Aktenzeichen AN 30 S 20.00654
BayIfSMV § 1 Abs. 1 S. 3
GG Art. 2 Abs. 2, Art. 8 Abs. 1
VwGO § 80 Abs. 5, § 117 Abs. 5, § 123 Abs. 1
Leitsatz
1. Die Corona-Pandemie kann dazu führen, dass das nach Art. 8 GG geschützte Interesse an der Durchführung einer Versammlung hinter dem auf Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG gestützten öffentlichen Interesse am Schutze von Leben und Gesundheit der Bevölkerung vor der weiteren Ausbreitung der hochansteckenden Viruserkrankung sowie deren Folgen zurückzustehen hat. (Rn. 15) (redaktioneller Leitsatz)
2. Die auf § 32 S. 1 IfSG gestützte Rechtsgrundlage für das Versammlungsverbot in der Bayerischen Infektionsschutzmaßnahmenverordnung ist nicht zu beanstanden. (Rn. 17) (redaktioneller Leitsatz)
Tenor
1. Der Antrag wird abgelehnt.
2. Der Antragsteller trägt die Kosten des Verfahrens.
3. Der Streitwert wird auf 5.000,00 EUR festgesetzt.
Gründe
I.
Der Antragsteller wendet sich im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes gegen den Bescheid vom 9. April 2020, mit dem die Antragsgegnerin seinen Antrag auf Erteilung einer Ausnahmegenehmigung zur Durchführung einer Versammlung am 12. April 2020 abgelehnt hat.
Mit einer E-Mail – ohne Datumsangabe, eingegangen nach Darstellung der Antragsgegnerin bei ihr am 7. April 2020 – hatte der Antragsteller eine … angemeldet. Die Teilnehmerzahl betrage etwa 20 Personen und die Versammlung bleibe stationär. Die Teilnehmer wollten sich dort niederlassen und dort ein Buch ganz oder teilweise lesen. Je nachdem, wie spannend die Bücher seien, werde sich die Dauer der Versammlung bemessen. Als „Demonstrationsmittel“ wurden angegeben: Bücher, Zollstöcke, Schilder und Megaphone.
Die Antragsgegnerin lehnte den Antrag mit dem mit der Klage vom 9. April 2020 vom Antragsteller angefochtenem Bescheid vom 9. April 2020 ab. Den ablehnenden Bescheid stützte die Antragsgegnerin im Wesentlichen auf § 1 BayIfSMV vom 27. März 2020, die am 31. März 2020 in Kraft getreten ist. Die damit einhergehenden Grundrechtsbeeinträchtigungen seien verfassungsmäßig.
Mit seiner am Donnerstag, den 9. April 2020, außerhalb der regulären und bekannten Dienstzeiten beim Verwaltungsgericht per Telefax eingereichten Klage beantragt der Antragsteller, den Bescheid aufzuheben, hilfsweise, die Antragsgegnerin zu verpflichten, dem Kläger eine Ausnahmegenehmigung für den Ostersonntag, den 12. April 2020, zu erteilen. Zur Begründung wird auf die Ausführungen in der Klageschrift Bezug genommen.
Zugleich beantragte er im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes,
die aufschiebende Wirkung seiner Klage anzuordnen,
hilfsweise, die Antragsgegnerin im Wege einer einstweiligen Anordnung zu verpflichten, eine Ausnahmegenehmigung zur Durchführung einer Versammlung am 12. April 2020 zu erteilen.
Die Antragsgegnerin beantragt,
den Antrag abzulehnen.
Sie hat mit Telefax vom 10. April 2020 Stellung genommen und verweist dabei im Wesentlichen auf die Begründung in ihrem vom Antragsteller angefochtenen Bescheid.
Wegen der Einzelheiten des Sachverhaltes wird im Übrigen auf die gewechselten Schriftsätze Bezug genommen.
II.
Die Anträge auf einstweiligen Rechtsschutz werden abgelehnt.
Nach § 80 Abs. 1 Satz 1 VwGO haben Widerspruch und Anfechtungsklage nur dann eine aufschiebende Wirkung, sofern diese nicht kraft Gesetzes (hier: § 28 Abs. 3 i.V. mit § 16 Abs. 8 IfSG) oder auf Grund einer Anordnung nach § 80 Abs. 2 Satz 1 Nummer 4 VwGO entfällt. Ob ein hiernach erforderliches besonderes Interesse an der sofortigen Vollziehung besteht, hat das Gericht auf Antrag des Betroffenen im Verfahren nach § 80 Abs. 5 VwGO zu prüfen. Lässt sich bei summarischer Überprüfung die Rechtswidrigkeit der angefochtenen Verfügung ohne weiteres feststellen, ist sie also offensichtlich, so ist die aufschiebende Wirkung des Rechtsbehelfs wiederherzustellen bzw. anzuordnen, weil an der sofortigen Vollziehung eines offensichtlich rechtswidrigen Bescheides kein öffentliches Interesse bestehen kann. Erweist sich dagegen auf Grund einer summarischen Überprüfung die angefochtene Verfügung als offensichtlich rechtmäßig, so kann in der Regel ohne Verfassungsverstoß davon ausgegangen werden, dass das öffentliche Interesse an der Vollziehung das private Aufschubinteresse überwiegt. Lässt sich schließlich bei summarischer Prüfung weder die offensichtliche Rechtmäßigkeit noch die evidente Rechtswidrigkeit feststellen, bedarf es zur Entscheidung einer weiteren Abwägung der Interessen im Einzelfall, wobei eine Berücksichtigung der Folgen, die einträten, wenn die Gewährung des vorläufigen Rechtsschutzes versagt würde, das Verfahren in der Hauptsache hingegen Erfolg hätte, erforderlich ist. Diese Auswirkungen sind zu vergleichen mit den Nachteilen, die entstünden, wenn die aufschiebende Wirkung wiederhergestellt bzw. angeordnet würde, dem Rechtsbehelf in der Hauptsache aber der Erfolg versagt würde (vgl. BVerwG, NJW 1990, S. 61; BayVGH, BayVBl 1988, Seite 406; Kopp, VwGO, § 80 RdNr. 158 m. w. N.). Je größer die Erfolgsaussichten des Rechtsbehelfs sind, dessen aufschiebende Wirkung angeordnet oder wiederhergestellt werden soll, umso geringere Anforderungen sind an das Aussetzungsinteresse desjenigen zu stellen, der vorläufigen Rechtsschutz begehrt. Je geringer umgekehrt die Erfolgsaussichten zu bewerten sind, umso höher müssen die erfolgsunabhängigen Interessen der Antragstellerseite zu veranschlagen sein, um eine Aussetzung zu rechtfertigen (vgl. BayVGH, NVwZ 1991, S. 100). Bei der notwendigen Gesamtabwägung ist letztlich auch eine etwaige Vorgabe des Gesetzgebers zu beachten (siehe dazu auch oben).
Im Falle einer einstweiligen Anordnung nach § 123 Abs. 1 VwGO hat der Antragsteller sowohl das Vorliegen eines Anordnungsgrundes als auch das Vorliegen eines Anordnungsanspruches glaubhaft zu machen (§ 123 Abs. 3 VwGO i.V. mit § 920, 294 ZPO).
Hieran gemessen hat der Antrag des Antragstellers weder im Hauptantrag noch im Hilfsantrag Erfolg.
In beiden Verfahren entscheidet das Verwaltungsgericht nach summarischer Prüfung. Dabei hat die Tatsache, dass der Antragstellerbevollmächtigte die Klage und die Eilanträge am Gründonnerstag, den 10. April 2020, deutlich nach Dienstschluss per Telefax an das Verwaltungsgericht Ansbach gerichtet hat, ohne das Verwaltungsgericht über seine Rechtsbehelfe zu unterrichten (vgl. Hinweis auf der Internetseite), dazu geführt, dass dem Verwaltungsgericht schon wegen der außerordentlich kurzen Zeitläufe eine vertiefte Prüfung nicht mehr möglich war. Mittel der Glaubhaftmachung im o.a. Sinne waren dem Telefax vom 9. April 2020 ohnehin schon nicht beigefügt.
Gegen den Hauptantrag des Antragstellers nach § 80 Abs. 5 VwGO spricht bereits, dass er damit sein begehrtes Rechtsschutzziel schon nicht erreichen kann, denn mit der bloßen Anordnung der aufschiebenden Wirkung seiner Klage gegen den Bescheid der Antragsgegnerin vom 9. April 2020 erlangt er offenkundig nicht die Rechtsposition einer Ausnahmegenehmigung.
Sowohl eine summarische Gesamtabwägung durch das Verwaltungsgericht im Sinne des § 80 VwGO als auch eine summarische Prüfung eines Anordnungsanspruches führen im Übrigen ebenfalls nicht zum Erfolg der hier gestellten Haupt- und Hilfsanträge. Das nach Art. 8 GG geschützte Interesse das Antragstellers an der Durchführung einer Versammlung hat hier hinter dem auf Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG gestützten öffentlichen Interesse am Schutze von Leben und Gesundheit der Bevölkerung vor der weiteren Ausbreitung der hochansteckenden Viruserkrankung sowie deren Folgen zurückzustehen. Die Kammer verweist zur näheren Begründung und zur Vermeidung bloßer Wiederholungen auf die Begründung im angefochtenen Bescheid der Antragsgegnerin, der sie folgt (§ 117 Abs. 5 VwGO entsprechend). Die Antragserwiderung vom 10. April 2020 enthält darüber hinausgehend keine entscheidungserheblichen Gesichtspunkte mehr.
Die Einwendungen des Antragstellers gegen die Versagung der begehrten Ausnahmegenehmigung greifen nicht.
Zum einen stellt die Kammer fest, dass das öffentliche Interesse am Schutz von Leben und Gesundheit der Bevölkerung vor der weiteren Ausbreitung einer hochansteckenden Viruserkrankung und am Schutz der Funktionsfähigkeit des Gesundheitswesens in Deutschland und des in medizinischen Einrichtungen wie Krankenhäusern und Arztpraxen tätigen Personals vor einer akuten Überlastung das private Interesse Einzelner an der Durchführung einer Versammlung überwiegt (vgl. dazu bereits BVerfG vom 7.4.2020 Az. 1 BvR 755/20 unter Hinweis auf BayVerfGH vom 26.03.2020 Az. Vf. 6-VII-20 und BayVGH vom 30.03.2020 Az. 20 NE 20.632 jeweils zur Bayerischen Verordnung über eine vorläufige Ausgangsbeschränkung anlässlich der Corona-Pandemie vom 24. März 2020 (GVBl. 178); HessVGH vom 01.04.2020 Az. 2 B 925/20). Insbesondere ist die auf § 32 Satz 1 IfSG gestützte Rechtsgrundlage, die die Antragsgegnerin für ihre Entscheidung heranzieht, im Ergebnis nicht zu beanstanden (BayVerfGH a.a.O.). Das gilt sowohl für die Verordnung vom 24. März 2020 als auch für die vom 27. März 2020. Zudem hat das Bundesverfassungsgericht am 10. April 2020 die vorläufige Untersagung der Durchführung von Gottesdiensten und anderer Zusammenkünfte in Kirchen, Moscheen, Synagogen und Glaubensgemeinschaften für verfassungsgemäß bestätigt (BVerfG vom 10.04.2020 Az. 1 BvQ 28/20).
Der Antragssteller stellt die zugrundeliegende Gefährdungslage und Güterabwägung mit seinen eher mutmaßenden Äußerungen im vorliegenden Eilverfahren nicht vertieft oder gar substantiiert in Frage. Warum etwa die Feststellung der Antragsgegnerin, der Freistaat Bayern hätte die Rechtsverordnung(en) nicht erlassen, wenn er andere Maßnahmen als ausreichend angesehen hätte, eine Tautologie sein soll, die „eine Überprüfung“ eben dieser Rechtsverordnung durch ein Gericht „unmöglich mache“, ist denklogisch nicht mehr nachzuvollziehen und bedarf deshalb hier auch keiner näheren Auseinandersetzung.
Demzufolge hegt die Kammer im hier vorliegenden Eilverfahren auch unter Berücksichtigung der Antragsschrift vom 9. April 2020 auch nicht ansatzweise Bedenken gegen das nach § 1 Abs. 1 Satz 1 BayIfSMV vom 27. März 2020 bayernweit bis zum 19. April 2020 verhängte Versammlungsverbot. Die Frage, wie der Antragsteller die Gefährdungssituation im Zusammenhang mit der Ausbreitung des Coronavirus persönlich einschätzt, spielt für diese Entscheidung keine Rolle.
Das gilt im Ergebnis auch für die Versagung einer Ausnahmegenehmigung nach § 1 Abs. 1 Satz 3 BayIfSMV.
Auch hier greifen die nicht in jeder Hinsicht schlüssigen Ausführungen des Antragsstellers nicht. Wenn er vorträgt, er poche „auf sein Recht, im Park Bücher lesen zu dürfen“ und es sei „grundsätzlich nicht beabsichtigt“, „Außenstehende anzusprechen“, stellt sich schon die entscheidungserhebliche Frage, ob die grundrechtlich geschützte Versammlungsfreiheit überhaupt tangiert ist. Es sind zudem keine nähere Angaben über die Örtlichkeit der Versammlung … oder aber über die Zeitdauer der Versammlung (ab 10.00 Uhr „je nachdem wie spannend oder interessant die Bücher sind“, voraussichtlich spätestens „Sonnenuntergang“) gemacht. Eine nähere Abgrenzung einer Versammlung zu einer Demonstration, die er am Ende seiner Antragsschrift anspricht, findet sich in der Antragsschrift nicht mehr.
Ob das so verstandene beabsichtigte Verhalten des Antragstellers unter die vorläufige Ausgangsbeschränkung in § 4 BayIfSMV fällt, ist nicht Gegenstand des vorliegenden Eilverfahrens.
Soweit der Antragsteller allerdings sein Recht auf Bücherlesen in einem öffentlichen Park, wo und solange er wolle, geltend machen will, steht dem die von der Antragsgegnerin hinreichend beschriebene Gefährdungslage entgegen, die der Antragsteller durch Aufstellen von Schildern und Benutzung eines Megaphones als „Demonstrationsmittel“ als Zweckverursacher einer Menschenansammlung ins Werk setzt. Bei Abwägung aller Umstände scheint es dem Verwaltungsgericht zumutbar, dass der Antragsteller im Rahmen einer Versammlung „auf sein Recht, im Park Bücher lesen zu dürfen“ zum Schutze von Leben und Gesundheit einer Vielzahl an Menschen (Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG) bis zum 19. April 2020 zurückstellt.
Im Hinblick auf die erlassene Rechtsverordnung und weil in Bezug auf den Antragsteller keine individuellen, besonderen Umstände vorgetragen sind, die einer Entscheidung gerade im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes bedürfen, überwiegt jedenfalls das öffentliche Vollzugsinteresse, welches hier dem Schutz überragend wichtiger Rechtsgüter dient (so auch VG Ansbach vom 27. März 2020).
Da die Folgenabwägung zu Gunsten des Vollzugsinteresses des Antragsgegners ausgeht, greifen beide Anträge nicht durch.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO. Der Streitwertfestsetzung ergibt sich aus § 53 Abs. 2 Nr. 2, § 52 Abs. 1 und 2 GKG. Das Gericht orientiert sich dabei am Streitwertkatalog für die Verwaltungsgerichtsbarkeit 2013. Nach dessen Nr. 1.5 beträgt in Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes der Streitwert in der Regel ½. Allerdings kann auch in Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes, die die Entscheidung in der Sache ganz oder zum Teil vorwegnehmen, der Streitwert bis zur Höhe des für das Hauptsacheverfahren anzunehmenden Streitwerts angehoben werden. Hiervon wurde vorliegend Gebrauch gemacht.