Miet- und Wohnungseigentumsrecht

Abgrenzung Boardinghouse von Wohnnutzung

Aktenzeichen  M 9 K 19.1800

Datum:
12.2.2020
Fundstelle:
BeckRS – 2020, 4052
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
ZwEWG Art. 3 Abs. 1 S. 2

 

Leitsatz

Tenor

I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Die Klägerin hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
III. Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar.
Die Klägerin darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht die Beklagte vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
IV. Die Berufung wird zugelassen.

Gründe

Die zulässige Klage hat keinen Erfolg.
1. Der zweckentfremdungsrechtliche Tatbestand des Art. 1 Satz 2 Nr. 3 des Gesetzes über das Verbot der Zweckentfremdung von Wohnraum (ZwEWG) i.V.m. § 4 Abs. 1 Nr. 3 der Satzung der Landeshauptstadt München über das Verbot der Zweckentfremdung von Wohnraum (ZeS) wurde fortgesetzt verwirklicht. Dies ist ausreichend belegt und durch die im Klageverfahren vorgelegten Unterlagen der Klägerin auch bestätigt worden. Das entsprechende Vorgehen der Beklagten, den Nachweis des Tatbestands der Fremdenbeherbergung durch Ortseinsichten mit dokumentierten Beobachtungen und Ermittlungen zu führen, ist nach ständiger Rechtsprechung nicht zu beanstanden (statt aller: VG München U. v. 13.3.2019 – M 9 K 18.4612). Die Mitarbeiter der Beklagten haben insoweit ein Betretungsrecht gemäß Art. 3 Abs. 1 Satz 2 ZwEWG, § 12 Abs. 1 Satz 1 ZEG. Ausweislich der Ortseinsicht vom 8. März 2019, die zeitnah vor der Fälligkeitsmitteilung erfolgte, und bestätigt durch die Ortsansichten vom 24. Juli 2019 und 17. Januar 2020 wurde die hier verfahrensgegenständliche Wohnung zimmerweise zu einem Pauschalpreis an Sprachstudenten vermietet, die sich alle nur vorübergehend mit einem zweckgebundenen und befristeten Visum im Bundesgebiet aufhielten.
Maßgeblicher Zeitpunkt für die Fälligkeit des angedrohten Zwangsgelds ist der Zeitpunkt des Ablaufs der im Bescheid vom 9. Oktober 2018 gesetzten Frist von vier Wochen. Unerheblich sind die von der Klägerseite nachträglich gemachten Angaben und nach Bescheiderlass im Klageverfahren vorgelegten Unterlagen (BayVGH B.v. 2.12.2019 – 9 ZB 19.999). Da die Klägerin ihrer verfahrensrechtlichen Mitwirkungspflicht nach Art. 26 Abs. 2 BayVwVfG über den Nachweis der Beendigung der kurzfristigen Vermietung zu Fremdenverkehrszwecken nicht innerhalb der Vierwochenfrist nachgekommen ist, kommt es nicht darauf an, ob die Klägerseite, wie im Klageverfahren geschehen, nachträglich Angaben gemacht hat, aus denen sich ggf. eine Beendigung der Nutzung zu Fremdenverkehrszwecken ergeben könnte.
Zum Zeitpunkt des Eintritts der Fälligkeit, überprüft durch die Ortseinsicht vom 8. März 2019, hat die Klägerin gemeinsam mit ihrer Mieterin weiter das Nutzungskonzept eines Boardinghauses verfolgt. Die verfahrensgegenständliche Wohnung wurde nicht zu Wohnzwecken als Studentenwohnheim oder Studentenwohngemeinschaft genutzt. Die Beklagte hat den nachträglich vorgelegten unbefristeten Mietverträgen und Mietaufhebungsvereinbarungen angesichts dessen, dass die Nutzer der Wohnung sich nach eigenen Angaben nur zweckgebunden und für eine bestimmte Zeitdauer in München aufhielten, zurecht keine Bedeutung beigemessen und unwiderlegt die Vermutung geäußert, dass es sich um Scheinmietverträge gehandelt hat. In diesem Zusammenhang wird darauf hingewiesen, dass es für den Betrieb eines Boardinghouses als Beherbergungsbetrieb unerheblich ist, ob sich dort Medizintouristen mit Kurzzeitvisa oder Sprachstudenten mit Kurzzeitvisa aufhalten.
Der Begriff des Boardinghouses im Zweckentfremdungsrecht ist nicht abschließend höchstrichterlich geklärt und sowohl von einer Nutzung als Wohnheim als auch im vorliegenden Fall von einer Wohnnutzung durch eine studentische WG abzugrenzen. In allen Fällen ist typisch, dass die Wohnnutzung durch den Benutzerkreis im Ergebnis zeitlich begrenzt ist.
Eine Fremdenbeherbergung im Sinne des Zweckentfremdungsrechts liegt immer dann vor, wenn ein lediglich beherbergungsartiges Unterkommen ohne Verlegung des Lebensmittelpunktes vorliegt. Dies ist immer dann anzunehmen, wenn eine Wohnung für die Dauer eines bestimmten Zwecks, aber nur einem vorübergehenden Aufenthalt zur Verfügung gestellt wird (BayVGH, B.v. 1.8.2016 – 12 CS 16.969; VG München U.v. 15.11.2017 – M 9 K 17.557). Maßgeblich ist im Falle einer Fremdenbeherbergung grundsätzlich der vorübergehende Aufenthalt und der Umstand, dass es sich um ein übergangsweises, nicht alltägliches, einem begrenzten Zweck dienendes Unterkommen für Personen handelt, die ihre eigentliche Wohnung typischerweise an einem anderen Ort haben.
Schwierig ist die Abgrenzung, wenn wie hier keine fremdenverkehrstypischen Serviceleistungen angeboten werden und die vollständig eingerichtete Unterkunft länger genutzt wird, ohne dass der Lebensmittelpunkt des Bewohners dorthin verlagert wird. Wenn wie hier eine Wohnung zimmerweise für einen Pauschalpreis an Studenten vermietet wird, bedarf es darüber hinaus auch der Abgrenzung zu einem Wohnen als studentische Wohngemeinschaft und ggf. zum Wohnen in einem Wohnheim, da es für diesen Personenkreis typisch ist, dass der Aufenthalt häufig semesterweise zeitlich begrenzt ist. Ausschlaggebend ist deshalb für die Abgrenzung einer Wohnnutzung von einem Boardinghouse als gewerblicher Fremdenverkehrsbetrieb nicht die Möglichkeit einer uneingeschränkten eigenen Haushaltsführung in Abgrenzung zu einer Unterkunft mit fremdenverkehrstypischen Dienstleistungen, wie sie in Hotels oder Pensionen angeboten werden. Die dazu vorliegende bauliche Rechtsprechung zur Einstufung eines Boardinghauses je nach Schwerpunkt der Nutzung und Einrichtung als Wohnen oder als Beherbergungsbetrieb/Ferienhaus (z.B. VGH Mannheim, B.v. 17.1.2017 – 8 F 16.41/16) kann für das Zweckentfremdungsrecht nicht übernommen werden (VG München, U.v. 15.11.2017 – M 9 K 17.557).
Wenn wie hier eine Etagenwohnung mit vier Zimmern nach ihrer Ausstattung mit Möbeln, Kochecke etc. objektiv dafür geeignet ist, dass die Benutzer in den jeweiligen Räumen ihren häuslichen Wirkungskreis unabhängig gestalten könnten, kommt es deshalb maßgeblich auf das zugrundeliegende Nutzungskonzept des Vermieters und sein konkretes Geschäftsmodell im Einzelfall dafür an, ob eine Fremdenverkehrsnutzung vorliegt.
Die Länge des Aufenthalts kann dafür als Indiz berücksichtigt werden (OVG Berlin-Brandenburg, B.v. 26.4.2019 – OVG 5 S 24.18 – juris Rn. 12). Dabei muss aber nach Ansicht der Kammer bereits das Nutzungskonzept erkennbar und nachprüfbar auf eine längere Aufenthaltsdauer ausgelegt sein und diese auch sicherstellen. Vorliegend ist schon aufgrund des Gewerbemietvertrages zwischen der Klägerin und der Mieterin ein starkes Indiz dafür vorhanden, dass eine kurzfristige Fremdenbeherbergung beabsichtigt ist. Denn nach dem Vertrag verpflichtet sich die Klägerin, den Mietgegenstand zu 95% zu umsatzsteuerpflichtigen Umsätzen zu verwenden. Langfristige Vermietungen zu Wohnzwecken sind allerdings umsatzsteuerfrei nach § 4 Nr. 12 Buchst a) UStG. Nicht befreit ist nach § 4 Nr. 12 Satz 2 UStG die Vermietung von Wohn- und Schlafräumen, die ein Unternehmer zur kurzfristigen Beherbergung von Fremden bereithält. Die zeitliche Grenze zwischen kurzfristiger und langfristiger Vermietung wird nach der steuerrechtlichen Rechtsprechung bei sechs Monaten gezogen (BFH, U.v. 27.10.1993 – XI R 69/90 – juris Rn. 13). Dabei ist nicht die tatsächliche Dauer der Vermietung entscheidend, sondern die aus den äußeren Umständen ableitbare diesbezügliche Absicht des Vermieters (BFH, B.v. 23.9 2014 – V B 37/14 – juris Rn. 7). Nach dem Gewerbemietvertrag zwischen der Klägerin und der Mieterin liegt es damit nahe, dass auch bezüglich der verfahrensgegenständlichen Wohnung nur Mietverhältnisse unter sechs Monaten angestrebt wurden. Bei einer derartigen vertraglichen Gestaltung und bei Übernahme der zeitlichen Grenze von sechs Monaten für die Zweckentfremdung (VG München, U.v. 29.7.2015 – M 9 K 14.5596 – juris), kann keine Wohnnutzung angenommen werden.
Im vorliegenden Fall ist daher weiterhin von einem Boardinghouse und nicht von einer studentischen Wohngemeinschaft auszugehen. Die Klägerin bietet nach ihrer eigenen Einlassung, nach Aktenlage und nach dem Ergebnis der Ortseinsichten durch die Beklagte, eine flexible, vorübergehende Unterkunft zum vorübergehenden Aufenthalt an und keine Wohnung im Sinne einer auf Dauer angelegten Häuslichkeit. Die Vermietung durch die Klägerin erfolgte ausweislich des Mietvertrags mit ihrer Mieterin als Gewerbemiete mit dem Nutzungszweck, die Einheiten als möblierten Wohnraum unter Einhaltung der gerichtlichen Vereinbarung unter zu vermieten. Die Untervermietung selbst erfolgte ausweislich der bei den Ortseinsichten gegebenen Auskünfte der angetroffenen Nutzer an Personen, die sich befristet und zu einem bestimmten Zweck vorübergehend im Bundesgebiet aufhielten und die ihr Zimmer dementsprechend für einen begrenzten Zeitraum des Deutschkurses flexibel nutzten. Eine Wohngemeinschaft liegt danach bereits deshalb nicht vor, weil bis zum maßgeblichen Zeitpunkt der Fälligkeit des Zwangsgelds die Vermietung der Zimmer einzeln an voneinander unabhängige Personen erfolgte, die lediglich Küche und Bad gemeinsam nutzten und keine auf Dauer angelegte, gemeine Häuslichkeit im Sinne einer Gemeinschaft erkennbar war.
Zum hier maßgeblichen Zeitpunkt hatte die Beklagte keine anderen Erkenntnisse. Ungeachtet dessen, dass die Klägerin nach dem Ergebnis der mündlichen Verhandlung ihr Nutzungskonzept eines Boardinghauses nicht aufgegeben hat und in Zukunft ein solches weiter betreiben will, hat sie der Beklagten trotz ihrer Mitwirkungspflichten nach Art. 26 Abs. 2 BayVwVfG auch keine Nachweise für eine Änderung des Nutzungskonzepts in studentisches Wohnen vorgelegt.
2. Die Anfechtungsklage gegen die Androhung eines weiteren Zwangsgelds in Höhe von 20.000,00 Euro durch Bescheid vom 8. März 2019 Ziff. II, ist unbegründet.
Der Bescheid über die Androhung eines weiteren Zwangsgelds in Höhe von 20.000,00 Euro war rechtmäßig und verletzt die Klägerin daher nicht in ihren Rechten, § 113 Abs. 1 VwGO.
Die allgemeinen Vollstreckungsvoraussetzungen liegen vor, Art. 18 ff. Bayerisches Verwaltungszustellungs- und Vollstreckungsgesetz (VwZVG). Der Bescheid über die Untersagung der Nutzung zu Fremdenverkehrszwecken vom 9. Oktober 2018 ist in Ziff. I auf ein Unterlassen gerichtet, Art. 18 Abs. 1 VwZVG. Die sofortige Vollziehbarkeit ergibt sich als Art. 3 Abs. 3 Zweckentfremdungsgesetz (ZwEWG); die aufschiebende Wirkung der Klage dagegen wurde nicht angeordnet und die Klage abgewiesen.
Die besonderen Vollstreckungsvoraussetzungen liegen ebenfalls vor, Art. 31, 36 VwZVG. Das Zwangsgeld wurde in bestimmter Höhe angedroht, Art. 36 Abs. 5 VwZVG und der Betrag von 20.000,00 Euro hält den Rahmen des Art. 31 Abs. 2 Satz 1 VwZVG ein, da es angemessen ist, bei einer erneuten Zwangsgeldandrohung den Betrag zu erhöhen. Mit der erneuten Androhung wurde zugewartet, bis feststand, dass die vorausgegangene Androhung erfolglos geblieben war, Art. 36 Abs. 6 Satz 2 VwZVG. Dabei bedeutet erfolglos in diesem Zusammenhang nur, dass die Behörde abzuwarten hat, bis das zunächst angedrohte Zwangsgeld fällig geworden und die frühere Androhung ohne Erfolg geblieben ist (VG München, B.v. 9.5.2019 – M 9 S 18.5843 mit weiteren Nachweisen). Das ist immer dann der Fall, wenn der Grundverfügung – hier der Nutzungsuntersagung – nicht fristgerecht nachgekommen wurde. Keinesfalls ist erforderlich, dass das zunächst angedrohte Zwangsgeld auch beigetrieben wurde.
Soweit die Bevollmächtigten der Klägerin vortragen, diese habe ihre Verpflichtung aus dem Bescheid vom 9. Oktober 2018 durch die Einzelvermietung an Studenten mit Aufenthaltserlaubnissen zum Zwecke des Deutschsprachkurses befolgt, trifft dies nicht zu. Die vorübergehende Unterbringung von Studenten mit zweckgebundenen kurzfristigen Visa ist keine Aufgabe des Nutzungskonzepts eines Boardinghouses. Weder soll der Boardinghousebetrieb beendet werden, noch findet in der verfahrensgegenständlichen Wohnung eine dauerhafte Wohnnutzung durch eine Wohngemeinschaft statt, wenn wie hier die Vermietung im Rahmen eines Gewerbemietvertrags über eine Boardinghousenutzung nur im Hinblick auf den offenen Rechtsstreit und die Zwangsgeldforderungen erfolgt.
Nach alledem ist die Klägerin nach dem Ergebnis der mündlichen Verhandlung und dem Vortrag der Beteiligten sowie nach Aktenlage ihrer Verpflichtung zur Beendigung der Nutzung zu Fremdenverkehrszwecken nicht nachgekommen. Damit blieb die Androhung im Grundbescheid erfolglos und ein erneutes Zwangsgeld durfte angedroht werden. Die Höhe des Zwangsgelds entspricht dem wirtschaftlichen Interesse der Klägerin, Art. 31 Abs. 2 Satz 2 VwZVG.
Die Klage war daher mit der Kostenfolge des § 154 Abs. 1 VwGO abzulehnen.
Die Berufung war wegen grundsätzlicher Bedeutung zuzulassen, § 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO.
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 Abs. 1 VwGO i.V.m §§ 708 f. ZPO.

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