Medizinrecht

Versagung eines Kleinen Waffenscheins wegen psychischer Erkrankung

Aktenzeichen  M 7 E 16.4781

Datum:
11.11.2016
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
BayVwVfG BayVwVfG Art. 35 S. 1
VwGO VwGO § 123, § 166
WaffG WaffG § 4 Abs. 1 S. 1 Nr. 2, § 6 Abs. 1 S. 1 Nr. 2
ZPO ZPO § 114 S. 1

 

Leitsatz

1 Personen besitzen die erforderliche waffenrechtliche Eignung unter anderem dann nicht, wenn Tatsachen die Annahme rechtfertigen, dass sie psychisch krank sind. (redaktioneller Leitsatz)
2 Die Neutralität und Unabhängigkeit eines Amtsarztes und sein spezieller Sachverstand verleihen seiner Beurteilung gegenüber privatärztlichen Gutachten im Allgemeinen ein höheres Gewicht (Anschluss an BVerwG BeckRS 1998, 14740). (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I.
Der Antrag wird abgelehnt.
II.
Der Antragsteller hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
III.
Der Streitwert wird auf 2.500,- EUR festgesetzt.
IV.
Der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe für dieses Verfahren und das Klageverfahren M 7 K 16.4780 wird abgelehnt.

Gründe

I.
Der Antragsteller begehrt einstweiligen Rechtsschutz gegen die Versagung eines Kleinen Waffenscheins durch die Antragsgegnerin.
Am 11. Januar 2016 beantragte er die Erteilung eines Kleinen Waffenscheins zum Führen einer erlaubnisfrei zu erwerbenden Schreckschuss-, Reizstoff- oder Signalwaffe. Im Rahmen des Erteilungsverfahrens wurde der Antragsgegnerin bekannt, dass die Staatsanwaltschaft München I im Jahr 2013 und 2014 zwei strafrechtliche Ermittlungsverfahren gegen den Antragsteller unter Hinweis auf seine psychische Erkrankung eingestellt hat, ferner ein nervenfachärztliches Gutachten vom 6. September 2001, das dem Antragsteller eine schwere Persönlichkeitsstörung vom Typus Borderline mit schizoiden und paranoiden Zügen sowie Denkstörungen in Form von visuellen Halluzinationen und paranoiden Denkinhalten attestierte und ein psychiatrisches Gutachten vom 18. Februar 2002, in dem eine Persönlichkeitsstörung mit narzistischen, emotional instabilen und dissozialen Zügen festgestellt wird, die eine freie Willensbestimmung aber nicht ausschließe und nicht zur Geschäftsunfähigkeit führe. Ein weiteres fachärztliches Gutachten vom 11. Juli 2005 gelangte zu dem Ergebnis, dass sich die Persönlichkeitsstörung nach Borderline bestätige, aktuell aber eine psychische Stabilisierung eingetreten und die Anforderungen zum Führen von Kraftfahrzeugen gegeben seien. Die beschriebene Persönlichkeitsstörung führe zu Überschätzung, Verzerrung der Selbstwahrnehmung, verstärkter Kränkbarkeit und insbesondere bei Provokation zu verstärkter Emotionalität und Anspannung. Es fänden sich keine Anzeichen für verstärkte Aggressivität, Suizidalität oder Fremdgefährdung.
Daraufhin teilte die Antragsgegnerin dem Antragsteller mit Schreiben vom 16. März 2016 mit, dass die Erteilung eines Kleinen Waffenscheins aufgrund der vorliegenden gutachtlichen Erkenntnisse von der Vorlage eines amts- oder fachärztlichen oder fachpsychologischen Zeugnisses abhängig gemacht werde, und hörte ihn – für den Fall, dass er der Aufforderung nicht nachkomme – zur Versagung der beantragten Erlaubnis an. Weiter wurde der Antragsteller auf § 4 Abs. 6 AWaffV hingewiesen.
Nach längerem Schriftwechsel ließ sich der Antragsteller am 15. September 2016 durch eine Amtsärztin der Antragsgegnerin, eine Fachärztin für Nervenheilkunde, Psychiatrie und Psychologie, begutachten. Diese kam aufgrund ihrer von 11:17 bis 12:15 Uhr vorgenommenen Untersuchung in ihrem Zeugnis vom 5. Oktober 2016 zu dem Ergebnis, dass es beim Antragsteller aufgrund verschiedener Gesundheitsstörungen im nervenärztlichen Bereich phasenweise und ohne Vorankündigung zu Zustandsbildern komme, bei denen die Steuerungsfähigkeit reduziert sei, und daher die waffenrechtliche Eignung nicht gegeben sei.
Mit Bescheid vom 14. Oktober 2016 versagte die Antragsgegnerin die Erteilung eines Kleinen Waffenscheins wegen fehlender persönlicher Eignung. Es wurde ausgeführt, es lägen ärztliche Gutachten vor, nach denen der Kläger unter einer Borderline-Persönlichkeitsstörung mit schizoiden, paranoiden bzw. narzistischen, emotional-instabilen und dissozialen Zügen leide. Die Persönlichkeitsstörung führe zu Überschätzung, Verzerrung der Selbstwahrnehmung und verstärkter Kränkbarkeit und insbesondere bei Provokation zu verstärkter Emotionalität und Anspannung. Nach dem amtsärztlichen Zeugnis vom 5. Oktober 2016 sei der Antragsteller aufgrund einer phasenweise verminderten Steuerungsfähigkeit zum Umgang mit Waffen gesundheitlich nicht geeignet.
Gegen den am 19. Oktober 2016 zugestellten Bescheid erhob der Antragsteller am 20. Oktober 2016 Klage (M 7 K 16. 4780) und beantragte,
„A) Sofortige Genehmigung des beantragten Waffenscheins
B) Prozesskostenhilfe
C) Einstweiliger Rechtsschutz
D) Rechtsanwalt“
und führte zur Begründung aus, er sei physisch und psychisch dazu geeignet, Auto zu fahren, Steuern zu zahlen, dem Arbeitsmarkt zur Verfügung zu stehen und seine staatsbürgerlichen Pflichten zu erfüllen, und damit auch dazu, erlaubnisfreie Waffen zu führen. Es gehe wohl um den Vorwurf, dass er vor mehr als zehn Jahren eine Politesse beleidigt habe. Das Gutachten sei in nur zehn Minuten und aufgrund von Standardfragen zu seinen Personalien erstellt worden. Darüber hinaus habe ihn die Ärztin nur gefragt, wozu er den Kleinen Waffenschein benötige. Darauf habe er geantwortet, das sei erforderlich, weil er nach mehr als zwanzig Jahren Arbeitslosigkeit endlich eine Arbeitsstelle in Aussicht habe.
Mit Schreiben vom 3. November 2016 beantragte die Antragsgegnerin unter Bezug auf den Akteninhalt und die Bescheidsgründe,
den Antrag abzulehnen.
Der Antragsteller legte mit Schreiben vom 3. November 2016 eine Erklärung über seine persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse vor.
Wegen weiterer Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird gem. § 117 Abs. 3 VwGO analog auf den Inhalt der Gerichts- und Behördenakten verwiesen.
II.
1. Der Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz ist zulässig, jedoch unbegründet.
Da der Antragsteller die sofortige Erteilung eines Kleinen Waffenscheins begehrt und damit den Erlass eines Verwaltungsakts im Sinne von Art. 35 Satz 1 BayVwVfG, ist einstweiliger Rechtsschutz im Verfahren gem. § 123 VwGO zu suchen.
Nach § 123 Abs. 1 VwGO kann das Gericht auf Antrag eine einstweilige Anordnung in Bezug auf den Streitgegenstand treffen, wenn die Gefahr besteht, dass durch eine Veränderung des bestehenden Zustands die Verwirklichung eines Rechts des Antragstellers vereitelt oder wesentlich erschwert werden könnte, oder auch zur Regelung, vor allem bei dauernden Rechtsverhältnissen, nötig erscheint, um wesentliche Nachteile für den Antragsteller abzuwenden. Nach § 123 Abs. 3 VwGO i. V. m. § 920 Abs. 2 ZPO sind dabei sowohl ein Anordnungsanspruch, d. h. der materielle Anspruch, für den der Antragsteller vorläufigen Rechtsschutz sucht, als auch ein Anordnungsgrund, der insbesondere durch die Eilbedürftigkeit einer vorläufigen Regelung begründet wird, nach § 920 Abs. 2 i. V. m. § 294 Abs. 1 ZPO glaubhaft zu machen. Nach dem Wesen und Zweck des vorläufigen Rechtsschutzes darf das Gericht nur vorläufige Regelungen treffen und dem Antragsteller dabei nicht schon das gewähren, was er im Falle des Obsiegens in der Hauptsache erreichen würde (Schenke in Kopp/Schenke, VwGO, 22. Aufl. 2016, § 123 Rn. 13 f.). Allenfalls unter engen Voraussetzungen können im Hinblick auf Art. 19 Abs. 4 GG die Wirkungen einer Entscheidung in der Hauptsache vorweggenommen werden; so wenn der Antragsteller beim Abwarten der Entscheidung in der Hauptsache sein Rechtschutzziel nicht mehr erreichen kann, ihm dadurch unzumutbare, irreparable Nachteile entstünden und eine hohe Wahrscheinlichkeit eines Obsiegens in der Hauptsache besteht (Schenke, a. a. O., § 123 Rn. 26).
Der Antragsteller hat bereits keinen Anordnungsgrund glaubhaft gemacht, nämlich, dass ihm Nachteile drohen, die unter Abwägung seiner Interessen mit gegenläufigen öffentlichen und privaten Interessen das Abwarten der Entscheidung in der Hauptsache unzumutbar machen (vgl. Schenke, a. a. O., § 123 Rn. 26).
Ebenso wenig ist ein Anordnungsanspruch gegeben. Da fachärztlich festgestellt ist, dass ihm die waffenrechtliche Eignung fehlt, hat der Antragsteller keinen Anspruch auf Erteilung eines Kleinen Waffenscheins. Dies setzt gem. § 4 Abs. 1 Nr. 2 WaffG unter anderem die persönliche Eignung des Waffenscheinsinhabers voraus. Nach § 6 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 WaffG besitzen Personen die erforderliche persönliche Eignung unter anderem dann nicht, wenn Tatsachen die Annahme rechtfertigen, dass sie psychisch krank sind. Sind der zuständigen Waffenbehörde Tatsachen bekannt geworden, die Bedenken gegen die persönliche Eignung begründen, hat sie dem Betroffenen auf seine Kosten die Vorlage eines amts- oder fachärztlichen oder fachpsychologischen Zeugnisses über seine geistige oder körperliche Eignung aufzugeben (§ 6 Abs. 2, Abs. 4 WaffG i. V. m. § 4 Abs. 1 AWaffV).
Aufgrund des amtsärztlichen Zeugnisses vom 5. Oktober 2016 geht die Antragsgegnerin zu Recht davon aus, dass dem Antragsteller die waffenrechtliche Eignung aufgrund einer psychischen Erkrankung fehlt (§ 6 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 WaffG). Der Klagevortrag, dass das amtsärztliche Zeugnis aufgrund eines zehnminütigen Gesprächs und lediglich aufgrund Fragen zu seinen Personalien und dem Verwendungszweck des Kleinen Waffenscheins angefertigt worden ist, ist nicht glaubhaft. In dem Zeugnis sind die Untersuchungsdauer von rund einer Stunde sowie eine psychiatrische Exploration und eine psychopathologische Befundserhebung dokumentiert. Ein Amtsarzt ist verpflichtet, seine Feststellungen nur unter ärztlichen Gesichtspunkten, wahrheitsgemäß und unparteiisch zu treffen (vgl. BVerwG, B. v. 17. November 1998 – 1 DB 14/98 – juris Rn. 11 u. B. v. 23. März 2006 – 2 A 12/04 – juris Rn. 6). Die Neutralität und Unabhängigkeit eines Amtsarztes und sein spezieller Sachverstand verleihen seiner Beurteilung gegenüber privatärztlichen Gutachten im Allgemeinen ein höheres Gewicht (BVerwG, a. a. O.). Abgesehen davon, steht die amtsärztliche Feststellung einer zumindest phasenweise verminderten Steuerungsfähigkeit inhaltlich in Einklang mit den nervenfachärztlichen bzw. psychiatrischen Feststellungen aus den Jahren 2001, 2002 und 2005. Schließlich hat die Antragsgegnerin dem Antragsteller auch zu Recht aufgeben, ein Zeugnis gem. § 6 Abs. 2 WaffG beizubringen. Die ihr bekannt gewordenen Feststellungen verschiedener Fachärzte, die im Ergebnis eine Wahrscheinlichkeit für emotionale, unbeherrschte oder unberechenbare Reaktionen des Antragstellers ergaben, und die strafrechtlichen Ermittlungsergebnisse haben Bedenken gegen die waffenrechtliche Eignung des Antragstellers begründet, die es auszuräumen oder zu erhärten galt.
Der Antrag war daher im Ergebnis mit der Kostenfolge des § 154 Abs. 1 VwGO abzulehnen. Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 52 Abs. 2 i. V. m. § 53 Abs. 2 Nr. 1 GKG i. V. m. Nr. 1.5. des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit 2013 (vgl. auch BayVGH, U. v. 12. August 2015 – 21 BV 14.2170 juris Rn. 36).
2. Da aus den vorgenannten Gründen auch der Klage auf Erteilung eines Kleinen Waffenscheins die Erfolgsaussichten fehlen, war weiter der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe abzulehnen. Nach § 166 VwGO i. V. m. § 114 Satz 1 ZPO setzt die Bewilligung von Prozesskostenhilfe nicht nur voraus, dass die Klagepartei nach ihren persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen die Kosten der Prozessführung nicht aufbringen kann, sondern auch, dass die beabsichtigte Rechtsverfolgung hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet und nicht mutwillig erscheint. Dabei genügt es regelmäßig, dass die Erfolgsaussichten offen sind oder es entscheidungserheblich auf schwierige Rechtsfragen ankommt, die höchstrichterlich noch nicht geklärt sind (BVerfG, B. v. 13. März 1990 – 2 BvR 94/88 – juris 2. Ls). Hinreichende Erfolgsaussichten liegen allerdings dann nicht vor, wenn ein Erfolg in der Hauptsache zwar nicht schlechthin ausgeschlossen ist, die Erfolgschance aber nur eine entfernte ist oder konkrete und nachvollziehbare Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass eine Beweisaufnahme mit großer Wahrscheinlichkeit zum Nachteil des Antragstellers ausgehen wird (vgl. BVerfG, B. v. 20. Februar 2002 – 1 BvR 1450/00 – juris Rn. 12). Davon ist hier auszugehen, so dass es auf die wirtschaftliche Bedürftigkeit des Antragstellers nicht ankommt. Kommt die Bewilligung von Prozesskostenhilfe nicht in Betracht, so scheidet auch die Beiordnung eines Rechtsanwalts gem. § 121 Abs. 2, 5 ZPO aus (vgl. BayVGH, B. v. 27. April 2015 – 9 ZB 15.793 – juris Rn. 6).

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