Medizinrecht

Versorgungsauftrag für Implantation von Kniegelenk-Totalendoprothesen in der Unfallchirurgie

Aktenzeichen  L 4 KR 138/17

Datum:
19.12.2017
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2017, 147688
Gerichtsart:
LSG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Sozialgerichtsbarkeit
Normen:
WBO § 4 Abs. 4
SGB V § 137 Abs. 1 S. 3 Nr. 3

 

Leitsatz

1. Zur Frage, ob der Versorgungsauftrag eines bayerischen Krankenhauses im Jahr 2011 die Implantation von Kniegelenk-Totalendoprothesen (Knie-TEP) umfasste. (Rn. 1)
2. Bezogen auf den Krankenhausplan des Freistaates Bayern 2011 umfasst die Chirurgie auch die Unfallchirurgie. (Rn. 39)
3. Der Versorgungsauftrag “Unfallchirurgie” umfasst die Versorgung von Versicherten mit einer Knie-TEP. (Rn. 40)
4. Die Auslegung des Begriffs “Unfallchirurgie” anhand der WBO 2011 ergibt, dass die Implantation von Knie-TEP zum Tätigkeitsfeld der Fachärzte für Orthopädie und Unfallchirurgie zählt. (Rn. 43)
5. Zur Prognose bei mindestmengenrelevanten Leistungen. (Rn. 47)

Verfahrensgang

S 5 KR 425/16 2016-12-01 Urt SGREGENSBURG SG Regensburg

Tenor

I. Die Berufung gegen das Urteil des Sozialgerichts Regensburg vom 01.12.2016 wird zurückgewiesen.
II. Die Beklagte hat auch die Kosten des Berufungsverfahrens zu tragen.
III. Die Revision wird zugelassen.
IV. Der Streitwert wird auf insgesamt 14.889,07 Euro festgesetzt.

Gründe

Die Berufung ist zulässig; insbesondere ist sie ohne Zulassung statthaft (§ 144 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGG) und wurde form- und fristgerecht eingelegt (§ 151 SGG).
Die Berufung ist jedoch nicht begründet. Das SG hat die Beklagte zu Recht zur Zahlung von insgesamt 14.889,07 Euro zuzüglich Zinsen an den Kläger verurteilt.
Es ist zwischen den Beteiligten zu Recht nicht streitig, dass der Kläger aufgrund stationärer Behandlungen anderer Versicherter der Beklagten zunächst Anspruch auf die abgerechnete Vergütung in Höhe von 14.889,07 Euro hatte; eine nähere Prüfung durch den Senat erübrigt sich insoweit (vgl. BSG, Urteil vom 25.10.2016, B 1 KR 9/16 R, Rn. 8 m.w.N.).
Die Beklagte hat diesen Vergütungsanspruch nicht durch wirksame Aufrechnung (§ 69 Abs. 1 Satz 3 SGB V i.V.m. §§ 387, 389 BGB) mit einem öffentlich-rechtlichen Erstattungsanspruch erfüllt. Der behauptete öffentlich-rechtliche Erstattungsanspruch in Höhe von 14.889,07 Euro im Hinblick auf die Behandlung der Versicherten D. und C. stand der Beklagten nämlich nicht zu.
Dies gilt zunächst hinsichtlich des Teilbetrages von 310,- Euro (D. 150,- Euro, C. 160,- Euro), den der Kläger der Beklagten (als „Zuzahlung stationär nach § 39 Abs. 4 SGB V“) nicht in Rechnung gestellt hatte und den die Beklagte daraufhin auch nicht bezahlt hatte. Gleichwohl hat die Beklagte auch diesen Betrag in die Aufrechnung einbezogen. Dies ergibt sich aus den Buchhaltungsbelegen, die der Kläger als Anlage K6a und K6b zu seinem Schriftsatz vom 15.12.2017 vorgelegt hat.
Auch im Übrigen liegen die Voraussetzungen eines öffentlich-rechtlichen Erstattungsanspruchs nicht vor. Es ist nicht ersichtlich, dass die von der Beklagten für die Behandlung der Patientinnen D. und C. bezahlten Beträge ihr ganz oder teilweise zu Unrecht in Rechnung gestellt worden wären. Insbesondere war die Behandlung der genannten Patientinnen vom Versorgungsauftrag des Klägers umfasst (dazu 1.); eine festgelegte Mindestmenge steht dem Anspruch nicht entgegen (dazu 2.); auch der geltend gemachte Zinsanspruch besteht (dazu 3.).
1. Wie bereits das SG ausgeführt hat, dürfen gemäß § 8 Abs. 1 Satz 3 KHEntG Entgelte grundsätzlich nur im Rahmen des Versorgungsauftrags berechnet werden. Nach § 8 Abs. 1 Satz 4 KHEntG bestimmt sich der Versorgungsauftrag bei einem Plankrankenhaus aus der Festlegung des Krankenhausplans i.V.m. den Bescheiden zu seiner Durchführung.
Im Krankenhausplan des Freistaats Bayern für 2011 war das KH als Plankrankenhaus u.a. für Chirurgie aufgeführt. Grundlage hierfür war der Bescheid des Bayer. Staatsministeriums für Arbeit und Sozialordnung vom 13.01.1975 in der Fassung der nachfolgenden Änderungen, zuletzt durch den Bescheid des Bayer. Staatsministeriums für Umwelt und Gesundheit vom 19.07.2010.
Dabei umfasst die Chirurgie auch die Unfallchirurgie. Das BSG hat in seinem Urteil vom 14.10.2014 (B 1 KR 33/13 R) darauf hingewiesen, dass für den Fall einer Regelung im Feststellungsbescheid, wonach der Versorgungsauftrag des Krankenhauses des Klägers die „Chirurgie“ als Fachrichtung umfasse, keine bundesrechtlichen Bedenken gegen die Annahme bestehen, dass die Chirurgie auch die Unfallchirurgie einbeziehe, wenn letztere im einschlägigen Krankenhausplan nicht als eigene Fachrichtung ausgewiesen sei (a.a.O., Rn. 72). So liegt es hier. Die Unfallchirurgie ist im Krankenhausplan nicht als eigene Fachrichtung aufgeführt. Dieser enthält vielmehr lediglich eine zusätzliche Information, wenn ein Krankenhaus über eine eigenständige Abteilung für Unfallchirurgie verfügt, welche unter der eigenverantwortlichen Leitung eines Chefarztes steht, und wenn das Krankenhaus gem. § 108 SGB V und zum Verletzungsartenverfahren der gewerblichen Berufsgenossenschaften zugelassen ist. Die Ausweisung im Anhang des Krankenhausplans – wo diese Informationen unter Ziffer 3. zusammengefasst sind – erfolgt ohne planerische Festlegung (Ziffer 3.3.3. der allgemeinen Grundsätze des Krankenhausplans).
Der Versorgungsauftrag „Unfallchirurgie“ umfasst die Versorgung von Versicherten mit Knie-TEP.
Zur Auslegung des Begriffs „Unfallchirurgie“ greift der Senat auf die WBO für die Ärzte Bayerns vom 24.04.2004 in der Fassung des Beschlusses vom 17.10.2010 zurück. Zwar enthielt der Krankenhausplan des Freistaats Bayern 2011 keine Verweisung auf die WBO, also weder eine statische Verweisung, wie sie das BSG in seinem Urteil vom 27.11.2014 (B 3 KR 1/13 R, Rn. 17) für den 2007 geltenden Krankenhausplan des Landes Brandenburg festgestellt hat, noch eine dynamische Verweisung. Eine Verweisung wurde auf Grund der von der Beklagten begonnenen Rechtsstreitigkeiten erst in den Krankenhausplan des Freistaats Bayern 2017 aufgenommen, womit nach dem Verständnis der Bayer. Krankenhausplanungsbehörde allerdings keine Änderung bewirkt werden sollte. Dies ergibt sich aus dem Schreiben des Bayer. Staatsministeriums für Gesundheit und Pflege als zuständiger Krankenhausplanungsbehörde (Art. 22 BayKrG) an das Sozialgericht München vom 23.05.2017, das der Kläger als Anlage zu seinem Schriftsatz vom 30.10.2017 vorgelegt hat. Danach sollte lediglich das schon vorher bestehende Verständnis der Krankenhausplanungsbehörde hinsichtlich der Leistungserbringung innerhalb der Fachrichtungen klargestellt werden. Eine Auslegung an Hand der WBO entsprach also bereits 2011 der Intention der zuständigen Krankenhausplanungsbehörde. Unabhängig davon sieht sich der Senat nicht durch Vorschriften des Bundes- oder Landesrechts gehindert, die 2011 geltende WBO zur Auslegung des Krankenhausplans heranzuziehen.
Die Auslegung muss nicht zu dem Ergebnis führen, dass die Implantation von Knie-TEP ausschließlich einem Fachgebiet zuzuordnen ist. Zwar hat das BSG in seinem Urteil vom 27.11.2014 (B 3 KR 1/13 R) ausgeführt, die unterschiedliche Perspektive des Berufsrechts und des Krankenhausplanungsrechts werde immer dann relevant, wenn sich berufsrechtlich ergebe, dass bestimmte Leistungen mehreren Fachgebieten oder Schwerpunkten zugeordnet werden könnten. Während sich das Berufsrecht in solchen Fällen auf die Feststellung beschränken könne, dass Ärzte beider Fachgebiete die entsprechende Leistung erbringen dürften, ohne gegen das Verbot fachfremder Leistungserbringung zu verstoßen, müsse im Krankenhausplanungsrecht nach Hinweisen gesucht werden, die für die ausschließliche Zuordnung zu einem Fachgebiet sprächen. Es könne nämlich nicht angenommen werden, dass die für die Aufstellung des Krankenhausplans zuständige Behörde in versorgungsrelevantem Umfang fachliche Überschneidungen habe zulassen wollen (a.a.O., Rn. 18). Die zuletzt genannte Prämisse kann jedoch im vorliegenden Fall nicht zu Grunde gelegt werden. Das Bayer. Staatsministerium für Gesundheit und Pflege hat mit dem bereits zitierten Schreiben vom 23.05.2017 an das SG München ausgeführt, dass aus seiner Sicht Überschneidungen zwischen den Fachrichtungen möglich und zulässig sind. Daher hält es der Senat im vorliegenden Fall nicht für geboten, gezielt nach Hinweisen zu suchen, die für die ausschließliche Zuordnung zu einem Fachgebiet sprechen.
Die Auslegung des Begriffs „Unfallchirurgie“ an Hand der WBO in der 2011 anwendbaren Fassung ergibt, dass die Implantation von Knie-TEP zum Tätigkeitsfeld der Fachärzte für Orthopädie und Unfallchirurgie zählt. In der WBO ist das Fachgebiet Orthopädie nicht gesondert ausgewiesen. Vielmehr wird in Abschnitt B Ziffer 7.5 der Facharzt für Orthopädie und Unfallchirurgie benannt. In den definierten Untersuchungs- und Behandlungsverfahren werden einerseits operative Eingriffe am Kniegelenk, andererseits Implantatentfernungen genannt. Das Einsetzen von Implantaten ist dagegen in Abschnitt B Ziffer 7.5 der WBO nicht ausdrücklich genannt. Dies bedeutet allerdings nicht, dass für die Vornahme derartiger Eingriffe die in Abschnitt C Ziffer 38 dargestellte Zusatzweiterbildung „Spezielle Orthopädische Chirurgie“ erforderlich wäre. Dies ergibt sich aus den Richtlinien über den Inhalt der Weiterbildung gemäß § 4 Abs. 4 WBO in der Fassung vom 12.02.2011. Dort ist im Abschnitt „Gebiete, Facharzt und Schwerpunktkompetenzen“ unter Ziffer 7.5 für das Gebiet Orthopädie und Unfallchirurgie konkretisierend dargestellt, in welchem Umfang Untersuchungs- und Behandlungsmethoden nachzuweisen sind. Danach sind als operative Eingriffe am Kniegelenk u.a. „10 Osteotomien, Endoprothesen“ nachzuweisen. Endoprothesen zählen also zu den operativen Eingriffen am Kniegelenk, die in Abschnitt B Ziffer 7.5 der WBO – Facharzt für Orthopädie und Unfallchirurgie – dargestellt sind.
Damit umfasst der Versorgungsauftrag des Krankenhauses als Plankrankenhaus für Chirurgie die Versorgung gesetzlich Versicherter mit Knie-TEP. Der Senat folgt damit der Rechtsprechung des BSG, das in seinem Urteil vom 14.10.2014 (B 1 KR 33/13 R) bereits zur Situation in Niedersachsen ausgeführt hat, die Auffassung, dass die Fachrichtungen im Krankenhausplan 2006 nach den Vorgaben der landesrechtlichen ärztlichen Weiterbildungsordnung auszulegen seien und von der Weiterbildungsordnung für Unfallchirurgen erfasste Operationen auch zum Versorgungsauftrag der Krankenhäuser mit der Fachrichtung „Chirurgie“ gehörten, begegne keinen bundesrechtlichen Bedenken (a.a.O., Rn. 72). Dabei verkennt der Senat nicht, dass der in dem vom BSG entschiedenen Fall maßgebliche Niedersächsische Krankenhausplan 2006 unter 1. III. zu 3 im Gegensatz zum Krankenhausplan für den Freistaat Bayern 2011 eine Verweisung auf die einschlägige WBO enthielt. Dies führt jedoch – wie dargelegt – nicht zu einem abweichenden Ergebnis.
2. Dem Anspruch des Klägers stehen Regelungen der Mindestmengenvereinbarung nicht entgegen. Einschlägig ist die Vereinbarung des Gemeinsamen Bundesausschusses gemäß § 137 Abs. 1 Satz 3 Nr. 3 SGB V für nach § 108 SGB V zugelassene Krankenhäuser (Mindestmengenvereinbarung) in der Fassung der Änderung vom 11.11.2010, in Kraft getreten am 01.01.2011. Dort ist in Anlage 1 unter Ziffer 6 geregelt, dass für Knie-TEP eine jährliche Mindestmenge pro Krankenhaus (Betriebsstätte) von 50 gilt.
Diese Regelung ist auf die Behandlung der Versicherten D. (17.05.2011 bis 01.06.2011) und C. (27.09.2011 bis 12.10.2011) anzuwenden. Ihre befristete Außervollzugsetzung trat erst am Tag nach Veröffentlichung im Bundesanzeiger, mithin am 19.10.2011, in Kraft. Auch unter dem Gesichtspunkt des angewandten Implantationsverfahrens – in beiden Fällen: OPS 5-822.12 Implantation einer Endoprothese am Kniegelenk: Bikondyläre Oberflächenersatzprothese, ungekoppelt, ohne Patellaersatz: Hybrid (teilzementiert) – war die Regelung auf die streitgegenständlichen Eingriffe anzuwenden.
Maßgeblich dafür, ob ein Krankenhaus weiterhin mindestmengenrelevante Leistungen erbringen darf, ist die Prognose, dass das Krankenhaus die Qualifikationsanforderung in Gestalt der bislang erreichten Mindestmenge voraussichtlich auch im kommenden Kalenderjahr nicht unterschreiten wird. Die Prognose setzt grundsätzlich voraus, dass das Krankenhaus im zuvor abgelaufenen Kalenderjahr die maßgebliche Mindestmenge erreicht hat. Nur dann kann die von § 137 Abs. 3 Satz 2 SGB V geforderte Prognose positiv ausfallen (vgl. BSG, Urteil vom 14.10.2014, B 1 KR 33/13 R, Rn. 52 zur Rechtslage 2006).
Diese Voraussetzung ist vorliegend erfüllt. Der Kläger hat eine Mitteilung über Leistungen, die der Mindestmengenregelung 2011 unterliegen, vorgelegt. Danach wurden im KH im Jahr 2009 140 und im Zeitraum 01.01.2010 bis 09.12.2010 124 Knie-TEP implantiert. Der Senat sieht keinen Anlass, an diesen Angaben zu zweifeln. Damit standen dem Kläger auch im Kalenderjahr 2011 Vergütungsansprüche für die Implantation von Knie-TEP zu.
3. Dem Kläger steht auch der geltend gemachte Anspruch auf Zahlung von Verzugszinsen in Höhe von 4 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz zu. Dieser ergibt sich aus § 12 Nr. 1 Abs. 2 der vom Kläger vorgelegten Vereinbarung für den Vereinbarungs- / Pflegesatzzeitraum 2011. Die Beklagte hat am 22.12.2015 aufgerechnet und befindet sich damit seit 23.12.2015 in Verzug.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 197a Abs. 1 Satz 1 SGG, § 154 Abs. 2 VwGO.
Der Senat lässt die Revision wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache zu (§ 160 Abs. 2 Nr. 1 SGG).
Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 197a Abs. 1 Satz 1 SGG i.V.m. § 63 Abs. 2, § 52 Abs. 3, § 47 Abs. 1 GKG.

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