Aktenzeichen Vf. 21-VII-17
VfGHG Art. 26 Abs. 1
BayLStVG Art. 23 Abs. 1 S. 1
Leitsatz
1. Es kann geboten sein, eine nur geringe Wahrscheinlichkeit einer Schädigung von Rechtsgütern in die Folgenabwägung über den Erlass einer einstweiligen Anordnung auch nur mit geringerem Gewicht einzustellen; haben diese Rechtsgüter jedoch überragende Bedeutung, kann auch eine geringe Wahrscheinlichkeit die Ablehnung der Außervollzugsetzung einer dem Schutz dieser Rechtsgüter dienenden Maßnahme rechtfertigen. (Rn. 18) (redaktioneller Leitsatz)
2. Von der Befugnis, den Vollzug einer in Kraft getretenen Norm auszusetzen, ist wegen des erheblichen Eingriffs in die Gestaltungsfreiheit des Normgebers nur mit größter Zurückhaltung Gebrauch zu machen. (Rn. 18) (redaktioneller Leitsatz)
Tenor
Die Anträge auf Erlass einer einstweiligen Anordnung werden abgewiesen.
Gründe
I.
Die Antragsteller im Popularklageverfahren wenden sich gegen § 1 Nr. 1 und § 2 der Verordnung der Stadt P-über die Sperrung der M-brücke an Silvester vom 27. November 2017 (Amtsblatt der Stadt P- Nr. 33 S. 250).
Die Verordnung hat folgenden Wortlaut:
Aufgrund von Artikel 23 Absatz 1 Satz 1 des Gesetzes über das Landesstrafrecht und das Verordnungsrecht auf dem Gebiet der öffentlichen Sicherheit und Ordnung (Landesstraf- und Verordnungsgesetz – LStVG) in der in der Bayerischen Rechtssammlung (BayRS 2011-2-I) veröffentlichten Fassung, das zuletzt durch § 3 des Gesetzes vom 24. Juli 2017 (GVBl. Seite 388) geändert worden ist, erlässt die Stadt P. folgende Verordnung:
§ 1 Betretungsverbot
1. Zur Verhütung von Gefahren für Leben, Gesundheit, Eigentum und Besitz ist es jeweils im Zeitraum vom 31. Dezember ab 23:00 Uhr bis 01. Januar um 01:00 Uhr verboten, die M-brücke (Fl.Nr. 505/3 Gmkg. P-) sowie den Bereich der Brückenköpfe Süd (Fl.Nr. 876/6 Gmkg. P-) und Nord (Fl.Nr. 534/4 Gmkg. P-) zu betreten oder mit Fahrrädern zu befahren.
2. Zulässig bleibt das zügige Überqueren der Brücke mit Kraftfahrzeugen.
3. In begründeten Fällen können die vor Ort anwesenden Polizeikräfte Ausnahmen für das zügige Überqueren der Brücke zu Fuß oder mit dem Fahrrad zulassen.
2. § 2 Ordnungswidrigkeit
Nach Artikel 23 Absatz 3 LStVG kann mit einer Geldbuße bis zu eintausend Euro belegt werden, wer entgegen § 1 die M-brücke betritt oder mit dem Fahrrad befährt.
§ 3
Diese Verordnung tritt am Tag nach ihrer Bekanntmachung in Kraft.
Art. 23 des Gesetzes über das Landesstrafrecht und das Verordnungsrecht auf dem Gebiet der öffentlichen Sicherheit und Ordnung (Landesstraf- und Verordnungsgesetz – LStVG) lautet in der aktuellen Fassung:
Art. 23 Menschenansammlungen
(1) 1Zur Verhütung von Gefahren für Leben, Gesundheit, Sittlichkeit, ungestörte Religionsausübung, Eigentum oder Besitz können die Gemeinden für Ansammlungen einer größeren Anzahl von Menschen, insbesondere bei religiösen Feiern, Volksfesten und Sportveranstaltungen, Verordnungen und Anordnungen für den Einzelfall erlassen. 2Dies gilt nicht für Versammlungen im Sinn des Bayerischen Versammlungsgesetzes; die Vorschriften des Straßenverkehrsrechts bleiben unberührt.
(2) …
(3) Mit Geldbuße kann belegt werden, wer einer auf Grund der Absätze 1 oder 2 erlassenen Verordnung oder vollziehbaren Anordnung zuwiderhandelt.
In der Hauptsache beantragen die Antragsteller, § 1 Nr. 1 und § 2 der Verordnung für nichtig zu erklären, hilfsweise der Stadt P- „aufzugeben, sämtliche in das Stadtgebiet der Stadt P.fallende Zugänge zu Donau, Inn und Ilz zu sperren, an denen oder in deren Nähe regelmäßig Silvesterfeierlichkeiten begangen werden, wenn dort mit einem größeren Menschenaufkommen zu rechnen ist“.
Weiter beantragen die Antragsteller, § 1 Nr. 1 und § 2 der Verordnung vorläufig bis zur Beendigung des Hauptsacheverfahrens außer Kraft zu setzen, hilfsweise § 1 Nr. 1 und § 2 der Verordnung „außer Kraft zu setzen und die traditionelle Silvesterfeier auf der M-brücke unter den Auflagen zu gestatten, die der Bayerische Verfassungsgerichtshof für angemessen erachtet“. Weiter hilfsweise beantragen die Antragsteller, der Stadt P. „aufzugeben, sämtliche in ihren Zuständigkeitsbereich fallenden Zugänge zu Donau, Inn und Ilz, an denen oder in deren Nähe mit der Begehung von Silvesterfeierlichkeiten anlässlich des Jahreswechsels 2016/2017 [gemeint wohl 2017/2018] zu rechnen ist, zu sperren, wenn dort mit einem größeren Menschenaufkommen zu rechnen ist“. Die Sperrung habe „hierbei in vergleichbarer Weise zu erfolgen, wie dies mit der durch die Popularklage angegriffenen Rechtsverordnung bezüglich der M-brücke angeordnet“ sei.
II.
Die Antragsteller, die nach ihren Angaben beabsichtigen, in der Zeit vom 31. Dezember 2017 ab ca. 23.00 Uhr bis zum Folgetag um ca. 1.00 Uhr auf der M-brücke in P. den Jahreswechsel zu begehen, Alkohol zu konsumieren und Silvesterfeuerwerk abzubrennen, machen im Wesentlichen geltend, dass die angegriffenen Bestimmungen das Recht auf allgemeine Handlungsfreiheit (Art. 101 BV) verfassungswidrig einschränkten und gegen das Willkürverbot (Art. 118 Abs. 1 BV) verstießen. Zudem könne wegen der Überschreitung der Verordnungsermächtigung das Rechtsstaatsprinzip (Art. 3 Abs. 1 Satz 1 BV) verletzt sein.
Die Stadt P. habe mit Art. 23 Abs. 1 Satz 1 LStVG die falsche Rechtsgrundlage gewählt, soweit sie beabsichtige, gegen die Gefahren vorzugehen, die mit dem Konsum von Alkohol in der Öffentlichkeit verbunden seien. Insoweit sei Art. 30 LStVG die speziellere Rechtsgrundlage. Sie habe zudem willkürlich die Handlungsform der Verordnung gewählt, während im Vorjahr eine Allgemeinverfügung erlassen worden sei. Falls es insoweit ein Auswahlermessen gebe, habe sich die Stadt P. im Jahr 2016 verbindlich auf das Handlungsinstrument der Allgemeinverfügung festgelegt. Außerdem gehe die Stadt P. im Rahmen der Anwendung des Art. 23 Abs. 1 Satz 1 LStVG zu Unrecht von einer abstrakten Gefahr aus. Tatsächlich gehe es der Stadt nicht um den Schutz der Bürger vor den Gefahren des Alkoholkonsums oder vor Stürzen in den Inn, sondern um einen Schutz der feiernden Menschen vor Terroranschlägen, was im Hinblick auf die aktuelle Bedrohungslage „geradezu abwegig“ sei. Behauptungen über etwaige Gefahren seien „substanzlos“, „überspitzt“ und „widersprüchlich“. Die angegriffenen Bestimmungen genügten zudem nicht dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz, weil die Maßnahmen weder erforderlich noch angemessen seien. So könne statt der Sperrung ein Verbot der Mitnahme von Feuerwerkskörpern, Glasflaschen und Ähnlichem ebenso in Erwägung gezogen werden wie ein „Maßnahmenpaket aus Zugangsregulierungen und Beschränkungen bei der Mitnahme von Gegenständen“. Bisher seien zudem keine Personen in den Inn gefallen oder im Rahmen einer durch Böllerschüsse verursachten Panik verletzt worden. Seit Ende der 1990er Jahre sei es bei Silvesterfeiern auf der M-brücke zu keinem Unfall gekommen. Verfehlt sei der Einwand der Polizeiinspektion, für die Sicherheit einer auf der M-brücke stattfindenden Silvesterfeier könne nur mit erheblichem Personal- und Materialeinsatz gesorgt werden. Willkürlich sei außerdem, dass „ausgerechnet die M-brücke“ gesperrt werde, wohingegen andere Orte, wie z. B. der über den Inn führende Fünferlsteg, der R. Platz und die Donaulände nicht dem Anwendungsbereich der Verordnung unterfielen, und dass die Geltungsdauer der Verordnung auf 23.00 Uhr bis 1.00 Uhr festgelegt worden sei, obwohl auch außerhalb dieser Zeit die Möglichkeit bestehe, dass z. B. alkoholisierte Personen in den Inn stürzten.
Hilfsweise führen die Antragsteller aus, dass für den Fall der Annahme einer abstrakten Gefahr für Leben und körperliche Unversehrtheit die Stadt P. aus der „im Gefahrenabwehrrecht nicht fernliegenden Pflicht zum polizeilichen Einschreiten“ sowie der Grundrechte auf Menschenwürde, Gleichbehandlung sowie Leben und körperliche Unversehrtheit eine Pflicht zum Einschreiten auch bzgl. anderer „Gefahrareale“ habe.
Der Erlass einer einstweiligen Anordnung sei geboten, weil die Verfassungswidrigkeit der angegriffenen Verordnung offensichtlich sei und im Übrigen auch die Folgenabwägung ein Außerkraftsetzen gebiete. Wenn man dagegen von einer abstrakten Gefahr ausgehe, müsse ggf. auch bei anderen „Gefahrarealen“ eine entsprechende Regelung wie in der angegriffenen Verordnung erfolgen.
III.
1. In dringenden Fällen kann der Präsident des Verfassungsgerichtshofs über Anträge auf Erlass einer einstweiligen Anordnung allein entscheiden (Art. 26 Abs. 3 VfGHG). Ein solcher dringender Fall liegt hier vor, da der Jahreswechsel 2017/2018, bei dem die Verordnung erstmals zur Anwendung kommen soll, unmittelbar bevorsteht. Eine Beschlussfassung durch die zuständige Spruchgruppe des Verfassungsgerichtshofs ist vor diesem Hintergrund aus zeitlichen Gründen nicht möglich.
2. Wegen der besonderen Dringlichkeit wird davon abgesehen, den im Verfahren zur Hauptsache Beteiligten oder Äußerungsberechtigten vor der Entscheidung Gelegenheit zur Stellungnahme zu geben (Art. 26 Abs. 2 Satz 2 VfGHG).
IV.
Die Anträge auf Erlass einer einstweiligen Anordnung haben keinen Erfolg.
Der Verfassungsgerichtshof kann auch im Popularklageverfahren eine einstweilige Anordnung erlassen, wenn dies zur Abwehr schwerer Nachteile, zur Verhinderung drohender Gewalt oder aus einem anderen wichtigen Grund dringend geboten ist (Art. 26 Abs. 1 VfGHG). Wegen der weitreichenden Folgen, die eine einstweilige Anordnung im Popularklageverfahren in der Regel auslöst, ist an die Vorausset 12 zungen, unter denen sie erlassen werden kann, ein strenger Maßstab anzulegen (ständige Rechtsprechung; vgl. VerfGH vom 13.1.1995 VerfGHE 48, 1/3 f.; vom 4.11.2010 VerfGHE 63, 188/192; vom 12.6.2017 – Vf. 4-VII-13 – juris Rn. 54). Aufgrund des Wesens der Popularklage dürfen konkrete Maßnahmen zugunsten einzelner von einem Rechtssatz betroffenen Personen nicht erlassen werden; vielmehr kommt auch im Rahmen einer einstweiligen Anordnung nur eine Regelung infrage, die generell den Vollzug vorläufig aussetzt (VerfGH vom 6.5.1965 VerfGHE 18, 50; VerfGHE 63, 188/192 f.; vom 12.6.2017 – Vf. 4-VII-13 – juris Rn. 54). Die Gründe, die für die Verfassungswidrigkeit der angefochtenen Vorschrift vorgetragen werden, haben im Regelfall außer Betracht zu bleiben. Nur wenn bereits offensichtlich ist, dass die Popularklage aus prozessualen oder sachlichen Gründen keine Aussicht auf Erfolg hat, kommt eine einstweilige Anordnung von vornherein nicht in Betracht. Umgekehrt kann der Erlass einer einstweiligen Anordnung dann geboten sein, wenn die Verfassungswidrigkeit der angefochtenen Vorschrift offensichtlich ist (ständige Rechtsprechung; vgl. VerfGH vom 5.6.1989 VerfGHE 42, 86/91 m. w. N.; VerfGHE 63, 188/193; vom 12.6.2017 – Vf. 4-VII-13 – juris Rn. 54). Ist der Ausgang des Popularklageverfahrens dagegen als offen anzusehen, sind die Folgen, die eintreten würden, wenn eine einstweilige Anordnung nicht erginge, die Popularklage aber Erfolg hätte, gegenüber den Nachteilen abzuwägen, die entstünden, wenn die begehrte einstweilige Anordnung erlassen würde, der Popularklage aber der Erfolg zu versagen wäre. Bei dieser Abwägung müssen die für eine vorläufige Regelung sprechenden Gründe so gewichtig sein, dass sie im Interesse der Allgemeinheit eine einstweilige Anordnung zur Abwehr schwerer Nachteile unabweisbar machen (ständige Rechtsprechung; vgl. VerfGH vom 3.6.1994 VerfGH 47, 150/152; vom 28.1.2008 – Vf. 11-VII-07 – juris Rn. 14; vom 18.4.2013 – Vf. 8-VII-12 – juris Rn. 19).
Nach diesen Maßstäben ist eine einstweilige Anordnung im vorliegenden Fall nicht zu erlassen.
1. Im gegenwärtigen Stadium des Verfahrens kann bei der aufgrund der Eilbedürftigkeit nur möglichen überschlägigen Prüfung nicht von offensichtlichen Erfolgs 14 aussichten, aber auch nicht von einer offensichtlichen Aussichtslosigkeit des Hauptantrags im Popularklageverfahren ausgegangen werden. Insbesondere ist es entgegen der Auffassung der Antragsteller keineswegs offensichtlich, dass die Stadt P. die angegriffene Verordnung nicht auf Art. 23 Abs. 1 Satz 1 LStVG stützen durfte, dass die Stadt zu Unrecht von einer Gefahr im Sinn dieser Vorschrift ausging und den Erlass der Vorschriften nicht für erforderlich und angemessen halten durfte. Die Entscheidung über den (primären) Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung ist deshalb anhand einer Folgenabwägung zu treffen.
2. Die Folgenabwägung ergibt, dass der Vollzug der angegriffenen Bestimmungen weder ganz noch teilweise auszusetzen ist.
a) Erginge die beantragte einstweilige Anordnung nicht und hätte die Popularklage im Hauptsacheverfahren Erfolg, würden – wohl zahlreiche – Personen zu Unrecht davon abgehalten, in der Silvesternacht zwischen 23.00 Uhr und 1.00 Uhr die M-brücke zu betreten oder mit Fahrrädern zu befahren.
b) Erginge die primär beantragte einstweilige Anordnung und hätte die Popu-larklage im Hauptsacheverfahren keinen Erfolg, würde die von der Stadt P. mit der Verordnung angestrebte Verhütung von Gefahren für Leben, Gesundheit, Eigentum und Besitz durch weitgehende Sperrung der M-brücke für Fußgänger und Fahrradfahrer unterbleiben. Dies könnte dazu führen, dass es auf der M-brücke zu irreversiblen Beeinträchtigungen bedeutender Rechtsgüter, insbesondere von Leben und Gesundheit von Personen (also zu Toten oder Verletzten) kommt, was bei Fortgeltung der Verordnung verhindert werden könnte. Selbst wenn man der Auffassung der Antragsteller folgen würde, dass im Hinblick auf diese Folgen „von einer Unwahrscheinlichkeit auszugehen“ sei, steht das einer Berücksichtigung der Möglichkeit im Rahmen der Folgenabwägung bei Prüfung des Erlasses einer einstweiligen Anordnung nicht entgegen. Jedenfalls erscheint der Eintritt solcher – zumindest ernsthaft möglicher – Folgen nicht ausgeschlossen 16 (vgl. zur Berücksichtigung von nicht auszuschließenden Folgen z. B. auch BVerfG vom 15.9.2004 – 2 BvR 1664/04 – juris Rn. 13; vom 18.1.2010 – 1 BvR 3189/09 -juris Rn. 15; vom 27.2.2012 – 1 BvR 22/12 – juris Rn. 13; vom 5.12.2016 NJW 2017, 465 Rn. 45; vom 8.5.2017 – 2 BvQ 23/17 – juris Rn. 4). Zwar kann es geboten sein, eine nur geringe Wahrscheinlichkeit in die Folgenabwägung auch nur mit geringerem Gewicht einzustellen (vgl. z. B. BVerfG vom 15.3.2007 NJW-RR 2007, 986/987 f.). Angesichts der überragenden Bedeutung von Leben und Gesundheit der möglicherweise Gefährdeten überwiegen jedoch, selbst wenn man von einer geringen Wahrscheinlichkeit ausginge, die Gründe gegen das Außerkraftsetzen der angegriffenen Verordnung. Die demgegenüber zwar annähernd sichere und -zumindest in Bezug auf das Betretensverbot ggf. irreversible – Einschränkung der Grundrechte möglicher Besucher der M-brücke in der Silvesternacht zwischen 23.00 Uhr und 1.00 Uhr hat insoweit im Rahmen der Folgenabwägung geringeres Gewicht. Die Voraussetzung, dass die Folgen bei vorübergehender Anwendung der Verordnung und späterer Feststellung der Verfassungswidrigkeit so gewichtig wären, dass sie im Interesse der Allgemeinheit eine einstweilige Anordnung zur Abwehr schwerer Nachteile unabweisbar machen würden, ist vor diesem Hintergrund und angesichts des Umstands, dass von der Befugnis, den Vollzug einer in Kraft getretenen Norm auszusetzen wegen des erheblichen Eingriffs in die Gestaltungsfreiheit des Normgebers nur mit größter Zurückhaltung Gebrauch zu machen ist (vgl. dazu z. B. auch BVerfG vom 8.6.2016 NVwZ 2016, 1240 Rn. 13), nicht erfüllt.
3. Auch die hilfsweise beantragte Gestattung der „Silvesterfeier auf der M-brücke unter […] Auflagen“ durch Erlass einer einstweiligen Anordnung ist vorliegend nicht geboten, da nicht ersichtlich ist, dass die von der Stadt P. beabsichtigte Verhütung von Gefahren für Leben und Gesundheit mit milderen Mitteln auf gleich wirksame Weise erreicht werden könnte. Auch wenn mildere Mittel denkbar erscheinen könnten, die zumindest einen Teil der möglichen Gefahren verringern würden (z. B. andere Zugangsregulierungen oder Beschränkung bei der Mitnahme von Gegenständen), erscheinen diese jedenfalls nicht als gleich wirksam wie das vollständige oder weitgehende Verhindern der Ansammlung einer größeren Menschenmenge auf der Brücke. Angesichts der möglichen Folgen für Leben und Gesundheit (siehe zur Abwägung bereits oben) ist auch ein einstweiliges Außerkraftsetzen der Verordnung unter Anordnung bestimmter milderer Mittel nicht veranlasst.
4. Der zweite Hilfsantrag auf einstweilige Verpflichtung der Stadt P., sämtliche in ihren Zuständigkeitsbereich fallende Zugänge zu Donau, Inn und Ilz, an denen oder in deren Nähe mit der Begehung von Silvesterfeierlichkeiten zu rechnen ist, in vergleichbarer Weise zu sperren, wie dies mit der angegriffenen Rechtsverordnung bezüglich der M-brücke angeordnet ist, ist ebenfalls abzulehnen.
Dieser Antrag korrespondiert mit dem Hilfsantrag im Hauptsacheverfahren, der Stadt P. aufzugeben, sämtliche in ihr Stadtgebiet fallende Zugänge zu Donau, Inn und Ilz zu sperren, an denen oder in deren Nähe regelmäßig Silvesterfeierlichkeiten begangen werden, wenn dort mit einem größeren Menschenaufkommen zu rechnen ist. Insoweit handelt es sich um die Geltendmachung eines Unterlassens des Normgebers. Zwar kann auch ein solches Unterlassen Gegenstand einer Popularklage sein. Hierzu muss aber in substanziierter Weise dargelegt werden, dass der Normgeber aufgrund eines bindenden Verfassungsauftrags oder einer Grundrechtsnorm der Bayerischen Verfassung zum Erlass einer bestimmten Regelung verpflichtet ist (VerfGH vom 25.9.2015 BayVBl 2016, 81 Rn. 115 m. w. N.; vom 12.9.2016 BayVBl 2017, 478 Rn. 44; Müller in Meder/Brechmann, Die Verfassung des Freistaates Bayern, 5. Aufl. 2014, Art. 98 Satz 4 Rn. 14; Wolff in Lindner/Möstl/Wolff, Verfassung des Freistaates Bayern, 2. Aufl. 2017, Art. 98 Rn. 25). Dies ist hier nicht ersichtlich. Insbesondere ist nicht erkennbar, dass eine verfassungsmäßige Pflicht dazu besteht, etwaigen Gefahren an verschiedenen Orten zwingend durch – identische – Rechtsverordnungen zu begegnen. Die Frage, ob und ggf. wie die Sicherheitsbehörden Gefahren begegnen, unterliegt grundsätzlich ihrem Beurteilungsspielraum. Dass dieser vorliegend überschritten wäre, und daraus eine verfassungsmäßige Pflicht zum Erlass einer bestimmten Verordnung in Bezug auf bestimmte Orte folgen würde, ist nicht erkennbar.