Aktenzeichen S 2 KR 590/17 ER
Leitsatz
1 Aufgrund einer Erlaubnis des Bundesinstituts für Arzneimittel und Medizinprodukte zur Einnahme und den Erwerb von Cannabis nach § 2 Abs. 2 BtMG und entsprechender Befunde der behandelnden Ärzte kann in einem einstweiligen Rechtsschutzverfahren von einer schwerwiegenden Erkrankung iSv § 31 Abs. 6 S. 1 SGB V ausgegangen werden; dem steht nicht entgegen, dass diese Erlaubnis mit Inkrafttreten der neuen gesetzlichen Regelung zurückgesandt worden ist. (Rn. 23) (redaktioneller Leitsatz)
2 Die Einführung des § 31 Abs. 6 SGB V hatte auch zum Zweck, die Therapiehoheit der behandelnden Ärzte zu stärken und den Versicherten nicht aufzuerlegen, sämtliche alternativen Behandlungsmöglichkeiten zunächst auszuprobieren und insoweit über lange Zeit schwerwiegende Nebenwirkungen ertragen zu müssen, bevor eine Therapiealternative mit Cannabisarzneimitteln zum Zuge kommt (so auch SG Bremen BeckRS 2017, 134522). (Rn. 26) (redaktioneller Leitsatz)
Tenor
I. Die Antragsgegnerin wird vorläufig verpflichtet, dem Antragsteller ab 29. November 2017 bis 30. April 2018 ein verfügbares Cannabispräparat als Arzneimittel als Sachleistung zur Verfügung zu stellen
bzw. in diesem Zeitraum bereits entstandene Kosten zu erstatten.
II. Die Antragsgegnerin hat die notwendigen außergerichtlichen Kosten des Antragstellers zu tragen.
Gründe
I.
Streitig ist im Rahmen des einstweiligen Rechtsschutzes die Kostenübernahme durch die Beklagte für ein verfügbares cannabishaltiges Arzneimittel.
Bereits am 22.01.2016 hatte der Antragsteller die Kostenübernahme für Cannabisflos beantragt. Die Antragsgegnerin forderte weitere ärztliche Unterlagen an, die am 28.04.2016 bei ihr eingingen. Mit Bescheid vom 11.05.2016 lehnte sie den Antrag ab.
Hiergegen erhob der Antragsteller Widerspruch. Mit Widerspruchsbescheid vom 30.11.2016 wies die Antragsgegnerin den Antrag zurück. Die Medizinalcannabisblüten der Sorten Bedrocan, Bedica, Bedrobinol und Bediol würden als Rezepturarzneimittel verwendet, so dass sich die rechtliche Beurteilung nach den Grundsätzen der so genannten neuen Untersuchungs- und Behandlungsmethoden richte. Die Abrechnung einer nicht allgemein anerkannten Behandlungsmethode sei grundsätzlich ausgeschlossen, solange sich der Gemeinsame Bundesausschuss (G-BA) zur Notwendigkeit und zum therapeutischen Nutzen der Methode nicht geäußert habe. Eine Empfehlung des G-BA zur Anwendung von Medizinalcannabisblüten bei bestimmten Erkrankungen liege nicht vor. Eine andere Beurteilung ergebe sich auch nicht aus § 2 Sozialgesetzbuch Fünftes Buch (SGB V). Die Ausnahmeregelung des § 2 Abs. 1a SGB V sei vorliegend nicht erfüllt. Bei ständiger Rechtsprechung seien psychische Probleme mit den Mitteln der Psychiatrie und Psychotherapie zu bekämpfen und würden nicht den Leistungsbereich der gesetzlichen Krankenversicherung erweitern. Soweit sich der Antragsteller auf ein neues Gesetzesvorhaben beziehe, sei dieses noch nicht in Kraft getreten.
Gegen diesen Widerspruchsbescheid erhob der Antragsteller Klage unter dem Aktenzeichen S 2 KR 675/16.
Das Sozialgericht zog Befundberichte der behandelnden Ärzte bei. Die Antragsgegnerin machte geltend, dass nicht ersichtlich sei, welche therapeutischen Maßnahmen und welche Medikamente bisher eingenommen wurden. Außerdem wies sie darauf hin, dass der Antragsteller mit Schreiben vom 28.2.2017 einen Neuantrag gestellt habe, der nach MDK-Begutachtung von der Antragsgegnerin mit Bescheid vom 21.03.2017 abgelehnt worden war. Hiergegen sei Widerspruch eingelegt worden. Das Gericht wies die Antragsgegnerin mit Schreiben vom 17.07.2017 darauf hin, dass bezüglich des Widerspruchs des Antragstellers gegen den Ablehnungsbescheid vom 21.03.2017 noch ein anfechtbarer Widerspruchsbescheid zu erlassen sei. Die Antragsgegnerin teilte daraufhin mit, dass über den Antrag vom 28.02.2017 in der Sitzung des Widerspruchsausschusses am 25.01.2018 entschieden werde.
Mit am 29.11.2017 eingegangenem Schreiben beantragten die Bevollmächtigten des Antragstellers im einstweiligen Rechtsschutz die Verpflichtung der Antragsgegnerin die Kosten für Cannabisflos als notwendiges Arzneimittel bei bestehender Schmerzkrankheit zu übernehmen. Es wurde auf das Hauptsacheverfahren S 2 KR 675/16 verwiesen. Seit Erlass der neuen gesetzlichen Regelung durch die Bundesregierung habe der Antragsteller erneut einen Antrag auf Kostenübernahme gestellt. Leider sei über diesen Antrag bis heute nicht entschieden worden. Der Antragsteller habe vielmehr überhaupt keine Rückantwort der Krankenkasse erhalten, so dass die Voraussetzungen der Genehmigungsfiktion nach § 13 Abs. 3a SGB V zu diskutieren seien. Mit Erlass der neuen Regelung hätte der Antragsteller seine bisherige Genehmigung der Bundesopiumstelle zurückgeben müssen aufgrund derer er bis zu diesem Zeitpunkt Cannabisprodukte erlangen konnte. Der Antragsteller sei dringend auf dieses Medikament angewiesen, die bisherigen Schmerzmedikamente würden keine Wirkung zeigen. Ohne Schmerzmittel würde sich die Schmerzsituation massiv in ein unerträgliches Ausmaß zuspitzen. Die Ärzte würden bescheinigen, dass eine Therapie mit Cannabisprodukten sinnvoll sei. Bisher habe der Antragsteller sich das Medikament mit Genehmigung der Bundesopiumstelle auf eigene Kosten verordnen lassen. Diese Kosten würden sich derzeit auf ca. 12.500 bis 15.000 € belaufen. Eine weitergehende finanzielle Belastung sei nicht mehr möglich. Der Antragsteller habe auch bereits Schulden gemacht, um das Medikament bezahlen zu können.
Mit Schreiben vom 01.12.2017 teilten die Bevollmächtigten des Antragstellers mit, dass der Antragsteller sie darüber informiert habe, dass nach Auskunft seiner Apotheke aktuell nicht alle Medikamente verfügbar seien, so dass der Antrag dahingehend abzuändern sei, die Kostenübernahme für alle verfügbaren Sorten eines Cannabispräparates auszudehnen.
Die Antragsgegnerin machte geltend, dass der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung zurückzuweisen sei. Die Voraussetzungen nach § 31 Abs. 6 SGB V seien nicht erfüllt, insbesondere sei nicht belegt, dass zugelassene Alternativpräparate nicht zur Verfügung stünden. Insgesamt würde selbst durch die behandelnden Ärzte eher die Vorstellung bei einem Schmerztherapeuten vorgeschlagen (Klinikum A-Stadt vom 30.05.2016). Der MDK sei daher zum Ergebnis gekommen, dass derzeit keine Bewertung möglich ist. Ein Anspruch ergebe sich auch nicht aus § 13 Abs. 3a SGB V. Der Antrag müsse hinreichend bestimmt sein. Im vorliegenden Fall sei zunächst ein Cannabispräparat beantragt worden, am 25.04.2016 dann Cannabisflos bzw. Bedrocan, das beigefügte Schreiben des Klinikums A-Stadt vom 16.12.2015 habe von „Polamidon“ gesprochen. Der Antrag vom 28.02.2017 sei mit Bescheid vom 21.03.2017 abgelehnt worden. Im Übrigen sei auch ein Anordnungsgrund nicht gegeben.
Mit Schreiben vom 14.12.2017 wies das Gericht darauf hin, dass nach Aktenlage derzeit von einem hinreichend konkreten Antrag, der geeignet ist, die Genehmigungsfiktion auszulösen, erst mit Antragsschreiben vom 25.04.2016 auszugehen sei. Da dieser Antrag dann mit Bescheid vom 11.05.2016 entschieden wurde, sei die Fiktion nicht eingetreten. Die Genehmigungsfiktion käme daher nach Aktenlage als Anspruchsgrundlage nicht in Betracht. Auch sei nach Aktenlage trotz der Empfehlung des Zentralklinikums A-Stadt zur Durchführung einer multimodalen Schmerztherapie im Dezember 2015 diese nach dem im Hauptsacheverfahren eingeholten Befundbericht nicht durchgeführt worden. Insoweit lasse sich derzeit nicht feststellen, dass der Antragsteller keine anderen Therapieoptionen mehr hat.
Mit Schreiben vom 15.12.2017 wiesen die Bevollmächtigten des Antragstellers darauf hin, dass es dem Antragsteller nicht um den Antrag aus dem Jahr 2016 gehe, sondern um einen erneuten Antrag mit Vorlage einer neuen Verordnung nach Inkrafttreten der neuen Regelung der Verordnung von Cannabis im Jahr 2017. Der Antrag sei im Juni bzw. Juli 2017 gestellt worden. Mit weiterem Schreiben wurde dann präzisiert, dass der Antragsteller den Antrag am 21.07.2017 gestellt habe. Mit dem Antragsformular der DAK seien noch diverse ärztliche Unterlagen eingereicht worden. Auf diesen Antrag hin habe der Antragsteller bis heute nichts gehört. Erst auf Nachfrage durch die Mutter des Antragstellers sei seitens der Antragsgegnerin bestätigt worden, dass ein Antrag vom 21.07.2017 eingegangen sei. Außerdem wurde geltend gemacht, dass der Antragsteller bereits 2014 eine stationäre Schmerztherapie über einen Zeitraum von 3 bis 4 Wochen durchgeführt habe. Anschließend sei die Schmerztherapie 2014/2015 in W. über einen Zeitraum von 6 bis 8 Wochen durchgeführt worden. Ein positiver Erfolg sei nicht eingetreten. Nach den Informationen des Antragstellers über die Ärzte werde eine weitere multimodale Schmerztherapie nicht mehr bewilligt. Es seien sämtliche Analgetica ausprobiert worden, die er entweder nicht vertragen habe oder starke Nebenwirkungen zeigten. Außerdem übersandten die Bevollmächtigten einen Arztbrief des Klinikums A-Stadt vom 27.12.2017. Da dem Antragsteller kein Cannabis mehr zur Verfügung stehe, sei eine erneute Vorstellung in der Schmerzambulanz erforderlich gewesen. Auch bisher sei keine ausreichende Linderung der Schmerzen eingetreten. Auf Nachfrage des Gerichts teilte der Antragsteller mit, dass er zurzeit ca. 1.000 € Krankengeld erhalte, Vermögen habe er keines. Außerdem wurde mitgeteilt, dass nach Rücksprache mit Dr. S. sämtliche Medikamente wegen sehr starker Nebenwirkungen abgesetzt werden mussten.
Die Antragsgegnerin machte geltend, dass der Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz abzulehnen sei. Vermutlich meine der Antragsteller mit dem neuen Antrag den Arztfragebogen vom 21.07.2017, der sich ebenfalls auf die Versorgung mit Cannabisblüten beziehe. Dabei handle es sich jedoch um eine Arztanfrage und nicht um einen Neuantrag. Außerdem teilte sie mit, dass der Antragsteller ab 09.01.2018 zulasten der Deutschen Rentenversicherung Schwaben in der Klinik B. aufgenommen werde. Für die Dauer der Maßnahme werde anstelle des Krankengeldes üblicherweise Übergangsgeld gezahlt.
Die Bevollmächtigten des Antragstellers stellten klar, dass der Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz mögliche Leistungen ab dem 29.11.2017 betreffe. Die Reha-Maßnahme hätte ursprünglich zum 27.12.2017 beginnen sollen, aus gesundheitlichen Gründen hätte jedoch eine Verschiebung erfolgen müssen. Da sich der Antragsteller ab dem 09.01.2018 auf Reha befinde, sei zum derzeitigen Zeitpunkt nicht bekannt, ob inzwischen ein Bescheid über Übergangsgeld zugegangen sei. Außerdem überließ der Antragsteller weitere Unterlagen zu seinen finanziellen Verhältnissen. Bezüglich der Anfrage des Gerichts wegen einem Neuantrag im Juni bzw. Juli 2017 teilte der Antragsteller mit, dass an die Antragsgegnerin das Antragsformular für die Genehmigung von Cannabis eingereicht worden sei. Verordnungen für Cannabis seien in zwei Apotheken eingereicht worden.
Der Antragsteller beantragt,
die Antragsgegnerin im Wege der einstweiligen Anordnung zu verpflichten, die Kosten für alle verfügbaren Sorten eines Cannabispräparats als notwendiges Arzneimittel bei bestehender Schmerzkrankheit zu übernehmen.
Die Antragsgegnerin beantragt,
den Antrag abzuweisen.
Wegen der weiteren Einzelheiten wird Bezug genommen auf den Inhalt der Gerichtsakte sowie die Akten der Beklagten.
II.
Der Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz ist zulässig und begründet.
Nach § 86b Abs. 2 Satz 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) kann das Gericht der Hauptsache auf Antrag eine einstweilige Anordnung zur Regelung eines vorläufigen Zustandes in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis treffen, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile notwendig erscheint. Dabei setzt der Erlass einer einstweiligen Anordnung das Bestehen eines Anordnungsanspruchs sowie eines Anordnungsgrundes voraus. Der Anordnungsanspruch bezieht sich auf einen materiellen Anspruch, der Anordnungsgrund darauf, dass eine Unzumutbarkeit besteht, bei Abwägung aller betroffenen Interessen die Entscheidung in der Hauptsache abzuwarten. Sowohl Anordnungsanspruch als auch Anordnungsgrund müssen glaubhaft gemacht werden. Insoweit hat das Gericht eine Interessenabwägung vorzunehmen. Ergibt die im Eilverfahren gebotene summarische Prüfung der Sach- und Rechtslage, dass eine Klage keine Aussicht auf Erfolg hätte, wäre ein Recht, das geschützt werden müsste, nicht vorhanden. Wäre eine Klage offensichtlich zulässig und begründet, vermindern sich die Anforderungen an den Anordnungsgrund. Bei offenem Ausgang ist eine einstweilige Anordnung zu erlassen, wenn es dem Antragsteller nicht zumutbar ist, die Hauptsacheentscheidung abzuwarten. Zwischen Anordnungsanspruch und Anordnungsgrund besteht daher eine funktionelle Wechselwirkung. Die Anforderungen an den Anordnungsanspruch sind mit zunehmender Eilbedürftigkeit bzw. Schwere des drohenden Eingriffs zu verringern oder umgekehrt zu erhöhen. Dabei dürfen keine zu hohen Anforderungen an die Glaubhaftmachung im Eilverfahren gestellt werden, die Anforderungen haben sich am Rechtsschutzziel zu orientieren, das der Antragsteller mit seinem Begehren verfolgt (Bundesverfassungsgericht – BverfG – 29.07.2003, 2 BVR 311/03). Ist dem Gericht eine vollständige Aufklärung der Sach- und Rechtslage im Eilverfahren nicht möglich, ist anhand einer Folgenabwägung unter umfassender Berücksichtigung der grundrechtlichen Belange der Beteiligten zu entscheiden (BVerfG vom 12.05.2005, 1 BVR 569/05).
Vorliegend wurde sowohl ein Anordnungsanspruch als auch ein Anordnungsgrund glaubhaft gemacht.
Hinsichtlich des Anordnungsanspruchs ist festzustellen, dass sich ein solcher nicht aus einer Genehmigungsfiktion nach § 13 Abs. 3a SGB V ergibt. Soweit sich der Antragsteller im vorliegenden einstweiligen Rechtsschutzverfahren auf einen Neuantrag im Juni bzw. Juli 2017 bezogen hat, kann nicht festgestellt werden, dass ein solcher Neuantrag vorlag. Die Bevollmächtigten des Antragstellers hatten zuletzt bezüglich der gerichtlichen Anfrage vom 12.01.2018 mitgeteilt, dass an die Antragsgegnerin das Antragsformular über die Genehmigung von Cannabis eingereicht worden sei. Insoweit weist die Antragsgegnerin nach Auffassung des Gerichts zutreffend darauf hin, dass es sich insoweit um den Arztfragebogen vom 21.07.2017 handeln muss. Nach Auffassung des Gerichts handelt es sich hierbei jedoch nicht um einen Neuantrag, sondern um eine Arztanfrage. Ein Antrag im Sinne von § 13 Abs. 3a SGB V lag daher nicht vor.
Auch hinsichtlich der beiden früher gestellten Anträge liegt eine Genehmigungsfiktion nach § 13 Abs. 3a SGB V nicht vor. Ein hinreichend konkreter Antrag lag erst mit dem Antragsschreiben vom 25.04.2016 vor, der bei der Antragsgegnerin am 28.04.2016 einging. Es erfolgte dann der Bescheid vom 11.05.2016, so dass die Frist nach § 13 Abs. 3a SGB V eingehalten ist. Ein weiterer Antrag erfolgte dann mit Eingang am 02.03.2017, hier ging jedoch dann der Bescheid der Antragsgegnerin vom 21.03.2017 ein, so dass auch insoweit die Frist nach § 13 Abs. 3a SGB V eingehalten ist.
Ein Anordnungsanspruch ergibt sich daher nicht aus der Genehmigungsfiktion nach § 13 Abs. 3a SGB V.
Es wurde jedoch ein Anordnungsanspruch wegen der Voraussetzungen nach § 31 Abs. 6 SGB V glaubhaft gemacht. Gemäß § 31 Abs. 6 Satz 1 SGB V haben Versicherte Anspruch auf Versorgung mit Cannabis in Form von getrockneten Blüten oder Extrakten in standardisierter Qualität und auf Versorgung mit Arzneimitteln mit den Wirkstoffen Dronabinol und Nabinol, wenn eine allgemein der medizinischen Standard entsprechende Leistung nicht zur Verfügung steht oder im Einzelfall nach der begründeten Einschätzung der behandelnden Vertragsärzte unter Abwägung der zu erwartenden Nebenwirkungen und unter Berücksichtigung des Krankheitszustandes der oder des Versicherten nicht zur Anwendung kommen kann und eine nicht ganz entfernt liegende Aussicht auf eine spürbare positive Einwirkung auf den Krankheitsverlauf oder auf schwerwiegende Symptome besteht. Nach § 31 Abs. 6 Satz 2 SGB V bedarf die Leistung bei der ersten Verordnung einer nur in begründeten Ausnahmefällen abzulehnen Genehmigung der Krankenkasse, die vor Beginn der Leistung zu erteilen ist.
Insoweit wurde zum einen glaubhaft gemacht, dass eine schwerwiegende Erkrankung im Sinne des § 31 Abs. 6 SGB V vorliegt. Auch der MDK kam in seiner Stellungnahme vom 09.03.2017 zu dem Ergebnis, dass bei vorgelegter Erlaubnis nach § 2 Abs. 2 des Betäubungsmittelgesetzes von einer schwerwiegenden Erkrankung ausgegangen werden könne. Insoweit ist zu berücksichtigen, dass der Antragsteller aufgrund der Schmerzsymptomatik über das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte am 17.07.2015 eine Erlaubnis zur Einnahme und den Erwerb von Cannabis erteilt worden war. Diese Erlaubnis musste jedoch mit Inkrafttreten der neuen gesetzlichen Regelung zurückgesandt werden. Aufgrund dessen und der vorliegenden Befunde der behandelnden Ärzte geht auch das Gericht davon aus, dass eine schwerwiegende Erkrankung im Sinne von § 31 Abs. 6 SGB V glaubhaft gemacht wurde.
Des Weiteren hat auch bereits der MDK in seiner Stellungnahme vom 09.03.2017 festgestellt, dass bei dem Versicherten laut der vorliegenden Befunde bereits 2015 Cannabinoide eingesetzt wurden, so dass eine nicht ganz fernliegende Aussicht auf eine spürbare positive Einwirkung auf den Krankheitsverlauf nachvollzogen werden könne. Auch das Gericht geht insoweit davon aus, dass diese Voraussetzung des § 31 Abs. 6 SGB V glaubhaft gemacht wurde.
Soweit der MDK in seiner Stellungnahme vom 09.03.2017 ausführt, dass eine Einschätzung des behandelnden Vertragsarztes zu möglichen Alternativen sich in den Unterlagen nicht finde, geht das Gericht davon aus, dass ein Anordnungsanspruch im Sinne von § 31 Abs. 6 SGB V im Gegensatz zur Auffassung der Antragsgegnerin glaubhaft gemacht ist. Insoweit ist glaubhaft zu machen, dass eine allgemein anerkannte, den medizinischen Standard entsprechende Leistung nicht zur Verfügung steht, oder dass im Einzelfall nach der begründeten Einschätzung des behandelnden Vertragsarztes unter Abwägung der zu erwartenden Nebenwirkungen und unter Berücksichtigung des Krankheitszustandes des Versicherten die zur Verfügung stehenden alternativen Behandlungsmöglichkeiten nicht zur Anwendung kommen können.
Nach Auffassung des Gerichts sind auch diese Voraussetzungen ausreichend glaubhaft gemacht aufgrund der vorliegenden Befunde und Einschätzung des Facharztes für Anästhesiologie, Herrn D.. Insoweit ist zu berücksichtigen, dass die Einführung des § 31 Abs. 6 SGB V auch zum Zweck hatte, die Therapiehoheit der behandelnden Ärzte zu stärken. Insoweit ist Herr D. als behandelnder Arzt zum Ergebnis gekommen, dass unter Berücksichtigung der zu erwartenden Nebenwirkungen der alternativen Behandlungsmöglichkeiten und des Krankheitszustandes des Antragstellers diese Alternativen nicht zur Anwendung kommen können, sondern Cannabispräparate versucht werden sollten. Dabei ist auch zu berücksichtigen, dass § 31 Abs. 6 SGB V auch zum Zweck hatte, den Versicherten nicht aufzuerlegen, sämtliche alternativen Behandlungsmöglichkeiten zunächst auszuprobieren und insoweit über lange Zeit schwerwiegende Nebenwirkungen ertragen zu müssen bevor eine Therapiealternative mit Cannabisarzneimitteln zum Zuge kommt (Sozialgericht – SG – Bremen vom 24.10.2017, S 7 KR 227/17 ER).
Insoweit ergibt sich aus den vorliegenden Befunden von Herrn D. unter anderem die Diagnose einer chronischen Schmerzstörung mit somatischen und psychischen Faktoren. In seinem Befundbericht im Hauptsacheverfahren vom März 2017 berichtet er, dass beim Antragsteller sämtliche Analgetica ausprobiert worden seien, die vom Patienten nicht vertragen wurden bzw. starke Nebenwirkungen hätten. In einem Arztbrief von Herrn D. vom 06.06.2016 wird berichtet, dass in einem ausführlichen Gespräch mit dem Antragsteller allgemeine schmerztherapierelevante Vorschläge gemacht wurden, vor allem was Analgeticaeinnahme betreffe. Beim Antragsteller seien sämtliche Analgetica ausprobiert worden, die vom Patienten nicht vertragen wurden bzw. starke Nebenwirkungen gehabt hätten. Dieselbe Feststellung findet sich auch in einem Arztbrief von Herrn D. vom 01.03.2017 und vom 03.07.2017. Im Arztfragebogen für die Antragsgegnerin vom 21.07.2017 stellt Herr D. die Erkrankungen des Antragstellers, d.h. therapieresistente Schmerzen, dar und weist darauf hin, dass die Erkrankung seines Erachtens schwerwiegend sei. Neben den therapieresistenten Schmerzen bestünde noch eine Schultersteife links, Depressionen, Schlafstörungen sowie eine chronische Lumboischialgie. Aufgrund der therapieresistenten Schmerzen stünden allgemein anerkannte, dem medizinischen Standard entsprechende Behandlungsoptionen nicht zur Verfügung.
Aufgrund dieser begründeten Einschätzung von Herrn D. als behandelndem Arzt sind nach Auffassung des Gerichts die Voraussetzungen nach § 31 Abs. 6 SGB V glaubhaft gemacht. Ein begründeter Ausnahmefall, welcher die Antragsgegnerin zur Ablehnung der Genehmigung berechtigen würde, ist nicht erkennbar. Außerdem ist zu berücksichtigen, dass laut dem Befund des Klinikums A-Stadt vom 27.12.2017 die Ausstrahlung von der LWS nach peripher mittlerweile andauernd vorhanden ist und dieser Schmerz eine zunehmende Immobilität des Patienten bedinge. Aufgrund eines zeitgleich seit Jahren bestehenden Reizdarmsyndroms sei der Kläger sehr an der Medikamenteneinnahme limitiert. Die folgerichtig begonnenen Therapieversuche seien immer wieder durch extremen Juckreiz am ganzen Körper beendet worden. Um die Opioddosis zu minimieren und die Vigilanz aufrechtzuerhalten, werde derzeit eine Kombination mit Cannabisblüten angewandt. Die Finanzierung dieser Therapie sei bislang selbst übernommen worden, da nach Rückgabe der Ausnahmegenehmigung der Bundesopiumstelle keine Kostenübernahmezusage der Krankenkasse erfolgt sei. Der Grund hierfür sei nach der Mitteilung des Klinikums A-Stadt aus den vorliegenden Unterlagen nicht ersichtlich und auch keineswegs selbsterklärend nachvollziehbar.
Vor diesem Hintergrund war daher nach Auffassung des Gerichts ein Anordnungsanspruch ausreichend glaubhaft gemacht. Auch ein Anordnungsgrund wurde glaubhaft gemacht. Aufgrund der vorliegenden Unterlagen zu den finanziellen Verhältnissen des Antragstellers ist davon auszugehen, dass dieser nicht in der Lage ist, sich die entsprechenden Medikamente selbst zu beschaffen.
Nachdem es sich um ein einstweiliges Rechtsschutzverfahren handelt, hält es das Gericht für angemessen, die Verpflichtung der Antragsgegnerin zu befristen. Im Rahmen der vorzunehmenden Interessenabwägung nach § 86b Abs. 1Satz 2SGG hält das Gericht dabei einen Zeitraum bis zum 30.04.2018 für ausreichend.
Der Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz war daher in vollem Umfang begründet.
Folglich hat die Antragsgegnerinnen die notwendigen außergerichtlichen Kosten des Antragstellers zu tragen, § 193 SGG analog.