Medizinrecht

Vertrags(zahn) arztangelegenheiten

Aktenzeichen  S 38 KA 5001/17

Datum:
4.6.2019
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2019, 15607
Gerichtsart:
SG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Sozialgerichtsbarkeit
Normen:
SGB V § 295 Abs. 1a
SGB V a.F. § 137 Abs. 4

 

Leitsatz

1. I. Zur Herausgabe von Unterlagen, die Behandlung betreffend, ist der Vertragszahnarzt im Rahmen seiner allgemeinen und besonderen Mitwirkungspflicht (vgl. allgemeine Mitwirkungspflicht des Vertragszahnarztes, aber auch § 295 Abs. 1a SGB V, § 8 Gesamtvertrag-Zahnärzte) auch nach der Beendigung seiner vertragszahnärztlichen Tätigkeit verpflichtet. Es handelt sich um eine im Zusammenhang mit seiner vertragszahnärztlichen Tätigkeit stehende nachwirkende Pflicht. (Rn. 15)
2. II. Auch wenn die Beschaffung von Unterlagen durch den ehemaligen Vertragszahnarzt erschwert sein sollte, erwächst daraus keine Pflicht der beklagten Kassenzahnärztlichen Vereinigung oder von Ausschüssen, sich ihrerseits um die Beschaffung der Unterlagen zu kümmern. (Rn. 15)
3. III. Als Korrelat zu den nachwirkenden Pflichten eines ehemaligen Vertragszahnarztes besteht auch das nachwirkende Recht des ehemaligen Vertragszahnarztes auf Nachbesserung bzw. auf Neuanfertigung. Dieses Recht auf Nachbesserung oder Neuanfertigung kann auch von einem anderen Vertragszahnarzt in Vertretung des ursprünglichen Behandlers oder durch den Behandler selbst wahrgenommen werden. Der Vertragszahnarzt wird sich nach der Beendigung der vertragszahnärztlichen Tätigkeit zweckmäßigerweise für eine kurze Übergangszeit so organisieren müssen, dass Möglichkeiten zur Nachbesserung bzw. Neuanfertigung bestehen, möchte er sein Nachbesserungsrecht wahrnehmen und wegen Mängeln nicht in Regress genommen zu werden. (Rn. 20)
4. IV. Der Vertragszahnarzt kann sich nur dann darauf berufen, er habe keine Gelegenheit zur Nachbesserung bzw. Neuanfertigung gehabt, wenn er den Patienten vorher nachhaltig zur Nachbesserung/Neuanfertigung aufgefordert und ihm zu verstehen gegeben hat, dass hierfür keine Kosten anfallen. (Rn. 22)

Tenor

I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Die Klägerin trägt die Kosten des Verfahrens.

Gründe

Die zum Sozialgericht München eingelegte Klage ist zulässig, jedoch unbegründet. Die sachlich-rechnerische Richtigstellung ist zu Recht erfolgt. Vorauszusetzen für den Schadenersatz ist eine schuldhafte Pflichtverletzung durch den Behandler.
Für die fachkundig mit zwei Zahnärzten besetzte Kammer steht fest, dass die von der Klägerin eingegliederte Prothetik mangelhaft ist. Konkret zu beanstanden ist der Randschluss der Unterkiefer-Innenteleskope, nämlich bei Zähnen 36, 33, 43, 44, 45, 46 und 47. Nach der überzeugenden und nachvollziehbaren Feststellung des Gutachters Dr. F. bestehen Mängel in der technischen Ausführung. Eine Nachbesserung ist nicht möglich. Vielmehr ist eine vollständige Neuanfertigung des eingegliederten Zahnersatzes notwendig.
Die Einlassungen der Klägerseite, sowohl der Zahntechniker, als auch die Zahnarzthelferin seien bei der Einprobe und beim Einsetzen anwesend gewesen und hätten sich vom fachgerechten Sitz der Prothetik überzeugen können, sind unbehelflich. Denn Beobachtungen Dritter ohne die entsprechende Fachkunde sind nicht geeignet, eine gutachterliche Beurteilung zu widerlegen.
Rechtlich nicht zu beanstanden ist, dass sich die Widerspruchsstelle in ihrer Entscheidung auf das von Dr. F. erstellte Gutachten stützte. Weitere Ermittlungen waren weder durch den Gutachter, noch durch die Widerspruchsstelle möglich, zumal trotz mehrfacher Aufforderung die Klägerin keine Planungsröntgenaufnahmen und Karteikarten zur Verfügung stellte. Zur Herausgabe von Unterlagen, die Behandlung betreffend, wäre die Klägerin verpflichtet gewesen (vgl. allgemeine Mitwirkungspflicht des Vertragszahnarztes, aber auch § 295 Abs. 1a SGB V, § 8 Gesamtvertrag-Zahnärzte). Dies gilt auch für die Zeit nach der Beendigung der vertragszahnärztlichen Tätigkeit. Denn zu den nachwirkenden Pflichten eines Vertragszahnarztes gehört auch, dass dieser nach seinem Ausscheiden aus der vertragszahnärztlichen Tätigkeit Unterlagen zur Verfügung stellt, die Vorgänge während seiner vertragszahnärztlichen Tätigkeit betreffen; so auch Vorgänge im Zusammenhang mit Prothetikmängelrügen (vgl. BSG, Urteil vom 20.03.2013, Az. B 6 KA 17/12 R). Es mag zwar sein, dass ein ausgeschiedener Arzt/Zahnarzt keinen oder einen erschwerten Zugang zu Unterlagen hat, wenn sich diese beim Praxisnachfolger befinden. An der nachwirkenden primären Pflicht des ehemaligen Vertragsarztes/Vertragszahnarztes, auf Anforderung Unterlagen zur Verfügung zu stellen, ändert dies aber nichts. Auch wenn die Beschaffung von Unterlagen durch den ehemaligen Vertragsarzt/Vertrags-zahnarzt erschwert sein sollte, erwächst daraus keine Pflicht der Beklagten, sich ihrerseits um die Beschaffung der Unterlagen zu kümmern. Abgesehen davon fehlt hierfür die rechtliche Grundlage.
In der mündlichen Verhandlung am 04.06.2019 hat der Prozessbevollmächtigte der Klägerin dem Gericht Originalkarteikarten ausgehändigt, von denen Kopien gefertigt wurden, die zum einen der Vertreterin der Beklagten ausgehändigt, zum anderen zur Klageakte genommen wurden. Es stellt sich die Frage, ob diese Eintragungen zu berücksichtigen sind, oder, ob die Klägerin damit ausgeschlossen ist. Für einen Ausschluss würde sprechen, dass die Mitwirkung der Klägerin und Vorlage der geforderten Unterlagen verspätet erfolgten und der Gutachter sowie die Zahnärzte der Widerspruchsstelle keine Möglichkeit hatten, Einsicht zu nehmen und diese im Rahmen ihrer Entscheidung mit zu berücksichtigen. Darauf kommt es aber letztendlich nicht an. Denn nach Durchsicht der Einträge in der Karteikarte, soweit sie überhaupt leserlich und nachvollziehbar sind, ergeben sich hieraus keine Anhaltspunkte, die im Sinne der Klägerseite entscheidungserheblich zu berücksichtigen wären.
Entgegen der Auffassung der Klägerseite kommt es auch nicht darauf an, ob der Mangel bereits zum Zeitpunkt der Eingliederung offensichtlich bestand. Denn der Vertragszahnarzt übernimmt für die Versorgung mit Zahnersatz eine zweijährige Gewähr (§ 137 Abs. 4 SGB V a.F.). Selbstverständlich hat der Vertragszahnarzt nur für solche Mängel die Gewähr zu übernehmen, die von ihm zu vertreten sind.
Im streitgegenständlichen Verfahren gibt es aber keine Anhaltspunkte dafür, dass der Mangel auf Ursachen beruht, die nicht der Sphäre der Klägerin zuzurechnen sind.
Es ist daher von der Mangelhaftigkeit der prothetischen Versorgung, angefertigt durch die Klägerin, die sie zu vertreten hat, auszugehen. Ferner steht für die fachkundig mit zwei Zahnärzten besetzte Kammer fest, dass eine Nachbesserung nicht möglich ist, sondern vielmehr eine Neuanfertigung veranlasst ist.
Das Recht des Vertragszahnarztes auf Nachbesserung schließt auch das Recht des Vertragszahnarztes auf Neuanfertigung mit ein. Als Korrelat zu den nachwirkenden Pflichten eines ehemaligen Vertragszahnarztes besteht auch das nachwirkende Recht des ehemaligen Vertragszahnarztes auf Nachbesserung bzw. auf Neuanfertigung. Dieses Recht auf Nachbesserung oder Neuanfertigung kann auch von einem anderen Vertragszahnarzt in Vertretung des ursprünglichen Behandlers oder durch den Behandler selbst wahrgenommen werden. Der Vertragszahnarzt wird sich nach der Beendigung der vertragszahnärztlichen Tätigkeit zweckmäßigerweise für eine kurze Übergangszeit so organisieren müssen, dass Möglichkeiten zur Nachbesserung bzw. Neuanfertigung bestehen, möchte er sein Nachbesserungsrecht wahrnehmen und wegen Mängeln nicht in Regress genommen zu werden.
Wie sich aus der „Praxisüberlassung und Vertretungsvereinbarung“ vom 01.04.2015 zwischen der Klägerin und der Zahnarztpraxis A. und dem Schreiben der Zahnarztpraxis Dr. A. vom 20.05.2019 ergibt, hat die Klägerin solche Vorkehrungen getroffen, um im Falle, dass nach Beendigung der vertragszahnärztlichen Tätigkeit Mängel zu beseitigen sind, diese entweder durch sie selbst oder durch die Zahnarztpraxis Dr. A. behoben werden. Aus dem Schreiben der Zahnarztpraxis Dr. A. vom 20.05.2019 geht im konkreten auch hervor, dass sich der Patient C. dort einfand. Dr. A. führte aus:
„Der Patient hat die im Gutachten genannten Mängel selber nicht nachvollziehen können und empfand es nicht als unzumutbar die vorhandene Versorgung ohne Änderung weiter zu verwenden. Die geforderten Nachbesserungen hätten bei mir, wie vereinbart, in der Praxis durchgeführt werden können, nur verzichtete der Patient auf eine Nachbesserung der bestehenden Prothese bzw. Versorgung.“
Somit kam es zu keiner Nachbesserung bzw. Neuanfertigung. Grundsätzlich ist ein Rückerstattungsanspruch von Behandlungskosten ausgeschlossen, wenn der Behandler von seinem Nachbesserungsrecht/Neuanfertigungsrecht aus Gründen, die nicht ihm zuzurechnen sind, nicht Gebrauch machen kann. Dies setzt aber nach Auffassung der Kammer voraus, dass der Behandler den Patienten nachhaltig zur Nachbesserung/Neuanfertigung aufgefordert und ihm zu verstehen gegeben hat, dass hierfür keine Kosten anfallen. Aus dem Vortrag der Beteiligten, auch aus den Einträgen in der Karteikarte geht nicht hervor, dass eine solche Aufforderung stattfand.
Aus den genannten Gründen war zu entscheiden, wie geschehen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 197a SGG i.V.m. § 154 Abs. 1 VwGO.

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