Medizinrecht

Zur Befreiung einer approbierten Tierärztin von der Rentenversicherungspflicht

Aktenzeichen  S 47 R 2686/16

Datum:
14.2.2017
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
SG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Sozialgerichtsbarkeit
Normen:
SGB VI SGB VI § 6 Abs. 1 S. 1 Nr. 1
BTÄO BTÄO § 1 Abs. 1
TAppV TAppV § 1 Abs. S. 2 Nr. 1-4

 

Leitsatz

Maßgebend für eine Befreiung von der Versicherungspflicht in der Rentenversicherung nach § 6 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 SGB VI ist, ob die Person wegen ihrer streitgegenständlichen Beschäftigung Pflichtmitglied einer berufsständischen Versorgungseinrichtung oder/und einer berufsständischen Kammer ist. Dies ist anhand der einschlägigen versorgungs- und kammerrechtlichen Normen zu prüfen. (Rn. 23 – 32) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Die Beklagte wird unter Abänderung des Bescheides vom 03.03.2016 in der Gestalt des Teilabhilfebescheides vom 18.04.2016 und des Widerspruchsbescheides vom 16.09.2016 verurteilt, die Klägerin über den 30.11.2016 hinaus von der gesetzlichen Rentenversicherungspflicht gemäß § 6 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGB VI als Mitarbeiterin im Bereich Marketing, Ernährungsberatung, Produktentwicklung der C-Firma GmbH zu befreien.
II. Die Beklagte trägt die notwendigen außergerichtlichen Kosten der Klägerin.

Gründe

Die zulässige Klage ist begründet.
Der streitgegenständliche Bescheid vom 03.03.2016 in der Gestalt des Teilabhilfebescheides vom 18.04.2016 und des Widerspruchsbescheides vom 16.09.2016 ist rechtswidrig und verletzt die Klägerin in ihren Rechten.
Die Klägerin hat über den 30.11.2016 hinaus Anspruch auf Befreiung für ihre Tätigkeit als Mitarbeiterin im Bereich Marketing, Ernährungsberatung, Produktentwicklung für C-Firma GmbH.
Nach § 6 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGB VI werden von der Versicherungspflicht befreit Beschäftigte und selbständig Tätige für die Beschäftigung oder selbständige Tätigkeit, wegen der sie aufgrund einer durch Gesetz angeordneten oder auf Gesetz beruhenden Verpflichtung Mitglied einer öffentlich-rechtlichen Versicherungseinrichtung oder Versorgungseinrichtung ihrer Berufsgruppe (berufsständische Versorgungseinrichtung) und zugleich kraft gesetzlicher Verpflichtung Mitglied einer berufsständischen Kammer sind, wenn
a) am jeweiligen Ort der Beschäftigung oder selbständigen Tätigkeit für ihre Berufsgruppe bereits vor dem 01.01.1995 eine gesetzliche Verpflichtung zur Mitgliedschaft in der berufsständischen Kammer bestanden hat,
b) für sie nach näherer Maßgabe der Satzung einkommensbezogene Beiträge unter Berücksichtigung der Beitragsbemessungsgrenze zur berufsständischen Versorgungseinrichtung zu zahlen sind
c) aufgrund dieser Beiträge Leistungen für den Fall verminderter Erwerbsfähigkeit und des Alters sowie für Hinterbliebene erbracht und angepasst werden, wobei auch die finanzielle Lage der berufsständischen Versorgungseinrichtung zu berücksichtigen ist.
Streitig ist hier allein, ob die Klägerin über den 30.11.2016 hinaus eine Beschäftigung ausübt, wegen der sie aufgrund einer durch Gesetz angeordneten oder auf Gesetz beruhenden Verpflichtung Mitglied einer öffentlich-rechtlichen Versicherungseinrichtung oder Versorgungseinrichtung ihrer Berufsgruppe und zugleich kraft gesetzlicher Verpflichtung Mitglied einer berufsständischen Kammer ist. Die weiteren Voraussetzungen des § 6 Abs. 1 SGB VI liegen bei der Klägerin über den 30.11.2016 hinaus unstreitig vor.
Maßgebend für eine Befreiung von der Versicherungspflicht ist daher, ob die Klägerin wegen ihrer streitgegenständlichen Beschäftigung Pflichtmitglied einer berufsständischen Versorgungseinrichtung oder/und einer berufsständischen Kammer ist. Dies ist anhand der einschlägigen versorgungs- und kammerrechtlichen Normen zu prüfen. Dies sind hier das Gesetz über die Berufsausübung, die Berufsvertretungen und die Berufsgerichtsbarkeit der Ärzte, Zahnärzte, Tierärzte, Apotheker sowie der psychologischenpsychotherapeutischen und der Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeuten (HeilberufekammergesetzHKaG) und die Bayerische Berufsordnung für Tierärzte (BO).
Nach Artikel 48 Abs. 2 HKaG sind Mitglieder der tierärztlichen Bezirksverbände alle zur Berufsausübung berechtigten Arzte, die in Bayern tierärztlich tätig sind oder, ohne tierärztlich tätig zu sein, in Bayern ihre Hauptwohnung haben. Dem HKaG fehlt eine Legaldefinition, wann es von einer tierärztlichen Tätigkeit ausgeht.
Nach § 1 der BO ist der Tierarzt berufen Leiden und Krankheiten der Tiere zu verhüten, zu lindern und zu heilen, zur Erhaltung und Entwicklung eines leistungsfähigen Tierbestandes beizutragen, den Menschen vor Gefahren und Schädigungen durch Tierkrankheiten sowie durch Lebensmittel und Erzeugnisse tierischer Herkunft zu schützen und auf eine Steigerung der Güte von Lebensmittel tierischer Herkunft hinzuwirken. Damit dient dieser zugleich der menschlichen Gesundheit. Der Tierarzt hat ebenso die Aufgabe – zum Schutz des Verbrauchers und der Umwelt – die Qualität und Sicherheit von Arzneimitteln, sowie vom Tier stammender Lebensmittel und Bedarfsgegenstände sicherzustellen.
Nach § 2 Abs. 1 BO ist tierärztliche Berufsausübung jede Berufstätigkeit, bei der die während des tiermedizinischen Studiums erworbenen Kenntnisse und Fähigkeiten verwertet werden. Nach den angeführten Normen gehören der Landestierärztekammer alle Tierärzte an, die approbiert sind und die in Bayern ihren Beruf ausüben oder, falls sie ihren Berufes nicht ausüben, im Land ihren Wohnsitz haben.
Danach gehört die als Tierärztin approbierte Klägerin, die als Mitarbeiterin im Bereich Marketing, Ernährungsberatung, Produktentwicklung der C-Firma GmbH sowohl ihren Beruf in Bayern ausübt als auch dort ihren Wohnsitz hat, kraft gesetzlicher Vorschrift der berufsständischen Kammer an.
Damit ist die Klägerin kraft Gesetz auch Mitglied einer berufsständischen Versorgungseinrichtung, nämlich der Beigeladenen. Die Beigeladene ist als Versorgungsanstalt für Tierärzte in Bayern eine berufsständische Versorgungseinrichtung. Nach § 3 der Satzung der Beigeladenen nehmen an der Versorgungsanstalt diejenigen Tierärzte teil, die die in § 2 HKaG genannten Voraussetzungen erfüllen.
Dies ist im Wesentlichen die Approbation, wenn sie in Bayern ihren Beruf ausüben. Auch diese Voraussetzungen erfüllt die Klägerin.
Die Klägerin übt den Beruf einer Tierärztin aus. Sie erfüllt die Berufsaufgaben einer Tierärztin, wie sie in der BO für Tierärzte in Bayern aufgeführt sind. Die Tätigkeit der Klägerin ist nicht nur durch die Entwicklung und das Überprüfen von Futtermitteln und das Bewerben von Produkten der C-Firma GmbH geprägt, sondern vielmehr durch die tierärztliche Behandlung der firmeneigenen Pferde, die Begutachtung von Tieren der Kunden der C-Firma GmbH und die umfassende veterinärmedizinische Beratung von Tierärzten in Praxen und Kliniken sowie Tierhaltern in Bezug auf Futtermittel und deren Wirkungen, Neben- und Wechselwirkungen auf die Tiergesundheit. Bei der Vielzahl der Futtermittel und deren Zusammensetzung sowie deren Anwendungsbereiche ist hinsichtlich der Wirkungsweise der Futtermittel zur Beratung in fachspezifischen Fragen ein umfassendes veterinärmedizinisches Wissen erforderlich. Durch die Beratung der Kunden bei ernährungsbedingten Erkrankungen oder vor und nach chirurgischen Eingriffen wirkt die Klägerin bei der Behandlung von Tieren therapeutisch bzw. prophylaktisch mit. Dabei geht die Tätigkeit der Klägerin weit über eine bloße Informationstätigkeit über bestimmte Futtermittel, die Produktentwicklung und das Marketing hinaus. Vielmehr erfordert die umfassende und komplexe Beratungstätigkeit der Klägerin in Bezug auf Tierernährung ein abgeschlossenes veterinärmedizinisches Studium.
An der Klassifikation der Tätigkeit der Klägerin als Tierärztin ändert auch nicht die Tatsache, dass die Klägerin auch dazu verpflichtet ist, die Produkte der C-Firma GmbH zu bewerben, den Markt zu analysieren und Terminabläufe zu überwachen und zu koordinieren. Diese Aufgaben hat die Klägerin nach der Stellenbeschreibung nur am Rande zu erfüllen.
Zusammenfassend hat die Kammer keine Zweifel daran, dass die Klägerin ganz überwiegend veterinärmedizinisches Wissen verwendet. Sie übt damit eine nach § 6 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGB VI befreiungsfähige berufsspezifische Tätigkeit einer Tierärztin aus.
Der Klage war daher stattzugeben.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

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