Aktenzeichen B 6 KA 27/19 R
§ 36 Abs 7 ÄBedarfsplRL
§ 26 Abs 2 ÄBedarfsplRL
§ 26 Abs 3 ÄBedarfsplRL
§ 26 Abs 5 ÄBedarfsplRL
§ 92 Abs 1 S 2 Nr 9 SGB 5
§ 101 Abs 4 SGB 5
§ 103 Abs 1 SGB 5
§ 103 Abs 2 SGB 5
§ 103 Abs 3a SGB 5
§ 103 Abs 4 SGB 5
§ 72 SGB 5
Verfahrensgang
vorgehend SG München, 13. April 2018, Az: S 43 KA 557/16, Urteilvorgehend Bayerisches Landessozialgericht, 26. Juni 2019, Az: L 12 KA 22/18, Urteil
Tenor
Auf die Revision des Beklagten wird das Urteil des Bayerischen Landessozialgerichts vom 26. Juni 2019 aufgehoben. Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts München vom 13. April 2018 wird zurückgewiesen.
Die Klägerin hat die Kosten des Verfahrens mit Ausnahme der Kosten der Beigeladenen in allen Rechtszügen zu tragen.
Tatbestand
1
Die klagende Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeutin begehrt die Erteilung einer Regelzulassung, anstatt der ihr im Rahmen eines Nachbesetzungsverfahrens erteilten Sonderbedarfszulassung.
2
Der Praxisvorgängerin der Klägerin war 2007 eine Zulassung wegen Sonderbedarfs für das Verfahren der tiefenpsychologisch fundierten Psychotherapie bei Kindern und Jugendlichen erteilt worden (Beschluss des Zulassungsausschusses – ZA – vom 7.11.2007). Nachdem die Praxisvorgängerin in 2014 die Durchführung eines Nachbesetzungsverfahrens für ihren Psychotherapeutensitz beantragt hatte, stellte die zu 1. beigeladene Kassenärztliche Vereinigung (KÄV) im Rahmen einer Bedarfsanalyse fest, dass der betreffende Planungsbereich für die Arztgruppe der Psychotherapeuten bei einem Versorgungsgrad von 119,4 % gesperrt und auch die Mindestquote von 20 % von Therapeuten, die ausschließlich Kinder und Jugendliche behandelten, mit 7,5 erteilten Versorgungsaufträgen erfüllt sei. Allerdings sei als Ergebnis der Befragung der niedergelassenen Psychotherapeuten festzustellen, dass die gemeldeten freien Kapazitäten nicht ausreichen würden, um die von der bisherigen Zulassungsinhaberin behandelten Patienten zu übernehmen (Schreiben der KÄV vom 2.3.2015).
3
Der ZA gab sodann dem Antrag auf Durchführung des Nachbesetzungsverfahrens statt (Beschluss vom 18.3.2015). Die Beigeladene zu 1. schrieb die Praxis als “Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeutenpraxis Praxisbesonderheit: Tiefenpsychologisch fundierte und analytische Psychotherapie” aus (Bayerischer Staatsanzeiger Nr 14 vom 2.4.2015). Die Klägerin bewarb sich (als einzige Bewerberin) um den ausgeschriebenen Praxissitz und beantragte ihre Zulassung “zur vertragsärztl./-psychotherapeutischen Versorgung mit vollem Versorgungsauftrag als Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeut” in den Richtlinienverfahren “Analytische Psychotherapie” und “Tiefenpsychologisch fundierte Psychotherapie”.
4
Die Zulassung der Klägerin erfolgte zum 1.7.2015 und mit der Maßgabe, dass für die Dauer der Sonderbedarfszulassung nur die ärztlichen Leistungen abrechnungsfähig seien, die im Zusammenhang mit dem Richtlinienverfahren der tiefenpsychologisch fundierten Psychotherapie stünden (Beschluss des ZA vom 10.6.2015). Zudem war die Zulassung an den Ort der Niederlassung am bisherigen Sitz der Praxis in K. gebunden. Später wurde die Sonderbedarfszulassung für die Klägerin erweitert auf das Richtlinienverfahren der analytischen Psychotherapie (Beschluss des ZA vom 7.11.2018).
5
Der beklagte Berufungsausschuss wies den Widerspruch der Klägerin, mit welchem sie die Erteilung einer Regelzulassung anstatt der erteilten Sonderbedarfszulassung geltend machte, als unbegründet zurück (Beschluss vom 12.5.2016). Das SG hat die Klage abgewiesen (Urteil vom 13.4.2018). Die Erteilung einer Regelzulassung komme nicht in Betracht, da eine Entsperrung des Planungsbereiches nicht erfolgt sei. Die Klägerin habe bei den Zulassungsgremien lediglich die “Übertragung” der Sonderbedarfszulassung ihrer Praxisvorgängerin beantragt und diese auch erhalten.
6
Auf die Berufung der Klägerin hat das LSG das Urteil des SG aufgehoben und den Beklagten verurteilt, über den Widerspruch der Klägerin neu zu entscheiden (Urteil vom 26.6.2019). Die Beschränkungen der Zulassung der Praxisvorgängerin der Klägerin seien – wie die Klägerin zutreffend geltend gemacht habe – aufgrund der Vorschrift des § 37 Abs 1 Satz 2 Bedarfsplanungs-Richtlinie (BedarfsplRL; idF vom 20.12.2012, BAnz AT 31.12.2012 B7; BedarfsplRL aF) in analoger Anwendung entfallen. Diese Vorschrift habe den Wegfall von Beschränkungen der erteilten Sonderbedarfszulassungen vorgesehen, wenn der Landesausschuss der Ärzte und Krankenkassen (im Folgenden: Landesausschuss) zu der Feststellung gelangt sei, dass eine Überversorgung nicht mehr bestehe. Hier habe der Landesausschuss mit Beschluss vom 10.6.2013 festgestellt, dass für Leistungserbringer, die – wie die Praxisvorgängerin der Klägerin – ausschließlich Kinder und Jugendliche behandelten, im Planungsbereich noch insgesamt 3,5 Zulassungen erteilt werden konnten. Zwar sei damit nicht – wie vom Wortlaut des § 37 Abs 1 Satz 2 BedarfsplRL aF gefordert – ein Entfallen der bisherigen Überversorgung, sondern nur das Bestehen weitere Zulassungsmöglichkeiten wegen nicht erfüllter Mindestquoten festgestellt worden. Jedoch sei wegen der Gleichartigkeit dieser beiden Zulassungsoptionen eine analoge Anwendung der Vorschrift geboten. Es liege eine planwidrige Regelungslücke vor, die unter Berücksichtigung von Art 12 und Art 3 GG geschlossen werden müsse. Hintergrund der in § 37 Abs 1 Satz 2 BedarfsplRL aF geregelten Beendigung von Beschränkungen der erteilten Sonderbedarfszulassungen sei, dass der Landesausschuss – unter Berücksichtigung der in der Vergangenheit erteilten Sonderbedarfszulassungen – zu der Feststellung gelangt sei, dass eine Überversorgung nicht mehr bestehe und somit Zulassungsmöglichkeiten eröffnet seien, die keiner Beschränkungen der abrechenbaren Leistungen bedürften. In dieser Situation sei es nur folgerichtig, die bislang bestehenden Beschränkungen der erteilten Sonderbedarfszulassungen zu beenden. Nur so könne der nach den Verhältniszahlen bestehende Versorgungsbedarf auch in der gesamten Breite des Leistungsspektrums der Arztgruppe abgedeckt werden. Nicht anders sei die Situation zu beurteilen, wenn Zulassungsmöglichkeiten aufgrund nicht erfüllter Mindestquoten für ärztliche Psychotherapeuten oder Leistungserbringer, die ausschließlich Kinder und Jugendliche behandelten, vorhanden seien. Auch dann sei die vom Landesausschuss festgestellte Quote im Planungsbereich unter Berücksichtigung der bereits erteilten Sonderbedarfszulassungen ermittelt worden. Insoweit gebe es auch in dieser Konstellation keinen rechtfertigenden Grund mehr für den Fortbestand der bestehenden Sonderbedarfszulassungsbeschränkungen.
7
Dieses Ergebnis werde auch durch die in der BedarfsplRL geregelten Vorschriften zum Zulassungsverfahren gestützt. Im Rahmen der vom Landesausschuss zum regionalen Versorgungsgrad in der psychotherapeutischen Versorgung nach § 25 Abs 1 Nr 5 BedarfsplRL aF festgestellten Zulassungsmöglichkeiten für Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeuten und ärztliche Therapeuten habe der ZA gemäß § 25 Abs 4 Satz 1 BedarfsplRL aF Zulassungen erteilen dürfen. Nach § 25 Abs 4 Satz 2 BedarfsplRL aF habe der ZA dabei nach Maßgabe von § 26 BedarfsplRL (Zulassungsverfahren nach Aufhebung von Zulassungsbeschränkungen) entscheiden müssen. Die Norm des § 26 BedarfsplRL sei damit auch für das Zulassungsverfahren wegen nicht ausgeschöpfter Quoten für Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeuten einschlägig. Folglich sei auch die entsprechende Anwendung von § 37 Abs 1 Satz 2 BedarfsplRL aF geboten. Die angeordneten Beschränkungen der Sonderbedarfszulassung hätten daher für die Praxisvorgängerin der Klägerin zum 1.7.2013 kraft Gesetzes geendet. Für das Nachbesetzungsverfahren sei somit die erneute Feststellung des Sonderbedarfes nicht notwendig gewesen. Der Klägerin hätte daher eine unbeschränkte Regelzulassung erteilt werden müssen.
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Zur Begründung seiner Revision macht der Beklagte geltend, dass der Sachverhalt der Ausweisung von Mindestquoten nach § 101 Abs 4 SGB V nicht mit dem in § 37 Abs 1 Satz 2 BedarfsplRL aF geregelten Sachverhalt des Entfallens von Überversorgung vergleichbar sei. Die Feststellung durch den Landesausschuss, dass keine Überversorgung mehr bestehe, ziele darauf ab, die tatsächliche Versorgung mit der “rechnerischen Versorgung” entsprechend der Bedarfsplanung in Einklang zu bringen. Dagegen solle die Mindestquote für Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeuten die Versorgung von Kindern und Jugendlichen trotz Bestehens einer Überversorgung verbessern. Die jeweiligen Fallgestaltungen seien daher – anders als vom LSG vertreten – in ihren rechtlichen Auswirkungen nicht vergleichbar.
9
Auch fehle es an einer planwidrigen Regelungslücke für eine analoge Anwendung des § 37 Abs 1 Satz 2 BedarfsplRL aF. Die 20 %-Quote für Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeuten sei durch § 22 Abs 1 Nr 3 BedarfsplRL (jetzt § 25 Abs 1 Nr 3 BedarfsplRL) in der Bekanntmachung des Beschlusses des Gemeinsamen Bundesausschusses (GBA) vom 18.6.2009 (BAnz 2009 Nr 173 vom 17.11.2009 S 3898) eingeführt worden. Aus den Tragenden Gründen zu diesem Beschluss gehe hervor, dass bestehende Sonderbedarfszulassungen für die Erbringung von psychotherapeutischen Leistungen an Kindern und Jugendlichen unbeschadet der Regelung des § 23 Abs 3 BedarfsplRL aF auf Antrag der Zulassungsinhaber in eine Regelzulassung umgewandelt werden könnten. Einen solchen Antrag habe die Praxisvorgängerin der Klägerin aber nicht gestellt. Die Auffassung des LSG, die Zulassungsbeschränkungen seien aufgrund einer Analogie kraft Gesetzes entfallen, widerspreche daher dem eindeutigen Willen des Gesetzgebers.
10
Der Beklagte beantragt,das Urteil des Bayerischen LSG vom 26.6.2019 aufzuheben und die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des SG München vom 13.4.2018 zurückzuweisen.
11
Die Klägerin beantragt,die Revision des Beklagten gegen das Urteil des Bayerischen LSG vom 26.6.2019 zurückzuweisen.
12
Durch den Beschluss des Landesausschusses vom 10.6.2013 seien für alle Sonderbedarfszulassungsinhaber – und damit auch für ihre Praxisvorgängerin – mit Wirkung zum 1.7.2013 die insoweit bestehenden Zulassungsbeschränkungen kraft Gesetzes entfallen. Zu Recht sei das LSG davon ausgegangen, dass die Zulassungsmöglichkeiten aufgrund nichterfüllter Mindestquoten und die Zulassungsmöglichkeiten aufgrund nicht mehr bestehender Überversorgung vergleichbar seien und daher eine analoge Anwendung der Vorschrift des § 37 Abs 1 Satz 2 BedarfsplRL aF geboten sei. In Fällen, in denen es – wie hier – festgestellten Bedarf für weitere Zulassungen von Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeuten gegeben habe, habe für die Aufrechterhaltung der mit einer Sonderbedarfszulassung verbundenen Beschränkungen kein rechtfertigender Grund mehr bestanden. Die Umwandlung einer Sonderbedarfszulassung in eine Regelzulassung erfolge zudem bedarfsneutral. Denn bei Erteilung einer Regelzulassung hätte noch Raum für weitere Zulassungen für Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeuten in einem Umfang von 3,5 Versorgungsaufträgen bestanden.
13
Die zu 1. beigeladene KÄV hält das Urteil des LSG für rechtsfehlerhaft. Der Sachverhalt der Ausweisung von Mindestquoten nach § 101 Abs 4 SGB V sei nicht mit dem in § 37 Abs 1 Satz 2 BedarfsplRL aF geregelten Sachverhalt des Entfallens von Zulassungsbeschränkungen nach § 103 Abs 1 und Abs 3 SGB V vergleichbar. Zudem bestehe keine planwidrige Regelungslücke, die eine analoge Anwendung rechtfertige. Die Regelung des § 37 Abs 1 Satz 2 BedarfsplRL aF sei mit Beschluss des GBA vom 15.11.2005 in die BedarfsplRL aufgenommen worden. Aus den Tragenden Gründen zu diesem Beschluss sei ersichtlich, dass ein Wegfall der Beschränkungen bei Sonderbedarfszulassungen nur dann erfolgen solle, wenn keine Überversorgung in dem entsprechenden Planungsbereich mehr bestehe. Sinn und Zweck von Quotenzulassungen nach § 101 Abs 4 SGB V sei es dagegen, ein ausgewogenes Verhältnis der spezialisierten Leistungserbringer einer Arztgruppe zu gewährleisten. Um dieses ausgewogene Verhältnis zu erreichen, könnten trotz Sperrung des Planungsbereiches und bestehender Überversorgung neue Zulassungen ausgewiesen werden, bis die Quote erfüllt sei. Eine solche Quotenzulassung lasse aber eine bestehende Überversorgung nicht entfallen. Für die Annahme einer planwidrigen Regelungslücke bestehe daher kein Grund. Eine analoge Anwendung sei zudem aufgrund der bestehenden Möglichkeit für den Inhaber einer Sonderbedarfszulassung, sich auf eine unbeschränkte Zulassung aufgrund der nicht erreichten Mindestquote nach § 101 Abs 4 SGB V zu bewerben, nicht erforderlich.
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