Aktenzeichen 5 W 639/18
Leitsatz
Neben einem (bezifferten oder unbezifferten) Leistungsantrag auf Schmerzensgeld ist ein Feststellungsantrag bezüglich zukünftiger immaterieller Schäden nicht wegen Subsidiarität der Feststellungsklage unzulässig. Vielmehr liegt bei einer solchen Antragshäufung nahe, dass bei der Bemessung des Schmerzensgeldes erst zukünftig eintretende weitere Schäden zumindest insoweit außer Betracht bleiben sollen, als ihr Eintritt derzeit noch ungewiss ist. Je nach dem Klagevorbringen kann der Feststellungsantrag auch dahin auszulegen sein, dass er sich auf nicht vorhersehbare Folgeschäden beschränken soll. (Rn. 8)
Verfahrensgang
4 O 7692/17 2018-02-28 Bes LGNUERNBERGFUERTH LG Nürnberg-Fürth
Tenor
Auf die sofortige Beschwerde des Antragstellers wird der Beschluss des Landgerichts Nürnberg-Fürth vom 28.02.2018, Az. 4 O 7692/17, dahin abgeändert, dass dem Antragsteller Prozesskostenhilfe für eine Klage mit den Anträgen unter I, II und III gemäß dem Klageentwurf vom 08.12.2017 bewilligt wird.
Im Übrigen verbleibt es bei den Anordnungen des Landgerichts im Beschluss vom 28.02.2018.
Gründe
I.
Der Antragsteller beabsichtigt, die Beklagte als Trägerin des Krankenhauses X wegen einer angeblichen Fehlbehandlung einer am 23.03.2014 erlittenen linksseitigen Sprunggelenksfraktur auf Schadensersatz in Anspruch zu nehmen. Er behauptet, bei der am 01.04.2013 durchgeführten Operation sei die Syndesmose nicht korrekt eingestellt worden und es sei nicht erkannt worden, dass bei dem Unfall des Antragstellers (einem Treppensturz) auch das Außenband gerissen sei. Die Folgebehandlung sei komplikationsbehaftet gewesen. Letztlich habe das linke Sprunggelenk des Antragstellers versteift werden müssen. Der Antragsteller hat unter dem 08.12.2017 ein Prozesskostenhilfegesuch gestellt und für den Fall der Bewilligung die Erhebung einer Klage angekündigt, wonach die Beklagte zur Zahlung eines angemessenen Schmerzensgeldes nebst Zinsen (Antrag I) und zur Freistellung des Antragstellers von vorgerichtlichen Rechtsverfolgungskosten in Höhe von 2.085,95 € (Klageantrag II) verurteilt werden solle, ferner solle (Klageantrag III) festgestellt werden, dass die Beklagte verpflichtet sei, dem Kläger „jedweden zukünftigen materiellen und immateriellen Schaden zu ersetzen, der dem Kläger aus Anlass der fehlerhaft durchgeführten Operation vom 01.04.2014 entstehen wird“, soweit kein Anspruchsübergang auf Dritte eingetreten sei oder noch eintrete. Hinsichtlich des Feststellungsantrages ist in dem Klageentwurf ausgeführt, dass der Antragsteller aufgrund der geschilderten und unter Beweis gestellten Verletzungen mit weiteren Schäden rechnen müsse, nachdem bereits jetzt die Wirbelsäule im Bereich des 3. und 4. Lendenwirbels einen Folgeschaden erlitten habe.
Mit Beschluss vom 28.02.2018 hat das Landgericht dem Prozesskostenhilfegesuch hinsichtlich der Klageanträge unter I und II in vollem Umfang, hinsichtlich des Feststellungsantrages (Klageantrag III) jedoch nur hinsichtlich der zukünftigen materiellen Schäden entsprochen. Bezüglich der von diesem Klageantrag mit erfassten zukünftigen immateriellen Schäden hat das Landgericht den Prozesskostenhilfeantrag abgelehnt.
Zur Begründung hat das Landgericht ausgeführt, das im Wege eines Leistungsantrages geltend gemachte Schmerzensgeld umfasse auch sämtliche zukünftigen Schäden, soweit diese bereits vorhersehbar seien. Dieser Antrag habe gegenüber dem Feststellungsantrag Vorrang, weshalb letzterer insoweit unzulässig sei.
Gegen diesen seinem Prozessbevollmächtigten am 06.03.2018 zugestellten Beschluss hat der Antragsteller mit Schriftsatz vom 22.03.2018 sofortige Beschwerde eingelegt und zur Begründung darauf hingewiesen, dass der Geschädigte trotz der Einheitlichkeit des Schmerzensgeldanspruches eine Teilklage erheben und bei der Bemessung der Anspruchshöhe nur die Berücksichtigung derjenigen Verletzungsfolgen verlangen könne, die bereits zum Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung eingetreten seien; mit der Ankündigung eines Feststellungsantrages bezüglich zukünftiger immaterieller Schäden habe der Antragsteller zum Ausdruck gebracht, dass es sich bei der SchmerzensgeldLeistungsklage um eine solche Teilklage handele.
Das Landgericht hat mit Beschluss vom 28.03.2018 der sofortigen Beschwerde nicht abgeholfen; der Antragsteller habe nicht hinreichend zum Ausdruck gebracht, nur eine Teilklage erheben zu wollen. Er habe weder den bezifferten Schmerzensgeldantrag auf die Verletzungsfolgen beschränkt, die bis zum Schluss der letzten mündlichen Verhandlung tatsächlich eingetreten seien, noch habe er den Feststellungsantrag entsprechend konkretisiert und eingeschränkt. Neben einem unbeschränkten Leistungsantrag auf Zahlung eines angemessenen Schmerzensgeldes sei ein unbeschränkter Antrag auf Feststellung der Ersatzpflicht bezüglich zukünftiger materieller (gemeint: immaterieller) Schäden nicht zulässig.
II.
Die Beschwerde des Antragstellers ist statthaft und auch im Übrigen zulässig, insbesondere rechtzeitig eingelegt worden.
In der Sache hat das Rechtsmittel Erfolg. Die in der angefochtenen Entscheidung zum Ausdruck gebrachte Rechtsauffassung des Landgerichts zur Zulässigkeit eines Feststellungsantrags betreffend zukünftige immaterielle Schäden neben einer Leistungsklage auf Zahlung eines angemessenen Schmerzensgeldes steht mit der ständigen Rechtsprechung des Senats und – soweit ersichtlich – auch sämtlicher anderer Obergerichte nicht im Einklang.
Der Senat hat in der Vergangenheit die Zulässigkeit der hier gegebenen und in Arzthaftungssachen durchaus üblichen Klagehäufung nicht in Zweifel gezogen und entsprechende Urteile verschiedentlich bestätigt (beispielsweise: Urteil vom 17.02.2012, Az. 5 U 2059/11). Der Senat hat sich bislang allerdings nicht veranlasst gesehen, näher zum Verhältnis eines bezifferten oder unbezifferten Schmerzensgeld-Leistungsantrages zu einem gleichzeitig gestellten Antrag auf Feststellung der Ersatzpflicht für künftige immaterielle Schäden auszuführen. Hierfür gilt nach derzeitiger höchstrichterlicher und obergerichtlicher Rechtsprechung Folgendes: 1) Verlangt ein Kläger für eine erlittene Körperverletzung uneingeschränkt ein Schmerzensgeld, so werden durch den zuerkannten Betrag alle diejenigen Schadensfolgen abgegolten, die entweder bereits eingetreten sind und objektiv erkennbar waren oder deren (künftiger) Eintritt jedenfalls vorhergesehen und bei der Entscheidung berücksichtigt werden konnte (ständige Rechtsprechung des BGH, Nachweise bei BGH, NJW-RR 2006, 712). Der Grundsatz der Einheitlichkeit des Schmerzensgeldes gebietet es, die Höhe des dem Geschädigten zustehenden Anspruchs aufgrund einer ganzheitlichen Betrachtung der den Schadensfall prägenden Umstände unter Einbeziehung der absehbaren künftigen Entwicklung des Schadensbildes zu bemessen. Solche Verletzungsfolgen dagegen, die zum Beurteilungszeitpunkt noch nicht eingetreten waren und deren Eintritt objektiv noch nicht vorhersehbar war, mit denen also nicht oder nicht ernstlich gerechnet werden musste und die deshalb zwangsläufig bei der Bemessung des Schmerzensgeldes unberücksichtigt bleiben mussten, werden von der vom Gericht ausgesprochenen Rechtsfolge nicht umfasst und können deshalb Grundlage für einen Anspruch auf weiteres Schmerzensgeld sein. Solche Spätschäden können aber Gegenstand einer (neben der Leistungsklage erhobenen) Feststellungsklage sein (BGH, a.a.O.; ferner BGH, VersR 1989, 1055; VersR 1997, 1508; VersR 2001, 874). Ein Kläger kann durchaus ein Interesse daran haben, schon jetzt eine rechtskräftige Entscheidung über den Haftungsgrund herbeizuführen, um diesen für die Zukunft dem Streit der Parteien zu entziehen (BGH, NJW 1978, 544; BGH, VersR 2001, 876). Aus dieser ständigen Rechtsprechung des BGH seit vielen Jahren folgt, dass neben einem (bezifferten oder unbezifferten) Leistungsantrag auf Zahlung eines Schmerzensgeldes ein Feststellungsantrag, gerichtet auf die Feststellung der Verpflichtung zum Ersatz zukünftiger immaterieller Schäden, nicht schlechthin unzulässig ist. Unzulässig wäre ein solcher Antrag auf der Grundlage jedenfalls der älteren Rechtsprechung des BGH allenfalls dann, wenn sich bereits aus dem Vorbringen des Klägers selbst ergäbe, dass ausschließlich voraussehbare Schädigungsfolgen in Betracht stünden, die von der Zubilligung des begehrten Schmerzensgeldes bereits umfasst wären (BGH, NJW-RR 2007, 601).
Das Landgericht hat sich nicht mit der Möglichkeit befasst, das Klagebegehren in diesem Sinne auszulegen, also dahin, dass der Feststellungsantrag, soweit er künftige immaterielle Schäden betrifft, solche derzeit (noch) nicht vorhersehbare Folgeschäden umfassen solle.
2) Seit dem Urteil des Bundesgerichtshofs vom 20.01.2004 (VI ZR 70/03, NJW 2004, 1243) steht zudem außer Frage, dass trotz des erwähnten Grundsatzes der Einheitlichkeit des Schmerzensgeldes auch eine Schmerzensgeld-Teilklage zulässig ist. Auch für den Anspruch auf Schmerzensgeld gilt, dass grundsätzlich ein ziffernmäßig oder sonst wie individualisierter Teil davon Gegenstand einer Teilklage sein kann, sofern erkennbar ist, um welchen Teil des Gesamtanspruchs es sich handelt. Insbesondere kommt in Betracht, dass ein Kläger, der ein (beziffertes oder unbeziffertes) Schmerzensgeld im Wege der Leistungsklage fordert, bei der Bemessung dieses Schmerzensgeldes nur die Berücksichtigung der Verletzungsfolgen verlangt, die bereits im Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung eingetreten sind. Daraus folgt, dass neben dem Antrag auf Zuerkennung eines Schmerzensgeldes, bei dessen Bemessung nur die bisher eingetretenen und erkennbaren Verletzungsfolgen Berücksichtigung finden sollen, ein Antrag auf Feststellung der Ersatzpflicht für zukünftige immaterielle Schäden zulässig ist, wobei dieser Antrag dann nicht auf die nicht vorhersehbaren Schadensfolgen beschränkt ist, sondern jeglichen Zukunftsschaden, sei er voraussehbar oder nicht, umfasst. Somit hat der Anspruchsberechtigte die (freie) Wahl, ob er sich für eine unbeschränkte Schmerzensgeldklage entscheidet mit der Folge, dass bislang nicht eingetretene, aber absehbare, wenngleich nicht sichere, weitere Schäden nur im Wege eines „Wahrscheinlichkeitszuschlages“ Berücksichtigung finden können, oder ob er den Eintritt derartiger Verletzungsfolgen abwartet und sich hieraus ergebende Erhöhungen des Schmerzensgeldes mittels Nachforderungsklage durchsetzen will, wobei er sich solche künftigen Ansprüche mittels einer Feststellungsklage sichern kann. Möglich ist also, dem Feststellungsausspruch solche Folgeschäden zuzuweisen, die zum Zeitpunkt des Erstprozesses bereits mit medizinisch hinreichender Wahrscheinlichkeit vorausgesehen werden können oder mit denen zumindest ernstlich gerechnet werden muss. Dabei muss die zeitliche Abgrenzung nicht zwingend auf den Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung bezogen sein; die Auslegung des Leistungsantrages bestimmt die Reichweite des Vorbehalts im Feststellungsantrag für künftige immaterielle Beeinträchtigungen (zu allem ausführlich: OLG Stuttgart, Urteil vom 04.04.2017, 12 U 193/16, zitiert nach juris; OLG Karlsruhe, Urteil vom 30.05.2016, NJW-RR 2017, 278). Im vorliegenden Fall hat der Antragsteller bereits in seinem Klageentwurf (S. 22) ausgeführt, dass aufgrund der geschilderten Verletzungen mit weiteren Schäden gerechnet werden müsse, zumal mittlerweile bereits ein Folgeschaden im Bereich der Wirbelsäule eingetreten sei. In einem solchen Fall liegt nahe, das Klagebegehren dahin auszulegen, dass bei der Bemessung des im Wege des Leistungsantrages geforderten Schmerzensgeldes nur die bereits eingetretenen Beeinträchtigungen berücksichtigt werden sollen, alle weiteren, erst zukünftig eintretenden Folgen dagegen dem Feststellungsantrag zugewiesen werden sollen. Zumindest hat der Antragsteller mit der Beschwerde klargestellt, dass seine Anträge in dieser Weise auszulegen seien. Diese Erklärung hätte das Landgericht berücksichtigen müssen.
Im Beschwerdeverfahren muss allerdings nicht endgültig geklärt werden, welche Auslegung der Klageanträge der Intention des Antragstellers entspricht. Die vom Landgericht vorgenommene Einschränkung der Prozesskostenhilfebewilligung ist in keinem Falle gerechtfertigt.
Eine Kostenentscheidung ist nicht veranlasst (§ 127 Abs. 4 ZPO).