Medizinrecht

Versicherungspflicht bei der Tätigkeit als Geistheiler

Aktenzeichen  L 2 U 106/14

Datum:
30.11.2016
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
NZS – 2017, 346
Gerichtsart:
LSG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Sozialgerichtsbarkeit
Normen:
SGB VII § 2 Abs. 1 Nr. 9, § 83 S. 1, § 85, § 136, § 154 Abs. 1 S. 1
SGG § 183

 

Leitsatz

1 Im Gesundheitswesen tätig im Sinne der gesetzlichen Unfallversicherung sind auch selbständige Geistheiler, jedenfalls dann, wenn bei Gesamtbetrachtung auch andere Techniken der Heilung angeboten werden. (redaktioneller Leitsatz)
2 Ein Unternehmen, das nach seinem Internetauftritt Heilbehandlung anbietet unter Anwendung von Übungen, Methoden und Ratschlägen und hierdurch die Selbstheilungskräfte der Patienten zu aktivieren versucht, ist dem Gesundheitswesen zuzuordnen mit der Folge, dass grundsätzlich Versicherungspflicht in der gesetzlichen Unfallversicherung besteht. (redaktioneller Leitsatz)

Verfahrensgang

S 5 U 280/13 2013-12-13 Urt SGAUGSBURG SG Augsburg

Tenor

I. Die Berufung gegen das Urteil des Sozialgerichts Augsburg vom 13.12.2013 wird zurückgewiesen.
II. Die Entscheidung über die Kosten unter Nr. II des Urteils des Sozialgerichts Augsburg vom 13.12.2013 sowie die Festsetzung des Streitwerts unter Nr. III des Urteils des Sozialgerichts Augsburg vom 13.12.2013 werden aufgehoben. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
III. Die Revision wird zugelassen.

Gründe

Die Berufung ist zulässig, insbesondere wurde sie form- und fristgerecht eingelegt (§§ 143, 151 Sozialgerichtsgesetz – SGG). Die Berufung bedarf gemäß § 144 SGG keiner Zulassung.
Die Berufung ist nicht begründet. Zu Recht hat das SG die Klage abgewiesen. Die Klage ist zulässig, aber nicht begründet. Der Bescheid der Beklagten vom 14.02.2013 über die persönliche Versicherung der Klägerin als Unternehmerin sowie die vier Beitragsbescheide zur Unternehmerversicherung vom 14.02.2013 für die Jahre 2008-2011 und der Beitragsbescheid zur Unternehmerversicherung vom 24.02.2013 für das Jahr 2012 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 05.09.2013 sind rechtmäßig.
Die Klägerin ist als selbstständige Geistheilerin kraft Gesetzes versicherungspflichtig in der gesetzlichen Unfallversicherung gemäß § 2 Abs. 1 Nr. 9 SGB VII. Darunter fallen Personen, die selbstständig oder unentgeltlich, insbesondere ehrenamtlich im Gesundheitswesen oder in der Wohlfahrtspflege tätig sind. Im Gesundheitswesen tätig im Sinne des § 2 Abs. 1 Nr. 9 SGB VII sind auch Geistheiler, jedenfalls dann, wenn bei Gesamtbetrachtung auch andere Techniken der Heilung angeboten werden.
Zum Gesundheitswesen gehören Tätigkeiten und Einrichtungen, welche die Beseitigung oder Besserung eines krankhaften Zustandes oder die Pflege eines pflegebedürftigen Menschen bezwecken, ferner diejenigen, die den Zweck haben, die Gesundheit des Einzelnen oder der Allgemeinheit vor unmittelbar drohenden Gefahren zu schützen, d. h. einer unmittelbar drohenden oder nach Lage des Falles in absehbarer Zeit zu erwartenden Schädigung der Gesundheit vorzubeugen. Der Begriff „Gesundheitswesen“ ist weit zu verstehen. Dabei muss es sich aber um Einrichtungen und Tätigkeiten handeln, bei denen die Wahrung der Gesundheit den Hauptzweck bildet. Es genügt nicht, dass ein gesundheitsfördernder oder krankheitsverhütender Erfolg lediglich als eine bedeutsame, aber nur nebenher erzielte Begleiterscheinung eintritt (BSG, Urteil vom 25.08.1961 Az. 2 RU 106/59 = BSGE 15,41, Rdnr. 18; Riebel in: Hauck/Noftz, SGB, Stand 09/16, § 2 SGB VII Rdnr. 120; Bieresborn in Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB VII, 2. A. 2014, Stand: 13.05.2016, § 2 SGB VII Rdnr. 204; Marschner in Rolfs/Giesen/Kreikebohm/Udsching, Beck scher Onlinekommentar Sozialrecht, 42. Edition, Stand: 31.07.2016, § 2 SGB VII Rdnr. 37; Lilienfeld in Kasseler Kommentar zum Sozialversicherungsrecht, 91. Ergänzungslieferung September 2016, § 2 SGB VII Rdnr. 44).
Versichert sind beispielweise Hebammen, Krankenschwestern, Masseure, Bademeister (medizinische, anders bei nicht medizinischen Reinigungsbädern), Fußpfleger, sofern nicht reine Schönheitspflege betreibend, sämtliche medizinischen Heil- und Hilfsberufe, Desinfektoren, Kammerjäger, Medizinstudenten in praktischer Ausbildung, dem Heilpraktikergesetz nicht unterliegende nichtärztliche Psychotherapeuten, Logopäden, nichtärztliche Betreiber eines medizinischen Labors (Kasseler Kommentar, a. a. O. § U 2 Rdnr. 44 m. w. N.).
Abgelehnt hat das Bundessozialgericht allerdings die Versicherungspflicht im Rahmen der Vorläufervorschrift nach der RVO für ein Beerdigungsinstitut (BSGE 15,190) und für einen bei der Stadtentwässerung beschäftigten Sielarbeiter (BSGE 15,41), weil hier die gesundheitsfördernde Wirkung der Tätigkeit nicht deren Hauptzweck bilde, sondern nur eine nebenbei erzeugte Begleiterscheinung darstelle.
Auch der Betrieb der Praxis der Klägerin für energetische Körperarbeit ist dem Gesundheitswesen zuzuordnen. Denn dieses Unternehmen dient nach seiner Zwecksetzung der Heilbehandlung der Patienten, indem es durch Übungen, Methoden und Ratschläge der Klägerin die Selbstheilungskräfte der Patienten aktivieren soll. Dies ergibt sich auch eindeutig aus dem Internetauftritt der Klägerin.
Schwerpunkte der von der Klägerin angebotenen energetischen Körperarbeit sind die Reconnective Therapy nach Herwig Schön, die russischen Heilweisen nach Gregori Grabovoi und Arkady Petrov, das Total Touch Pulsing nach Bianca Telle, Qi Gong sowie die Fernsitzung bzw. Geistheilung. Im Rahmen der Reconnective Therapy nach Herwig Schön soll es möglich sein, eine Rückverbindung mit dem Energiekörper herzustellen, damit sich Traumata auflösen, ohne dass sich der Betroffene daran erinnern muss. Mit den russischen Heilweisen nach Gregori Grabovoi und Arkady Petrov sollen über rein mental energetische Impulse die Selbstheilungskräfte des Körpers stimuliert und somit Impulse zur Regeneration und Wiederherstellung des Körpers und der eigenen Gesundheit gesetzt werden. Das Total Touch Pulsing nach Bianca Telle ist durch sanftes Wiegen und Schaukeln geprägt. Mit über 80 Griffen und Positionen der Hände soll der Körper in seine Urschwingung bis in die kleinsten Zellen hinein versetzt werden. Durch die tiefgehende Wellenbewegung soll sich der Körper an seinen Embryonalzustand erinnern und aus diesem Zellgedächtnis heraus die Selbstheilungskräfte aktivieren können. Qi Gong preist die Klägerin als körperliche und energetische Bewegungsübung an, um die geistige und körperliche Gesundheit zu unterstützen. Durch Fernsitzungen bzw. Geistheilung sollen ebenfalls Selbstheilungskräfte mobilisiert werden, um Blockaden, Traumata, Schockerlebnisse im Äther-, im Emotional-, Mental- und physischen Körper aufzulösen.
Unter Berücksichtigung des Behandlungsangebots der von der Klägerin betriebenen Praxis für energetische Körperarbeit hat der Senat keinen Zweifel, dass dieses Unternehmen dem Gesundheitswesen i. S.v. § 2 Abs. 1 Nr. 9 SGB VII zuzurechnen ist.
Nach Art und Zielsetzung will die Klägerin in ihrem Unternehmen mit Übungen, Methoden und Ratschlägen den krankhaften Zustand ihrer Patienten beseitigen oder bessern bzw. den bestehenden Gesundheitszustand erhalten. Nach den Vorstellungen der Klägerin sollen ihre Behandlungen nicht den Besuch bei einem Arzt oder Heilpraktiker und die Einnahme von Medikamenten ersetzen, sondern das bestehende Behandlungsangebot ergänzen. Die Patienten wiederum erwarten von der Klägerin ein (Heil-) Behandlungsangebot, welches sich von der Schulmedizin und anderen – mittlerweile wissenschaftlich anerkannten – Behandlungsmethoden unterscheidet und sich an der sog. energetischen Körperarbeit orientiert.
Entgegen der Auffassung der Klägerin ist für die Zuordnung ihres Unternehmens zum Gesundheitswesen nicht maßgebend, dass ihre Behandlungen medizinisch-wissenschaftlich nicht anerkannt sind. Denn für eine Tätigkeit im Gesundheitswesen im Sinne des § 2 Abs. 1 Nr. 9 SGB VII ist es ausreichend, wenn diese mit einer entsprechenden Zielrichtung ausgeübt wird. Auch von Ärzten und Heilpraktikern werden vielfach Behandlungen angeboten, die medizinisch-wissenschaftlich nicht anerkannt sind, beispielsweise im Bereich der Homöopathie. Sofern diese Tätigkeiten von Ärzten oder Heilpraktikern ausgeübt werden, besteht kein Zweifel, dass auch diese der Versicherungspflicht in der gesetzlichen Unfallversicherung unterliegen. Daraus ergibt sich, dass es auf die Frage der wissenschaftlichen Anerkanntheit der Behandlungsmethoden bezüglich der Versicherungspflicht nicht ankommen kann.
Dass die Klägerin kein Heilversprechen abgibt, spielt bei der Zuordnung des Unternehmens zum Gesundheitswesen ebenfalls keine Rolle. Denn auch bei den medizinisch-wissenschaftlich anerkannten Behandlungen verspricht der Behandelnde keinen Behandlungserfolg. Vielmehr ist der Behandelnde dem Patienten durch den Behandlungsvertrag nur zur versprochenen Leistung der Behandlung verpflichtet. Dabei hat die Behandlung nach den zum Zeitpunkt der Behandlung bestehenden, allgemein anerkannten fachlichen Standards zu erfolgen, soweit nicht etwas anderes vereinbart ist, § 630a Bürgerliches Gesetzbuch (BGB).
Für die Zuordnung des Unternehmens der Klägerin zum Gesundheitswesen ist es auch unerheblich, dass die Klägerin im Rahmen ihrer Praxistätigkeit keine Diagnosen stellt. Denn das Gleiche gilt auch für Hebammen, Krankenschwestern, Masseure, medizinische Bademeister und Fußpfleger, die zweifelsohne mit ihrer beruflichen Tätigkeit dem Gesundheitswesen im Sinne von § 2 Abs. 1 Nr. 9 SGB VII zuzurechnen sind.
Kein Argument gegen die Versicherungspflicht nach § 2 Abs. 1 Nr. 9 SGB VII lässt sich aus dem Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 02.03.2004 (Az. 1 BvR 784/03) ableiten, mit dem das Bundesverfassungsgericht die Erlaubnispflicht nach dem Heilpraktikergesetz für Geistheiler für unverhältnismäßig im Hinblick auf die Berufswahlfreiheit und damit für verfassungswidrig erklärt hat. In dem von Bundesverfassungsgericht entschiedenen Fall ging es um eine Tätigkeit des geistigen Heilens, bei der der Behandler versucht, die „Seele des Kranken zu berühren“, indem er mit Hilfe seiner Hände positive Energien auf das Zielorgan überträgt und dadurch die Selbstheilungskräfte seiner Patienten aktiviert. Das Bundesverfassungsgericht hat in einem solchen Fall die Erlaubnispflicht nach dem Heilpraktikergesetz weder für geeignet noch für erforderlich gehalten, um eine Gesundheitsgefährdung auszuschließen. Wer einen Heilpraktiker aufsuche, werde den Arzt eher für entbehrlich halten, weil ein Teil der ärztlichen Funktion vom Heilpraktiker übernommen werden dürfe. Deshalb werde bei den Heilpraktikern das Vorliegen gewisser medizinischer Kenntnisse geprüft und für die Erteilung der Erlaubnis vorausgesetzt. Die Heilpraktikererlaubnis bestärke den Patienten in gewisser Hinsicht in der Erwartung, sich in die Hände eines nach heilkundigen Maßstäben Geprüften zu begeben. Dagegen wecke ein Heiler, der spirituell wirke und den religiösen Riten näher stehe als der Medizin, im Allgemeinen die Erwartung auf heilkundigen Beistand schon gar nicht (BVerfG, a. a. O., Rdnr. 14). Das Bundesverfassungsgericht vermutete, dass im Gegenteil die Gefahr, notwendige ärztliche Hilfe zu versäumen, sogar eher vergrößert würde, wenn geistiges Heilen als Teil der Berufsausübung von Heilpraktikern verstanden würde.
Maßgeblich für die Frage, ob geistiges Heilen als Ausübung der Heilkunde im Sinne des § 1 Heilpraktikergesetz anzusehen ist und demnach der Erlaubnis bedarf, sind allein Belange der Gefahrenabwehr. Dagegen spielt der Gesichtspunkt der Gefahrenabwehr im Rahmen der Versicherungspflicht nach § 2 Abs. 1 Nr. 9 SGB VII keine Rolle. Hier geht es allein um die Frage, ob die Tätigkeit ihrem Hauptzweck nach auf die Wiederherstellung der Gesundheit gerichtet ist. Eine solche Tätigkeit soll nach dem Willen des Gesetzgebers insoweit privilegiert werden, als sie – auch dann, wenn sie selbstständig und nicht in einem Beschäftigtenverhältnis ausgeübt wird – in den Versicherungsschutz der gesetzlichen Unfallversicherung einbezogen wird (zum Gesetzeszweck der Einbeziehung in den Schutz der gesetzlichen Unfallversicherung von Personen, deren Tätigkeit im Interesse und für das Wohl der Allgemeinheit erfolgt und bei denen sich besondere Berufsgefahren im gleichen Maße auswirken wie bei abhängig Beschäftigten, siehe Bieresborn in Schlegel/Voelzke a. a. O. § 2 SGB VII Rdnr. 200; Riebel in Hauck/Noftz, a. a. O., § 2 Rdnr. 115 sieht den Zweck der Privilegierung in dem erhöhten Ansteckungsrisiko in Bezug auf Infektionskrankheiten beim Umgang mit bestimmten Bevölkerungsgruppen). Dies wird bestätigt durch die Überlegung, dass auch die Tätigkeiten der Heilhilfsberufe, wie etwa der Krankenpfleger oder Physiotherapeuten, nicht der Heilpraktikererlaubnis bedürfen, weil die Angehörigen dieser Berufe die Heilkunde nicht selbstständig ausüben, sondern lediglich nach Verordnung eines Arztes oder Heilpraktikers handeln, und dennoch unzweifelhaft dem Versicherungsschutz nach § 2 Abs. 1 Nr. 9 SGB VII unterliegen.
Der Versicherungsschutz nach § 2 Abs. 1 Nr. 9 SGB VII scheidet nicht deshalb aus, weil die Klägerin keine Mitarbeiter hat und bereits eine Altersrente bezieht. Denn dieser soll gerade wegen der oft wirtschaftlich schwachen Situation auch selbstständigen Kleinstunternehmern zukommen (Kasseler Kommentar, a. a. O., § 2 Rdnr. 40 m. w. N.). Aus dem Wortlaut des § 2 Abs. 1 Nr. 9 SGB VII ist zu folgern, dass der Gesetzgeber den Versicherungsschutz möglichst weit fassen und alle Personen, die in diesem Bereich tätig sind (z. B. auch ehrenamtlich Tätige), in den Schutz der gesetzlichen Unfallversicherung einbeziehen wollte (Sozialgericht Lüneburg a. a. O.).
Da keine Versicherungsfreiheit nach § 4 Abs. 3 SGB VII besteht, ist die Klägerin mit ihrem Unternehmen nach § 2 Abs. 1 Nr. 9 SGB VII versicherungspflichtig. Nach § 4 Abs. 3 SGB VII sind von der Versicherung nach § 2 Abs. 1 Nr. 9 SGB VII selbstständig tätige Ärzte, Zahnärzte, Tierärzte, psychologische Psychotherapeuten, Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeuten, Heilpraktiker und Apotheker frei. Diesen Berufsgruppen gehört die Klägerin nicht an. Für eine Ausweitung der Berufsgruppen des § 4 Abs. 3 SGB VII aus Gründen des Gleichheitssatzes gibt es keine rechtliche Grundlage. So hat das BSG in seinen Urteilen vom 21.04.1959 und 30.01.1963, Az. 2 RU 38/56 bzw. 2 RU 35/60, bei einem Tierarzt und einem versicherungspflichtigen Unternehmer eines medizinischen Laboratoriums festgestellt, dass sich der Gesetzgeber mit seiner unterschiedlichen Regelung im Rahmen des ihm vom Grundgesetz eingeräumten Ermessensspielraums hält.
Schließlich ist festzuhalten, dass die Klägerin nicht nur als Geistheilerin tätig war und ist, sondern weitere Therapien – wie oben dargestellt – anbietet und dabei z. T. auch durch Griffe auf den Körper des Patienten einwirkt bzw. einzuwirken versucht, um dadurch heilend tätig zu sein oder Selbstheilungskräfte des Körpers anzusprechen.
Zusammenfassend ist daher festzustellen, dass die Klägerin mit ihrer Tätigkeit in der Praxis für energetische Körperarbeit nach § 2 Abs. 1 Nr. 9 SGB VII versicherungspflichtig ist. Deshalb ist der Bescheid vom 14.02.2013, mit dem die persönliche Versicherung der Klägerin als Unternehmerin festgestellt wurde, rechtmäßig.
Rechtmäßig waren auch die Beitragsbescheide vom 14.02.2013 für die Jahre 2008 bis 2011 und vom 24.02.2013 für das Jahr 2012 sowie die der Beitragsberechnung zugrunde gelegte Versicherungssumme und deren Festsetzung im Bescheid über die persönliche Versicherung der Klägerin als Unternehmerin vom 14.02.2013. Die Beitragspflicht trifft die Klägerin als versicherungspflichtige Unternehmerin gemäß § 150 Abs. 1 Satz 2 SGB VII. Die Beiträge wurden auch der Höhe nach richtig festgesetzt.
Die in der gesetzlichen Unfallversicherung allein von den Unternehmern aufzubringenden Beiträge berechnen sich nach dem Finanzbedarf der Berufsgenossenschaft, den Arbeitsentgelten der Versicherten und dem in der Gefahrklasse zum Ausdruck kommenden Grad der Unfallgefahr in den Unternehmen (§ 153 Abs. 1, § 157 Abs. 1 Satz 2 SGB VII). Die Einstufung in Gefahrklassen durch die Veranlagungsbescheide vom 14.02.2013 hat die Klägerin nicht angefochten, so dass diese feststellenden Verwaltungsakte bestandskräftig geworden sind, und die Veranlagung in Gefahrklassen bei der Klage gegen den Beitragsbescheid als rechtmäßig zugrunde zu legen ist.
Gemäß § 154 Abs. 1 Satz 1 SGB VII ist Berechnungsgrundlage für die Beiträge der kraft Gesetzes versicherten selbstständig Tätigen anstelle der Arbeitsentgelte der kraft Satzung bestimmte Jahresarbeitsverdienst (Versicherungssumme). Dieselbe Regelung findet sich in § 24 Abs. 4 Satz 2 der Satzung der Beklagten. In § 44 der Satzung wird die Versicherungssumme für die kraft Gesetzes versicherten selbstständig Tätigen auf 60 v. H. der Bezugsgröße, aufgerundet auf volle 1000 EUR, festgesetzt. Für die Jahre 2008 bis 2012 ergibt sich bei einer Bezugsgröße von 29.820 EUR, 30.240 EUR, 30.660 EUR und 31.500 EUR daher eine Versicherungssumme von 18.000 EUR bzw. 19.000 EUR.
Keine Bedenken bestehen gegen die Rechtmäßigkeit der Festsetzung der Mindestversicherungssumme auf 60 v. H. der Bezugsgröße in § 44 der Satzung der Beklagten. Gemäß § 154 Abs. 1 Satz 1 SGB VII ist Berechnungsgrundlage für die Beiträge der kraft Gesetzes versicherten selbstständig Tätigen anstelle der Arbeitsentgelte der kraft Satzung bestimmte Jahresarbeitsverdienst (Versicherungssumme). Gemäß § 83 Satz 1 SGB VII hat für kraft Gesetzes versicherte selbstständig Tätige die Satzung des Unfallversicherungsträgers die Höhe des Jahresarbeitsverdienstes zu bestimmen. Gemäß § 85 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 SGB VII beträgt der Jahresarbeitsverdienst für Versicherte, die im Zeitpunkt des Versicherungsfalls das 18. Lebensjahr vollendet haben, mindestens 60 v. H. der im Zeitpunkt des Versicherungsfalls maßgebenden Bezugsgröße. Damit steht die Regelung in § 44 der Satzung mit der in § 85 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 SGB VII genannten Mindesthöhe in Einklang. Allerdings gelten die zitierten Vorschriften des § 83 und § 85 SGB VII gemäß § 81 SGB VII unmittelbar nur für Leistungen in Geld, die nach dem Jahresarbeitsverdienst berechnet werden. Diese Vorschriften gelten also unmittelbar für die Leistungs-, nicht aber für die hier maßgebliche Beitragsseite. Jedoch nimmt § 154 Abs. 1 Satz 1 SGB VII auf die Regelungen zum Jahresarbeitsverdienst kraft Satzung Bezug und erweitert damit ihren Anwendungsbereich auf die Beitragsseite. Zweck ist die Angleichung von Beitrags- und Leistungsseite (Ricke, in: Kasseler Kommentar, a. a. O., § 154 Rdnr. 2, Müller in Hauck/Noftz, a. a. O., § 154 SGB VII Rdnr. 5). Neben § 83 SGB VII ist damit auch § 85 SGB VII anzuwenden.
Der Beitrag ergibt sich gemäß § 167 Abs. 1 SGB VII aus den zu berücksichtigenden Arbeitsentgelten, den Gefahrklassen und dem Beitragsfuß. Unter Zugrundelegung der in den bestandskräftigen Veranlagungsbescheiden festgesetzten Gefahrklassen 3,30 bzw. 3,74 und dem jeweiligen Beitragsfuß errechnen sich die Beiträge für die Beitragsjahre 2008 bis 2012 wie von der Beklagten festgesetzt.
Die Berufung war daher zurückzuweisen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG. Entgegen der Auffassung des Sozialgerichts beruht die Kostenentscheidung jedoch nicht auf § 197a SGG i. V. m. § 154 Abs. 1 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO), sondern auf § 193 SGG, d. h. der Klägerin kommt die Privilegierung des § 183 SGG zugute. Zwar ist die Klägerin in ihrer Eigenschaft als selbstständige Unternehmerin betroffen, jedoch geht es ausschließlich um die eigene Versicherungspflicht der Klägerin nach § 2 Abs. 1 Nr. 9 SGB VII sowie die daraus resultierende Beitragspflicht der Klägerin. Das Unternehmen der Klägerin hat keine Beschäftigten, deren Versicherungs- und Beitragspflicht ebenfalls betroffen wäre. Unter solchen Voraussetzungen hat der Senat bei einem landwirtschaftlichen Unternehmer entschieden, dass der Rechtsstreit nicht gerichtskostenpflichtig ist (Bayerisches Landessozialgericht, Urteil vom 10.10.2012 Az. L 2 U 374/10), jedenfalls wenn streitgegenständlich ein abgeschlossener Zeitraum ist, in dem keine Beschäftigten vorhanden waren. Im vorliegenden Fall betreffen die streitgegenständlichen Beiträge lediglich abgeschlossene Zeiträume für die Vergangenheit; die Feststellung der Versicherungspflicht als solche ist dagegen zeitlich unbefristet in die Zukunft gerichtet. Auch auf einen solchen Fall ist die Kostenprivilegierung anzuwenden, da die Klägerin explizit nur die Bescheide angefochten hat, die sich auf ihre persönliche Versicherungspflicht als Unternehmerin beziehen, nicht dagegen die Veranlagungsbescheide für das Unternehmen als solche, ebenso wenig den Zuständigkeitsbescheid für das Unternehmen, und weil in den Beiträgen keine Umlagen für Beschäftigte enthalten waren. Damit erübrigt sich auch die Feststellung des Streitwertes nach § 197a Abs. 1 Satz 1 SGG i. V. m. § 52 Abs. 2 Gerichtskostengesetz (GKG), und die Festsetzung für die erste Instanz war aufzuheben.
Die Revision war zuzulassen, da die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat und die Frage, ob selbstständige Geistheiler der Versicherungspflicht nach § 2 Abs. 1 Nr. 9 SGB VII unterliegen bzw. unterliegen können, höchstrichterlich noch nicht entschieden worden ist (§ 160 Abs. 2 Nr. 1 SGG).

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