Medizinrecht

Versammlungsrechtliche Beschränkung – Gewährung von Prozesskostenhilfe für Fortsetzungsfeststellungsklage

Aktenzeichen  10 C 17.2156

Datum:
19.12.2017
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
BayVersG Art. 15 Abs. 2 Nr. 2
StGB StGB § 130 Abs. 4
VwGO § 166 Abs. 1 Sa. 1 VwGO i.V.m. § 114 Abs. 1 ZPO

 

Leitsatz

1. Unter Berücksichtigung der Bedeutung der Versammlungsfreiheit nach Art. 8 Abs. 1 GG dürfen bei der auch im Rahmen des Art. 15 Abs. 2 BayVersG anzustellenden Gefahrenprognose beim Erlass von Beschränkungen von Versammlungen keine zu geringen Anforderungen gestellt werden. Als Grundlage der Gefahrenprognose sind konkrete und nachvollziehbare tatsächliche Anhaltspunkte erforderlich. Bloße Verdachtsmomente und Vermutungen reichen nicht aus. (Rn. 16) (redaktioneller Leitsatz)
2. Auch Beschränkungen, die darauf abzielen, Straftaten zu verhindern, können nur verfügt werden, wenn konkrete und nachvollziehbare tatsächliche Anhaltspunkte dafür bestehen, dass bei der fraglichen Versammlung die unmittelbare Gefahr besteht, dass solche Straftaten begangen werden. (Rn. 16) (redaktioneller Leitsatz)
3. Auch Ereignisse im Zusammenhang mit früheren Versammlungen können als Indizien für eine unmittelbare Gefährdung der öffentlichen Sicherheit herangezogen werden. Dies gilt aber nur, soweit die früheren Versammlungen bezüglich des Mottos, des Ortes, des Datums sowie des Teilnehmer- und Organisatorenkreises Ähnlichkeiten zu der geplanten Versammlung aufweisen. Eine rein vorsorgliche versammlungsrechtliche Beschränkung findet in Art. 15 Abs. 2 BayVersG keine Rechtsgrundlage. (Rn. 18) (redaktioneller Leitsatz)

Verfahrensgang

AN 5 K 15.769 2017-10-05 Bes VGANSBACH VG Ansbach

Tenor

Unter Abänderung des Beschlusses des Bayerischen Verwaltungsgerichts Ansbach vom 5. Oktober 2017 wird dem Kläger für seine Klage bezüglich Nr. 1.12 des Bescheids der Beklagten vom 17. April 2015 Prozesskostenhilfe bewilligt und sein Rechtsanwalt F … M …, …, beigeordnet.

Gründe

I.
Mit seiner Beschwerde verfolgt der Kläger seinen Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe für seine Fortsetzungsfeststellungsklage bezüglich einer versammlungsrechtlichen Beschränkung im Bescheid der Beklagten vom 17. April 2015 weiter.
Dieser Bescheid enthielt u.a. die Beschränkung Nr. 1.12: „In Versammlungsreden und Sprechchören sowie auf Transparenten haben alle Aussagen zu unterbleiben, die das NS-Regime, sowie Organisationen bzw. Untergruppierungen und deren (auch selbsternannten) Folgeorganisationen sowie verbotene Parteien und Vereine einschließlich deren Nachfolge- und Ersatzorganisationen sowie unter der Herrschaft des Nationalsozialismus begangene Handlungen billigen, rechtfertigen oder verharmlosen. Gleiches gilt für etwa zu verbreitende Druckwerke und musikalische Darbietungen“. Die vom Kläger am 11. Mai 2015 erhobene Fortsetzungsfeststellungsklage richtet sich u.a. gegen die Beschränkung.
Mit Beschluss vom 5. Oktober 2017 lehnte das Bayerische Verwaltungsgericht Ansbach den Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe ab. Zu der im Beschwerdeverfahren ausschließlich streitgegenständlichen Beschränkung Nr. 1.12 führte es aus, dass diese Beschränkung im Zusammenhang mit der Begründung des Bescheids gelesen werden müsse. Daraus werde deutlich, dass gerade solche Aussagen unterbleiben müssten, die den Tatbestand des § 130 StGB und Art. 15 Abs. 2 Nr. 2 BayVersG erfüllten. Folglich seien die Handlungen des NS-Regimes gemeint, die die nationalsozialistische Gewalt- und Willkürherrschaft prägten. Eine solche Beschränkung sei geeignet, erforderlich und angemessen.
Der Kläger legte mit Schreiben vom 25. Oktober 2017 Beschwerde gegen den Beschluss des Bayerischen Verwaltungsgerichts Ansbach vom 5. Oktober 2017 ein und beantragte,
ihm unter Abänderung des Beschlusses des Verwaltungsgerichts Ansbach vom 5. Oktober 2017 Prozesskostenhilfe für die Verfolgung seiner gegen die Beschränkung Nr. 1.12 gerichteten Klage unter Beiordnung seines Prozessbevollmächtigten zu bewilligen.
Die Klage habe insoweit hinreichende Aussicht auf Erfolg. Das Gericht verkenne, dass die Beschränkung Nr. 1.12 absolut formuliert und nicht etwa auf die Tatbestände des § 130 StGB und Art. 15 Abs. 2 Nr. 2 BayVersG beschränkt worden sei. Auch in der Begründung des Bescheides werde nicht zum Ausdruck gebracht, dass nicht strafbare Aussagen über Handlungen während der Herrschaft des Nationalsozialismus nicht unter die beschränkende Auflage fielen. Unklarheiten und Unbestimmtheiten gingen zulasten der Behörde.
Die Beklagte beantragt die Zurückweisung der Beschwerde.
Es verstehe sich selbstredend, dass in der Beschränkung solche Handlungen angesprochen seien, die die nationalsozialistische Willkürherrschaft prägten. Im Zusammenhang mit der angezeigten Versammlung sei die Gefahr gesehen worden, dass durch die Versammlung die nationalsozialistische Gewalt- und Willkürherrschaft gebilligt, verherrlicht, gerechtfertigt oder verharmlost werde. Die Beschränkung sei erforderlich und gerechtfertigt, um strafrechtlichen Verstößen gegen § 130 StGB vorzubeugen.
II.
Die zulässige Beschwerde ist begründet. Dem Kläger ist in Abänderung des angegriffenen Beschlusses nach § 166 Abs. 1 VwGO i.V.m. § 114 Abs. 1 Satz 1 ZPO Prozesskostenhilfe für seine Fortsetzungsfeststellungsklage bezüglich der Beschränkung Nr. 1.12 des Bescheides der Beklagten vom 17. April 2015 zu bewilligen.
Die Voraussetzungen für die Bewilligung von Prozesskostenhilfe liegen vor, weil der Kläger nach seinen persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen die Kosten der Prozessführung nicht aufbringen kann, die beabsichtigte Rechtsverfolgung hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet und nicht mutwillig erscheint.
Nach seiner Erklärung über die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse vom 27. April 2015 ist der Kläger nicht in der Lage, die Kosten für die Prozessführung aufzubringen. Diese Erklärung entspricht auch im Zeitpunkt der Entscheidung des Senats seinen aktuellen wirtschaftlichen Verhältnissen. Der Kläger hat mit Schreiben vom 14. Juni 2017 beim Verwaltungsgericht Ansbach eine Entscheidung über die seit 11. Mai 2015 anhängige Fortsetzungsfeststellungsklage angemahnt und um Verbescheidung des Antrags auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe gebeten.
Auch bietet die beabsichtigte Rechtsverfolgung hinreichende Aussicht auf Erfolg und erscheint nicht mutwillig. Im für die Beurteilung der Erfolgsaussichten maßgeblichen Zeitpunkt der Bewilligungs- und Entscheidungsreife des Prozesskostenhilfeantrags (stRspr; vgl. BayVGH, B.v. 20.12.2016 – 1 C 16.312 – juris Rn. 7 m.w.N.) bot der Antrag des Klägers, festzustellen, dass die Beschränkung Nr. 1.12 des Bescheides vom 17. April 2015 rechtswidrig war, hinreichende Aussicht auf Erfolg.
Rechtsgrundlage für diese versammlungsrechtliche Beschränkung ist Art. 15 Abs. 2 Nr. 2 BayVersG. Danach kann die zuständige Behörde eine Versammlung insbesondere dann beschränken, wenn nach den zur Zeit des Erlasses der Verfügung erkennbaren Umständen durch die Versammlung die nationalsozialistische Gewalt- und Willkürherrschaft gebilligt, verherrlicht, gerechtfertigt oder verharmlost wird, auch durch das Gedenken an führende Repräsentanten des Nationalsozialismus, und dadurch die unmittelbare Gefahr einer Beeinträchtigung der Würde der Opfer besteht.
Unabhängig von dem in der Ausgangsentscheidung diskutierten Problem der hinreichenden Bestimmtheit der Beschränkung Nr. 1.12 hat nach summarischer Überprüfung der Rechtslage im maßgeblichen Zeitpunkt der Bewilligungsreife des Prozesskostenhilfeantrags die Fortsetzungsfeststellungsklage bereits deshalb Erfolg, weil durch die Beklagte weder hinreichende Anhaltspunkte dafür dargelegt wurden, dass bei der Versammlung am 18. April 2015 die unmittelbare Gefahr der Begehung von Straftaten nach § 130 Abs. 4 StGB bestand, noch aus den Verfahrensakten entsprechende konkrete und nachvollziehbare Anhaltspunkte dafür ersichtlich sind.
Weder aus den Behördenakten noch aus der Begründung des Bescheides ergeben sich Umstände oder Tatsachen, die die Annahme einer unmittelbaren Gefährdung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung im Sinne des Art. 15 Abs. 2 Nr. 2 BayVersG rechtfertigen würden.
Unter Berücksichtigung der Bedeutung der Versammlungsfreiheit nach Art. 8 Abs. 1 GG dürfen bei der auch im Rahmen des Art. 15 Abs. 2 BayVersG anzustellenden Gefahrenprognose beim Erlass von Beschränkungen keine zu geringen Anforderungen gestellt werden (BayVGH, B.v. 9.11.2015 – 10 CS 15.2437 – juris Rn. 5). Als Grundlage der Gefahrenprognose sind konkrete und nachvollziehbare tatsächliche Anhaltspunkte erforderlich. Bloße Verdachtsmomente und Vermutungen reichen hierzu nicht aus (vgl. BVerfG, B.v. 20.12.2012 – 1 BvR 2794/10 – juris Rn. 17; B.v. 12.5.2010 – 1 BvR 2636/04 – juris Rn. 17 jeweils m.w.N.). Die Darlegungs- und Beweislast für das Vorliegen von Gründen für eine Beschränkung liegt dabei bei der Behörde (BayVGH, B.v. 24.2.2015 – 10 CS 15.431 – juris Rn. 18). Dementsprechend können auch Beschränkungen, die darauf abzielen, Straftaten zu verhindern, nur verfügt werden, wenn konkrete und nachvollziehbare tatsächliche Anhaltspunkte dafür bestehen, dass bei der fraglichen Versammlung die unmittelbare Gefahr besteht, dass solche Straftaten begangen werden (vgl. BayVGH, B.v. 28.6.2013 – 10 CS 13.1356 – juris Rn. 4; B.v. 12.4.2013 – 10 CS 13.787 – juris Rn. 4).
Die polizeiliche Einschätzung der Polizeiinspektion F. für die für den 18. April 2015 angezeigte Versammlung beschäftigt sich ausschließlich mit einer Gefahrenprognose im Falle des Aufeinandertreffens der Teilnehmer der Versammlung des Klägers und der Gegenveranstaltung. Anhaltspunkte dafür, dass es bei der Versammlung des Klägers zu Straftaten nach § 130 Abs. 4 StGB kommen könnte, ergeben sich daraus nicht. Auch in der Begründung des Bescheids vom 17. April 2015 finden sich diesbezüglich keine weiteren Ausführungen. Soweit die Beklagte in der Beschwerdeerwiderung vom 29. November 2017 vorträgt, dass „diese Gefahr auch in Zusammenhang mit der angezeigten Versammlung gesehen wurde“, erläutert oder begründet sie dies nicht näher.
Auch Ereignisse im Zusammenhang mit früheren Versammlungen können als Indizien für eine unmittelbare Gefährdung der öffentlichen Sicherheit herangezogen werden. Dies gilt aber nur, soweit die früheren Versammlungen bezüglich des Mottos, des Ortes, des Datums sowie des Teilnehmer- und Organisatorenkreises Ähnlichkeiten zu der geplanten Versammlung aufweisen (vgl. BVerfG, B.v. 12.5.2010 – 1 BvR 2636/04 – juris Rn. 17 m.w.N.). Aber auch insoweit finden sich in den vorgelegten Behördenakten keine Anhaltspunkte dafür, dass es bei früheren Veranstaltungen des Klägers zu Verstößen gegen § 130 Abs. 4 StGB gekommen ist. Auch das Motto der angezeigten Kundgebung „Arbeit – Zukunft – Heimat! Kapitalismus zerschlagen!“ steht jedenfalls in keinem unmittelbaren Zusammenhang mit den in Art. 15 Abs. 2 Nr. 2 BayVersG geschützten Rechtsgütern (vgl. BayVGH B.v. 9.11.2015 – 10 CS 15.2437 – juris Rn. 5). Eine rein vorsorgliche versammlungsrechtliche Beschränkung findet jedoch in Art. 15 Abs. 2 BayVersG keine Rechtsgrundlage.
Die Beiordnung des Prozessbevollmächtigten des Klägers folgt aus § 166 Abs. 1 Satz 1 VwGO i.V.m. § 121 Abs. 2 ZPO.
Einer Kostenentscheidung bedarf es nicht. Gerichtskosten können im Prozesskostenhilfeverfahren nach Nr. 5502 des Kostenverzeichnisses (Anlage 1 zu § 3 Abs. 2 GKG) nur erhoben werden, soweit eine Beschwerde gegen die Ablehnung von Prozesskostenhilfe zurückgewiesen oder verworfen wird, was hier nicht der Fall ist. Eine Kostenerstattung ist nach § 166 Abs. 1 Satz 1 VwGO i.V.m. § 118 Abs. 1 Satz 4 ZPO ausgeschlossen.
Einer Streitwertfestsetzung bedarf es nicht, weil Gerichtskosten nicht erhoben werden.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).

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