Medizinrecht

Wiedererteilung einer Fahrerlaubnis

Aktenzeichen  B 1 K 16.718

Datum:
20.10.2017
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2017, 151973
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Bayreuth
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
VwGO § 102 Abs. 2
StVG § 2 Abs. 2 S. 1 Nr. 3, Abs. 4 S. 1
FeV § 11
Anlage 4 zur FeV

 

Leitsatz

1. Mit einem ärztlichen Attest, das keinerlei Aussage darüber trifft, wie sich die darin genannten Beschwerden äußern und welche konkreten Auswirkungen sie auf das Befinden des Klägers haben, wird eine Reise- und Verhandlungsunfähigkeit nicht schlüssig dargelegt. (Rn. 15) (redaktioneller Leitsatz)
2. Ein vom Kläger vorgelegtes internistisches Gutachten genügt schon deshalb nicht den Anforderungen an den Nachweis der Fahreignung, wenn es sich ausdrücklich um eine Begutachtung nur auf internistischem Gebiet handelt und folglich die psychiatrisch-psychologische Fragestellungen nicht abdeckt.  (Rn. 22) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Der Kläger hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
3. Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar.

Gründe

1. Über die Klage konnte in Abwesenheit des Klägers verhandelt und entschieden werden. Dieser wurde zur mündlichen Verhandlung ordnungsgemäß geladen, im Ladungsschreiben war der Hinweis nach § 102 Abs. 2 VwGO enthalten.
Das am 19. Oktober 2017 um 11.54 Uhr bei Gericht eingegangene ärztliche Attest der Fachärztin S. kann nicht als ein Antrag des Klägers auf Terminsverlegung angesehen werden. Zwar darf vermutet werden, dass dieses Telefax mit Wissen und Wollen des Klägers an das Verwaltungsgericht gesendet worden ist, der damit verfolgte Zweck ist hingegen nicht eindeutig erkennbar. Inhalt des unkommentierten ärztlichen Attests ist, dass der Kläger reise- und verhandlungsunfähig sei, woraus der Schluss gezogen werden kann, dass er offensichtlich am 20. Oktober 2017 nicht zum Termin erscheinen werde. Wäre es dem Kläger um eine Verlegung des Termins gegangen, hätte von ihm als juristischen Laien verlangt werden können, dies dem Gericht explizit mitzuteilen, und sei es nur als kurzer Zusatz zu dem übermittelten Telefax der Ärztin. Eine telefonische Kontaktaufnahme mit dem Kläger am Vortag der mündlichen Verhandlung zur Abklärung war trotz mehrmaliger Versuche erfolglos.
Ergänzend ist auszuführen, dass das Attest der Fachärztin S. im Übrigen auch nicht geeignet gewesen wäre, eine Reise- und Verhandlungsfähigkeit schlüssig zu belegen. Denn insbesondere bei erst kurzfristig vor dem angesetzten Termin vorgelegten Attesten muss der Verhinderungsgrund so substantiiert dargelegt und untermauert sein, dass das Gericht auf der Grundlage der vorgelegten Unterlagen ohne weitere Nachforschungen in der Lage ist, die Frage der behaupteten Reise- bzw. Verhandlungsunfähigkeit selbst zu beurteilen (vgl. BayVGH, B.v. 27.07.2016 – 11 ZB 16.30121 -; B.v. 27.10.2006 – 2 ZB 05.1794B -). Dem genügt das Attest ersichtlich nicht, da es keinerlei Aussage darüber trifft, wie sich die darin genannten Beschwerden äußern und welche konkreten Auswirkungen sie auf das Befinden des Klägers haben. Zudem muss aus dem Verhalten des Klägers unmittelbar vor dem angesetzten Termin geschlossen werden, dass er bereits vor dem 19. Oktober 2017 nicht die Absicht hatte, zu erscheinen, nachdem es ihm offensichtlich nicht gelungen war, kurzfristig eine anwaltliche Vertretung zu erlangen.
2. Die Klage hat in der Sache keinen Erfolg. Der angefochtene Bescheid ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten, denn dieser hat keinen Anspruch auf Erteilung der von ihm beantragten Fahrerlaubnis (§ 113 Abs. 5 Satz 1 VwGO).
Nach § 20 Abs. 1 Satz 1 FeV gelten für die Neuerteilung einer Fahrerlaubnis nach vorangegangener Entziehung oder vorangegangenem Verzicht die Vorschriften für die Ersterteilung. Nach § 2 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 StVG besteht ein Anspruch auf Erteilung einer Fahrerlaubnis nur, wenn der Bewerber zum Führen von Kraftfahrzeugen geeignet ist. Das Bestehen der Fahreignung wird vom Gesetz mithin positiv als Voraussetzung für die Erteilung einer Fahrerlaubnis gefordert; solange Zweifel an der Fahreignung bestehen und sie nicht ausgeräumt sind, wirkt sich dies zu Lasten des Bewerbers aus. Hieraus folgt ferner, dass eine gerichtliche Verpflichtung des zuständigen Trägers öffentlicher Gewalt zur Erteilung einer Fahrerlaubnis nicht nur dann ausscheidet, wenn die Nichteignung einer Person erwiesen ist; ein Anspruch besteht auch dann nicht, so lange lediglich Eignungszweifel noch nicht ausgeräumt sind (vgl. BayVGH, B.v. 23.2.2010 – 11 CE 09.2812; B.v. 4.3.2016 – 11 ZB 15.2682 – juris m.w.N.). Es ist dabei Sache des Bewerbers, seine wiedergewonnene Fahreignung nachzuweisen, nicht ausräumbare Zweifel gehen zu seinen Lasten.
Nach § 2 Abs. 4 Satz 1 StVG sind Bewerber geeignet zum Führen von Kraftfahrzeugen, die die notwendigen körperlichen und geistigen Anforderungen erfüllen und nicht erheblich oder nicht wiederholt gegen verkehrsrechtliche Vorschriften oder Strafgesetze verstoßen haben, so dass dadurch die Eignung ausgeschlossen wird. Nach § 11 Abs. 2 Satz 1 FeV kann die Fahrerlaubnisbehörde die Beibringung eines ärztlichen Gutachtens anordnen, wenn Tatsachen bekannt werden, die Bedenken gegen die körperliche oder geistige Eignung begründen. Das ist insbesondere dann der Fall, wenn Erkrankungen oder Mängel nach den Anlagen 4, 5 oder 6 zur FeV vorliegen. Die Fahreignung bei psychischen Erkrankungen ist anhand Nr. 7 zur FeV zu beurteilen. Im Regelfall ungeeignet zum Führen von Kraftfahrzeugen ist danach, wer an einer affektiven Psychose (mit den Ausprägungen einer Manie oder einer schweren Depression) leidet (Anlage 4 Nr. 7.5 FeV). Nach Abklingen der Phasen kann die erforderliche Eignung für Fahrzeuge der Gruppe 1 dann angenommen werden, wenn nicht mit einem Wiederauftreten gerechnet werden muss, ggf. unter medikamentöser Behandlung, bzw. bei Symptomfreiheit für die Gruppe 2 (Nr. 7.5.2) oder wenn die Krankheitsaktivität geringer ist und mit einer Verlaufsform in der vorangegangenen Schwere nicht mehr gerechnet werden muss (Nr. 7.5.4 bezüglich der Gruppe 1, bei Gruppe 2 besteht keine Eignung). Eine akute schizophrene Psychose führt zur Nichteignung; nach Ablauf ist Fahreignung dann gegeben, wenn keine Störungen mehr nachweisbar sind, die das Realitätsurteil erheblich beeinträchtigen (Nr. 7.6.2). Bezüglich der Gruppe 2 besteht nur ausnahmsweise Eignung. Die Fahreignung bei Diabetes mellitus ist nur unter den in Nr. 5 zur FeV genannten Voraussetzungen gegeben.
Die Gutachtensanordnung setzt nicht voraus, dass das Vorliegen einer Erkrankung oder eines Mangels im Sinne der Anlage 4 zur FeV bereits feststeht. Die Beibringung des Gutachtens darf allerdings nur aufgrund konkreter Tatsachen und nicht auf einen bloßen Verdacht hin „ins Blaue hinein“ verlangt werden.
Die Fahrerlaubnisbehörde hat hier zu Recht die Vorlage eines ärztlichen Gutachtens nach § 11 Abs. 2 Nr. 5 FeV verlangt, da hinreichend gewichtige Tatsachen vorlagen und noch vorliegen, an der Fahreignung des Klägers zu zweifeln. Der freiwillige Verzicht auf die Fahrerlaubnis im Jahr 2014 belegt nicht eine damals bestehende und auch heute noch gegebene Eignung. Vielmehr ist der Kläger dadurch einem möglichen Entziehungsverfahren zuvor gekommen. Entgegen dem Vortrag des früheren Bevollmächtigten des Klägers ist der Kläger nicht geheilt aus dem Bezirksklinikum … entlassen worden. Nach diesem Aufenthalt hat er die für notwendig befundene Fortsetzung der psychiatrisch-psychologischen Behandlung unter neuroleptischer Medikation mit Olanzapin offensichtlich abgebrochen bzw. dem Landratsamt … die amtsärztlicherseits geforderten Nachweise nicht vorgelegt. Dass bloßer Zeitablauf ausreichend ist für den Nachweis einer Gesundung des Klägers und dass von einer Fahrgeeignetheit ausgegangen werden muss, widerspricht den ärztlichen Einschätzungen, die eine Weiterbehandlung für notwendig erachteten, was letztlich auch in Nrn 7.5 und 7.6 der Anlage 4 zur FeV zum Ausdruck kommt. Danach ist positiv festzustellen, dass mit einem Wiederauftreten der Krankheitsphasen nicht gerechnet werden muss bzw. dass keine Störungen mehr nachweisbar sind, die das Realitätsurteil erheblich beeinträchtigen.
Die Beibringung eines ärztlichen Gutachtens nach § 11 Abs. 2 FeV (nicht einer medizinisch-psychologischen Begutachtung nach § 11 Abs. 3 FeV, wie der frühere Bevollmächtigte des Antragstellers irrtümlicherweise annimmt) war nach den vorliegenden Gesamtumständen daher nicht zu beanstanden. Dabei bestimmt die Behörde nach § 11 Abs. 3 Satz 3 FeV, von welcher Stelle das ärztliche Gutachten zu erstellen ist. Da beim Kläger neben dem Diabetes mellitus auch eine Erkrankung aus dem psychiatrischen Formenkreis zur Abklärung anstand, war es nicht fehlerhaft, bei dieser Konstellation einen Arzt in einer Begutachtungsstelle für Fahreignung auszuwählen. Dieser hat anhand der unterschiedlichen Krankheitsbilder und ggf. unter Heranziehung von weiteren Fachärzten eine umfassende Beurteilung der Fahreignung abzugeben, die auch mögliche Wechselwirkungen unterschiedlicher Krankheitsbilder einbeziehen kann.
Das vom Kläger vorgelegte internistische Gutachten des Dr. B. genügt nicht den Anforderungen an den Nachweis der Fahreignung. Es handelt sich ausdrücklich um eine Begutachtung auf internistischem Gebiet und deckt folglich psychiatrisch-psychologische Fragestellungen nicht ab. Es erfüllt darüber hinaus aber vor allem nicht die Voraussetzungen des § 11 Abs. 6 FeV. Danach legt die Behörde die Fragestellungen im Hinblick auf eine Klärung der Fahreignung fest und übersendet dem Gutachter die vollständigen Unterlagen, der sodann anhand dieser Unterlagen und ggf. weiterer heranzuziehender relevanter Befunde oder der Hinzuziehung fachärztlicher Stellungnahmen eine gutachterliche Äußerung abgibt. Erst die Übersendung aller für die Beurteilung maßgeblichen Unterlagen versetzt den Gutachter in die Lage, ein ordnungsgemäßes Gutachten zu erstellen. Es liegt damit auf der Hand, dass das Gutachten des Dr. B. nicht geeignet ist, die Fahreignung des Klägers umfassend zu beurteilen. Denn Dr. B. hatte von der Vorgeschichte einschließlich der ärztlicherseits gestellten Diagnosen keine Kenntnis, er war als Internist auch nicht geeignet, medizinisch fundierte Stellungnahmen auf psychiatrisch-psychologischem Gebiet abzugeben und schließlich konnte er aufgrund der zeitlichen Komponente – eine von der Fahrerlaubnisbehörde zu formulierende – Fragestellung nach § 11 Abs. 6 FeV gar nicht beantworten, so dass er ein an den Maßstäben des § 11 FeV zu messendes Gutachten gar nicht erstellen konnte.
Gegen die Rechtmäßigkeit der Gutachtensanforderung bestehen auch unter dem Gesichtspunkt der ärztlicherseits festgestellten Diagnosen keine Bedenken. Zwar erging die Gutachtensanforderung des Landratsamts … noch auf der Grundlage des Arztbriefs des Klinikums …, während mittlerweile durch das Bezirksklinikum … das Krankheitsbild einer wahnhaften Störung nach ICD10 F22.0 diagnostiziert wurde. Diese Krankheitsbilder können jedoch allesamt die Fahreignung nach Anlage 4 Nr. 7 zur FeV in Frage stellen. Es bleibt in einem solchen Fall dem Gutachter vorbehalten, eine abschließende fachliche Einordnung möglicher psychischer Erkrankungen vorzunehmen und die Fahreignung daran zu messen.
Es bestand für das Gericht auch keine Veranlassung, gemäß § 86 VwGO durch Einholung eines – die gleichen Fragestellungen betreffenden – gerichtlichen Sachverständigengutachtens aufzuklären, ob mittlerweile von Fahrgeeignetheit auszugehen ist. Dies wäre evtl. dann in Betracht zu ziehen gewesen, wenn der Kläger vorsorglich seine Bereitschaft zu einer solchen Begutachtung erklärt hätte (vgl. OVG NRW, B.v. 02.02.1998 – 19 A 4638/97 -). Eine derartige Fallkonstellation ist aber nicht gegeben. Dem Kläger wurde im gerichtlichen Beschluss vom 15. März 2017 dargelegt, weshalb das Gutachten des Dr. B. nicht maßgeblich sein kann und weshalb es des von der Fahrerlaubnisbehörde geforderten ärztlichen Gutachtens bedarf.
Zur Wiedererlangung seiner Fahrerlaubnis kann dem Kläger nur angeraten werden, sich in einem neuen Antragsverfahren an die Fahrerlaubnisbehörde zu wenden und die Voraussetzungen für die Wiedererteilung der Fahrerlaubnis abzuklären. Nur so kann er vermeiden, dass er vorab kostspielige Gutachten einholt, die für das Verfahren keine maßgebliche Bedeutung haben.
3. Die Klage ist daher mit der Kostenfolge aus § 154 Abs. 1 VwGO abzuweisen. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit ergibt sich aus § 167 VwGO i.V.m. § 708 Nr. 11 ZPO.

Jetzt teilen:

Ähnliche Artikel