraus. Diese Form wird durch eine Zahlung auf Anforderung nicht gewahrt (vgl. OLG München 10 U 4220/14).
Nebenforderungen:
Der Zinsanspruch ergibt sich aus §§ 286 Abs. 1 Nr. 3, 288, 291 BGB. Die Klägerin hat jedoch nur einen Anspruch auf Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz gemäß § 288 Abs. 1 BGB. Die Voraussetzungen des § 288 Abs. 2 BGB sind nicht erfüllt. Die Klägerin macht keine Ansprüche aus Rechtsgeschäften geltend.
Kosten und vorläufige Vollstreckbarkeit
Die Kostenentscheidung beruht auf § 92 Abs. 2 BGB. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 709 ZPO.