Aktenzeichen B 1 S 20.291
FeV § 11 Abs. 2
FeV § 46 Abs. 1 S. 1
StVG § 3 Abs. 1 S. 1
VwGO § 80 Abs. 5
Leitsatz
Tenor
1. Die aufschiebende Wirkung der Klage (* …*) gegen die Ziffern 1 und 2 des Bescheids des Landratsamts … vom 9. März 2020 wird wiederhergestellt.
2. Der Antragsgegner hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
3. Der Streitwert wird auf 6.250,00 EUR festgesetzt.
Gründe
I.
Der am … geborene Antragsteller wendet sich im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes gegen die Entziehung seiner Fahrerlaubnis der Führerscheinklasse 3.
Aus einer Mitteilung der Polizeiinspektion … an das Landratsamt … (im Folgenden: Landratsamt) vom 23. Mai 2019 geht hervor, dass der Antragsteller am 16. April 2019 an einem Verkehrsunfall beteiligt gewesen sei und sich anschließend von der Unfallstelle entfernt habe. Bei einer späteren Befragung habe der Antragsteller angegeben, dass er davon ausgegangen sei, dass bei dem Auffahrunfall kein Schaden entstanden sei, da sein Pkw unbeschadet gewesen sei und der anderer Pkw weggefahren sei. Rufe der Fahrerin des anderen Pkw habe er aus der Distanz aufgrund seiner Schwerhörigkeit nicht wahrgenommen. Ein entsprechendes Strafverfahren wurde mit Verfügung der Staatsanwaltschaft … vom 4. Juni 2019 nach § 153 Abs. 1 StPO eingestellt.
Mit Schreiben vom 17. Oktober 2019 forderte das Landratsamt den Antragsteller zur Vorlage eines Gesundheitsfragebogens auf. Aus dem daraufhin vom Antragsteller ausgefüllten und von dessen Hausärztin Frau Dr. med. H. bestätigten Fragebogen und einem Medikationsplan ergibt sich, dass der Antragsteller eine Brille und ein Hörgerät trage, einen Grad der Behinderung von 70 aufweise und an Diabetes mellitus, arterieller Hypertonie, einer koronaren Herzerkrankung sowie diabetischer Polyneuropathie leide und deshalb medikamentös behandelt werde. Wegen der Diabetes mellitus Erkrankung nehme der Antragsteller täglich abends eine halbe Tablette des Medikaments Glimepirid (1 A Pharma 1 mg Tablette) ein.
Unter dem 30. Oktober 2019 verlangte das Landratsamt vom Antragsteller die Vorlage entsprechender Befundberichte über die bei ihm festgestellten fahreignungsrelevanten Erkrankungen (Diabetes mellitus, arterielle Hypertonie, koronare Herzerkrankung, diabetische Polyneuropathie).
Daraufhin legte der Antragsteller einen Arztbrief des Dr. med. Sch. vom 9. Oktober 2019 vor, wonach derzeit keine herzbezüglichen Beschwerden des Antragstellers vorliegen würden und Herz-Lungenbefunde und EKG Befunde stabil und unauffällig seien. Das beigebrachte fachärztliche Attest der Diabetologin und Internistin Frau Dr. med. L. vom 7. November 2019 weist aus, dass der Antragsteller regelmäßig zu den Kontrolluntersuchungen komme und keine gehäufte Unterzuckerneigung vorliege. Zudem wird bestätigt, dass der Antragsteller versichere, dass er Selbstmessungen durchführe und geeignete Maßnahmen ergreife, um eine Unterzuckerung zu vermeiden. Derzeit würden keine Einwände gegen die Fahrerlaubnis des Antragstellers bestehen. Zudem seien dem Antragsteller vier Merkblätter zum Thema Unterzucker und Kraftverkehr ausgehändigt worden.
Mit Beibringungsaufforderung vom 27. November 2019 forderte das Landratsamt den Antragsteller zur Vorlage eines Gutachtens eines Arztes in einer Begutachtungsstelle für Fahreignung bis spätestens 6. Februar 2020 unter Hinweis auf die Rechtsfolge des § 11 Abs. 8 FeV auf. Aus dem ausgefüllten Gesundheitsfragebogen ergebe sich, dass der Antragsteller an Diabetes mellitus und diabetischer Polyneuropathie leide. Zwar liege ein fachärztliches Attest der Diabetologin Frau Dr. med. L. vor, wonach keine gehäufte Unterzuckerung beim Antragsteller vorliege, Befundberichte zur Diabetes und der diabetischen Polyneuropathie seien jedoch, trotz Aufforderung hierzu, bislang nicht vorgelegt worden. Daher bestünden Zweifel an der Fahreignung des Antragstellers. Diabetische Polyneuropathie sei unter der Nr. 5.6 i. V. m. Nr. 6.2 der Anlage 4 zur FeV gelistet und könne Auswirkungen auf die Fahreignung haben. Diabetes mellitus werde unter Nr. 5 der Anlage 4 zur FeV geführt. Eine genauere Beurteilung der Art und des Ausmaßes der Erkrankungen des Antragstellers habe aufgrund der nicht vorgelegten Befundberichte nicht erfolgen können, weshalb die Fahreignungszweifel bezüglich der beiden Erkrankungen nicht hätten ausgeräumt werden können. Zudem würden krankheitsbedingte Komplikationen im Zusammenhang mit Diabetes mellitus, vor allem Erkrankungen der Nerven, eine gesonderte verkehrsmedizinische Beurteilung erfordern. Nach Nr. 3.9.2. der Begutachtungsleitlinien könnten neuropathische Schädigungen zu relevanten Beeinträchtigungen der motorischen Funktionen führen, wodurch der Antragsteller nicht mehr in der Lage wäre, den gestellten Anforderungen zum Führen von Fahrzeugen der Gruppe 2 gerecht zu werden. Ein medizinisches Gutachten nach § 11 Abs. 2 Satz 3 Nr. 5 FeV sei daher erforderlich. Hiermit seien folgende Fragen abzuklären:
„1. Ist der Antragsteller trotz Vorliegen einer Erkrankung (hier: diabetische Polyneuropathie, Diabetes mellitus) in der Lage den Anforderungen zum Führen eines Kraftfahrzeuges der Gruppe 1 und Gruppe 2 gerecht zu werden?
2. Liegt eine ausreichende Compliance vor und wird diese auch umgesetzt (Adhärenz)?
3. Sind Beschränkungen und/oder Auflagen erforderlich, um den Anforderungen an das Führen eines Kraftfahrzeuges (je Fahrerlaubnisklassengruppe) gerecht zu werden?
4. Ist bzw. sind insbesondere (eine) fachlich einzelfallbegründete Auflage(n) nach Anlage 4 (z. B. ärztliche Kontrolle) erforderlich? In welchem zeitlichen Abstand und wie lange? Was soll regelmäßig kontrolliert und attestiert werden? Sind die Ergebnisse der Fahrerlaubnisbehörde vorzulegen; wenn ja, warum?
5. Ist eine fachlich einzelfallbegründete (je Fahrerlaubnisklassengruppe) Nachuntersuchung i. S. einer erneuten (Nach-)Begutachtung erforderlich? In welchem zeitlichen Abstand?“
Der Antragsteller stimmte der Begutachtung mit Schreiben vom 7. Januar 2020 zu. Das Landratsamt übermittelte die Unterlagen des Antragstellers daraufhin am 8. Januar 2020 an den TÜV Thüringen. Die Akten wurden mit Schreiben vom 20. Januar 2020 an das Landratsamt mit dem Vermerk, dass eine Untersuchung nicht stattgefunden habe, zurückgeschickt.
Nach schriftlicher Anhörung zur Entziehung der Fahrerlaubnis vom 10. Februar 2020 sprach der Antragsteller am 21. Februar 2020 beim Landrat des Landratsamtes vor. Hierbei wies er darauf hin, dass die Begutachtung für ihn zu teuer sei.
Unter dem 26. Februar 2020 teilte der Bevollmächtigte des Antragstellers dem Landratsamt mit, dass der Antragsteller zu einer Begutachtung bereit sei und bat um erneute Übersendung der Unterlagen an eine Begutachtungsstelle. Am 9. März 2020 übermittelte der Bevollmächtigte des Antragstellers dem Landratsamt die Zustimmungserklärung für eine Begutachtung.
Mit Bescheid vom 9. März 2020 entzog das Landratsamt dem Antragsteller die Fahrerlaubnis der Fahrerlaubnisklasse 3 (Ziffer 1). Der Antragsteller habe seinen Führerschein innerhalb einer Woche nach Zustellung des Bescheids bei der Führerscheinstelle des Landratsamts abzugeben (Ziffer 2). Im Fall der Nichtbefolgung der Verpflichtung in Ziffer 2 werde ein Zwangsgeld in Höhe von 300,00 EUR zur Zahlung fällig (Ziffer 3). In Ziffer 4 wurde der Sofortvollzug der Ziffern 1 und 2 angeordnet. Dem Antragsteller wurden die Kosten des Verfahrens in Form einer Gebühr in Höhe von 200,00 EUR und einer Auslage in Höhe von 4,11 EUR auferlegt (Ziffer 5).
Zur Begründung führte das Landratsamt aus, dass sich der Antragsteller als ungeeignet zum Führen von Kraftfahrzeugen erwiesen habe, sodass das Landratsamt verpflichtet gewesen sei ihm die Fahrerlaubnis zu entziehen (§ 3 Abs. 1 und Abs. 2 StVG, § 46 Abs. 1 FeV). Der Antragsteller habe ein nach § 11 Abs. 2 FeV gefordertes Gutachten nicht fristgerecht beigebracht, sodass das Landratsamt nach § 11 Abs. 8 FeV auf die Nichteignung des Antragstellers zum Führen eines Kraftfahrzeuges habe schließen dürfen. Die dem Antragsteller gesetzte Frist zur Beibringung des Gutachtens sei angemessen lange gewesen. Der Führerschein sei innerhalb von einer Woche beim Landratsamt abzuliefern (§ 47 Abs. 1 FeV). Die Zwangsgeldandrohung beruhe auf Art. 29, 30, 31 und 36 BayVwZVG. Der sofortige Vollzug dieses Bescheides werde im öffentlichen Interesse angeordnet, denn es sei nicht mit der Verkehrssicherheit vereinbar, dass eine Person, die zum Führen von Kraftfahrzeugen ungeeignet sei, am Straßenverkehr teilnehme. Der sofortige Schutz der übrigen Verkehrsteilnehmer überwiege das Interesse des Antragstellers am Gebrauch seiner Fahrerlaubnis bis zum rechtskräftigen Abschluss des Erziehungsverfahrens.
Mit Schriftsatz vom 23. März 2020 erhob der Antragsteller durch seinen Bevollmächtigten Klage (Az.: …*) und beantragte,
Die aufschiebende Wirkung der Klage wird angeordnet.
Der angefochtene Bescheid sei rechtswidrig. Das gegen den Antragsteller eingeleitete Verfahren wegen des Verkehrsunfalls vom 16. April 2019 sei von der Staatsanwaltschaft … eingestellt worden. Der darin enthaltene Vorwurf habe nicht das Geringste mit einer Fahreignung des Antragstellers zu tun. Eine Diabeteserkrankung beeinträchtige das Führen eines Pkws zudem regelmäßig nicht. Unabhängig davon habe das Diabeteszentrum … bescheinigt, dass keine Einwände gegen die Fahrerlaubnis des Antragstellers bestünden. Der Antragsteller leide bereits seit dem Jahr 2009 an der Erkrankung, ohne dass es zu irgendwelchen Problemen gekommen sei, die auf eine mangelnde Fahreignung hingedeutet hätten. Zudem habe sich der Antragsteller bereit erklärt die gewünschte Untersuchung durchführen zu lassen. Damit hätte eine derartige einschneidende Maßnahme wie die Entziehung der Fahrerlaubnis nicht stattfinden dürfen.
Unter dem 1. April 2020 legte das Landratsamt vorab die Behördenakten vor. Mit Schriftsatz vom 30. März 2020 – Eingang bei Gericht am 14. April 2020 – beantragte das Landratsamt den Antrag abzulehnen.
Zur Begründung führte das Landratsamt aus, dass der Ausgang des staatsanwaltschaftlichen Ermittlungsverfahrens für die Prüfung der Fahreignung durch die Fahrerlaubnisbehörde unerheblich sei. Ein Verwertungsverbot des Strafverfahrens habe außerdem durch die Einstellung nicht vorgelegen. Der Antragsteller sei mit Schreiben vom 30. Oktober 2019 dazu aufgefordert worden Befundberichte über seine fahreignungsrelevanten Erkrankungen vorzulegen. Dies sei geschehen, um zu prüfen, ob auf eine verkehrsmedizinische Begutachtung hinsichtlich der fahreignungsrelevanten Erkrankungen verzichtet werden könne. Für den Antragsteller sei die Vorlage von Befundberichten zumutbar gewesen. Es sei nur ein fachärztliches Attest bezüglich der Diabetes mellitus Erkrankung vorgelegt worden. Befundberichte über die Diabetes mellitus Erkrankung sowie über die diabetische Polyneuropathie seien trotz Aufforderung nicht beigebracht worden. Die Anordnung der ärztlichen Begutachtung zur Klärung, ob die Kraftfahreignung des Antragstellers beeinträchtigt sei, sei erforderlich gewesen, da dies durch weniger einschneidende Mittel wie die Vorlage von aktuellen Befundberichten nicht habe geklärt werden können. Insbesondere sei hierbei berücksichtigt worden, dass sich aus dem Diabetes mellitus eine diabetische Polyneuropathie, die ihre Ursache in der Regel in einer schlechten Einstellung des Blutzuckers habe, entwickelt habe. Diabetes mellitus sowie diabetische Polyneuropathie seien Krankheiten, welche nach Nrn. 5, 5.6 i. V. m. Nr. 6.2 der Anlage 4 zur FeV die Fahreignung in Frage stellen könnten. Eine genauere Beurteilung der Art und des Ausmaßes der Erkrankungen habe aufgrund der nicht vorgelegten Befundberichte nicht erfolgen können, sodass Fahreignungszweifel bestanden hätten. Auch die Polyneuropathie, die zu Störungen des Tast- und Berührungsempfindens führen könne, habe die Zweifel an der Fahreignung verstärkt, sodass das nach § 11 Abs. 2 FeV eingeräumte Ermessen auf nahezu Null reduziert gewesen sei. Nachdem der Antragsteller seiner Mitwirkungspflicht nicht nachgekommen sei, habe auf seine Ungeeignetheit zum Führen von Kraftfahrzeugen geschlossen werden dürfen (§ 11 Abs. 8 FeV). Die Unaufklärbarkeit der berechtigten Zweifel an der Fahreignung würden zulasten dessen gehen, der der ihm obliegenden Mitwirkungspflicht nicht nachgekommen sei. Sinn der Gutachtensaufforderung sei die Abklärung von Fahreignungszweifeln, sodass die Behörde strenge Anforderungen an eine fristgerechte Gutachtenvorlage zu stellen habe. Die dem Antragsteller gewährte Frist sei objektiv ausreichend gewesen, um ein Gutachten beizubringen. Das Fristversäumnis des Antragstellers beruhe auch nicht auf objektiven Hinderungsgründen, sodass eine Fristverlängerung nicht möglich gewesen wäre. Möglicherweise eintretende nachteilige Belange des Fahrerlaubnisinhabers, vor allem finanzieller Art, könnten im Verfahren aufgrund der Sicherheit des Straßenverkehrs nicht berücksichtigt werden. Der sofortige Schutz der Sicherheit des Straßenverkehrs und der Sicherheit der Verkehrsteilnehmer vor ungeeigneten Kraftfahrern überwiege das Aussetzungsinteresse des Antragstellers.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird entsprechend § 117 Abs. 3 Satz 2 VwGO auf den Inhalt der Gerichts- und Behördenakten – auch im Verfahren B 1 K 20.292 – Bezug genommen.
II.
1. Der Antragsteller begehrt die Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung seiner Klage gegen den Bescheid vom 9. März 2020. Die Auslegung des Wortlauts des gestellten Antrags (§ 122 Abs. 1, § 88 VwGO) ergibt, dass der Antragsteller nur die Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung seiner Klage gegen die Ziffern 1 und 2 des streitgegenständlichen Bescheides, nicht jedoch die Anordnung der aufschiebenden Wirkung bezüglich der Zwangsgeldandrohung in Ziffer 4 des Bescheids, begehrt.
2. Der Antrag auf Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung der Klage hat in der Sache Erfolg.
Gemäß § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO kann das Gericht auf Antrag die aufschiebende Wirkung eines Rechtsbehelfs ganz oder teilweise wiederherstellen/anordnen bzw. die Vollziehung des Bescheids aussetzen. Bei der Entscheidung hat das Gericht eine eigene Ermessensentscheidung zu treffen, bei der entsprechend § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 VwGO das Interesse der Allgemeinheit an der sofortigen Vollziehung gegen das Interesse des Betroffenen an der aufschiebenden Wirkung abzuwägen ist. Dabei sind auch die überschaubaren Erfolgsaussichten des Rechtsbehelfs zu berücksichtigen. Bei Zugrundelegung dieser Maßstäbe ist dem vorliegenden Antrag stattzugeben, da die Klage des Antragstellers nach summarischer Überprüfung aller Voraussicht nach Erfolg haben wird. Das Interesse des Antragstellers an der Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung seiner Klage wiegt insoweit schwerer als das öffentliche Interesse an der sofortigen Vollziehung des angefochtenen Bescheides.
a. Die Anordnung der sofortigen Vollziehung genügt den (formalen) Anforderungen des § 80 Abs. 3 Satz 1 VwGO. Nach der ständigen Rechtsprechung der Kammer und des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs reicht es bei einer Fahrerlaubnisentziehung aus, die für den Fall typische Interessenlage aufzuzeigen; die Darlegung besonderer zusätzlicher Gründe für die Erforderlichkeit der sofortigen Vollziehung ist nicht geboten (so z.B. BayVGH, B.v. 10.10.2011 – 11 CS 11.1963; B.v. 24.8.2010 – 11 CS 10.1139; B.v. 25.5.2010 – 11 CS 0.227; VGH BW, B.v. 24.1.2012 – 10 S 3175/11 – juris). Dem werden die Ausführungen in der Begründung des Bescheides gerecht. So stellte das Landratsamt zu Recht auf die Sicherheit des öffentlichen Straßenverkehrs und die Sicherheit der Rechtsgüter anderer Verkehrsteilnehmer als typische Interessenlage ab.
b. Die in Ziffer 1 des angegriffenen Bescheids verfügte Entziehung der Fahrerlaubnis des Antragstellers erweist sich bei summarischer Prüfung als rechtswidrig und verletzt den Antragsteller dadurch in seinen Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).
Nach § 3 Abs. 1 Satz 1 StVG i. V. m. § 46 Abs. 1 Satz 1 FeV hat die Fahrerlaubnisbehörde die Fahrerlaubnis zu entziehen, wenn sich deren Inhaber als ungeeignet zum Führen von Kraftfahrzeugen erweist. Werden Tatsachen bekannt, die Bedenken gegen die Eignung des Fahrerlaubnisinhabers zum Führen von Kraftfahrzeugen begründen, finden gemäß § 46 Abs. 3 FeV die §§ 11 bis 14 FeV entsprechend Anwendung. Nach § 11 Abs. 1 Satz 1 FeV muss ein Kraftfahrzeugführer die zur Erteilung der Fahrerlaubnis notwendigen körperlichen und geistigen Anforderungen erfüllen. Nach Nr. 5 der Anlage 4 zur FeV und Nr. 3.5 der Begutachtungsleitlinien zur Kraftfahreignung sowie Nr. 5.6 i. V. m. Nr. 6.2 der Anlage 4 zur FeV besteht bei den Erkrankungen Diabetes mellitus und diabetischer Polyneuropathie in bestimmten Fallkonstellationen die Möglichkeit, dass die Kraftfahreignung zum Führen von Fahrzeugen der Gruppe 1 bzw. der Gruppe 2 nicht gegeben ist. Gemäß § 11 Abs. 2 Satz 2 und Satz 3 Nr. 5 FeV kann zur Klärung von Eignungszweifeln angeordnet werden, dass ein Gutachten von einem Arzt in einer Begutachtungsstelle für Fahreignung, der die Anforderungen nach Anlage 14 erfüllt, beizubringen ist. Diese Möglichkeit besteht insbesondere dann, wenn Tatsachen bekannt werden, die auf eine Erkrankung oder einen Mangel nach Anlage 4 oder 5 hinweisen. Weigert sich der Betroffene, sich untersuchen zu lassen oder bringt er der Fahrerlaubnisbehörde das von ihr geforderte Gutachten nicht fristgerecht bei, so darf sie bei ihrer Entscheidung gemäß § 11 Abs. 8 Satz 1 FeV auf die Nichteignung des Betroffenen schließen. Der Fahrerlaubnisbehörde steht dabei kein Ermessen zu (vgl. BayVGH, B.v. 14.11.2011 – 11 CS 11.2349 – juris Rn. 47 m. w. N.).
Nach ständiger Rechtsprechung ist die Anordnung zur Beibringung eines Gutachtens nicht selbstständig rechtlich anfechtbar, da es sich hierbei um keinen Verwaltungsakt handelt, sondern um eine, der eigentlichen Entscheidung vorausgehende und diese vorbereitende Maßnahme zur Sachverhaltsaufklärung. Die Rechtmäßigkeit der Aufforderung wird nur inzident gerichtlich geprüft (vgl. BVerwG, U.v. 17.11.2016 – 3 C 20/15 – juris Rn. 17 f.). Daher ist der Schluss auf die Nichteignung dann zulässig, wenn die Anordnung des Gutachtens formell und materiell rechtmäßig, insbesondere anlassbezogen und verhältnismäßig ist und der Fahrerlaubnisinhaber auf die Rechtsfolgen des § 11 Abs. 8 FeV in der Gutachtensaufforderung hingewiesen wurde. Die Frist muss zudem so bemessen sein, dass dem Betroffenen die Gutachtensbeibringung möglich und zumutbar ist (vgl. BVerwG, U.v. 9.6.2005 – 3 C 25.04 – DAR 2005, 581; BayVGH, B.v. 25.6.2008 – 11 ZB 08.1123 – juris; B.v. 17.4.2019 – 11 CS 19.24 – juris Rn. 17; B.v. 5.6.2009 – 11 CS 09.69 – juris Rn. 13; VG Bayreuth, B.v. 15.8.2018 – B 1 S 18.724 – juris Rn. 30; Hentschel/König/Dauer, Straßenverkehrsrecht, 45. Auflage 2019, § 11 FeV Rn. 51 f.).
Die Begutachtungsaufforderung vom 27. November 2019 erweist sich zwar als formell rechtmäßig, sie ist jedoch nicht verhältnismäßig.
aa. Die Begutachtungsaufforderung entspricht den formellen Anforderungen des § 11 Abs. 6 Satz 2 und Abs. 8 Satz 2 FeV. Insbesondere die gesetzte Frist (§ 11 Abs. 6 Satz 2 FeV) zur Beibringung des Gutachtens war ausreichend bemessen. Die Beibringungsfrist muss so bemessen sein, dass es dem Betreffenden unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls möglich ist, der Aufforderung der Behörde nachzukommen. Dem Antragsteller wurden ca. zwei Monate zur Beibringung eines Gutachtens gegeben. Innerhalb dieser Zeit wäre es ihm möglich gewesen ein Gutachten erstellen zu lassen und vorzulegen. Die rechtzeitige Beibringung des Gutachtens wurde vom Antragsteller, der sich, trotz Zustimmung zur Begutachtung am 7. Januar 2020 und anschließender Übermittlung seiner Unterlagen an die Begutachtungsstelle durch das Landratsamt, nicht hat begutachten lassen, verhindert. Dass der Antragsteller sich weit nach Ablauf der Frist (6. Februar 2020) mit Schriftsatz vom 26. Februar 2020 bzw. 9. März 2020 zu einer Begutachtung bereit erklärt hat, ist für die gesetzte Frist unerheblich, insbesondere da der Bevollmächtigte des Antragstellers es versäumt hat einen Fristverlängerungsantrag unter Darlegung sachlicher Gründe für die Säumnis zu stellen. Das vom Antragsteller gegenüber dem Landrat vorgetragene finanzielle Unvermögen ist nach der Rechtsprechung grundsätzlich kein ausreichender Grund, ein gefordertes Gutachten zu verweigern. Denn grundsätzlich sind dem Betroffenen die Gutachterkosten zuzumuten wie allgemein die Kosten, die zum verkehrssicheren Führen eines Kraftfahrzeuges notwendig sind. Nur unter ganz besonderen Umständen sind Ausnahmen möglich (vgl. BVerwG vom 12.3.1985, NJW 1985, 2490; BayVGH, B.v. 3.4.2007 – 11 C 07.331 – juris Rn. 17). Dazu ist eine lückenlose Offenlegung der persönlichen und wirtschaftlichen Lage erforderlich; weiter ist zu verlangen, dass der Betroffene alle Möglichkeiten ausschöpft, um die einer Begutachtung entgegenstehenden finanziellen Hemmnisse auszuräumen, etwa Ratenzahlung/Stundungen (vgl. BayVGH, B.v. 7.11.2006 – 11 ZB 05.3034). Der Antragsteller hat diesbezüglich gegenüber dem Landratsamt pauschal den Einwand der finanziellen Belastung durch die Begutachtungskosten dargelegt. Eine lückenlose Offenlegung seiner persönlichen und wirtschaftlichen Lage fand jedoch nicht statt. Auch die Bereitschaft zur Ratenzahlung oder Stundung der Begutachtungskosten wurde von Seiten des Antragstellers offensichtlich nicht abgeklärt.
bb. Die Beibringungsaufforderung ist zwar anlassbezogen, jedoch nicht verhältnismäßig.
Ein Anlass liegt dann vor, wenn hinreichend konkrete Tatsachen, nicht nur ein vager Verdacht, bestehen, die die im Gutachten gestellte Fragestellung rechtfertigen. Ausreichend sind insoweit alle Tatsachen, die den nachvollziehbaren Verdacht rechtfertigen, es könne eine Ungeeignetheit zum Führen eines Kraftfahrzeuges vorliegen. Ob die vorhandenen Anknüpfungstatsachen einen solchen Verdacht begründen, beurteilt sich nach den gesamten Umständen des jeweiligen Einzelfalls. Die Anforderung der ärztlichen Untersuchung zur Überprüfung der Fahreignung muss sich auf solche Mängel beziehen, die bei vernünftiger lebensnaher Einschätzung die ernsthafte Besorgnis begründen, dass der Betroffene sich als Führer eines Kraftfahrzeugs nicht verkehrsgerecht und umsichtig verhalten wird, was ausschließt, bereits jeden Umstand, der auf die entfernt liegende Möglichkeit eines Eignungsmangels hindeutet, als hinreichenden Grund für die Anforderung eines ärztlichen Gutachtens anzusehen (so. BayVGH, B.v. 2.7.2013 – 11 CS 13.1064 – juris Rn. 15; B.v. 5.6.2009 – 11 CS 09.69 – juris Rn.16).
Die beim Antragsteller diagnostizierte Diabetes mellitus Erkrankung ist an sich bereits eine Tatsache, die den Verdacht eines Fahreignungsmangels nach Nr. 5 der Anlage 4 zur FeV begründet. Der Antragsteller nimmt zudem das Medikament Glimepirid gegen diese Erkrankung ein, sodass nach Nr. 5.4 der Anlage 4 zur FeV eine Fahreignung bei medikamentöser Therapie mit hohem Hypoglykämierisiko für die Gruppe 1 nur bei ungestörter Hypoglykämiewahrnehmung und für die Gruppe 2 nur bei guter Stoffwechselführung ohne schwere Unterzuckerung über drei Monate sowie ungestörter Hypoglykämiewahrnehmung gegeben ist. Diabetische Polyneuropathie ist eine Folgeerkrankung des Diabetes, die Zweifel an der Fahreignung des Antragstellers aufgrund eines Mangels nach Nr. 5.6 i. V. m. Nr. 6.2 der Anlage 4 zur FeV begründen kann. Allein das Vorliegen der beiden Erkrankungen begründet den Verdacht eines Fahreignungsmangels und stellt eine Tatsache im Sinne des § 11 Abs. 2 Satz 1 FeV dar (vgl. BayVGH, B.v. 3.5.2017 – 11 CS 17.312 – juris Rn. 16). Die Erkrankungen und deren medikamentöse Behandlung ergeben sich aus einem durch den Antragsteller ausgefüllten Gesundheitsfragebogen sowie einem Medikamentenplan. Die Vorlage eines Gesundheitsfragebogens durfte vom Landratsamt aufgrund des Polizeiberichts vom 23. Mai 2019 gefordert werden, da sich aus diesem Bericht eine Schwerhörigkeit des Antragstellers ergab, die fahreignungsrelevant sein kann (Nr. 1 der Anlage 4 zur FeV i. V. m. Anlage 6 zur FeV). Die Einstellung des Ermittlungsverfahrens wegen des Verdachts der Unfallflucht führt nicht dazu, dass eine Abklärung des Gesundheitszustandes des Antragstellers nicht hätte stattfinden dürfen. Bei der Überprüfung der Fahreignung eines Kraftfahrzeugführers handelt es sich um ein präventives Verfahren zur Gewährleistung der Sicherheit des Straßenverkehrs. Dieses präventive Verfahren ist vom repressiven Strafverfolgungsverfahren unabhängig. Zudem hat der Antragsteller den Gesundheitsfragebogen und den Medikamentenplan vorgelegt, sodass diese auch unabhängig von einer rechtmäßigen Anordnung zu deren Beibringung verwertbar wären (vgl. zur Verwertbarkeit eines vorgelegten Gutachtens z. B. BayVGH, B.v. 3.8.2016 – 11 CS 16.1185 – juris Rn. 25).
Die Anordnung zur Beibringung eines ärztlichen Gutachtens ist jedoch unverhältnismäßig, da die vom Landratsamt im Vorfeld abgeklärten Tatsachen die Beibringung eines medizinischen Gutachtens zumindest bezüglich der Diabetes mellitus Erkrankung nicht erforderlich machten.
Bei der Diabetes mellitus Erkrankung des Antragstellers ist zu berücksichtigen, dass bereits die Differenzierungen in den Nrn. 5.1 bis 5.5 der Anlage 4 zur FeV, die mit der Nr. 3.5 der Begutachtungsleitlinien zur Kraftfahreignung, Bundesanstalt für Straßenverkehrswesen, Stand 31.12.2019 – Begutachtungsleitlinien – übereinstimmen, zeigen, dass gut eingestellte und geschulte Menschen mit Diabetes Fahrzeuge beider Gruppen sicher führen können. Die Gefährdung der Verkehrssicherheit geht beim Diabetes mellitus in erster Linie vom Auftreten einer Hypoglykämie mit Kontrollverlust, Verhaltensstörungen oder Bewusstseinsstörungen aus. Eine ungestörte Hypoglykämiewahrnehmung ist grundsätzliche Voraussetzung für die Fahreignung. Zur Begründung hierzu wird in den Begutachtungsleitlinien (S. 33) ausgeführt, dass die Mehrzahl der Menschen mit Diabetes die Anforderungen an das sichere Führen beider Gruppen erfülle. Die Fahreignung könne jedoch eingeschränkt oder ausgeschlossen sein, wenn durch unzureichende Behandlung, durch Nebenwirkungen der Behandlung oder durch Komplikationen der Erkrankung verkehrsgefährdende Gesundheitsförderungen bestehen oder zu erwarten sind. Diese Menschen mit Diabetes bedürften der individuellen Beurteilung in der Frage, ob ihre Fähigkeiten den Mindestanforderungen zum Führen von Kraftfahrzeugen entsprächen.
Bei der Prüfung der Frage, ob die Beibringung eines ärztlichen Gutachtens hinsichtlich einer Erkrankung anzuordnen ist, die wie Diabetes mellitus in einer Mehrzahl oder Vielzahl der Fälle eine Fahrungeeignetheit nicht begründet, gebietet der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit, dass sich die Fahrerlaubnisbehörde vorher Kenntnisse über Tatsachen verschafft, die ausreichende Anhaltspunkte dafür begründen können, dass eine Ungeeignetheit nach einer der Unternummern der Nr. 5 der Anlage 4 zur FeV – hier Nr. 5.4 der Anlage zur FeV – vorliegen könnte. Hierbei soll nach den Begutachtungsleitlinien (S. 33) insbesondere abgeklärt werden, wie viele fremdhilfebedürftige Hypoglykämien in den vergangenen zwölf Monaten zu verzeichnen waren, ob der Patient Unterzuckerungen erkennt und hierauf adäquat reagieren kann, ob bzw. in welchem Umfang der Patient selbst Kontrollmessungen vornimmt, ob der Patient über die besonderen Risiken einer Unterzuckerung im Straßenverkehr aufgeklärt und informiert ist, ob der Patient seinen Stoffwechselverlauf dokumentiert und ob bzw. durch welche Maßnahmen der Patient im Umgang mit seiner Diabeteserkrankung hinreichend geschult ist. Wird eine solche Vorabklärung vorgenommen, kann sich, da die Mehrzahl der Menschen mit Diabetes fahrgeeignet ist, ergeben, dass eine weitere ärztliche Untersuchung und ein ärztliches Gutachten nicht erforderlich sind. Eine solche Notwendigkeit ergibt sich nur, wenn der Betroffene nicht hinreichend mitwirkt oder wenn aufgrund seiner Auskünfte und der vorgelegten ärztlichen Atteste noch Bedenken bestehen oder Zweifel an der Richtigkeit der vom Betroffenen gegebenen Auskünfte oder der von den behandelnden Ärzten ausgestellten Atteste bestehen. Gegebenenfalls kann zur Beurteilung dieser Frage, ob noch Zweifel verbleiben, auch das Gesundheitsamt bzw. die Gesundheitsabteilung der Behörde eingeschaltet werden (vgl. BayVGH, B.v. 3.5.2017 – 11 CS 17.312 – juris Rn. 19 ff.).
Die Aufforderung zur Beibringung eines Gutachtens war im Hinblick auf die Diabetes mellitus Erkrankung nicht verhältnismäßig, da der Antragsteller seiner Mitwirkungspflicht nachgekommen ist (vgl. (1)) und das Landratsamt, soweit weitere Bedenken an der Fahreignung bestanden, zuvor nochmals den Antragsteller zur Ergänzung seiner bisher vorgelegten Atteste hätte auffordern müssen (unter (2)).
(1) Der Antragsteller kam seiner Mitwirkungspflicht zumindest hinsichtlich der Diabetes mellitus Erkrankung hinreichend nach, sodass die Gutachtensaufforderung im vorliegenden Verfahrensstadium diesbezüglich nicht notwendig war. Hierbei ist zu berücksichtigen, dass es im Rahmen eines Entziehungsverfahrens Sache der Fahrerlaubnisbehörde ist, die Tatsachen zu ermitteln, die Zweifel an der Fahreignung rechtfertigen. Der Betroffene ist grundsätzlich nur verpflichtet, an der Aufklärung von aus bekannten Tatsachen resultierenden Eignungszweifeln mitzuwirken. Es ist nicht Sache des Fahrerlaubnisinhabers, Zweifel an seiner Fahreignung auszuräumen, sondern Sache der Behörde aufzuklären, ob tatsächlich eine Ungeeignetheit besteht (vgl. BayVGH, B.v. 17.2.2020 – 11 CS 19.2518 – juris Rn. 22 m. w. N.).
Der Antragsteller legte ein ärztliches Attest seiner Diabetologin Frau Dr. med. L. vom 7. November 2019 vor, um die aufgrund der Diagnose Diabetes mellitus bestehenden Fahreignungszweifel aufzuklären. Die Begutachtungsaufforderung vom 27. November 2019 stützt sich maßgeblich auf die bestehenden Grunderkrankungen (Diabetes mellitus und diabetische Polyneuropathie) und darauf, dass der Antragsteller keine Befundberichte, auch in Bezug auf die Diabetes mellitus Erkrankung, vorgelegt hat. Das Landratsamt hat in seiner Beibringungsaufforderung ausdrücklich einen Befundbericht verlangt (ohne dass sich hieraus konkrete Anforderungen an die zu beantworteten Fragen entnehmen ließen), während die Diabetologin Frau Dr. med. L. eine mit „Attest“ überschriebene Bestätigung vorlegte. Das Landratsamt hat bei der Aufforderung zur Vorlage der Befundberichte jedoch nicht hinreichend deutlich gemacht, welche Fragen durch diese Befundberichte abgeklärt werden sollen. Zumindest der Antragsteller konnte aus der Aufforderung vom 30. Oktober 2019 nicht hinreichend genau erkennen, welche Inhalte die geforderten Befundberichte aufweisen sollen. Zieht man die Reglungen der Gebührenordnung für Ärzte – GOÄ – zur Abgrenzung der Begriffe Attest und Befundbericht heran, so handelt es sich bei einem einfachen Befundbericht (Nr. 70 GOÄ) um eine kurze Bescheinigung, ein kurzes Zeugnis (vergleichbar mit einer Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung oder einer Anwesenheitsbescheinigung), während demgegenüber ein ausführlicher Befundbericht (Nr. 75 GOÄ) Angaben zur Anamnese, zu dem(n) Befund(en), zur epikritischen Bewertung und gegebenenfalls zur Therapie enthält (vgl. hierzu ausführlich Deutsches Ärzteblatt, Heft 26 (1.7.2005), S. A-1909; https: …www.bundes aerztekammer.de/aerzte/gebuehrenordnung/goae-ratgeber/abschnitt-b-grundleistungen-und-allgemeine-leistungen/abgrenzung-70-75-80/). Für einen medizinischen Laien ist der Unterschied zwischen ärztlichem Attest und Befundbericht – auch mangels Auflistung der abzuklärenden Fragen – nicht erkennbar, sodass es dem Antragsteller auch im Hinblick auf die Diabetes mellitus Erkrankung nicht möglich gewesen wäre, seine Ärztin darauf hinzuweisen, dass das von ihr ausgestellte Attest nicht dem geforderten Befundbericht entspricht und dass gewisse Inhalte fehlen würden. Selbst wenn die behandelnde Ärztin Frau Dr. med. L. ihr Schreiben mit Attest bezeichnet hat, geht dessen Inhalt zudem offensichtlich über den eines bloßen Attests hinaus. Jedenfalls dürfte weder der Antragsteller erkannt haben, dass die getroffenen Feststellungen unzureichend sind, noch dürfte für die behandelnde Ärztin aufgrund einer nicht eindeutigen Fragestellung klar gewesen sein, welche konkreten, über die getroffenen Feststellungen hinaus erforderlichen Angaben noch zu machen seien, zumal die grundsätzlich bei einer Diabetes Erkrankung zu prüfenden Punkte im Attest von ihr erörtert wurden (hierzu (2)). Auf die Bezeichnung „Attest“ allein kann nicht abgestellt werden. Dem Antragsteller kann daher nicht vorgehalten werden, dass er seiner Mitwirkungspflicht nicht nachgekommen ist, mit der Folge, dass ohne weitere Ermittlungen ein ärztliches Gutachten nicht gefordert werden konnte.
(2) Soweit das ärztliche Attest hinsichtlich der Diabetes mellitus nach Ansicht der Behörde unvollständig oder fehlerhaft war, hätte sie den Antragsteller als milderes Mittel zu einer Nachbesserung oder Ergänzung auffordern müssen.
Bezüglich der Diabetes Erkrankung übersandte der Antragsteller dem Landratsamt das ärztliche Attest der Frau Dr. med. L. vom 7. November 2019. In diesem Attest bestätigte die Ärztin, dass der Antragsteller alle 12 Wochen zu den Kontrolluntersuchungen komme und versichere, dass er Selbstmessungen durchführe, Insulininjektionen gemäß den in der Schulung vermittelten Einheiten ausführe und geeignete Maßnahmen ergreife, um Unterzuckerung zu vermeiden. Eine gehäufte Unterzuckerneigung liege nicht vor. Bedenken bezüglich der Fahreignung bestünden nicht. Zudem habe der Antragsteller vier Merkblätter zu Unterzucker und Kraftverkehr erhalten. Mag es sich bei dem Attest auch um ein vorgefertigtes Formblatt handeln, das von der Diabetologin ausgefüllt wurde (der Antragsteller injiziert sich offensichtlich kein Insulin), so hat der Antragsteller hierdurch trotzdem belegt, dass er Kontrollmessungen vornimmt, an diabetischen Schulungen teilnimmt, keine Unterzuckerung aufweist und gegen Unterzuckerung (auch im Zusammenhang mit dem Kraftverkehr) sensibilisiert wurde und notfalls geeignete Maßnahmen hiergegen ergreifen kann. Die von den Begutachtungsleitlinien vorgesehenen Vorfragen wurden durch das ärztliche Attest vom 7. November 2019 beantwortet. Die Auskünfte der Fachärztin lassen keine Hypoglykämie, die maßgeblich für das Bestehen von Fahreignungszweifeln nach Nr. 5.4 der Anlage 4 zur FeV (bezüglich beider Gruppen) ist, beim Antragsteller erkennen. Auch weitere Tatsachen, die auf ein erhöhtes Hypoglykämierisiko beim Antragsteller hindeuten, lagen nicht vor. Da sich aus dem vorgelegten Attest die Zweifel an der Ungeeignetheit des Antragstellers zum Führen von Kraftfahrzeugen gerade nicht ergeben haben, hätte das Landratsamt, um den Rückschluss von der Diabetes mellitus Erkrankung auf eine Fahrungeeignetheit ziehen zu können, weitere Ermittlungen bezüglich des Gesundheitszustandes des Antragstellers anstellen müssen bzw. zumindest den Antragsteller darauf hinweisen müssen, welche Daten das ärztliche Attest im Vergleich zum geforderten Befundbericht nicht enthält, die jedoch für die Bewertung seiner Fahreignung im Hinblick auf die Diabetes mellitus Erkrankung noch notwendig wären. Das Landratsamt hätte sich zur Beurteilung der Notwendigkeit eines medizinischen Gutachtens auch an das Gesundheitsamt bzw. die Gesundheitsabteilung wenden können, um abzuklären, ob eine Fahreignung des Antragstellers bereits aufgrund der Angaben im ärztlichen Attest gegeben ist, oder ob und wenn ja welche, weiteren Unterlagen der Antragsteller zur Beurteilung dieser Frage noch vorlegen müsste.
cc. Seiner Mitwirkungspflicht ist der Antragsteller bezüglich der diabetischen Polyneuropathie nicht nachgekommen. Aufgrund des Schreibens vom 30. Oktober 2019 hätte der Antragsteller zumindest irgendwelche ärztlichen Unterlagen vorlegen müssen, was er offensichtlich nicht getan hat. Diesbezüglich war die Aufforderung zur Beibringung eines ärztlichen Gutachtens grundsätzlich möglich. Da sich die Gutachtensaufforderung vom 27. November 2019 jedoch sowohl auf die diabetische Polyneuropathie als auch auf die Diabetes Erkrankung stützte und die Fragestellung des Gutachtens nicht hinreichend trennbar ist, entspricht die Gutachtensaufforderung insgesamt nicht den Rechtmäßigkeitsanforderungen.
dd. Die Aufforderung zur Vorlage eines medizinischen Gutachtens war daher unverhältnismäßig, sodass sich eine Entziehung der Fahrerlaubnis nicht auf § 11 Abs. 8 Satz 1 FeV stützen durfte. Da eine Fahrungeeignetheit des Antragstellers auch nicht bereits nachgewiesen werden konnte, kann die Entziehung auch nicht auf § 11 Abs. 7 FeV gestützt werden und ist damit rechtswidrig.
c. Auch die Abgabeverpflichtung des Führerscheins (Ziffer 2) erweist sich bei summarischer Prüfung als rechtswidrig. Nachdem dem Antragsteller die Fahrerlaubnis zu Unrecht und sofort vollziehbar entzogen worden ist, ist die Abgabeverpflichtung als begleitende Anordnung, die ebenfalls sofort vollziehbar erklärt wurde, nicht geboten, da keine Ablieferungspflicht nach § 47 Abs. 1 FeV besteht.
3. Das Gericht weist darauf hin, dass durch die Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung der Klage die in Art. 19 Abs. 1 Nr. 3 VwZVG genannte Vollstreckungsvoraussetzung für die Durchsetzung der Zwangsgeldandrohung nicht gegeben ist.
4. Der Antragsgegner hat als unterliegende Partei die Kosten des Verfahrens nach § 154 Abs. 1 VwGO zu tragen.
5. Die Höhe des Streitwerts richtet sich nach § 63 Abs. 2 Satz 1, § 53 Abs. 2, § 52 Abs. 2 und Abs. 1 GKG in Verbindung mit Nr. 1.5, 46.2, 46.3 und 46.5 des Streitwertkataloges für die Verwaltungsgerichtsbarkeit 2013 (s. NVwZ-Beilage 2013, 57).